Eigentlich wollte der Franzose Eliott Schonfeld zum Zahnarzt, als ihm ein Buch in die Hände fiel, das ihn auf der Stelle fesselte: Das Tagebuch von einem Landsmann namens Raymond Maufrais. Der verschwand 1949 im Alter von 23 Jahren auf einer Solo-Expedition im Urwald von Französisch-Guyana. Eliott, nur ein paar Jahre älter und ebenfalls Abenteurer, beschließt, die Tour von Maufrais nachzumachen und zu vollenden. Doch er hat den Dschungel unterschätzt, wie er auf seinem Trip feststellen muss ... um diese Erlebnisse geht es hier im Interview und in der aktuellen Podcastfolge:
Das Interview zum EOFT-Film "Amazonie" hier:
OUTDOOR: Wie bist du auf die Idee gekommen, in Französisch-Guyana den Dschungel-Trip eines 1949 verschollenen Abenteurers nachzumachen?
Eliott Schonfeld: Im Grunde genommen durch eine Verkettung von Zufällen. Ich hatte vor einem Zahnarzttermin in Paris noch reichlich Zeit. Also ging ich in eine Bibliothek, und da fiel mir das Tagebuch von Raymond Maufrais in die Hände. Es wurde 1950 am Ufer eines Flusses von Indigenen gefunden und etwas später durch seinen Vater veröffentlicht. Das Buch hat mich so gefesselt, dass ich es noch in der Bibliothek zu Ende las und den Zahnarzttermin völlig vergaß.
Was ist denn so toll an diesem Buch?
Ich kann Maufrais so gut verstehen! Dass er das Leben im Amazonasdschungel und dessen Bewohner kennenlernen und verstehen wollte, seine Sehnsucht nach echtem Leben am Puls der Natur. Er war zudem noch sehr jung, noch keine 24 Jahre, als er verschwand. Es ist schwer zu erklären, aber ich fühlte mich ihm sofort verbunden, wie ein Bruder im Geiste.
Wie sah dein nächster Schritt Richtung Französisch-Guyana aus?
[Lacht] Übereilt. Drei Wochen nach dem Tag der Lektüre war ich schon dort. Ich habe mich nicht besonders gut vorbereitet, eigentlich so gut wie gar nicht. Ich wusste, dass der Zeitpunkt in Sachen Regenzeit recht günstig war, und ich hatte das Buch von Maufrais im Gepäck, um vor Ort seine Eindrücke nachvollziehen zu können, Tag für Tag.
Was muss man sich unter dieser Tour genau vorstellen?
Sie beginnt an einem Ort namens Camp Grigel im Westen von Französisch-Guyana. Von dort paddelte er auf dem Fluss Waki zum Camp Verdun und ging dann zu Fuß weiter bis zum Fluss Tamouri. Dort wurde bei der damals bereits unbewohnten Siedlung Dégrad Claude später sein Tagebuch gefunden. Er selbst wollte schwimmend und watend ein 70 Kilometer entferntes Dorf namens Bienvenue erreichen, schaffte es aber nicht. Er war zu dem Zeitpunkt schon sehr abgezehrt und geschwächt. Genau diese Route wollte ich nachmachen, noch etwas länger, da es Bienvenue nicht mehr gibt – und lebendig ans Ziel kommen.
Am Leben bist du offensichtlich noch. Hast du auch dein Ziel erreicht?
Ja. Aber zwischenzeitlich sah es nicht danach aus. Dieser Trip war völlig anders als alle meine vorigen Reisen.
Inwiefern?
Zum einen war ich das erste Mal total allein. Ich bin sonst auch ohne Begleitung unterwegs, aber ich habe ein Satellitentelefon dabei und halte damit Kontakt zu meinen Eltern und meiner Freundin. Außerdem könnte ich im Notfall Hilfe rufen. Unter dem dichten Blätterdach hatte es aber keinen Empfang. Darüber hinaus habe ich den Dschungel lange als feindselig empfunden. Zum Beispiel war der Lauf des Waki immer wieder überwuchert, ich kam nur sehr langsam auf ihm voran. Zudem hatte ich geplant, Fische zu fangen und so meinen Proviant zu ergänzen – aber die wollten nicht anbeißen. Und als mein kleines Boot einmal kenterte, verlor ich meine Machete. Das war besonders für den Fußmarsch ungünstig, denn den Pfad, dem Maufrais gefolgt war, gibt es nicht mehr. Unglaublich, wie dicht der Wald ist, wie schwer die Orientierung ohne Wasserlauf!
Hast du es unterwegs bereut, diese Tour angetreten zu haben?
Zwischendurch auf jeden Fall. Bei dem erwähnten Fußmarsch war mir irgendwann nur noch zum Heulen. Ich wäre dort lieber ein Moskito oder eine Pflanze gewesen, kein Mensch. Auf meinen Reisen durch Alaska und Nepal habe ich mich an die Umgebung gewöhnt, mit und von der Natur gelebt, wie ein Teil von ihr. In Französisch-Guyana habe ich nur überlebt.
Gab es einen absoluten Tiefpunkt?
Ja. Ich wurde krank. Ich weiß nicht, was ich da hatte, aber auf jeden Fall Bauchkrämpfe, Fieber und Schwäche. Ich hatte ja den Proviant schlecht kalkuliert und nahm auf der Tour insgesamt 15 Kilogramm ab. Zum ersten Mal im Leben dachte ich, dass ich sterben werde. Ich habe sogar ein Video für meine Eltern und meine Freundin gedreht, um mich zu verabschieden und zu entschuldigen.
Wer oder was hat dich gerettet?
Wenn ich das wüsste! Heilsamer Schlaf? Ich wachte auf, fühlte mich deutlich besser und hatte mehr denn je Lust auf Leben. Nach zehn Tagen Fußmarsch erreichte ich dann den Tamouri-Fluss. Die Ureinwohner brauchen für diese Strecke knapp zwei! Bei Maufrais dauerte es 19 Tage, aber der schleppte auch 30 Kilo Gepäck. Ich hatte nur etwa zehn Kilo dabei.
Wie schaffst du es, unter solchen Strapazen noch zu filmen?
Tja – gewissermaßen gehe ich da ja auch meinem Job nach. Mit 19, 20 Jahren dachte ich auf meinen Reisen noch, dass ich jetzt eine schöne Zeit habe und anschließend vernünftig bin, studiere und dann mit normaler Arbeit Geld verdiene. Aber als ich 21 war, habe ich gemerkt: Hörsäle, Klausuren und Stadtleben sind nichts für mich. Ich beschloss, das Abenteurersein zu meinem Beruf zu machen.
Davon lebst du jetzt?
Ja. Anfangs musste ich noch jobben, um Geld für die Flüge zu verdienen. Unterwegs habe ich ohnehin so gut wie keine Ausgaben. Inzwischen werfen die Filme, Vorträge und Bücher genug Einkommen ab. Ich lebe aber auch ziemlich konsumarm.
Und wo wohnt ein Abenteurer, wenn er gerade nicht auf Reisen ist?
Ich habe ein kleines, einsam gelegenes altes Haus in den Bergen gekauft. An dem arbeiten meine Freundin und ich momentan sehr viel und ziehen bald ein.
Diese Frage muss jetzt folgen: Sorgen sich deine Freundin und deine Eltern nicht, wenn du so krasse Reisen unternimmst?
Nur in einem gesunden Maß. Sie wissen, dass ich eigentlich sehr vernünftig bin und keinesfalls mein Leben riskieren will. Das gilt auch für meine Freunde. Trotzdem muss ich mir vor jeder Reise von fast allen die Frage gefallen lassen, ob ich mir das auch gut überlegt habe und so weiter. Bei dieser Dschungel-Expedition war das wohl mehr denn je berechtigt da bin ich meinem Gefühl statt dem Verstand gefolgt.
Zurück zum Dschungel: Wie ging es weiter, als du den Tamouri erreicht hast?
Da musste ich schaffen, woran Maufrais gescheitert ist: mit dem Fluss die nächste Siedlung erreichen und dann weiter auf dem Fluss Camopi bis zum gleichnamigen Dorf an der Grenze zu Brasilien. 120 Kilometer insgesamt. In tagelanger Arbeit baute ich ein Floß aus Bambusstangen. Meine Ausgabe des Tagebuchs von Maufrais habe ich an diesem Ort gelassen, an dem er hoffnungsfroh seinen letzten Eintrag schrieb.
Lief es mit dem Floß dann endlich rund?
Eigentlich ja. Tagsüber fühlte ich mich von der Schönheit der Natur und der unglaublichen Artenvielfalt geradezu überwältigt: Papageien, Affen, Schmetterlinge, Wasserschweine, ab und zu ein Krokodil, unzählige satte Grüntöne. Als Maufrais vor 70 Jahren hier war, sah es nicht anders aus. Auch vor 200 Jahren nicht. Am Tag war ich der glücklichste Mensch der Welt. Aber nachts kam der Hunger. Ich fantasierte von Essen und schlief schlecht. Allein all die französischen Käsesorten, an die ich dachte ...
Bis du guten Käse bekamst, dauerte es wahrscheinlich noch etwas.
An Tag 46 meiner Tour hörte ich, dass mir ein Motorboot entgegenkommt. Indigene vom Stamm der Teko, meine Rettung! Sie nahmen mich mit und gaben mir sofort etwas Fisch zu essen. Ich blieb einige Tage bei ihnen, fischte mit ihnen, lernte viel über das Leben im Dschungel. Nie wieder will ich so an meine Grenzen kommen wie auf diesem Trip. Aber die Planung für die nächste Reise läuft bereits.
Mehr über das Filmprogramm der EOFT erfahrt ihr in der Fotostrecke (oben) oder auch in diesem Artikel:
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