In diesem Artikel:
Systematisches Fingerkrafttraining von Dr. Eva Lopez + Bis zum Abtropfen? Das Puffer-Konzept von Dr. Eva Lopez + Richtig einsteigen am Trainingsboard + Fingerkraft am Trainingsboard: Das muss man beachten + Beispiel-Trainingspläne fürs Trainingsboard + Zusätzliche Übungen für die Fingerkraft + Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Fingerkrafttraining
Systematisches Fingerkrafttraining von Dr. Eva Lopez
Die von Eva entwickelten Trainingsansätze und Programmgestaltung basieren auf der Annahme, dass Verletzungen weitgehend auf inkorrekte Anwendung der Trainingsprinzipien und der individuellen Anpassung des Programms zurückzuführen sind. Um so wichtiger ist daher, bei jeder Einheit die richtige Intensität und Trainingslast für den jeweiligen Tag zu finden. Dafür ist ein Überblick über die wichtigsten Grundlagen beim Fingertraining am Board hilfreich.
Fingerkrafttraining lässt dich nicht besser klettern
Zuerst die Einschränkung: "Klettern ist kein hauptsächlich kraftbetonter Sport wie etwa Laufen", betont Eva. "Die Leistung hängt von technisch-taktischen Faktoren ebenso ab wie von psychologischen Aspekten, an denen man aktiv arbeiten muss, indem man ausreichend klettert. Fingerkrafttraining ist kein Ersatz fürs Klettern, sondern eine gute Ergänzung. Daher muss man kritisch prüfen, ob Fingerkrafttraining dir hilft, dich zu verbessern."
Grundlagen Fingerkrafttraining
Beim Fingerkrafttraining unterscheidet man zwischen zwei Ansätzen, um die Unterarm-Muskulatur zu trainieren. Die eine Methode zielt auf neuronale Anpassungen ab, die andere auf strukturelle (Muskelwachstum bzw. Hypertrophie).
Neuronale Anpassungen finden statt, wenn die Muskulatur besser angesteuert wird und die intramuskuläre Koordination verbessert wird. Diese Anpassungen lassen sich vom Hängen am Board mit maximaler Belastung (MaxHangs) hervorrufen. MaxHangs basieren auf hoher Intensität, geringem Umfang und vollständiger Pause zwischen den Durchgängen. Beispiel: ein mal 10 Sekunden hängen an einer sehr kleinen Leiste mit 3 Minuten Pause in 3 Sätzen.
Der von Eva Lopez empfohlene Trainingsumfang für neuronale Anpassungen liegt für Trainingseinsteiger bei 2 bis 4 Sätzen pro Einheit, für Fortgeschrittene bei 3 bis 5 Sätzen und für Trainingsprofis bei 3 bis 6 Sätzen bei Belastungszeiten von 5 bis 15 Sekunden. Einsteiger sind mit 10 Sekunden Hängen gut beraten.
Strukturelle Anpassungen beziehen sich auf Hypertrophie-Training, das auf Muskelwachstum, verbesserte Energiebereitstellung und kürzere Erholungszeiten abzielt. Diese Anpassungen brauchen allerdings sechs bis zwölf Wochen und erfordern einen relativ hohen Trainingsumfang und eine hohe, aber nicht maximale Intensität. Das Programm 7 Sekunden Hängen, 3 Sekunden Pause mit mehreren Sätzen ist ein Beispiel für sogenannte Intermittent Hangs (IntHangs, auch Repeater genannt), die auf Maximalkraftsteigerungen durch Hypertrophie basieren. IntHangs zeichnen sich durch insgesamt längere Belastungszeiten und unvollständige Pausen aus, was sich im Vergleich zu MaxHangs deutlich anstrengender anfühlt.
Schließlich gibt es noch submaximales Hängen (SubHangs). Diese weisen üblicherweise noch längere Hängezeiten auf (Beispiel: 4 mal 30 Sekunden Hängen mit je 2 Minuten Pause). SubHangs eignen sich für Reha-Maßnahmen nach Verletzungen und zur Verbesserung der lokalen Ausdauer der Fingermuskeln.
Die Maximalkraft-orientierten Trainingsansätze, MaxHangs und Int-Hangs, lassen sich entweder an der kleinstmöglichen Leiste (minimal edge depth, MED), ohne Zusatzgewicht durchführen oder an einer größeren Leiste mit maximalem (Zusatz-)Gewicht (maximal added weight, MAW) durchführen. Welches Protokoll sich wann eignet, hat Eva bereits untersucht (siehe unten). Bei MaxHangs passieren Anpassungen, also Kraftsteigerungen, innerhalb von wenigen Wochen. Allerdings erreicht man auch relativ schnell ein Leistungsplateau. Um weitere Anpassungen zu erzielen, muss der Trainingsreiz dann verändert werden.
Bis zum Abtropfen? Das Puffer-Konzept von Dr. Eva Lopez
Ob man bis zum letztmöglichen Moment an der Leiste hängt oder ob man loslässt, kurz bevor man vor Erschöpfung abrutscht, macht für den Trainingsreiz keinen Unterschied. Für die Strukturen der Finger ist es aber schonender, nicht bis zum Abrutschen zu arbeiten. Daher ist es sinnvoller, nicht bis zum muskulären Versagen zu trainieren, besonders wenn es um hohe Intensitäten wie bei MaxHangs geht. Eva Lopez schlägt fürs maximale Hängen einen Sicherheitspuffer vor: Wenn man eine Leiste für 13 Sekunden halten kann, bevor man abtropft, nutzt man sie im regulären Training mit 10 Sekunden und baut damit eine Reserve von 3 Sekunden ein. Bei Int-Hangs und ausdauer-orientierten SubHangs wählt man die Intensität so, dass man erst im letzten Satz bei den letzten Wiederholungen versagt. Jugendliche und Trainingsanfänger sollten mit 5 Sekunden Puffer einsteigen, Fortgeschrittene und Erfahrene können einen Puffer von 3-4 Sekunden wählen. Weniger sollten nur absolute Trainingsprofis erwägen.
Überblick: Empfehlungen für Puffer-Zeiten am Trainingsboard von Dr. Eva Lopez
Richtig einsteigen am Trainingsboard
Zum Einstieg ins Fingerboard-Training eignen sich MaxHangs: Sie bringen schnell erste Erfolge und heben das Level für den anschließenden Einstieg ins IntHangs-Training. Für den Einstieg in MaxHangs empfiehlt Eva die MED-Methode, also ohne Zusatzgewicht und je nach Niveau mit Entlastung an einer Leiste zu hängen. Um von diesem Training zu profitieren, sollte man mindestens 15 (weiblich) oder 16 (männlich) Jahre alt sein, schon zwei Jahre klettern, den Wachstumsschub hinter sich haben und mindestens 15 Sekunden an einer 24mm-Leiste hängen können. Die letzte Verletzung sollte mindestens zwei Monate zurückliegen, und auch das Klettervermögen sollte ausreichend entwickelt sein. Erst wer schon vier Jahre klettert und mindestens 40 Sekunden an einer 18-mm-Leiste hängen kann, sollte sich in höhere Intensitäten und die MAW-Methode wagen.
Optimale Ausgangsposition
Wer noch nicht systematisch trainiert hat, befindet sich in einer guten Lage: So ziemlich jedes Trainingsprogramm, das man durchzieht, wird eine Verbesserung bringen. Daher ist es sinnvoll, mit dem einfachsten Level anzufangen. Wer früh und ohne Notwendigkeit mit einem fortgeschrittenen Programm startet, limitiert seine zukünftigen Möglichkeiten und riskiert dazu noch Überforderung und Verletzung.
Fingerkraft am Trainingsboard: Das muss man beachten von Dr. Eva Lopez
- Es gibt keine "beste Fingertrainingsmethode". Der Nutzen einer Methode hängt von der persönlichen Situation, dem individuellen Trainingshintergrund und den jeweiligen Zielen ab.
- Gründliches Aufwärmen ist Pflicht.
- Fange mit dem leichtesten Programm an und nimm alle vier Wochen eine Änderung vor. Die Trainingsvariablen umfassen die Auswahl der Übungen, die Intensität, Umfang und Pausenzeiten. Diese Parameter kann man leicht verändern, um den Trainingsreiz wirksam zu setzen.
- Niemals im ermüdeten Zustand ans Board gehen.
- MaxHangs sollte man immer zu Beginn einer Session (nach gründlichem Aufwärmen) machen. Das gilt auch für IntHangs und SubHangs, außer es steht hartes Bouldern auf dem Programm, dann kann man letztere auch danach durchführen.
- Bei MaxHangs immer einen Puffer einbauen.
- Achte auf gute Form am Board: aktive Rumpfmuskulatur, Schultern weg von den Ohren.
- Bei der Auswahl der Übungen: Achte auf die Belastungsrichtung und -winkel der jeweiligen Griffart. Lokale Anpassungen hängen stark von der jeweiligen Muskelaktivität ab. So können kleine Änderungen unterschiedliche Bereiche der Muskeln trainieren und verbundene und stabilisierende Muskeln unterschiedlich beeinflussen. Wähle die Belastung so, dass sie dem Ziel (den Griffen im Projekt) ähnlich sind.
- Trainiere nur wenn du gesund bist, Warnsignale des Körpers dürfen nicht ignoriert werden.
- Einsteiger starten mit der einfachsten Griffart und bewegen sich dann weiter zu den schwierigeren.
- Wenn du nach IntHangs noch klettern willst, beschränke das Board-Training auf eine Griffart.
- Frauen sollten zusätzlich noch Sloperpower (s. Übungen in der Fotostrecke) und Kontaktkraft trainieren.
- Die hängende, offene Griffposition ist sicherer als halb aufgestellt. Starte hängend und füge die halb aufgestellte Handposition hinzu, wenn Zeit und Kapazitäten es erlauben.
Beispiel-Trainingspläne fürs Trainingsboard
Das Fingertraining von Eva Lopez basiert auf dem Prinzip, dass man sich jeweils die passende Leistengröße wählt, um die geforderten Intensitäten zu erreichen. Dafür hilfreich ist der Zugang zu einem Trainingsboard mit fein abgestuften Leistengrößen wie dem Progression oder einem ähnlichen Board, das ermöglicht, über verschiedene Griffgrößen die Intensität zu steuern. Untenstehend gibt es zwei Trainingspläne (für Einsteiger und Fortgeschrittene am Trainingsboard), mit denen man das Fingertraining am Board ausprobieren kann. Vollständige Trainingsanleitungen, weitere Hintergrund-Info und individuelles Coaching mit Eva gibt es unter www.en-eva-lopez.blogspot.com (auf Englisch).
Plan 1 – Beispiel-Trainingsplan für Anfänger am Trainingsboard. Voraussetzung für das Training nach diesem Plan: Du solltest mindestens 15 Sekunden an einer 24mm-Leiste hängen können. (Download unterhalb des Bildes)
Erläuterung / Beispiel
4 x MED Hangs x 15'' (5) : 3' heißt: Vier mal für 15 Sekunden an einer kleinen Leiste Hängen. Die Griffgröße der Leiste solltest du so wählen, dass du bei 15 Sekunden Hängen noch fünf Sekunden (5) Puffer hast, bevor du abfallen würdest. Die 3' steht für drei Minuten Pause zwischen den Sätzen.
Plan 2 – Beispiel-Trainingsplan für Fortgeschrittene am Trainingsboard. Voraussetzung für das Training nach diesem Plan: Du solltest länger als 15 Sekunden an einer 10mm-Leiste und länger als 40 Sekunden an einer 18mm-Leiste hängen können. (Download unterhalb des Bildes)
Erläuterung / Beispiel
5 x MAW Hangs x 18mm x 10'' (3) : 3' bedeutet, fünf mal für 10 Sekunden mit maximalem Zusatzgewicht an einer 18mm tiefen Leiste zu hängen. Wähle das Zusatzgewicht so, dass du noch drei Sekunden Pause bis zum Muskelversagen als Puffer hast. Zwischen den Sätzen mach drei Minuten Pause.
Wissenschaft zum Fingerkrafttraining
Um selbst stärker zu klettern und besser coachen zu können, begann Eva, die verschiedenen Ansätze im Fingerkrafttraining wissenschaftlich zu untersuchen. Ihre Ergebnisse, so betont Eva, gelten nicht notwendigerweise für alle Kletterer, sondern müssen immer im Kontext des jeweiligen Trainingsstands betrachtet werden. Evas Erkenntnisse zeigen, dass eine intelligente Kombination der verschiedenen Methoden über längere Zeit den besten mittel- und langfristigen Fortschritt bringt.
To the Max
Evas Haupt-Erkenntnis ist sicherlich, dass MaxHangs bessere Kraftsteigerungen erzielen als andere Ansätze (wie IntHangs oder Repeater) oder eine Kombination. Sie verglich eine Gruppe von Kletterern mit dem Level 7c+/8a in drei Gruppen über zwei vierwöchige Trainingsphasen, in der sie mit der MAW-Methode an einer 15mm-Leiste hingen. Die Gruppe, die ausschließlich MaxHangs trainierte, gewann mehr Kraft hinzu als die Gruppe, die ausschließlich IntHangs durchführte und auch als die Gruppe, die beide Methoden kombinierte. (E. López-Rivera and J.J. González-Badillo, 2016)
Vorteil für Anfänger
2018 belegte Eva, dass Kletterer, die bereits über hohe Fingerkraft verfügen, weniger von MaxHangs und hoher Belastung profitieren als solche, die mit weniger Fingerkraft ins Training starten. Dies deckt sich mit anderen Studien und erscheint logisch: Wenig Trainierte profitieren also am stärksten von gezieltem Training. In ihrer Untersuchung verglich sie zwei Gruppen Kletterer. Die Gruppe mit niedriger Fingerkraft (low strength, LS) konnte für 5 Sekunden an einer 15-mm-Leiste weniger als 30 Kilogramm halten. Die Gruppe mit größerer Fingerkraft (high strength, HS) konnte 30 Kilogramm oder mehr an der gleichen Leiste halten. Die Ergebnisse waren deutlich: Während die LS-Gruppe nach einigen Wochen MaxHangs einen rund 36 prozentigen Kraftzuwachs verzeichnen konnte, wuchs die Fingerkraft bei der HS-Gruppe nur um einen knapp 4 prozentigen Zuwachs und musste auch gute 4 Prozent Einbußen an Ausdauer hinnehmen. Dies deckt sich mit dem bekannten Konzept, dass Anpassungen bei besserem Trainingszustand immer härter erkämpft werden müssen. (E. López-Rivera and J.J. González-Badillo, 2018)
Die richtige Kombination
Um herauszufinden, wann welche Methode sinnvoll ist, verglich Eva zwei Gruppen mit sehr starken Kletterern, die hohe Trainingslast gewöhnt waren. Die erste Gruppe folgte erst vier Wochen lang dem MAW-Ansatz und danach vier Wochen der MED-Methode. Die zweite Gruppe verfuhr genau anders herum. Der Kraftzugewinn der Kombination MAW und danach MED war größer als bei der umgekehrten Reihenfolge. (E. López-Rivera and J.J. González-Badillo, 2012)
Länger dranbleiben
IntHangs haben sich als Mittel der Wahl herausgestellt, um die Griffausdauer zu verbessern. Für die Untersuchung wurden 26 Kletterer mit einem durchschnittlichen Kletterlevel von 7c+/8a in drei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe trainierte erst MaxHangs mit der MAW-Methode an einer 18mm-Leiste, danach MaxHangs nach der MED-Methode. Die zweite Gruppe trainierte IntHangs nach der MED-Methode an der 18mm-Leiste und die Dritte kombinierte die Methoden. Die erste Gruppe erfuhr eine Ausdauer-Steigerung um 34 Prozent, die zweite steigerte ihre Ausdauer um 45 Prozent und die dritte um sieben Prozent.
Die Autorin
Dr. Eva Lopez-Rivera coacht Kletterer, hat über Fingerkrafttraining ihre Doktorarbeit geschrieben und klettert selbst bis 8c+. Mehr zum Fingerkraft-Training unter www.en-eva-lopez.blogspot.com (auf Englisch)
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