Das Klettergebiet Ulassai auf Sardinien

Klettergebiet Ulassai auf Sardinien
Ulassai, Topklettergebiet auf Sardinien

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Klettern in Ulassai: Das Topgebiet Sardiniens lockt mit neuen Sektoren, genialen Wänden, netten Menschen und toller Landschaft.

Klettern Ulassai Sardinien
Foto: Ruben Beckers

Sardinien als Reiseziel ist kein Geheimtipp mehr und das Klettergebiet Ulassai gibt es auch nicht erst seit gestern. Mittlerweile hat die Routenanzahl die 1000 gesprengt, der Campingplatz ist fertig geworden und die 'Nannai Family' leistet dort seit einigen Jahren einzigartige Arbeit. Wir haben mit Ruben und Frankie von Nannai gesprochen.

In diesem Artikel:

Die wichtigsten Infos zum Klettern in Ulassai

Das junge Klettergebiet ist auf dem besten Weg, in den Reigen der schönsten Sportklettergebiete der Welt aufgenommen zu werden. Das liegt zwar hauptsächlich an der wachsenden Anzahl an Premiumrouten, doch auch an bezaubernder, ursprünglicher Landschaft und entspannter sardischer Freundlichkeit.

Klettern Ulassai Lecorci La trama del Tempo 7a+
Jan Novak
Paolo Stagnoli klettert die beliebte Route 'La Trama del Tempo' (7a+), im Sektor Lecorci, etwas oberhalb von Ulassai.

Rund um das Bergdorf Ulassai warten Wände mit feinstrukturiertem Kalk auf starke Finger und geschickte Füße. Obwohl man das Meer von hier sieht, dauert die Fahrt zum Strand (circa 30 km) ungefähr vierzig Minuten, weil man kurvige Sträßchen nehmen muss. Doch bietet das wachsende Klettergebiet Ulassai mit den benachbarten Gebieten Jerzu und Osini so viel Kletterfutter, dass man hier gar nicht so dringend wieder wegmöchte.

Die Sektoren Ulassais befinden sich an den Seitenwänden von Tafelbergen. Einige sind vom Ort zu Fuß binnen weniger Minuten erreichbar, andere erfordern einen Fußmarsch von bis zu einer halben Stunde (oder man fährt mit dem Auto oder Rad in wenigen Minuten näher heran). Prinzipiell kann man in Ulassai einen komplett autofreien Urlaub verbringen, wenn man die Anreise einmal hinter sich gebracht hat. An Ruhetagen locken Meer, Wanderungen, die Besichtigung des lokalen Kunstmuseums (www.stazionedellarte.com) oder gepflegtes mediterranes Abhängen. Zum Biken ist die Gegend auch nicht schlecht (Info unter Fura Crabas MTB Team auf Fb oder Insta). Auch Highlines sind im Kletterführer vermerkt.

Klettern in Ulassai, Sardinien
Ruben Beckers
Klaas Willems in einer seiner neuen Linien.

Anfahrt

Sardinien Karte
mapz.com open street map
Ulassai liegt im Osten Sardiniens.

Mit der Fähre nach Olbia oder Porto Torres sowie mit dem Flugzeug nach Cagliari lässt sich die Mittelmeerinsel Sardinien erreichen. Eine nächtliche Fährfahrt trägt dazu bei, dass die prinzipiell eher längere Fahrt weniger anstrengend ist, weil man das Übersetzen (circa 8 bis 10 Stunden von Genua oder Livorno) mit Schlafen verbringt. Von Olbia sind es circa 180 Kilometer bis Ulassai, das im Osten der Insel in der Provinz Nuoro liegt. Von Cagliari sind rund 130 Kilometer, von Porto Torres 220 Kilometer zu überbrücken. Dies geht mit einem Auto am besten, das Nannai Climbing Home bietet einen Abholservice von Cagliari (Anfrage unter info@nannaiclimbinghome.com).

Jan Novak
Jan Novak
Premiumkalk im Sektor Torre di Venti. Ja, hier ist es öfter windig.

Übernachtung

Das Nannai Climbing Home bietet Ferien-Appartments, Zimmer und Mehrbettzimmer. Das mit viel Liebe geführte Kletter-Gasthaus ist die erste Adresse am Platz. Adresse: Via Monsignor Depau, 08040 Ulassai (Parken am Piazza Barigau, Achtung: Dienstags ist hier Markt); www.climbingulassai.com. Der Campingplatz Theleme liegt zwischen Sportplatz und dem Canyon Sa Tappara. Weitere Hotels und Unterkünfte befinden sich im Ort.

Nannai Climbing Home
Ruben Beckers
Das Nannai Climbing Home ist Guesthouse und Anlaufstelle für Kletterer in Ulassai

Einkaufen & Verpflegung

Ulassai verfügt über mehrere kleine Supermärkte, in denen es neben dem Üblichen auch hervorragenden lokalen Ziegenkäse gibt sowie natürlich das sardische Pistoccu, eine Art zartes Knäckebrot, der ursprüngliche Proviant der Schäfer und Ziegenhirten. Der kleine Margherita Conad bietet einige Bio Produkte. Es gibt natürlich eine Pizzeria in Ulassai, die bessere Pizza gibt es allerdings im Nachbarort Osini in der Pizzeria Serra direkt am Ortseingang oder in Jerzu im Rifugio d'Ogliastra.

Absicherung und Fels

Der Kalk von Ulassai ist bombenfest und changiert zwischen weiß-ocker-rot bis grau-schwarz. Die älteren Routen, oft beeindruckende Linien, weisen gelegentlich mittelweite Hakenabstände auf. Ebenso der Sektor Marosini, einer der älteren. In den meisten Sektoren ist die Absicherung sehr gut.

Topo: Der neue Sektor Bauarena

Topo Bauarena Klettern Ulassai
Nannai Family
1. Doors of perception (7a), 2. Lamantide (6c+), 3. The waddlers (6c), 4. Panda parking (6b), 5. Bau arena Mac arena (6a), 6. Su daniel (6a), 7. Nightmare before Christmas (7b) 8. Penso positivo (7c+) 9. The real queen Frankie (6a), 10. The Sicilian Dragon (6c),11. The King's Indian (7a), 12. The queen's gambit (7b), 13. Anacleto (6b+), 14. Powered by tiramisu (7b+), 15. Seven cakes (8a), 16. Lilac (7a), 17. Elsy (6b), 18. Fcf (5c), 19. Mad sweeny (7c+)
Klettern Ulassai Sardinien
Nannai Family
20. Leana (7b+), 21. Activate your bum (6b+), 22. Spoonetti (6a), 23. Koality line (6b), 24. That's what she said (5c+), 25. Brad lemon (6c), 26. Madafaka (5c+), 27. Flying fist of Judah (5b+), 28. La passeggiata (6b), 29. Isolati dal mondo (8b), 30. Bolted by god (Projekt), 31. Freed by the devil (8b), 32. Terzo occhio (8b), 33. Heavy metal Messner (7b), 34. Fatton club (7c+), 35. Bloc it like it's hot (Projekt), 36. King Canute (7b+), 37. Emyliyaniña (6c+), 38. Per Fey (7a+), 39. Enigma (6a), 40. La bionda, il bruto, e... (6a) , 41. (6c)

Interview: Ruben und Frankie von Nannai das Klettergebiet Ulassai und die Arbeit der Climbing Ulassai Association

Klettern Ulassai Canyon La Danza del Maestrale 7a
Jan Novak
Klettern im Canyon Sa Tappara: La Danza del Maestrale (7a) ist pumpiger, als sie aussieht und glänzt mit athletischen Zügen an verhältnismäßig guten Griffen.

Wann habt ihr Ulassai entdeckt?

Ruben: Das muss acht oder neun Jahre her sein. Unser Freund Klaas gab uns den Tipp. Er wusste, dass wir etwas mit Klettern aufbauen wollten. Von dem unglaublichen Potenzial waren wir total begeistert. Wir wussten sofort, dass es ein guter Ort ist. Als wir damals anfingen, den Sektor Marosini einzubohren, gab es ungefähr 250 Routen. Dort sind die Grade noch etwas härter, weil wir noch in Belgien lebten und uns an den dortigen Bewertungen orientiert haben. In Marosini haben wir aber etwas freundlicher eingebohrt als zum Beispiel im belgischen Freyr. Dort hatte ich damals auch den Kletterführer gemacht, das war unser Ausgangspunkt. Wir haben weiter Routen erschlossen in Ulassai, gemeinsam mit Freunden, auch Maurizio Oviglia ist wiedergekommen und hat weitere Linien eingerichtet.

Frankie: Mittlerweile investieren wir 50 Prozent unserer Einnahmen durch den Verkauf des Ulassai-Kletterführers in neue Haken, also können wir weiter einbohren. Dieses Frühjahr haben wir die Anzahl von 1000 Routen überschritten.

Klettern Ulassai Sektor Bauarena King Canute 7b+
Ruben Beckers
King Canute (7b+) im neuen Sektor Bauarena gehört zu Rubens besten Entdeckungen: technisch, anspruchsvoll und lang – eine Kingline.

Wie habt ihr euch gefunden?

Ruben: Frankie und ich haben uns in Geyikbayiri beim Klettern kennengelernt. In der gleichen Woche hat Paolo Sophie kennengelernt. Und auch Matteo und Liz sind im Yosito gewesen, das hat also für die Nannai Family eine Rolle gespielt (lacht).

War das Yosito-Camp Vorbild für das Nannai Climbing Home?

Ruben: Es war inspirierend, aber einige Dinge sehen wir anders. Frankie: Was uns vielleicht eher als Modell gedient hat, war das alte Green Climbers Home in Laos. Die Stimmung dort war klasse, super freundlich und gemütlich. Es hat sich nicht angefühlt wie Kunden und Gastgeber, sondern eher wie mit Freunden klettern zu gehen.

Wie kam es zu Nannai?

Ruben: Als wir zum ersten Mal nach Ulassai kamen, ging es eigentlich direkt los. Wir hatten über unseren Freund Klaas von Matteo gehört, der schon seit Jahren nach Ulassai kam. Wir trafen uns, und wie selbstverständlich fanden auch unsere Vorstellungen zusammen. Wir wollten alle etwas auf die Beine stellen und entschieden, uns zusammenzutun.

Klettern in Ulassai, Sardinien
Nannai Family
Die Nannai Family besteht aus sechs Erwachsenen und mittlerweile vier Kindern. Ihr Ziel: eine gute Zeit für sich, ihre Freunde und das Klettergebiet.

Wie kam es zum Namen Nannai?

Frankie: Das war Sophies Idee. Nannai heißt Großmutter im sardischen Dialekt. Wir wählten es aus, weil es das Gefühl von Zu-Hause-Sein umfasst, einen Tribut an unsere Omas bedeutet und auch an all die Frauen im Dorf. Es gibt viele ältere Frauen im Ort, die in traditionellem Schwarz gekleidet sind.

Ruben: Daher kommt auch das Nannai-Logo, das Kopftuch.

Und dann?

Ruben: Wir eröffneten das Guesthouse. Wir wollten was mit Klettern machen, aber nicht nur um des Geldes willen. Die Klettergemeinschaft und ethische Überlegungen sind für uns super wichtig. Wir wollten etwas Gutes machen. Wenn wir abends ins Bett gehen, möchten wir uns gut fühlen und stolz auf unser Werk sein. Also haben wir uns bemüht, etwas Größeres zu schaffen, eine Art Community. Es scheint zu funktionieren.

Euer Engagement geht ja über das Guesthouse hinaus...

Frankie: Wir haben die Climbing Ulassai Association gegründet. Die kümmert sich ums Einbohren, und Sanieren von Routen, das Sauberhalten des Gebiets sowie um die Beziehungen zum Dorf. Es ist uns wichtig, das Klettern ins Dorf zu integrieren. Außerdem haben wir drei Kletterfestivals organisiert. Daneben gibt es das Nannai Climbing Home. Wir versuchen die beiden Einheiten separat zu sehen, obwohl die gleichen Leute dahinter stehen. Das Hostel ist halt eher Business, zumindest in unserem Kopf. Aber natürlich profitieren unsere Gäste auch von der Arbeit der Ulassai Climbing Association, und sei es nur, indem sie von uns eingerichtete Routen klettern und von uns gesetzte Haken klippen. Abgesehen von den Einnahmen über den Kletterführer bieten wir auch die Möglichkeit, eine komplette Linie zu sponsern. Für 50 Euro können der Name und auch der ungefähre Schwierigkeitsgrad gewählt werden. Manchmal dauert es dann bis zu einem Jahr, bis wir die passende Route erschließen, aber wir sind dankbar, eine Menge toller Routennamen zur Auswahl zu haben. Außerdem gefällt uns die Idee, dass wir so die Community mit einbringen ins Gebiet, weil die Namen oft eine besondere Bedeutung für die Menschen haben, die hier waren. Es ist schön, dass wir diese individuellen Geschichten über die Namen hier integrieren können.

Klettern in Ulassai, Sardinien
Ruben Beckers
Frankie beim Einbohren am Kalk von Ulassai

Aus dem Namen Nannice, einer Route (7b) in Su Casteddu, lese ich die Referenz zu Nannai...

Ruben: Ja, das ist eine super Linie. Eine der ersten Linien, die ich dort eingerichtet habe. Sie war mir direkt ins Auge gefallen. Beim Einbohren habe ich schon gemerkt, dass es eine höllisch gute Tour wird. Sie ist eine der besten Routen, die ich je erschlossen habe. Eine lange Fahrt, nie zu schwer, nie zu leicht, die Hakenabstände wachsen nach oben hin an und dann kommt ein logisches Ende nach genau 40 Metern. Sie hat alles, was ich in einer Route mag. Sie onsight zu schaffen ist ein echtes Testpiece für deine Kletterfähigkeiten. Ich hatte gar keine Wahl, als sie der Nannai Family zu widmen. Mittlerweile hat uns die Gemeinde Ulassai angefragt, ob wir alte Routen sanieren können.

Dann steht die Gemeinde dem Klettertourismus offen gegenüber?

Ruben: Prinzipiell ja! Was uns Sorge bereitet, ist der Einfluss der Kletterer auf das Dorf. Es kann auch schiefgegehen: überall Klopapier, Campingbusse überall und das Gebiet mehr oder weniger ein Drecksloch, so wie Margalef vor ein paar Jahren. Dann braucht es jemand, der sich einmischt und handelt. Dort wurden eine günstige Campingmöglichkeit geschaffen und Kompromisse gefunden zwischen den Interessen von Kletterern und Locals. Also bemühen wir uns, eine Balance zu finden zwischen den Kletterern, die wirtschaftlichen Nutzen ins Dorf bringen, und dem Druck, den steigende Besucherzahlen auf das Dorf ausüben, wo es vielleicht nicht drauf vorbereitet ist. Zum Beispiel letzten Sommer gab es ungewohnt viele Klettergäste, und ich hatte das Gefühl, es entstehen Reibungspunkte zwischen Kletterern und Dorfgemeinschaft. Aber jetzt geht es in eine gute Richtung: Der Campingplatz ist fertiggestellt. Das sind gute Nachrichten und ist der nächste Schritt für das Klettergebiet. Für Leute, die sich respektlos verhalten, im Bus wild stehen und überall Klopapier hinterlassen, gibt es keine Ausrede mehr. Das liegt zwar nicht direkt in unserer Verantwortung, aber wir fühlen uns trotzdem verantwortlich.

How to poop
Nannai Family
Dieser Cartoon erklärt's: Loch graben, zuschütten, keine Spuren hinterlassen.

Wie würdet ihr den Charakter der Kletterei in Ulassai beschreiben?

Ruben: Ich würde es mit Siurana vergleichen. Es ist eher technisch und es gibt nicht viele athletische Routen. Überhänge und Dächer sind äußerst selten.

Frankie: Die Wände sind gerade bis leicht überhängend und eher lang, die Routen bewegen sich zwischen 15 und 30 Metern, mit einigen Ausnahmen. Die Kletterei ist technisch, pumpig und spielt sich meist an Leisten ab.

Welche Schwierigkeiten bietet das Klettergebiet?

Ruben: Ulassai bietet eine Mischung an leichten und harten Graden. Im Canyon Sa Tappara ist eine Seite plattig mit leichteren Routen bis 6a, auf der gegenüberliegenden Seite findet man Routen vom sechsten bis zum achten Franzosengrad. Die meisten Routen sind eher schwerer, also 6b aufwärts, aber wir bemühen uns, auch leichtere Routen zu finden und zu erschließen. Einige Locals haben einen Sektor links von Su Casteddu eingerichtet, wo es nun 15 Routen im sechsten Franzosengrad gibt. Der neue Sektor Bauarena (siehe Topo oben) bietet eine schöne Mischung von leichteren und schwereren Touren.

Wann ist die beste Zeit für einen Besuch?

Frankie: Wir klettern das ganze Jahr über. Es gibt Sektoren mit Südausrichtung und Sektoren im Schatten, da kann man sich gut anpassen. Klar, im Hochsommer kann es zu warm werden und im Winter regnet es auch schon mal eine Woche oder der Mistral pfeift ungemütlich.

Ruben: Wenn man einen schönen Urlaub verbringen und das Meer genießen will, kommt man zwischen Mai und Oktober. Wenn man schwer klettern will, kommt man im Herbst, Winter oder Frühjahr.

Klaas Willems klettert in Ulassai, Sardinien
Ruben Beckers
Obwohl es im höher gelegenen Ulassai nicht so warm ist wie an der Küste, beklettert man die Südwände meist im Winterhalbjahr.

Gibt es im Winter viele Gäste in Ulassai?

Frankie: Diesen Winter hatten wir einige wenige Langzeitgäste. Aber generell kommen jedes Jahr mehr Leute auch im Winter. Die Situation im Winter lässt sich schon auch mit Siurana vergleichen. Ruben: Das ist auch das Haupt-Argument für Klettertourismus auf Sardinien; der hält das ganze Jahr an und nicht nur zwei Monate im Sommer, in denen der Umsatz fürs gesamte Jahr gemacht werden muss.

Eigentlich brauche ich kein Auto, wenn ich bei euch logiere, oder?

Ruben: Genau, wenn du in Ulassai bleiben willst, wo es ja viel zu klettern gibt, kannst du nach Cagliari fliegen, dort in den Bus steigen und hier alles zu Fuß machen. Wenn man mal in den Nachbarort Jerzu zum Klettern möchte, findet sich meist eine Fahrgemeinschaft. Leihwagen sind in der Nebensaison auch günstig.

Das Klettergebiet Jerzu kam mir etwas oldschool vor....

Ruben: (lacht) Ja, weil es so ist! Wir sind froh, dass uns die Gemeinde Jerzu gebeten hat, alternde Routen zu sanieren. Vor zwei Jahren haben wir 40 Linien im Sektor Isola del Tesoro erneuert. Nun warten wir auf die nächste Ladung Haken.

Klettern Ulassai Marosini Klaas Willems Grande vez 7c+
Jan Novak
Klaas Willems klettert Grande Vez (7c+) im Sektor Marosini

Erzählt mir über das Einbohren, wie läuft das?

Ruben: Wir entscheiden gemeinsam, wo wir als nächstes Routen erschließen möchten. Normalerweise entdeckt man dann eine Linie, die einen am meisten interessiert, und die wird dann beansprucht (grinst).

Frankie: Meist besprechen wir miteinander, wie wir die Linien am besten aufteilen, so dass nicht etwa eine Linie den gesamten Sektor dominiert, und man das Beste aus dem Fels macht. Dann geht man hoch, meist kann man außen herum hochlaufen auf den Felskopf, seilt über seine Linie ab und säubert sie. Man checkt die Linie aus, und dann arbeitet man sich wieder hoch und setzt die Haken, wo sie sinnvoll sind. Wir nutzen Klebehaken.

Ruben: Manchmal ist es auch schwierig. Wir haben als Erstbegeher ja eine gewisse Verantwortung, sicheres Klettern zu ermöglichen. Manchmal fragt man sich, ob ein zweifelhaftes Stück Fels fest genug verankert ist oder ob es vielleicht irgendwann runterkommt, auch wenn es im Moment fest aussieht. Wenn wir unsicher sind, nehmen wir uns manchmal mit ein paar Leuten die Zeit, um einen zweifelhaften Block aus der Wand zu entfernen, das kann dann schon mal einen Tag Arbeit bedeuten. Aber es gibt auch Linien, die sind perfekt, da setzt du Haken und bist fertig.

Frankie: Ich werde so gut wie nie innerhalb eines Tages fertig. Ich lasse mir gern Zeit. Besonders mit Klebehaken, die man nicht so einfach versetzen kann wie Expansionshaken. Ich klettere die Route mehrfach, bis ich mit der Platzierung der Haken zufrieden bin. Manchmal dauert es schon einen Tag, das Seil überhaupt hoch zu bringen, das kommt immer darauf an. Wenn es gut läuft, kann man dann mehrere Routen damit einrichten, je nachdem.

Ruben: Manchmal ist es auch ein ziemliches Abenteuer, das Seil zu installieren. Das kann schon mal eine komplette Session brauchen.

Klettern in Ulassai, Sardinien
Ruben Beckers
Dächer kommen in Ulassai selten vor, da kann man schonmal ein bisschen posen.

Welche Linien haben euch zuletzt so richtig begeistert und warum?

Frankie: Eine meiner Lieblingsrouten habe ich The queen's gambit getauft. Wir haben alle richtig viel Schach gespielt, als wir die gleichnamige Serie angeschaut haben. Ich habe sechs Routen nach verschiedenen Schach-Eröffnungen benannt. Üblicherweise erschließe ich Linien, die sich im sechsten Franzosengrad befinden, weil ich mich nicht wohl fühle, Touren zu eröffnen, die über meinem Limit liegen. Es ist immer cool, wenn man eine Linie entdeckt und sich denkt "was für eine geniale Linie", und dann klettert sie sich genial, und dann kommen Wiederholer zu einem und finden die Kletterei auch genial... Klar habe ich nicht den Fels gemacht, aber es ist eine tolle Sache, wenn man Menschen ermöglichen kann, so etwas dann zu klettern.

Ruben: Meine letzte richtig gute Route war eine Kante im neuen Sektor Bauarena. Sie liegt bei 7b+ und ich wusste auf den ersten Blick, die will ich klettern. Es ist eine lange, technische und mental anspruchsvolle Kante (siehe Bild oben).

Frankie: Die zu klettern, war fast eine spirituelle Erfahrung, da hatte ich so einen coolen Flow beim klettern, fast transzendental. Und es ist super, wenn eine Route, die für dich besonders ist, dann vielleicht auch für andere besonders wird, weil sie sie zum Projekt auserkoren haben. Einbohren macht tatsächlich ein bisschen süchtig.

Das klingt sehr befriedigend!

Frankie: Ja das ist es! Es ist, wie klettern auch, recht meditativ. Man kommt in einen richtigen Flow, weil man sich so konzentriert.

Der Sektor Bauarena ist im Winter 20/21 entstanden. Der Name klingt fast deutsch?

Ruben: Es ist der hiesige alte Name des Orts im sardischen Dialekt, er heißt übersetzt 'Tal des Sandes'. Wir wollen die bestehenden Namen beibehalten. Wir entdecken die Orte nicht, wir richten nur Routen dort ein.

Danke, Frankie und Ruben!

Die Menschen: Ruben & Frankie

Nannai Family
Ruben Beckers
Ruben Beckers (37), aus Belgien, hat in Freyr das Klettern begonnen. Der Berufsfeuerwehrmann kann seit dem Umzug nach Ulassai seiner Passion nachgehen. Neben dem Erschließen von Routen interessiert ihn die Ethik des Kletterns: „Routen sollten sicher sein, ohne als Hakenleiter zu enden. Wettkampf und Ego haben am Fels nichts verloren. Chalke sparsam und bürste nach dem Klettern die Griffe!“ Indi (3) kommt in den Genuss der Entscheidungen ihrer Eltern: „Wir wollten ein einfaches Leben mit nicht zuviel Arbeit, glücklich sein als Familie und mit Freunden. Wir wollen über den alltäglichen Egoismus hinauswachsen.“ Frankie Collins (32) kommt aus dem britischen Winchester. Nach ihrem Fotografie-Studium managte sie eine Bar in London. Nachdem sie vor 10 Jahren in Geyikbayiri das Klettern und Ruben kennengelernt hatte, zog sie mit ihm nach Belgien und arbeitete als Englischlehrerin. Egal an welchem Fels, Frankie sammelt Müll und Schlimmeres ein und engagiert sich für eine saubere Umwelt.