Beim Bouldern und Klettern reicht es nicht aus, einfach nur viel Power zu haben, man muss sie auch anwenden können. Doch selbst Menschen mit ausgefeilter Klettertechnik bleiben manchmal hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Welche Faktoren in die persönliche Kletterperformance mit hineinspielen, erklären wir hier. Wer ins Bouldern oder Klettern einsteigt, fragt sich als erstes, was denn nun am besten zu trainieren ist. Nun, es kommt darauf an, was euch am meisten fehlt. Was auf jeden Fall stimmt: Klettern lernt man am besten durch viel Klettern.
Faktor Klettertechnik
Gute Klettertechnik ist das vielleicht wichtigste beim Bouldern und Klettern. Klettertechnik besteht wiederum aus mehreren Fähigkeiten und Aspekten: Bewegungspräzision ist hilfreich, ein gutes Gleichgewichtsgefühl und vor allem ein großes Bewegungsrepertoire, das man sich in Form von Engrammen (=abgespeicherte Bewegungsmuster) aneignet.
Aber auch Einschätzungsvermögen gehört dazu: zum Beispiel um zu wissen, ob ein gewisser Zug besser schwungvoll oder langsam und kontrolliert zu klettern ist; oder wie sehr man einen Griff "zuschrauben" muss, damit man daran hängenbleibt.
Faktor Motivation
Motivation ist fürs Bouldern und Klettern der Motor. Wer keine Lust hat oder nur halbherzig bei der Sache ist, wird weder beim Klettern erfolgreich sein noch schwer bouldern. Hier stimmt der Satz "es ist alles nur im Kopf" zu 120 Prozent.
Faktor Trainingszustand
Ok, ok, Kraft im Bizeps hilft natürlich. Allerdings ist sogar beim Bouldern Kraft nicht alles; auch wer 22 Klimmzüge macht, ist nicht unbedingt der beste Boulderer der Welt. Wobei, anders herum gilt die Rechnung schon: Die besten Boulderer der Welt machen locker 22 Klimmzüge.
Kraft in der Fingermuskulatur (also den Unterarmen) und der Rumpfmuskulatur (Körperspannung!) bringen übrigens auch mehr als ein dicker Bizeps.
Faktor Angst
All die schöne Technik und all die schöne Kraft hilft leider nicht, wenn uns die Angst wieder ausbremst. Angst ist etwas Fieses: Selbst wenn wir hochmotiviert sind und willens, heißt das nicht, dass wir sie abschalten können. Sie lässt uns unsere Kraft verpulvern und lähmt Hirn und Körper. Deshalb macht es ziemlich viel aus, ob wir entspannt und vielleicht gar mutig klettern oder ob uns die Angst im Würgegriff hat.
Faktor Körperliche Belastbarkeit
Beim Bouldern und Klettern muss man manchmal ganz schön die Zähne zusammenbeißen. An den Klettergriffen in der Halle hat die Haut teilweise ihre liebe Not; und wer eine alte Verletzung mit sich herumträgt, weiß, wie sehr Klettern auf die Knochen gehen kann. Auch wie ausgeruht man zum Klettern geht, spielt eine große Rolle.
Oft lässt sich der Faktor Belastbarkeit auch mit "Tagesform" übersetzen: Nach einem stressigen Arbeitstag geht beim Training einfach nicht so viel, als wenn wir wochenends (nach einem Ei zum Frühstück) im Sonnenschein am Fels stehen.
Faktor Erwartungshaltung
Die Psyche des Menschen ist ein Mysterium. Besonders beim Bouldern und Klettern. Im ersten Versuch war alles ziemlich easy, bis zum Sturz. Im zweiten Versuch scheint das, was eben locker ging, auf einmal unmöglich. Ja wie?
Erwarte ich, dass eine Route schwer ist, gebe ich mir Mühe. Erwarte ich, dass ein Boulder leicht ist, gebe ich mir vielleicht zu wenig Mühe. Erwarte ich, dass ein Boulder schwer ist, ist er vielleicht gerade deshalb zu schwer. Erwarte ich, dass eine Route leicht ist, ärgere ich mich vielleicht zu Tode, weil sie mir schwer fällt. Und so weiter...
Optimal ist, keine Erwartungen zu haben. Und einfach immer sein Bestes zu geben. Ist nicht ganz leicht, bringt's aber.
Faktor Koordination
Klettern und Bouldern bietet sowohl in der Kletterhalle als auch am Fels teilweise hochkomplexe Bewegungen. Wir kommen mit etwas Glück dynamisch an den nächsten Griff, können ihn aber nur halten, wenn der Fuß dabei auch auf dem etwas weit entfernten Tritt stehenbleibt. Also konzentrieren wir uns auf den Fuß, jetzt erreichen wir aber den Griff nicht mehr...
Manche Moves erfordern von uns, dass wir innerhalb des gleichen Schwungmoments die Richtung wechseln oder dass wir sozusagen im Moment, in dem wir in die eine Richtung streben, auch noch eine Bewegung in die andere machen müssen. Klettern und Bouldern ist koordinativ anspruchsvoll, und nicht alle Menschen sind mit viel Koordination gesegnet.
Das Gute: Koordination lässt sich üben – und ist übrigens eher abrufbar, wenn wir ausgeschlafen und (noch) nicht ermüdet sind.
Faktor Taktik
Nach einem anstrengenden Versuch in einem Boulder oder einer Route ausreichend Pause zu machen, klingt logisch. Tun aber die wenigsten! Und während einer Session ausreichend Pause zu machen, ist das eine. Zwischen den Trainingseinheiten den richtigen Rhythmus zu finden, das andere.
Und gar beim Klettern in einer Route zu wissen, wann man sich lieber noch einen Moment an dem großen Griff ausruht, bevor man mit Vollgas in die Schlüsselpassage klettert, ist wiederum etwas anderes. Und dann auch noch den Schalter umzulegen, dass man beim Ausruhen auch im Ruhe-Modus ist und beim Vollgas geben auch im Vollgas-Modus... gehört alles zum Thema Taktik und Pacing.
Das Gute ist: Je mehr man klettert oder bouldert und Erfahrung sammelt, desto besser funktioniert das Ganze. Meistens.
Faktor Beweglichkeit
Natürlich kann man mit etwas mehr Kraft oder auch Schwung viel wettmachen. Oft hilft auch schlichte Körperlänge, um verkorkste Stellen zu klettern. Doch wer sich die Topkletterer in Aktion ansieht, muss es zugeben: Beweglichkeit hilft. Oft brauchen bewegliche Menschen mehr Power, und starke Menschen mehr Mobilität.
Faktor Ego
Manche Menschen können partout nicht klettern, wenn ihnen jemand zusieht. Andere wiederum laufen mit Publikum zur Höchstform auf. Sogar auch Kletterstars sind nicht davor gefeit, bei ihrem Projekt immer wieder herunterzufallen, obwohl sie wissen, dass sie es eigentlich klettern können. Oder vielleicht fallen sie gerade deshalb? Weil es eigentlich gehen müsste?
Eigentlich. Eigentlich ist das doch alles nicht relevant, oder? Doch. Denn das Kopfkino, das uns in den entscheidenden Momenten stresst, der Erfolgs- oder Misserfolgsdruck, den wir uns machen, den verursacht dieser unpässliche Geselle in uns, den man Ego nennen könnte.
Wenn der Kopf mal wieder nicht mitspielen will, hilft es manchmal, sich das Worst-Case-Szenario deutlich zu machen. Geht es hier um irgendetwas, außer dass wir Boulder xy (nicht) hochkommen? Oder uns vielleicht ein bisschen lächerlich machen (was natürlich nur wir selbst so empfinden, denn Scheitern gehört nun mal zum Klettern an der Leistungsgrenze dazu)?
In den meisten Fällen geht es nämlich tatsächlich um: nichts. Also, am besten einfach möglichst viel Spaß haben! Dann klappt's auch mit dem Klettern.
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