Beim Bouldern gibt es verschiedene Faktoren, die Einfluss darauf haben, wie gut und wie schwer wir bouldern. In diesem Artikel geht es um Bouldertechnik und wie wir sie verbessern.
(Boulderserie Teil 2: Krafttraining fürs Bouldern / Boulderserie Teil 3: Der wichtigste Muskel: Wie der Kopf über Erfolg oder Misserfolg entscheidet)
Was ist gutes Bouldern?
Beim Bouldern brauchen wir ein großes Bewegungsrepertoire an Klettertechniken. Neben Kraft brauchen wir das nötige Geschick, kleine Tritte richtig zu belasten, das Können, eine Bewegung sauber umzusetzen, und das Vermögen, die richtige Bewegung im rechten Moment hervorzuzaubern. Wir brauchen gute Koordination, Bewegungsgefühl, Fußtechnik, natürlich Kraft und nicht zuletzt mentale Leistungsbereitschaft. Es müssen also mehrere Komponenten zusammenkommen. Im Gegensatz zum Laufen oder Radfahren sind die Bewegungsanforderungen beim Bouldern vielfältig und komplex.
Wie man Klettertechnik lernt, betrachten wir im Folgenden. Weiter unten gibt's dazu die besten Tipps und Übungen, um die Theorie in die Praxis umzusetzen.
- Bouldern ist ein Fertigkeits-bezogener Sport, bei dem neben Kraft auch Technik, Taktik und Timing mit in die Boulderfähigkeit einfließen.
Wie wir Bewegungen lernen
Wenn wir eine Bewegung zum ersten Mal ausführen, müssen wir uns voll konzentrieren und langsam vorgehen. Mit häufigerer Wiederholung und Routine gehen die nötigen Abläufe dann in Fleisch und Blut über, wir müssen nicht mehr darüber nachdenken, wir tun einfach, was nötig ist.
Dies ist auch beim Bouldern das Ziel: Die teils hochkomplexen Bewegungen beim Bouldern erlauben kein detailliertes Nachdenken und einzelnes Ausführen. Ähnlich wie beim Werfen und Fangen läuft die Bewegung automatisch ab: Das funktioniert aber nur, wenn die Bestandteile der Anforderungen bereits als Bewegungs-Bausteine im Kleinhirn vorhanden sind.
Indem wir verschiedenste Bewegungen ausführen und in vielfältigen Zusammenhängen reproduzieren, festigen wir die zugehörigen Engramme (=Bewegungserinnerungen) im Kleinhirn, wir erlernen die Abläufe. Mit der Zeit wird die so gewonnene Fähigkeit zur jederzeit abrufbaren, stabilen Fertigkeit. Leider gilt ebenso, dass wir uns auch falsche Bewegungen – also kraftraubende, umständliche oder unzureichende Lösungen – merken und sie abspeichern, wenn wir sie oft wiederholen. Es spricht also viel dafür, immer die sauberste Lösung zu suchen.
- Komplexe Bewegungen werden bei Wiederholung als Engramm abgespeichert. Je größer der Vorrat an Engrammen, desto vielfältiger ist unser Bewegungsrepertoire. Je aufmerksamer und mehr wir üben, desto besser verinnerlichen wir die Abläufe, ohne darüber nachdenken zu müssen.
So sieht gute Boulder-Technik aus
Gute Technik ist eine Mischung aus Bewegungspräzision und der Fähigkeit, einen Großteil des Körpergewichts mithilfe von Füßen und Beinen an der Wand zu halten. Deshalb ist beim Klettern auch oft von guter Fußtechnik die Rede. Woran erkennt man sie? Die Füße machen kein Geräusch beim Antreten, sie rutschen nicht ab, die Füße tasten auch nicht nach Tritten, sondern landen präzise darauf. Fußtechnik umfasst natürlich auch Geschick; überall stehen zu können, zu wissen wie man sauber Heelhooks und Toehooks einsetzt. Es gibt auch eine Kraftkomponente: Es kostet auch Power in den Zehen, das Körpergewicht auf winzige Tritte an der Wand übertragen zu können. Und woher bekommt man nun Fußtechnik? Durch viel Klettern auf kleinen und schlechten Tritten sowie auf abschüssigen Volumen. Dabei lernt man, wie es sich anfühlt, gerade so nicht abzurutschen. Je öfter es gelingt, auf einem schlechten Tritt zu stehen, desto besser verinnerlicht der Körper, was dafür zu tun ist. Außerdem helfen gut sitzende, sensible Kletterschuhe.
Beweglichkeit hilft, hohe Tritte zu nutzen: Dadurch wird der Bewegungsspielraum größer. Im überhängenden Gelände ist dazu noch Körperspannung nötig, um überhaupt Druck auf die Füße zu bekommen. Doch gute Technik geht über diese körperlichen Anforderungen hinaus. Vor einem Zug muss man ja erst einmal erkennen, welche Bewegung gefragt ist: Heel- oder Toehook? Frontal oder eingedreht stehen? Mit Schwung aufstehen oder langsam hochschieben? Gute Kletterer können Boulder lesen und wissen schon vor der Ausführung, was zu tun ist. Diese Fähigkeit lässt sich anhand des Feedbacks vom Routenlesen und Überprüfen der tatsächlichen Lösung erlernen (siehe Übung unten). Je öfter man sie nutzt, desto besser wird das Bewegungsgefühl und die Antizipationsfähigkeit. Zu Deutsch: Wir wissen eher, wie und wo wir unsere Füße hinstellen und wie wir uns positionieren müssen, um einen schwierigen Zug zu bewältigen.
- Technik basiert auf sauberem Stehen und dem Wissen, wann welche Bewegung die beste Lösung darstellt. Bewegungsplanung erlaubt uns nach jedem Go ein Feedback. Je öfter wir Planung und Feedback bewusst nutzen, desto besser lernt der Körper Bewegungen und umso runder wird unsere Technik.
Bewegungskoordination lernen
Bewegungsgefühl, Balance, Orientierung im Raum, Reaktionsfähigkeit, Präzision – die Sportwissenschaft listet noch weitere motorische Fähigkeiten, die zu guten Bewegungen im Sport gehören. Beim Klettern nennen wir dieses Paket meist Koordination. Klar ist: Zum Bouldern brauchen wir viel davon. Wichtig ist, dass wir im frischen Zustand mehr davon haben als im ermüdeten. Wenn wir nicht ausreichend aufgewärmt sind, ist die Koordination meist ebenfalls noch nicht am Start. Auch schlechte Laune, Angst oder Stress im Alltag können unsere Koordination verschlechtern. Dies sollte man bedenken, wenn man bouldern geht und seine Klettertechnik verbessern möchte.
Daraus folgt: Am besten probieren wir schwere Boulder und anspruchsvolle Züge gut aufgewärmt und in möglichst frischem Zustand. Wenn wir müde werden oder unsere Bewegungen fahrig und unpräzise, ist ein forderndes Techniktraining nicht mehr sinnvoll – denn dann speichern wir unsaubere Bewegungen ab, und die Verletzungsgefahr steigt. Wenn die Arme schon etwas leer sind, sollte der Fokus eher dahin gehen, bekannte Techniken oder Boulder trotz Ermüdung noch sauber und flüssig auszuführen.
- An Bouldern, die uns schwerfallen, lernen wir am meisten. Ist der Boulder zu leicht, wird unsere Koordination nur wenig oder gar nicht gefordert. Um besser zu werden, muss man dem Körper Aufgaben stellen, wenn er leistungsbereit ist.
Bewegungs-Qualität verankern
Ziel eines sinnvollen Kletter-Techniktrainings ist also, möglichst viele klettertypische Bewegungen in hoher Qualität auszuführen – und diese ausreichend oft zu wiederholen, damit sie sich als Fähigkeit verfestigen können. Um die Bewegungsqualität zu fördern, sollte man sich nicht damit zufrieden geben, wenn ein schwerer Zug mit Mühe einmal geklappt hat, sondern anspruchsvolle Abfolgen ruhig so oft wiederholen, bis sie geschmeidig gehen und leichter werden.
Die Sache mit dem Spaß
Eingangs versprachen wir Spaß beim besser Bouldern lernen. Nun, praktischerweise gehen ja die meisten von uns Bouldern, weil es Spaß macht. Das hilft, denn wir Menschen lernen besser, wenn wir Freude an unserem Tun empfinden. Die im folgenden empfohlenen Übungen machen vielleicht nicht automatisch Spaß, weil Dinge darunter sind, die man noch nicht kann, in denen man erst einmal "versagt" oder die uns Mühe bereiten. Vielleicht muss man sich auch mal aus der eigenen Komfortzone herausbewegen.
Dies sind aber wichtige Schritte, um weiter zu kommen. Und rückblickend stellen sie sich meist als lohnende Erfahrungen heraus. Einer meiner Kletterkollegen strahlt immer über beide Ohren, wenn es mal nicht so lief: "Da hab‘ ich mal so richtig auf den Sack bekommen!" Er freut sich richtiggehend über schwere Herausforderungen: Er hat erkannt, dass im Scheitern Fortschritt steckt, und dass ihn das Basteln, Probieren und Dranbleiben letztlich zu einem besseren Kletterer machen.
- Konzentriere dich auf die Details. Auf coole Züge, die richtige Körperposition und geschmeidige Moves. Spüre genau hin und konzentriere dich auf die Freude beim Bouldern, nicht auf das Ergebnis.
Tipps und Übungen, um die Boulder-Technik zu verbessern
Fähigkeiten wie Körpergefühl und Balance lassen sich schwer erklären, aber gut erfahren. Mit den folgenden Übungen ist es leichter, die richtigen Erfahrungen zu machen und die Qualität der eigenen Bewegungen zu verbessern.
Tipp Nummer 1: Fokus aufs Körpergefühl
Anfänger: Wer noch Kletter-Anfänger ist, braucht erst einmal ein Grundvokabular an Bewegungen. Deshalb sollten Anfänger vor allem viel bouldern. Ob mit leichten Bouldern oder traversierend (seitwärts kletternd), möglichst viele Meter zu machen – es geht darum, viele Bewegungen zu lernen. Achte darauf, den Blick auf dem Ziel zu lassen, bis der Fuß sauber gesetzt oder der Zielgriff erreicht ist, und erst dann weiter zu schauen. Teste die unterschiedlichsten Körperpositionen aus: eingedreht, frontal, mit langen Armen, mit gebeugten, einbeinig ... Probiere möglichst viel aus.
Blickkontakt halten
Fortgeschrittene: Geschmeidig traversieren oder viele leichte Boulder am Stück zu klettern ist auch für fortgeschrittene Boulderer hilfreich. Es lässt sich prima beim Aufwärmen einbauen: Wechsle das Tempo, beobachte deine Atmung, baue spielerisch verschiedene Züge ein (Untergriffe, Schulterzüge, Hooken, mehrere Seitgriffe hintereinander ...) und beobachte, was genau für einen speziellen Zug zu tun ist. Bonus: Man wärmt den Körper für schwerere Züge dieser Art auf.
Traversieren
Profis: Auch versierte Kletterer profitieren davon, geschmeidig zu traversieren oder sich beim Warm-up kleine Bewegungs-Aufgaben zu stellen. Klettere schwungvoll wie ein Affe oder geschmeidig wie eine Katze. Lasse dir die nächsten Griffe und Tritte von einem Partner ansagen oder zeigen. Übertreibe Bewegungen. Klettere einarmig, ohne Hände auf Platten, ohne Griffe oder ohne Tritte ... Diese Übung ist erst dann überflüssig, wenn alle erdenklichen Aufgaben gut zu lösbar sind.
Tipp Nummer 2: Routenlesen
Anfänger / Fortgeschrittene / Profis: Schaut jeden Boulder vor dem Klettern gründlich an: Wo sind die Griffe, wo die Tritte, wo das Top? Können mir Volumen oder Wand weiterhelfen? Versucht, euch die Bewegungsabfolge möglichst genau vorzustellen, macht einen Plan. Bonus: So vergeudet man in der Wand keine Zeit und Kraft mit Griffe-Suchen. Geht der Bewegungsplan nicht auf, wird improvisiert. Danach kann man aus dem Vergleich von Planung zu Durchführung lernen und bekommt ein Feedback, wie welche Stelle zu lösen ist – und darüber hinaus Informationen über die persönlichen Defizite. Je öfter man mit der Vorstellung arbeitet, desto schneller erfasst man beim nächsten Mal, was zu tun ist. Diese Übung ist auf jedem Level wichtig. Anfängern und Fortgeschrittenen hilft sie, ein besseres Bewegungsgefühl zu erwerben und saubere Lösungen zu festigen, Profis werden besser im Onsight-Klettern und generell im Problemlösen beim Klettern.
Tipp Nummer 3: Projektieren
Anfänger / Fortgeschrittene: Suche dir regelmäßig eine Herausforderung. Das muss nicht unbedingt der nächste Schwierigkeitsgrad sein (kann aber), sondern kann auch eine ungeliebte Art des Kletterns sein. Du magst keine Sloper? Suche dir regelmäßig einen Sloperboulder. Du hasst Platten? Mach‘ regelmäßig einen Ausflug ins geneigte Gelände! Wenn eine Bewegung nur knapp geklappt hat, schaue genauer hin: Wo liegt das Problem? Probiere die Bewegung erneut, und versuche möglichst sauber und geschmeidig zu klettern (das kann auch in der nächsten Klettersession sein). Wenn eine Bewegung (noch) nicht klappt, probiere sie anders. Wenn dir nichts mehr einfällt, lasse dich von einer anderen Person unterstützen, um die Bewegung wenigstens einmal zu machen. So kann der Körper die Bewegung lernen. Niemand da? Falls möglich, nutze einen in der Nähe befindlichen größeren Griff oder Tritt als Ersatz oder Zwischengriff, um dich an den schweren Zug anzunähern.
Profis: Ab einem gewissen Level besteht Bouldern hauptsächlich aus Projektieren. Dabei geht es einerseits darum, Trainingsreize zu setzen, andererseits auch um den Spaß, eine harte Nuss zu knacken. Auch für versierte Kletterer gilt: Gerade so geschafft ist nicht gut genug! Konzentriere dich auf die Feinheiten genau wie auf die großen Defizite. Man lernt beim Bouldern nicht aus, Schwächen zu trainieren ist auch auf hohem Niveau sinnvoll und bringt Abwechslung. Für gute Kletterer ist es besonders wichtig, nicht übermäßig viel im dem Bereich zu klettern, der zwar schon anstrengend, aber gut machbar ist. Denn dabei kommt Stress auf den Körper, aber der Gewinn (sowohl für die Technik als auch für die Kraft) ist nur minimal. Dauerhaft werden so Überlastungsprobleme begünstigt. Also lieber möglichst schwer und fordernd klettern und die Zwischenstufen fürs Auf- und Abwärmen aufsparen.
Buchtipp
Zur vertiefenden Lektüre empfehlen wir das Standardwerk des Ex-Bouldernationaltrainers Udo Neumann: Lizenz zum Klettern, 29,90 €, 256 Seiten
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