Das erste Mal Vorstieg klettern
Wer sich zum ersten Mal an den Vorstieg wagt, sollte in einer sehr leichten, am besten schon bekannten Route beginnen. Denn dann kann man sich besser auf das richtige Einhängen und die Seilführung konzentrieren. Zu empfehlen ist beim ersten Vorstieg außerdem erfahrenes Sicherungspersonal, das nicht nur perfekt Seil ausgibt, sondern wenn nötig, auch verbal Unterstützung leisten kann. Wer zu dritt übt, kann sich zusätzlich zum normalen Toprope noch im Vorstieg sichern lassen (also mit zwei Seilen), so lässt sich das Einhängen und die Seil-Logistik erst einmal ohne das tatsächliche Risiko üben.
Wie geht Vorstiegsklettern?
Die vorsteigende Person bindet sich ins Seil ein. Nach dem Partnercheck kann es losgehen. Bis auf wenige Ausnahmefälle sollte vor dem ersten Haken nicht gespottet werden, damit die volle Aufmerksamkeit aufs frühestmögliche Sichern gerichtet werden kann. Die sichernde Person verfolgt aufmerksam die Vorsteigende, um im richtigen Moment die passende Menge Seil zum Einhängen zur Verfügung zu stellen. Sobald die Kletterin den Haken geklippt hat, nimmt die Sicherin das Seil wieder soweit ein, dass kein überflüssiges Schlappseil mehr vorhanden ist. Das Sichern erfolgt auf Sicht und auf Gefühl.
Der optimale Seilverlauf beim Vorstieg
Beim Vorsteigen sollten alle Zwischensicherungen (auch: Haken) eingehängt werden. Außerdem ist wichtig, dass man das Seil immer zwischen Wand und Körper entlangführt, es also beim Klettern vor sich behält. Wenn der Körper zwischen Wand und Seil gerät, besteht im Sturzfall ein deutlich erhöhtes Verletzungsrisiko. Das berüchtigte Bein hinterm Seil kann dazu führen, dass der Kletterer kopfüber stürzt. Dabei besteht die Gefahr, dass man den Sturz nicht mit den Füßen an der Wand abbremst, sondern mit dem Kopf.
Wann ist der Moment zum Klippen?
Das Klippen des Hakens sollte aus einer möglichst stabilen Position auf Brust- oder Bauchhöhe erfolgen. Wenn sich nur davor oder danach eine stabile Position finden lässt, ist – entgegen der landläufigen Gewohnheit – danach der bessere Moment zum Einhängen. Diese psychologische Schwierigkeit sollte man sich bewusst machen: Zwar möchte man den nächsten Haken so früh wie möglich einhängen, allerdings verlängert herausgezogenes Seil einen Sturz. Daher ist es sinnvoll, entgegen dem Reflex eher spät zu klippen. Eine überstreckte Körperposition beim Klinken sollte unbedingt vermieden werden.
Das Seil richtig in den Karabiner einhängen
Beim Klippen muss man darauf achten, dass das Seil in der richtigen Richtung durch den Karabiner läuft. Wenn es falsch läuft, besteht die Gefahr, dass das Seil im Sturzfall auf den Karabinerschnapper zu liegen kommt und sich infolgedessen selbst ausklippt. Richtig herum heißt, dass das zum Kletterer führende Seilende vorn und oben aus dem Karabiner herausläuft. Das zum Sichernden führende Seil verläuft nach unten und zur Wand hin aus dem Karabiner heraus.
Warum der Partnercheck wichtig ist
Es gibt keine Entschuldigung, den Partnercheck nicht zu machen. Man sollte ihn verinnerlichen wie das Anschnallen vor dem Losfahren mit dem Auto. Nur wenn man ihn immer macht, wirkt er. Und nur, wenn man ihn immer aufmerksam macht, wirkt er. Der Partnercheck basiert auf dem Vier-Augen-Prinzip. Natürlich entbindet der Partnercheck nicht von der eigenen Verantwortung, sorgfältig zu sein, sondern stellt einen zusätzlichen Sicherheitscheck dar (Redundanz).
- Anfänger sollten den Partnercheck machen, damit keine Anfängerfehler passieren können (zum Beispiel: sich aus Versehen an einer Materialschlaufe einzubinden – Lebensgefahr!).
- Fortgeschrittene Kletterer sollten den Partnercheck machen, damit ihnen keine Flüchtigkeitsfehler unterlaufen.
- Routinierte Kletterer sollten den Partnercheck machen, damit ihnen keine Fehler unterlaufen, mit denen sie nicht rechnen (wie zum Beispiel abgelenkt den Einbindeknoten nicht zu Ende führen, was mit Lynn Hill bereits einer Profikletterin passiert ist).
Wie der Partnercheck funktioniert
Die kletternde Person überprüft, ob das Gegenüber den Gurt korrekt angelegt und verschlossen hat, ob das Sicherungsgerät bei verschlossenem Karabiner einsatzbereit ist (Funktionsscheck) und ob das Seil-Ende gesichert ist (Knoten drin?).
Die sichernde Person überprüft, ob das Gegenüber den Gurt korrekt angelegt und verschlossen hat, ob der Einbindeknoten korrekt geknüpft und an der richtigen Stelle sitzt, sowie ob das Seilende weit genug aus dem Knoten herausschaut (mindestens eine Handbreit).
Das Risiko beim Klettern im Vorstieg
Im Vergleich zum Toprope, bei dem das Fallen nur ein weiches Wegpendeln von der Wand mit sich bringt, birgt das Vorstiegsklettern echtes Sturzrisiko. Dabei gibt es einiges zu beachten. Nach Angaben des Alpenvereins passieren die meisten Unfälle beim Vorstiegsklettern. Wie beim Topropen auch sollte man vor dem Losklettern immer den Partnercheck machen. Auf den ersten Metern ist das Risiko eines Bodensturzes gegeben, daher gilt hier absolute Vorsicht und Konzentration. Des weiteren ist beim Vorstieg riskant, wenn man zu früh klippt, weil die herausgezogene Seilmenge einen Sturz verlängern kann (siehe auch Video ganz unten). Die Fähigkeiten des Sicherungspersonals sind beim Vorsteigen nahezu wichtiger als das der Kletternden.
Auch das Stürzen will geübt sein. Beim Stürzen darf die kletternde Person auf keinen Fall noch reflexhaft ins Seil oder in Karabiner greifen zum Festhalten, das kann fiese Verletzungen geben. Die ideale Sturzhaltung ist mit seitlich offenen Armen und leicht angewinkelten Beinen, um sich auf einen eventuellen Aufprall an der Wand vorzubereiten.
Voraussetzungen für den Vorstieg
Sichernde: Wer jemanden im Vorstieg sichert, muss gut sichern können. Das Sicherungspersonal sollte das Seil-Einholen und -Ausgeben flüssig beherrschen. Nur wenn das Seil zügig und korrekt ausgegeben und eingeholt wird, kann die kletternde Person ohne erhöhtes Risiko klettern. Sichernde müssen einschätzen, wann wieviel Seil gebraucht wird. Je nach Gewichtsverhältnissen wird die sichernde Person im Sturzfall gegen die Wand gezogen oder nicht, muss also schnell das Seil blockieren oder im anderen Fall die kletternde Person weich bremsen.
Vorstiegskletternde: Auch Vorsteigende müssen alles richtig machen. Dafür hilft es, wenn man die Grundtechniken des Kletterns drauf hat. Das Seil muss richtig herum in die Zwischensicherungen eingehängt werden. Das Einhängen selbst kann unter Nervosität auch schwieriger sein, als man denkt; das lässt sich aber prima trocken am Boden üben.
Sicher vorsteigen – Video
In der Kletterhalle suggerieren viele Zwischensicherungen, dass man jederzeit stürzen darf. Doch gerade in Bodennähe ist das Risiko hoch, weiter unten zu landen als gesund ist. Auf den ersten acht Metern heißt es, beim Sichern extrem aufmerksam zu sein. Viel Schlappseil sollte man beim Sichern nie geben, doch in Bodennähe ist zu viel Schlappseil enorm gefährlich. Auch wenn man nicht von einem Sturz ausgeht, sollte man nicht übermäßig viel Seil herausziehen. Wann man am besten klippt und warum, erklärt das Video.
Der Clip entstand in Kooperation mit dem DAV-Kletterzentrum Stuttgart.
Vorstieg: häufig auftretende Fehler
- Fehler: Ausrüstung nicht korrekt angelegt
Ob falsch eingebunden oder den Gurt nicht geschlossen, beim Anlegen von Gurt, beim Knüpfen des Einbindeknotens und beim Einlegen des Seils ins Sicherungsgerät können Fehler schlimme Folgen mit sich bringen.
Abhilfe: Der Partnercheck hilft, Fehler in der Sicherungskette zu bemerken und so zu vermeiden.
- Fehler: Falsche Sicherungsposition
Wenn die kletternde Person erst ein oder zwei Zwischensicherungen eingehängt hat, muss das Sicherungspersonal nah an der Wand stehen. Wer dann schon meterweit von der Wand wegsteht, riskiert, dass der Kletternde im Sturzfall auf dem Boden einschlägt und der Sichernde selbst kann gegen die Wand gezogen werden; ihm droht ebenfalls Verletzungsgefahr.
Abhilfe: Immer relativ nah an der Wand stehen; sich eventuell auf den ersten Metern mit einem Fuß an der Wand abstützen.
- Fehler: Schlappseil beim Sichern
Zügig Seil ausgeben (und einnehmen) muss der Sichernde beherrschen. Gerade auf den ersten acht Metern ist jeder Meter Schlappseil einer zuviel. Denn mit Seildehnung und ein bisschen Pech landet der Kletternde sonst sehr schnell auf dem Boden.
Abhilfe: Eng und flexibel sichern.
- Fehler: Hartes Sichern
Der Reflex beim Sichern geht dahin, "so zu wie möglich" zu machen, also sofort aktive und mit aller Kraft das Seil zu blockieren. Was im Prinzip ja richtig ist. Mit einer Einschränkung: Ist die kletternde Person deutlich leichter als die sichernde, dann ist "weiches Sichern" angeraten. Damit wird verhindert, dass der Kletternde mit zu viel Wucht in die Wand einschlägt. Diese Sicherungtechniken lassen sich nur in der Praxis erlernen!
Abhilfe: Angemessen weich sichern. Am besten im Kurs oder in einer Trainerstunde erlernen.
Video: So geht dynamisches Sichern (DAV)
- Fehler: Zu schnell ablassen
Es mag lustig oder cool erscheinen, aber es birgt Risiken: dass sich der Sichernde übernimmt und nicht mehr bremsen kann. Oder dass man zu spät bremst, und der Kletternde einschlägt. Oder dass ein Mensch in die "Landezone" läuft und getroffen wird. Es gibt noch viele mehr. Also: lieber langsam.
Abhilfe: Langsam und kontrolliert ablassen, Kletterer im Blick behalten, bis er komplett sicher am Boden ist.
- Fehler: Falsch einhängen
Es ist schnell passiert, das Seil falsch herum in den Karabiner zu klippen. Oder aus Versehen das Seilende von unterhalb der letzten Exe hochzuziehen und einzuhängen (siehe Bild). Beides ist mehr oder weniger gefährlich.
Abhilfe: Beim Klippen immer das Seil vom Einbindeknoten her holen. Darauf achten, dass die Schlinge nicht verdreht ist und das Seil richtig nach oben läuft.
- Fehler: Bein hinter dem Seil
Meist ist es nur der Knöchel, was hier im Bild oben das gesamte Bein ist: Körperteile, die zwischen Seil und Wand geraten, können im Sturzfall hängen bleiben und dazu führen, dass die kletternde Person sich in der Luft umdreht und mit dem Kopf nach unten fällt. Dies bringt ein hohes Verletzungsrisiko mit sich. Abhilfe: Immer darauf achten, dass das Seil vor dem Körper bleibt (siehe Bild unten).
- Fehler: Nicht vorsteigen
Vorsteigen ist anspruchsvoll, risikant und erfordert mentale Stärke. Zumeist klettert man mit der Konzentration des scharfen Endes deutlich besser als im Toprope. Wer den Vorstieg nicht wagt, bringt sich selbst nicht nur um Spaß, sondern auch um die Chance, Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen.
Abhilfe: Machen! Viel Spaß!