1. Klein anfangen: Wähle eine angemessene Herausforderung
Ob die erste lange Route im Leben oder die erste der Saison: Wählt eine Route, die überschaubar lang, überschaubar schwierig und überschaubar alpin ist. Zu- und Abstieg müssen zusätzlich zum Klettern bewältigt werden, die Kletterei ist ausgesetzter und die Luft dünner als im Klettergarten oder der Halle. Einen Hallen-Siebener klettern zu können, hilft euch im Zweifel in einer mäßig gesicherten Fünfer-Verschneidung nicht viel. Ergo: Erst mal mindestens zwei Grade unter Klettergartenniveau einsteigen und sich an Umgebung und Erfordernisse gewöhnen.
2. Den Wetterbericht beachten und kein Risiko eingehen
Nichts ist im Zeitalter stundengenauer Wetter- und Niederschlagsvorhersagen dämlicher, als von einem Unwetter "überrascht" zu werden. Also: Nur bei sicherem und stabilem Wetter einsteigen. Und dran denken: Wenn‘s im Tal regnet, kann es in den Bergen schon schneien – auch im Sommer! Neben dem Wetterbericht solltet ihr aber auch das Wetter vor Ort im Lauf des Tages im Auge behalten: Manchmal rutscht sogar dem Wetterbericht eine Gewitterwolke durch.
3. Einen Plan machen
Zum Wetterstudium gehört natürlich auch die Überlegung, wie abgelegen und in welche Richtung die Wand ausgerichtet ist (Temperatur und Wind checken). Überlegt, wie lange ihr für Zustieg und Abstieg oder Abseilen braucht. Rechnet vom Sonnenuntergang rückwärts plus einige Stunden Reserve für Wegfindung, Verhauer, und so weiter. Vergesst nicht, Pausen einzukalkulieren. So lässt sich bestimmen, wann ihr einsteigen (und entsprechend losgehen) müsst. Und wann ihr – notfalls auch ohne den Gipfel zu erreichen – mit Abstieg oder Abseilen beginnen solltet.
4. Die Route studieren und analoge Informationen mitnehmen
Es gibt heute eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich über die Anforderungen und den Zustand einer Route zu informieren. Gedruckte Kletterführer sind genauer denn je, Online-Portale geben Auskunft über aktuelle Veränderungen. Tourenbeschreibungen auf Blogs können gute Einblicke ermöglichen. Auch die Locals und andere Kletterer vor Ort können hilfreiche Informationen parat haben. Bei jeder langen Route gehört zumindest eine Kopie oder ein Ausdruck eines Topos in den Rucksack oder die Hosentasche. Online ist schön und gut, aber mit leerem Akku oder ohne Empfang eher unnütz.
5. Der richtige Rucksack
Wenn ihr Tipp 1 befolgt und klein anfangt, braucht ihr keinen Riesenrucksack durch die Wand zu schleppen. Beim Klettern selbst stören aufwendige Tragesysteme, breite Hüftflossen und tausend Bänder und Schnallen eher, als sie nützen. Ein einfacher, möglichst cleaner Rucksack mit 15 bis maximal 30 Liter genügt normalerweise, um das Geraffel durch die Wand zu tragen. Mag sein, dass das Seil und der Helm im Zu- und Abstieg dann irgendwo außen festgebunden werden müssen. Dafür klettert es sich mit kleinem Rucksack leichter.
6. Was mit muss
In den Rucksack gehören eine warme und eine wind- und möglichst wasserdichte Jacke, beide möglichst klein. Ein Erste-Hilfe-Set, ein Liter Wasser oder Tee und einige kleine Snacks, die sich bei Unterzuckerung auch am Stand mal kurz einwerfen lassen, ergänzen die Ausrüstung. Richtig gegessen und getrunken wird ohnehin erst nach dem Abstieg auf der Hütte oder im Tal. Eine kleine Stirnlampe und das Handy sind für Notfälle dabei. Dazu das Topo und möglichst eine Karte des Gebiets – auch der Abstieg muss ja noch gefunden werden. Dass Kletterzeug sowie Helm ins Gepäck gehören, versteht sich von selbst. Ob man die Zustiegsschuhe beim Klettern in den Rucksack stopft oder an den Gurt klippt, ist Geschmackssache und hängt unter anderem von der Rucksackgröße ab. Prinzipiell gilt: Je weniger beim Klettern herumbaumelt, desto besser.
7. Die Sicherungstechnik beherrschen
Der erste oder zweite Standplatz in einer höheren Wand ist nicht der Ort, wo man das erste Mal die Plate-Funktion des Sicherungsgeräts zum Nachsichern eines Seilzweiten ausprobieren sollte. Die grundlegenden technischen Abläufe, der Standplatzbau und das Abseilen müssen vor dem Einstieg sitzen und sollten im Klettergarten geübt werden. Auch dort gibt es ja vielerorts zumindest Zwei-Seillängen-Routen. Bis etwas halbwegs sitzt, muss es übrigens mehrfach geübt werden. Einmal kurz erklären und ausprobieren lassen ist zu wenig. Im Gebirge und bei langen Routen werdet ihr endlos Zeit verlieren, wenn ihr an jedem Standplatz von Neuem grübeln müsst, was jetzt zu tun ist.
8. Hängt die Sicherung erst aus, wenn ihr sicher seid
In und über hohen Wänden herrscht Absturzgefahr. Die Grundregel lautet daher, stets irgendwo und irgendwie gesichert zu sein. Nehmt den Kletterpartner also erst aus der Sicherung, wenn ihr sicher seid, dass er sich selbst an einem Stand gesichert hat. Im Zweifel immer noch einmal nachfragen. Dito: Hängt eure Selbstsicherung erst aus, wenn ihr sicher seid, dass euch der Partner in der Sicherung hat.
9. Redet miteinander
Es ergibt sich schon irgendwie aus Tipp 7, geht aber darüber hinaus: Klare Kommunikation ist beim Klettern in hohen Wänden ein Sicherheitsfaktor. Dazu gehören eindeutige Seilkommandos, Absprachen am Standplatz, aber auch hilfreiche Hinweise an Vor- oder Nachsteiger.
10. Checkt die Zeit
Zeitmanagement ist immens wichtig für die Sicherheit am Berg. Ein Stunde zu spät losgegangen, den Zustieg nicht sofort gefunden, beim Abseilen das Seil verheddert – und irgendwann wird es dunkel und ungemütlich bis gefährlich. Ergo: Früh losgehen und früh einsteigen gibt ein gewisses Sicherheitspolster für spätere Verzögerungen. Spät losgehen und spät einsteigen und es wird schnell hektisch am Ende. Auch unterwegs und in der Wand gehört der Zeitcheck zur Routine.
11. Schnelligkeit vor Schönheit
Schlüsselstellen ausbouldern könnt ihr im Klettergarten oder in der Halle. In hohen Wänden zählt das flotte Weiterkommen, ganz besonders natürlich, wenn weitere Seilschaften folgen. Außerdem sollte man die Kräfte gut einteilen. Im Zweifel also lieber mal ein schneller Griff in die Exe oder dem Nachsteiger etwas Seilzug geben, damit es voran geht.
12. In der Ruhe liegt die Kraft
Zeitmanagement und der Fokus aufs flotte Weiterkommen bedeutet nicht, dass Hetze und Hektik weiterhelfen. Stattdessen: eine gleichmäßige Geh- und Klettergeschwindigkeit wählen, im Zweifel einen zusätzlichen Blick ins Topo werfen, um Verhauer zu vermeiden, generell den Überblick behalten und bei aufkommender Erschöpfung auch mal eine kurze Pause einlegen.
13. Habt einen Plan B
Ihr seid zu spät am Einstieg, die Schlüsselseillänge sieht nass aus, es ist viel kälter als erwartet, es sitzen schon fünf Seilschaften vor euch am Einstieg: Es gibt manchmal gute Gründe, nicht einzusteigen. Auch das eigene Bauchgefühl kann da herhalten. Klar, mit einem gewissen Maß an Widrigkeiten muss man beim alpinen und Mehrseillängen-Klettern umgehen lernen. Wer gar nie einsteigt, kommt auch nirgends hoch. Dennoch ist es wichtig, nicht wie ein Roboter auf das Ziel fixiert zu sein, sondern im Zweifel auch mal ab- oder umzudrehen. Solange es nicht jedes Mal ist, sollte das auch für den Kletterpartner akzeptabel sein.
14. Verlasst euch nicht auf andere
"Heinz hat gesagt, die Tour ist ganz leicht. Wenn sich das Seil verklemmt, kann es die Seilschaft über uns lösen. Im schlimmsten Fall rufen wir die Bergwacht." Es ist schön, wenn einem andere helfen. Aber darauf sollte man sich in den Bergen nie verlassen. Auch der Kletterpartner kann sich verletzen oder einen Schwächeanfall bekommen. Deshalb: Ihr seid immer zuerst für euch selbst verantwortlich. Trefft eure eigenen Entscheidungen, und zwar so, dass ihr das Geschehen immer möglichst unter Kontrolle habt. Hört zu, aber lasst euch nichts einreden. Lasst euch helfen, aber schaut, dass ihr nicht darauf angewiesen seid.
15. Stellt das Vergnügen über das Ziel
Klar: Es ist ein tolles Gefühl, eine große und schwierige Wand geklettert zu haben. Doch für den Anfang ist es besonders wichtig, sich nicht zu überfordern. Zu schwierig, zu lang, zu hoch bedeutet immer Stress. Mit Erfahrung kann man auch damit umgehen, doch als Einsteiger wird es schnell zu viel und man verliert die Lust auf solche Abenteuer. Wer sich dagegen unterfordert, hat am Ende immer noch einen tollen Tag im Gebirge oder einer hohen Wand verbracht und sich das Vesper und das Getränk danach redlich verdient. Und mehr geht beim nächsten Mal immer noch.