Olson: "Das war ein längerer Prozess. Ich bin schon immer gelaufen, um meine Gedanken zu ordnen. Wenn ich draußen bin, spüre ich mein wahres Selbst besser.
"Ja. Ich bin in einer Kleinstadt in Wisconsin aufgewachsen, mit viel Natur drumherum, in der ich herumgerannt bin. In der High-School habe ich vor allem Basketball geliebt. Laufen hat mir auch Spaß gemacht; später habe ich Trailrunning für mich entdeckt. 2008 sind wir nach Ashland in Oregon gezogen. 2009 habe ich mit Trailrunning angefangen und bestritt dort einen50-km-Lauf. Während der High-School habe ich meine Probleme in Alkohol ertränkt und mit Drogen betäubt. Damals war ich dem Tod recht nahe. Laufen hat mir rausgeholfen. Ich habe an der High-School Geländelauf-Training angeboten. Als ich den Kids Spaß am Laufen vermittelt habe, habe ich selber wieder Freude daran gefunden."
"Ich habe einige Rennen um die 100 Meilen absolviert, darunter mehrmals den UTMB (Ultra-Trail du Montblanc) mit 107 Meilen, ein 110-Meilen- Rennen in Colorado und ein paar längere Treks, wie den Snowman Trek in Utah. Aktuell haben Thruhikes (Treks in einem Rutsch) mein Herz erobert. Den PCT ganz zu laufen, das war für mich wie eine Zusammenfassung von mehr als zehn Jahren in diesem Sport. Ich musste meine ganze Kraft und Erfahrung in die Waagschale werfen."
"In Ashland, Oregon, führt der Trail an meinem Haus entlang. Ich habe einen Lauf auf einem Teilstück des Wegs mitinitiiert, den Siskiyou Out Back Trail Run (SOB). Dabei habe ich viel Zeit mit der Wegpflege verbracht. Und ich war ein »Trail Angel«, das heißt, ich habe Essen & Co. für Thruhiker bereitgestellt. Dann wollte ich die ganze Westküste, den ganzen PCT erleben, von Mexiko bis Kanada."
"Vom 1. Juni bis 22. Juli 2021. Ich musste das genau austüfteln, damit ich nach der Schneeschmelze Ende Juni/ Anfang Juli in den Sierras bin. In dieser Zeit werden Flussüberquerungen allerdings richtig gefährlich. Einmal musste ich von Fels zu Fels ans andere Ufer springen und konnte kaum glauben, dass ich nicht davon gespült wurde!"
Konntest du dir vor dem Start vorstellen, was der PCT dir abverlangen würde?
"Für so etwas kann man nicht wirklich trainieren. Man kann als Vorbereitung eine Woche lang jeden Tag 50 Meilen laufen, aber wenn du dann mittendrin steckst, an Tag 20, in völlig neuem Gelände, das macht dich fertig. Schon am zweiten Tag war ich dehydriert, dachte, dass ich mir zu viel vorgenommen hatte. Ich traute meiner eigenen Erfahrung nicht mehr."
"Das hing immer von der Nacht davor ab. Es ist echt schwer, ein paar Stunden Schlaf zu bekommen, wenn dir alles weh tut, du dich zitterig fühlst und unter Krämpfen leidest. Beim Aufstehen sagt dir dein Verstand: »Lass es, hör sofort auf damit!« Also habe ich gelernt, die Vernunft abzuschalten. Nach ein paar Proteinen bin ich losgelaufen."
"Nach ungefähr einer Meile habe ich jeden Tag eine Pause gemacht und mich auf einen Felsen gesetzt, wo ich mein System ganz hochfahren konnte. Ich habe Atemübungen gemacht, mich mit der Natur verbunden, ihr wie bei einem Gebet zugehört und in mich hineingelauscht. Dann war ich fokussiert, bereit für 15 bis 17 Stunden laufen."
Wo und wie hast du denn die Nächte verbracht?
"Ungefähr die Hälfte der Zeit konnte ich in einem der Wohnmobile meiner Crew schlafen. Oft habe ich mich deswegen zu Extrameilen gezwungen oder meine Etappe verkürzt. So konnte ich mal vier Stunden schlafen. Und die andere Hälfte des PCT trug ich einen größeren Rucksack mit kleinem Schlafsack, winzigem Biwaksack und habe mich irgendwo hingelegt."
Wie war es mit Wasser?
"Am Anfang habe ich viel Wasser mitgeschleppt, ungefähr vier Liter. Nahe der mexikanischen Grenze war es schon am Morgen sehr heiß. Als ich nach Oregon und Washington mit den vielen Flüssen kam, hat ein einfacher Wasserfilter in den Flaschen gereicht, um sie immer wieder aufzufüllen."
"Ich brauchte unglaublich viele Kalorien. Bei meiner Crew konnte ich normal essen: Kartoffelpuffer, Pfannkuchen, Kartoffeln, Eier. Und Eiscreme! Einen Kocher hatte ich nicht dabei. Weil ich mir bei jeder Gelegenheit Kalorien reingestopft habe, war mein Mund wund, mit Blasen auf der Zunge, die ganze Zeit. Ich war wie eine Maschine: immer den Körper mit Kalorien füllen. Unterwegs gab es mor gens Proteinpulver als Shake. Und ich habe einen Haufen Snickers gegessen. Mein Highlight: Mandel-Snickers!"
Wie viel wog dein Rucksack?
"Oft bin ich mit leichtem Gepäck gewandert, mit fünf bis zehn Kilo, habe unterwegs die Crew getroffen und den oft doppelt so schweren Rucksack mit der Schlafausrüstung übernommen. In den Sierras war ich fünf Tage ohne Crew. Und da musste ich zusätzlich noch bärensichere Kanister mitschleppen."
Und wie viel Gewicht hast du selber verloren?
"Vielleicht fünf bis sieben Kilo. Welche Strecke hast du im Schnitt pro Tag zurückgelegt? 52 Meilen, also über 80 Kilometer. Ein paar Wochen lang war ich verletzt und habe nur rund 40 Meilen geschafft. 65 Meilen war meine längste Etappe, aber ich hatte einige 60-Meilen-Tage. Ich musste mich nach dem Trail richten, der stellenweise extrem steil war, oder es lagen Bäume quer. In sanfterem Gelände habe ich versucht, Strecke zu machen. In schlechteren Augenblicken habe ich mir eine Pause gegönnt, mich am Weg hingesetzt und meditiert. Mein rechtes Schienbein hat mir Probleme bereitet. Ein Freund und Chiropraktiker sorgte dafür, dass es brauchbar blieb. Eigentlich hatte ich ab Tag 2 physische Probleme, mit denen kein normaler Mensch weiterrennt. In der Regel erhole ich mich nach Rennen von 50 oder 100 Meilen eine Woche lang oder zwei, aber auf dem PCT steht täglich so ein Rennen an, und zwar kein einfaches. Oft hatte ich mindestens 3000 Höhenmeter am Tag zu klettern, insgesamt mehr als 150000 Hm = 16 Mount Everests!"
"Definitiv. Ich wollte mir das aber nicht erlauben. Es ploppen bei so einem Unternehmen immer mentale, körperliche und emotionale Widerstände auf, die aus jeder Richtung angreifen. Darauf musst du vorbereitet sein und dir denken: Ach, okay, heute ist eher ein mentaler Tag. An anderen Tagen tut dir alles weh, du bist müde – ein physischer Tag. Du darfst dich nie zum Aufgeben bringen lassen."
Bist du alleine gerannt?
"Meist. Die letzten Tage war mein langjähriger Coach bei mir, gute Ultratrail-Freunde wie Dylan Bowman und Billy Yang sind Abschnitte von zehn bis zwölf Meilen mitgelaufen. Wenn meine Familie zu mir gestoßen ist, haben wir uns Zeit genommen. Wir unterrichten unsere beiden Söhne zu Hause, also haben wir auf dem Trail über Ökosysteme, Nationalparks und die durchquerten Staaten gesprochen."
"Ja, auf eine Menge Bären. Und auf fünf Pumas! Aber alle haben sich zurückgezogen. Auf dem ersten Stück in der Wüste musste ich über einige Klapperschlangen springen. Außerdem habe ich Eulen, Adler und Falken gesehen."
Wie bist du mit schlechtem Wetter zurechtgekommen?
"Eigentlich hatte ich Glück mit dem Wetter. Gestartet bin ich zwar bei 43 Grad Celsius, und in den Sierras tobten mehrere Stürme, aber ich konnte einige umgehen. Nichts war wirklich beängstigend. Einmal war ich auf 3400 Metern, als ein Schneesturm aufzog, um drei in der Frühe. Also habe ich alles nass eingepackt und mich bewegt, damit ich nicht auskühle."
Am Ziel: Was hast du gefühlt?
"Ich habe alles rausgebrüllt, was sich in meinem Leben angesammelt hatte: Anstrengungen, Herausforderungen, Enttäuschungen. Und gleichzeitig Freude, Begeisterung. Einiges hat sich in diesem Moment in mir gelöst. Und – hast du einen neuen Rekord aufgestellt? Ja. Ich habe es in 51 Tagen, 16 Stunden und 55 Minuten geschafft, 15,5 Stunden weniger als der vorige Rekord."
Den Film THE MIRAGE über Timothys Rekordlauf zeigt die aktuelle EOFT (European Outdoor Film Tour) – Termine und Infos hier: eoft.eu
Das Interview zum Anhören
Hier in unserem Podcast (auf Englisch):
Mehr über den PCT hier: