Klettern im Alter
Beim Klettern tragen viele Faktoren zum Erfolg bei: Bewegungsrepertoire und -präzision sind mindestens so wichtig wie physische Kraft, und mentale Faktoren wie Erfahrungswissen und Nervenstärke bedeuten in vielen Routen dieser Welt einen uneinholbaren Vorsprung vor reiner Kraft.
Mit zunehmendem Alter werden wir körperlich etwas weniger belastbar, brauchen länger, um uns zu erholen. Mentaler Power sind allerdings kaum Grenzen gesetzt. Zwar schwinden mit den Jahren die Muskeln und ihre Funktionalität. Sie reagieren weniger stark auf Trainingsreize, die muskelaktivierenden Nerven bauen ab, die Muskeln regenerieren nach Belastung schlechter, die Schnellkraft schwindet (während die Ausdauer sich im Alter leichter verbessern kann), die Anzahl der Muskelfasern sinkt – aber es gibt auch gute Nachrichten für das Klettertraining im Alter.
Auch im Alter wirkt Training
Im Gesellschaftsschnitt verlieren Männer 0,5 Prozent und Frauen im Durchschnitt 0,4 Prozent ihrer Muskelmasse pro Jahr. Der Verlust steigt ab etwa dem 60. Lebensjahr an und pendelt sich dann auf ein Niveau von etwa fast 1 Prozent pro Jahr bei Männern und 0,7 Prozent pro Jahr bei Frauen ein. Doch gibt es auch gute Nachrichten: Mit Training lässt sich der Verfall bremsen, über weite Strecken auch aufhalten. Krafttraining verbessert Muskelmasse, Kraft und Schnellkraft in jedem Alter. Studien zeigen, dass Muskelmasse und Kraft selbst bei über 90-Jährigen noch trainiert und verbessert werden können.
Wenn die Belastbarkeit ab Mitte 30 langsam nachlässt, gilt es, am Ball zu bleiben und Extreme zu meiden. Nicht nur zu hart, auch zu lang oder zu oft klettern kann uns arg zusetzen. Mehr denn je gilt also nun für das Klettertraining: Qualität vor Quantität sowie auf den Körper hören. Weil wir schneller abbauen und schlechter aufbauen, wird Verletzungsprävention noch wichtiger.
Außerdem haben wir bei Coach Dicki Korb nachgefragt, was beim Klettertraining im Alter wichtig ist (siehe Interview unten). Gemeinsam mit Horst (69) zeigt er uns in der Fotostrecke einige Übungen, die für Oldies richtig gut sind.
Interview mit Coach Dicki Korb: "Moderat anstrengend bis schwer sollten die Übungen schon sein"
Dicki, wann ist man eigentlich alt?Es kommt vor allem auf das Trainingsalter an. Wenn jemand schon 20 Jahre hart trainiert hat und systematisch die Grenzen nach oben verschoben hat, dann geht irgendwann nicht mehr viel – auch wenn es Ausnahmen gibt. Wenn man hingegen einfach nur geklettert hat, kann man mit sich mit etwas Systematik schon noch steigern, auch wenn man älter ist. Dafür muss man gezielt Reize setzen. Man darf sich vor allem nicht verletzen: Je älter man wird, desto länger dauert sowas.
Wie mache ich das am besten?
Die Frage muss lauten: Was müsste sich verändern, damit ich diese Tour klettern kann? Ob das Kraft oder Mobilität ist, hängt eher vom Individuum ab als vom Alter. Außerdem sollte man sich dem allgemeinen Abbau mit Verstand entgegenstemmen. Weniger ist mehr, wenn es um maximalkräftige Reize geht. Aber mehr ist mehr, wenn wir von Mobilität sprechen.
Was heißt das?
Mobilität ist eine gern vernachlässigte Sache. Da empfehle ich, aktiv etwas zu machen, vor allem für die Schulter und die Brustwirbelsäule, in Maßen auch für die Hüfte. Wenn da etwas fehlt, dann kommt man nicht mehr so nah an die Wand, und das ist ein leistungsbegrenzender Faktor. Für mehr Flexibilität sollte man generell lieber öfter was tun als intensiv. Man sollte außerdem schauen, dass man nicht zu viel im leichten Gelände klettert, weil das im Verhältnis relativ wenig bringt. Insgesamt lieber mehr Einheiten, dafür aber kürzer und gezielt einen Reiz setzen, auch für die Kraft.
Also Krafttraining?
Es ist super sinnvoll, ein bis zwei mal wöchentlich nach dem Klettern ein paar Übungen zu machen. Wenn die Unterarme leer sind, die großen Muskelgruppen zu trainieren und noch ein paar Übungen hinterherzuschieben, wenn man schon mal dabei ist. Kurz an die Ringe gehen, um die schiere Kraft, ob Blockierkraft oder Körperkraft, zu trainieren. Ein kleiner Zirkel als ergänzendes Krafttraining wäre echt klug. Bei den Kraftübungen sollte man im Bereich von rund 10 bis 20 Wiederholungen bleiben. Das heißt, moderat anstrengend bis schwer sollten die Übungen schon sein, damit man die Muskulatur erhält und stärkt. Rund 80 Prozent der Zeit sollte man komplex, am besten kletternd trainieren, und dabei möglichst viele Komponenten ansprechen. Kleine Griffe, kleine Tritte und Körperspannung gemeinsam trainieren ist effizienter.
Und sonst?
Für Ältere ist kardiovaskuläres Training relativ wichtig. Zwar gibt es vermutlich keinen direkten Zusammenhang zwischen Grundlagenausdauer und Kletterleistung, aber das ist schlicht nötig zur Gesunderhaltung. Ein allgemein guter Fitnesszustand hilft beim Erbringen von Leistung, beim Verkraften von hohen Belastungsintensitäten, und die Regenerationszeiten verbessern sich. Je besser durchblutet, desto besser kann der Körper funktionieren. Das sollte eigentlich jeder machen, auch die Jüngeren – für die Älteren ist es aber wichtiger. Ein- bis dreimal die Woche lockeres Joggen, Radeln, irgendwas, was die Pumpe trainiert.
Was siehst du als Coach häufig?
80 Prozent der Leute, auch Ältere, kommen zu mir und sagen: Ich brauche mehr Kraft! Aber meist liegt es an etwas ganz anderem. Das sind oft Leute, die sowieso schon viel über Kraft machen und über verfeinerte Bewegungen, also Technik, viel mehr herausholen könnten. Also: Auch im Alter mal die Komfortzone und den gewohnten Trott verlassen, offen bleiben für neue Impulse, Dinge ausprobieren. Wenn du bereit bist, zu investieren und Dinge zu ändern, dann passiert auch was. Man lernt außerhalb der Komfortzone.
Dein Tipp, um glücklich kletternd alt zu werden?
Schwer klettern geht schnell mal aufs Material, das ist leider nicht unbedingt gesundheitsförderlich. Ein Freund von mir sagte neulich: "Man kann verrosten oder verschleißen, ich habe mich für Verschleiß entschieden" (lacht). Weniger ist mehr, wenn man es richtig anstellt. Das Ego dazu bringen, das Klettern nicht mit der Zahl zu messen. Für mich war es wertvoll zu akzeptieren, dass Zahlen nicht das Relevante sind, sondern die Herausforderung unabhängig von einer Zahl zu suchen und dabei genau auf die Grenzen des Körpers achten. Sich zu fordern, aber nicht zu überfordern.