- Klettercoaching
- Interview mit Melanie Michalski von der Kletterwerkstatt
- Interview mit Tom Randall von Lattice Training
- Interview mit Moritz Krämer, Emka Sports
- Interview mit Seilschaftscoach und Klettertherapeut Christoph Gotschke
Klettercoaching
In vielen Sportarten ist es das normalste der Welt, einen Trainer oder Lehrer zu haben. Beim Klettern ist zumeist noch Autodidaktik angesagt. Doch immer mehr Kletterer suchen sich professionelle Hilfe, um ihre Ziele zu verwirklichen. Wir haben vier Coaches gefragt, wie ihre Arbeit aussieht. Hier geben sie Antworten auf die wichtigsten Fragen und teilen ihr Knowhow.
"Liebevoll in den Hintern treten" – Melanie Michalski von der Kletter-Werkstatt
Melanie, werden individuelle Coachings nachgefragt?
Ja, und es werden mehr. Sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene möchten gezielt trainieren. Es kommen auch immer mehr Kletterer, die in den oberen Graden ab 7b klettern und bouldern. Außerdem kommen viele, die langfristig gesund trainieren möchten oder schon Verletzungen hinter sich haben und neue Ansätze fürs Training suchen.
Wann kann ich einen Coach gebrauchen?
Wenn ich mich gezielt verbessern möchte. Es ist mühsam, aus verfügbaren Infos die passenden Übungen rauszufiltern, diese in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen und die individuell passende Intensität und Häufigkeit zu finden. Diese Arbeit leisten wir. Gerade zum Thema Technik und Mentales helfen frei verfügbare Informationen oft nicht weiter, weil es bei diesen Themen um Feinheiten geht, die dem Kletterer oft nicht bewusst sind. Man liest oft, dass Sturztraining das Allheilmittel ist, doch nicht jeder, der an seiner mentalen Stärke arbeiten möchte, braucht ein Sturztraining.
Ähnliches gilt für Technikinput. Bei vielen Bewegungen ist das Zusammenspiel und die Ansteuerung der Muskulatur entscheidend, Schwächen im Ablauf fallen dem Kletterer selbst oft nicht auf. Hier helfen geschulte Augen, die jeweilige Schwachstelle zu finden.
Habt ihr ein Konzept beim Coachen oder wartet ihr individuell die Wünsche der Kunden ab?
Natürlich haben wir Konzepte der verschiedenen Schwerpunkte wie Sportwissenschaft oder Sportpsychologie im Hinterkopf, doch stehen die individuellen Wünsche der Kunden im Vordergrund. Wichtig ist, dass es realistisch ist und für die Kletterer machbar. Wir arbeiten ganzheitlich, ziel- und lösungsorientiert und gehen auf die Person ein. Das ist nachhaltiger und effizienter, als strikt etwas vorzugeben. Natürlich beobachten wir kritisch und gehen nicht bei allem mit, sondern geben gezielt Input, welche Schritte wir als sinnvoll erachten. Manchmal gebe ich ein Techniktraining und merke, dass das Hauptthema eher im mentalen Bereich liegt, oder mir fällt auf, dass die Stabilität im Rumpf nicht aufrecht erhalten werden kann. Wir arbeiten auch gerne mit Übungen, die unsere Kunden selbständig ausführen und in ihr Training einbauen können. Wir bewegen uns vom Leichten zum Schweren. So gilt beispielsweise im Technikbereich, dass wir von unten nach oben arbeiten, also zuerst auf die Füße und die Tritttechnik achten und dann mit dem Blick nach oben wandern, wobei Hüfte und Schultern gleichermaßen wichtig sind – nicht nur zur Verbesserung der Kletterleistung, auch zur Verletzungsprophylaxe.
Was wollen eure Kunden?
Viele wollen an alte Erfolge anknüpfen, möchten stärker werden oder brauchen einen individuell abgestimmten Trainingsplan. Ich arbeite zunehmend als Mentaltrainerin, und gebe die Coachings im Technikbereich an andere Trainer im Team weiter. Meine Kunden möchten gern freier klettern, wieder mehr Freude haben oder sich in den Vorstieg trauen. Viele wollen an der Leistungsgrenze noch Gas geben können, um im Onsight stärker zu werden oder das lang ersehnte Projekt endlich klettern zu können. Es kommen auch immer wieder Paare zu mir, die an ihrer Kommunikation arbeiten wollen, und wo es oft ein Anliegen ist, dass die Frau mehr Freude am Klettern hat oder beim Sichern souveräner wird. Hier geht es dann um das Thema Verantwortung und Kontrolle. Logisch, dass dies nicht nur beim Klettern ein Thema ist, sondern in andere Lebensbereiche strahlt. Zudem melden sich auch Kletterer, die nach einem Kletterunfall wieder einsteigen möchten. Hier arbeiten wir oft an der Aufarbeitung des Unfalls und an Strategien des Wiedereinstiegs.
Gibt es Tipps, die für alle Kletterer und Boulderer sinnvoll sind?
Der Spaß sollte immer im Vordergrund stehen. Aber wenn ich besser werden will, muss ich brutal ehrlich sein und überlegen: Woran liegt es, dass ich nicht voran komme? Trainiere ich doch zu gern meine Stärken, anstatt auf meine Schwächen zu schauen? Ich habe mal eine Liste erstellt, einige Ansätze zum Besser Werden:
1. Safety first!
2. Klettern ist Teamsport: Such dir einen Kletterpartner, dem du vertraust !
3. Wer nicht fällt, klettert unter Niveau!
4. Wenn man nichts mehr sieht: Füße hoch!
5. Sauber treten!
6. Sei liebevoll zu dir selbst!
7. Wenn nix mehr geht, geht immer noch ein bisschen!
Für viele hochmotivierte Kletterer ist es außerdem wichtig, sinnvolle Pausenzeiten einzuhalten. Ich erlebe oft, dass Sportler zu viel trainieren, zu viel zu schnell wollen und dadurch stehen bleiben oder sich im schlimmsten Fall verletzen.
Was leistet ihr mit dem Coaching für die meisten Aspiranten?
Im Kraftbereich ist das meist Unterstützung in der Analyse der Fähigkeiten und das Knowhow, dazu einen individuellen Trainingsplan auszuarbeiten. Aus der Mentaltrainer-Perspektive gesehen finde ich, dass die meisten Sportler neben dem gezielten Kraft- und Techniktraining ebenso ein mentales Training in ihren Trainingsplan miteinbauen sollten. Der mentale Bereich wird häufig vernachlässigt. Wie Wolfgang Güllich schon sagte: Der Kopf ist der stärkste Muskel. Da spielt es keine Rolle, ob Anfänger, fortgeschrittene Kletterin oder Profisportler. Der Bedarf ist bei allen gleich stark vorhanden. Sei es im Anfängerbereich sicher und souverän in den Vorstieg zu kommen oder als Profi gezielt beim Wettkampf oder im Go die Leistung abrufen zu können, in den richtigen Modus zu finden und den Fokus zu halten. Ein Hauptpunkt im mentalen Bereich ist vom Anfänger bis zum fortgeschrittenen Kletterer das Thema Kontrolle: Wie kann ich mit Kontrollverlust gerade bei dynamischen Bewegungen oder in unbekanntem Gelände umgehen? Wie gehe ich an meiner Leistungsgrenze mit mir selbst um?
Kommt es vor, dass die Kletterer eine andere Vorstellung davon haben, was ihnen fehlt, als ihr?
Bei unseren Workshops und Reisen ist das öfter zu beobachten: Viele sagen, sie möchten an ihrer Technik feilen und dass ihnen Kraft fehlt. Dann stelle ich allerdings oft fest, dass es weder Kraft noch Technik sind, die vorrangig verbessert werden sollten, sondern dass der Kopf nicht mitspielt. Wobei diese beiden Aspekte zusammenspielen: Wenn ich sicher stehe, bin ich im Kopf entspannter. Und anders herum: Wenn ich im Kopf entspannter bin, schaffe ich es eher, meinen Fokus auf die Füße zu richten. Tatsächlich möchten viele Sportler das trainieren, was sie eh schon können. Es fällt ihnen schwer, woanders anzusetzen. Doch das gehört zu unserer Arbeit: Herauszufinden, wo Kletterer ihre Komfortzone verlassen und wo sie nur so tun als ob (grinst). Das heißt für mich als Coach: Ich muss nicht nur Experte in meinem Bereich sein, sondern ich brauche auch ein gewisses Feingefühl, um mich auf die Kunden einzustellen und sie sozusagen liebevoll in den Hintern zu treten. Ein guter Coach ist Prozessbegleiter. Das kann auch mal heißen, zu trösten oder ein Gespräch zu führen anstatt zur nächsten Übung weiterzugehen.
Kann ich mich selbst oder mit Trainingspartner coachen? Was kann ich ausprobieren?
Neben der Videoanalyse (siehe Tipps in der Fotostrecke) finde ich gut, gemeinsam Boulder auszusuchen und vorab durchzugehen, wie man sie bouldert. Anschließend bouldert jeder, wie zuvor gesagt – wirklich genau so! Das kann auch mal lustig werden (grinst). Danach wird besprochen, wie es effektiver, kraftschonender oder eleganter ginge. Jeder bouldert die Sequenz erneut. Dies schult die Visualisierungsfähigkeiten und damit das Bewegungsgefühl. Man kann auch schauen, was persönliche Schwachstellen sind – wie etwa Platten – und sich dann gemeinsam solche Routen oder Boulder aussuchen und daran zusammen ‚basteln'. Im mentalen Bereich kann man sich fragen, was man beim Klettern zu sich selbst sagt und gemeinsam überlegen, welche Gedanken denn hilfreicher wären. Das ist spannend, da viele Kletterer nicht wirklich nett mit sich sind. Hier lässt sich oft etwas herausholen. Ich empfehle, zu sich selbst zu sprechen, als wäre man sein bester Freund. Vielen hilft es auch, vorab zu besprechen, was der Kletterer wann vom Sicherer braucht.
Welches Krafttraining ist immer sinnvoll?
Es gibt hunderte verschiedene Übungen, die je nach Person sinnvoll oder eben nicht sinnvoll sind. Aber: Für unseren Lieblingssport sind neben Fingerkraft Körperspannung und Schulterkraft entscheidend. Antagonisten-Training ist wichtig – nicht nur, um weiter blocken oder Spannung halten zu können, sondern auch um langfristig gesund klettern zu können. Für die Boulderer unbedingt noch das Training der Beine, um Verletzungen beim Abspringen und beim Hooken vorzubeugen. Ich trainiere Rumpf, Schulter und Beine am liebsten mit Slingtrainer oder Gymnastikball. Wichtig ist die Variation der Übungen und der Intensität und eine saubere Ausführung.
Was kostet eine Trainerstunde bei der Kletter-Werkstatt?
Das kommt darauf an. Im Gruppensetting geht es bei 35 Euro los, Einzelstunden sind entsprechend teurer.
Als Psychologin und Trainerin B Sportklettern ist Melanie Michalski Kopf und Herz der Kletter-Werkstatt, die ein Team aus 12 Trainern umfasst. Vom Athletiktraining über Technikkurse bis zu Kletter-Reisen in ganz Europa hat die hauptsächlich in München und Nürnberg agierende Kletter-Werkstatt alles im Programm.
Trainingsplanung anhand von Datenbasis – Tom Randall von Lattice Training
Tom, welche Menschen arbeiten mit Lattice Training?
Wir arbeiten mit den verschiedensten Kletterern vor Ort in Sheffield sowie online aus aller Welt, von Wettkampfkletterern wie Will Bosi bis hin zu Menschen, die seit 35 Jahren klettern. Die Vielfalt unserer Kundschaft nimmt weiter zu, das macht die Arbeit so interessant.
Was ist euer Schwerpunkt?
Unser Coaching basiert auf einer Leistungsanalyse, die wir mit einer breiten Datenbasis abgleichen. Wir haben hunderte von Kletterern sozusagen ‚vermessen', wissen also etwa, wieviel Fingerkraft im Schnitt für einen bestimmten Grad nötig ist. Daher können wir einer Person sehr genau sagen, welcher Bereich entwickelt werden muss, um ihre Ziele zu verwirklichen. Darauf aufbauend entwickeln wir individuelle Trainingspläne. Auch der Schritt, die eigenen Ziele zu definieren, fällt vielen schwer. Hier helfen wir ebenfalls.
Was umfasst eure Analyse?
Der Leistungstest lässt sich an einem Fingerboard oder an unseren Lattice Boards durchführen, unabhänging vom Ort. Die Analyse bezieht sich auf aerobe und anaerobe Fähigkeiten, Fingerkraft sowie Kraft und Mobilität von Oberkörper und Rumpf.
Habt ihr ein Coaching-Konzept oder richtet ihr euch nach den Kundenwünschen?
Ganz klar: beides. Damit ein idealer Trainingsreiz gesetzt wird, muss der Kletterer mit dem Plan voll einverstanden sein. Deshalb gehen wir, selbst wenn wir anderer Meinung sind, auf das Feedback unserer Kunden ein und gestalten das Training entsprechend. Sich zu einigen, ist aber meist nicht schwer, da die Kunden auf unseren Input Wert legen. Das Training sollte auf die Schwächen des Kletterers mit Blick auf seine Ziele ausgerichtet sein und dabei realistisch auf seine Wünsche eingehen. Das heißt zu schauen, wieviel Zeit und Energie dem Menschen zur Verfügung stehen und auf dieser Grundlage einen Plan zu entwickeln, der Spaß macht und motivierend ist. Dann kommt auch der Erfolg.
Was sollten Kunden mitbringen?
Eine positive Einstellung, Geduld. Harte Arbeit zahlt sich aus!
Was könnten die meisten Kletterer brauchen?
Fast alle Boulderer würden profitieren, wenn sie ihre aeroben Fähigkeiten, also Kraftausdauer, trainieren würden. Das merkt man, wenn die ersten Züge gut gehen, aber es oben raus mit der Kraft knapp wird. Das geht schon mit zwei mal fünf Minuten sehr leichtem Klettern am Stück, zwei mal pro Woche durchgeführt. So wird die Erholungsfähigkeit deutlich verbessert. Außerdem sehen wir oft, dass die Kette von Schultern zu Fingern nicht stark und stabil genug ist. Starke Schultern sind eine grundlegende Voraussetzung für schweres Klettern und hartes Training.
Kann ich mich selbst oder mit Trainingspartner coachen? Was kann ich ausprobieren?
Neben der Arbeit an den persönlichen Schwächen (siehe Fotostrecke) ist grundlegendes Ausdauertraining immer hilfreich, weil es wie gesagt die Erholungsphasen – auch kurzfristig – verbessert. Zum Beispiel könnte man auch vier mal leichte Zehn-Minuten-Sessions am Seil durchführen. Wenn man sich dabei nicht mehr unterhalten kann, ist die Intensität schon zu hoch! Was auch gut mit einem Partner geht, sind Übungen für mehr Körperspannung – davon kann man nie genug haben. Ein Übungsbeispiel wäre: An der Stange hängend die Füße dorthin bewegen, wo der Partner hinzeigt.
Gibt es Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was das Coaching angeht?
Unsere Daten zeigen deutliche Unterschiede bei Beweglichkeit und Fingerkraft. Interessanterweise haben Frauen im selben Schwierigkeitsgrad rund 10 Prozent weniger Fingerkraft als Männer. Wir führen das auf effizientere Bewegungen bei den Frauen zurück. Trotzdem könnten die Frauen natürlich mehr Fingerkraft brauchen. Und die Männer mehr Beweglichkeit.
Tom Randall, Profikletterer, hat als Teil der "Wide Boyz" Bekanntheit erlangt. Mit Ex-Turner und Sportwissenschaftler Ollie Torr hat er Lattice Training gegründet – heute gibt's im Team noch weitere Coaches sowie einen Statistik-Profi. Über die "Crimpd"-App ist Lattice Training Input frei verfügbar.
Weitere Info zu den Coaching-Angeboten von Lattice Training gibt es hier
Info zur Crimpd Trainings-App gibt es hier
Bewegungsverständnis verbessern – Moritz Krämer, Emka Sports
Moritz, wer kommt zu dir, um gecoacht zu werden? Wie entwickelt sich die Nachfrage?
Individuelle Coachings werden mittlerweile öfters nachgefragt. Dabei handelt es sich vor allem um Kletterer, die in den fortgeschrittenen Bereich vordringen und ungefähr seit zwei Jahren klettern. Häufig sind das eher Menschen mittleren Alters, wobei ich auch schon sehr ambitionierte Mittzwanziger trainiert habe. Als Trainer des Landeskaders NRW betreue ich recht ausgereifte Athleten.
Wann brauche ich einen Coach?
Mit Coach kann man auf jedem Level in allen Bereichen schneller Fortschritte machen. Ein Coach verhindert auch, dass sich Fehler festsetzen.
Hast du ein Konzept beim Coachen oder wartest du die Wünsche der Kunden ab?
Grundsätzlich biete ich nur individuelle Coachings an. Jeder Teilnehmer hat eigene Wünsche und Ziele, aber bringt auch eigene Voraussetzungen mit. Da muss ich jedes mal aufs Neue sehen, wie ich als Coach meine Kunden optimal weiterbringen kann.
Wie kann ich mir das konkret vorstellen, wie läuft das ab?
Bei längerfristigen Coachings werden im Erstgespräch die Ziele fixiert. Dabei ist mir wichtig, etwas über die Klettergeschichte der Person zu erfahren. Ebenfalls höre ich mir die Motive an, warum jemand gecoacht werden möchte, um besser zu verstehen, wie er oder sie sich entwickeln möchte.
Gibt es Tipps, die für alle Kletterer sinnvoll sind?
Den wichtigsten Tipp, den ich jedem ans Herz legen möchte: Geht mehr spielen! Macht Blödsinn. Albert rum. Macht Sachen, die vielleicht auf den ersten Blick etwas seltsam sind: zum Beispiel einen Koordinationsparcours im Wald oder auf dem Spielplatz um die Ecke. Klettert mal mit nur einem Arm, oder versucht, so viele No-Hand-Rests wie möglich in einer Route zu finden. Dadurch erlernt man als Kletterer spielend viele neue Bewegungsmuster. Diese wiederum machen mich zu einem insgesamt besseren Kletterer.
Wo siehst du den stärksten Bedarf an Coaching?
Im Bereich des Bewegungsverständnisses. Viele Menschen klettern entweder seit kurzer Zeit oder schon ewig so vor sich hin, haben sich aber nie mit den Kletterbewegungen auseinandergesetzt. Der mentale Aspekt ist ebenfalls bei vielen schwach ausgeprägt. Beim Klettern muss ich regelmäßig mit großem Druck schnell die richtige Entscheidung treffen. Bei Highend-Kletterern geht die Tendenz noch stärker in die mentale Richtung. Oftmals sind das technisch und koordinativ super gute Kletterer. Kraft haben so oder so alle genug. Und falls nicht, ist es am einfachsten zu trainieren. Wichtig ist es, mit Highend-Kletterern viel mehr über das Klettern zu sprechen als überhaupt zu klettern. Es geht mehr in die Analyse. Könntest du deine Atmung während des Schlüsselzugs beeinflussen? Wie hat sich die Bewegung angefühlt?
Gibt es Unterschiede zwischen der Erwartung der Kletterer und deiner eigenen Einschätzung, was trainiert werden sollte?
Viele meinen, sie bräuchten mehr Kraft um zum Beispiel im Überhang klettern zu können. Da stelle ich oft fest, dass eigentlich die Taktik oder Technik nicht stark genug ausgeprägt ist. Das ist schwer einzuschätzen, wenn man selbst nicht so tief in der Materie ist. Ebenfalls fehlt oft der Fokus im Klettern. Und dann scheitert es häufig am Commitment, also der Leistungsbereitschaft für einen Zug.
Wann wird Krafttraining wichtig?
Physisches Training ist meiner Ansicht nach erst dann sinnvoll, wenn ich mit Technik oder besserer Taktik nicht mehr weiterkomme. Aber es schadet nicht, Deadhangs für mehr Fingerkraft, Körperspannungsübungen und Beweglichkeitsübungen zu machen.
Was kostet eine Stunde Coach und wieviele Stunden kommen Kletterer im Schnitt zu dir?
Bei mir geht es bei 55 Euro pro Stunde los, wobei das individuell und nach Aufwand variiert. Die meisten Kletterer kommen um die drei bis sechs mal.
Seit 2012 arbeitet Moritz Krämer als Routenbauer mit Wettkampflizenz vom DAV (Landesebene), ist Trainer C Sportklettern mit Schwerpunkt Leistungssport sowie KLEVER Klettertrainer. Moritz ist Mitglied im DAV Alpinkader NRW und trainiert als Stützpunkttrainer im Auftrag das DAV-Landesverbands NRW wöchentlich die Athleten im Siegerland.
Seilschaftscoaching & Klettertherapeut – Christoph Gotschke
Christoph, du bist Bergführer und Klettertherapeut. Wen coachst du?
Zum einen Leute, die sich auf einem Leistungs-Plateau befinden; zum anderen Menschen, die aus anderen Sportarten die Begleitung durch Trainer kennen und diese eben auch beim Klettern suchen. Außerdem gebe ich Coachings mit klettertherapeutischem oder prophylaktischem Schwerpunkt. Meist geht es ums optimale Bewegen, den Umgang mit Stress, die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt. Inhaltlich geht es um Analyse, Techniktraining, Stress- und Angstbewältigung, innere Haltung, Trainingsstruktur, Sturz- und Sicherheitstraining, Taktik, Körperspannung und Schulterstabilität, Beweglichkeit und funktionelles Ausgleichstraining und natürlich kletterspezifisches Krafttraining.
Du gibst auch Seilschafts-Coachings – was passiert da?
Das ist eine ziemlich coole Sache! In einem Seilschaftscoaching begleite ich Seilschaften beim Alpin- oder Eisklettern, die das Einsteigerniveau verlassen wollen oder schon verlassen haben, und vermittle Tipps und Tricks, um effizienter und sicherer unterwegs zu sein. Es gibt viele kleine Details, deren Vermittlung in Kursen nicht geleistet werden kann. Klar, Erfahrung kommt von Erfahren und kann Teil von tollen Abenteuern sein, aber warum nicht mal einem Profi über die Schulter schauen und mit Spaß und Effizienz den Prozess beschleunigen? Die Teilnehmer haben ein großes Interesse an Selbständigkeit und wollen nicht klassisch geführt, sondern als eigenverantwortliche Seilschaft unterstützt werden.
Gibt es Unterschiede zwischen der Erwartung der Kunden und den Punkten, wo du den Coachingbedarf siehst?
Das kommt ständig vor, ist aber kein Problem, sondern ja der Grund, warum man sich einen Trainer nimmt. Wenn jemand objektiv von außen schauen kann, kommen die Aha-Erlebnisse. Und dann ist Fortschritt möglich. Beispiel: ‚Ich mag keine Überhänge' wird nach dem Coaching zu: ‚Ich muss an meiner Schulterstabilität und Körperspannung arbeiten, und jetzt weiß ich auch wie.'
Was sollten Kunden mitbringen?
Mut, einen Coach zu buchen! Was oft missverstanden wird, ist, dass nicht der beherrschte Schwierigkeitsgrad dazu qualifiziert, einen Trainer anzufragen, sondern das Interesse am Klettern und der Spaß daran! Mir ist vollkommen wurscht, wie schwer jemand klettert; wichtig ist, dass Motivation da ist.
Was kann ich ausprobieren?
Betrachte dein Klettern möglichst objektiv und beschreibe es, ohne zu werten. Formuliere und terminiere deine Ziele und Zwischenziele auf dem Weg dorthin. Sieh den Weg als spannende Reise, nicht als lästige Pflicht-Übung.
Was kostet eine Stunde bei dir?
Mein Stundensatz liegt bei 50 bis 60 Euro, der Tagessatz bei 300 Euro. Ein Seilschaftscoaching braucht mindestens einen Tag.
Seit 2008 arbeitet Christoph Gotschke als staatlich geprüfter Berg- und Skiführer. Er ist Ausbilder in den Bundeslehrteams des DAV und VDBS, Koordinator im Fachbereich Sportklettern sowie beim Expeditionskader des DAV und Inhaber der Boulderhalle Kraftwerk im Allgäu. Christoph ist ausgebildeter Kletter-Therapeut.