Knowhow rund um Bohrhaken beim Klettern

Bohrhaken im Klettern
Knowhow rund um Bohrhaken beim Klettern

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Ohne solide Haken kein Freiklettern: Wie der Bohrhaken als Sicherungspunkt die Wände der Welt eroberte und welche Systeme es gibt, Haken solide in der Wand zu versenken, erklären wir hier.

Bohrhaken Knowhow
Foto: DAV

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Bohrhaken Knowhow Klettern
Ralph Stöhr
Kompakte Kalkwände wie hier im Klettergebiet Malaucene wären ohne Bohrhaken zum Teil unmöglich abzusichern, bieten aber oft erstklassige Kletterei.

Die Entwicklung solider Bohrhaken und ihre Bedeutung im Klettern

"Im Großen Wehlturm greifen die Erschließer erstmalig zu einem neuen, an steiler, glatter Wand unbedingt notwendigen Sicherungsmittel: sie schlagen einen Sicherungsring. Ungefähr 25 cm tief wird ein Eisenschaft, an dessen oberen Ende sich ein nahtloser Ring befindet, in den vorher ausgebohrten Sandstein getrieben." So beschreibt Karl Däweritz in seinem Buch "Klettern im sächsischen Fels", wie im Elbsandsteingebirge der erste Bohrhaken der Klettergeschichte zur Zwischensicherung gesetzt wurde. Anlass der Bohraktion war die erste Besteigung des Großen Wehlturms am 2. August 1905, bei der Rudolf Fehrmann, Oliver Perry-Smith und Hanns Schueller angesichts der ansonsten unsicherbaren, schwierigen Kletterei erstmals zu diesem Mittel greifen. Der Bohrhaken, genauer der gebohrte Sicherungsring, etablierte sich in der Folge im sächsischen Klettern und erlaubte die Durchsteigung selbst kompaktester Sandsteinwände.

In den Alpen griffen erstmals Peter Moser und Wastl Weiß 1944 zu Bohrhaken, als sie bei der Erstbegehung der Fleischbank-Südostverschneidung zwei Exemplare in den Kalk des Wilden Kaiser droschen. Anfang der 50er-Jahre kamen Bohrhaken bei der Erstbegehung der Grand Capucin-Ostwand und der Westwand der Dru im Montblanc-Gebiet zum Einsatz. Auch bei der Erstbegehung der Direttissima in der Nordwand der Großen Zinne und der Südwestwand der Rotwand im Rosengarten setzten Dietrich Hasse und Lothar Brandler, beide im sächsischen Elbsandstein als Kletterer sozialisiert, auf Bohrhaken.

Bohrhaken Knowhow Klettern
Ralph Stöhr
Sicherungsring im Elbsandstein

Der erste Bühlerhaken

Im Gegensatz zu den sächsischen Sicherungsringen dienten die Bohrhaken in den Alpen primär der Fortbewegung über kompakte Felspassagen. Die dabei verwendeten Stichtbohrhaken eigneten sich nur bedingt als verlässliche Sicherungspunkte. Ihr Schaft war nur zwei bis drei Zentimeter lang und sechs mal sechs Millimeter dick. Dennoch war das auch als Sicherungspunkt besser als nichts, und bei den im Direttissma-Zeitalter aufkommenden Bohrhakenleitern konnte man als Vorsteiger wenigstens darauf hoffen, dass einer der vielen Haken schon halten würde.

1960 begann dann auch in den westdeutschen Klettergärten ein neues Zeitalter. Oskar Bühler zementierte damals nach einigen Vorläufermodellen seinen ersten richtigen "Bühlerhaken" in ein gebohrtes Loch im fränkischen Fels, nachdem ihm Jahre zuvor an einer nur mit schlechten Normalhaken gesicherten Kletterstelle angst und bange geworden war. Überzeugt davon, dass Sicherheit Vorrang hat vor alpiner Tradition, sanierte Oskar Bühler im Frankenjura zahllose Routen, um die 2000 Bohrhaken soll er dabei gesetzt haben.

Bühlerhaken
IG Klettern Frankenjura
Bühlerhaken, wie er typischerweise im Frankenjura verwendet wird

Hakenkriege in der Wand

Wie fast jede neue Technik erfuhr auch der Bohrhaken anfangs viel Skepsis und Ablehnung. Klar, er machte das Klettern sicherer und erlaubte die Überwindung selbst völlig kompakter Felspassagen in technischer Kletterei. Aber war das überhaupt gewünscht? Ist es in Ordnung, den Berg mit Stahl und Technik auf ein kletterbares Niveau zu bringen anstatt ihm nur mit eigenen Mitteln – Kraft, Klettertechnik, Erfahrung und Mut – zu begegnen? Was ist ein Sport wert, der keine Beschränkungen kennt? Wenn ich beim Hochsprung mit der Leiter über die Latte steige oder 1000 Meter mit Rollschuhen laufe?

Reinhold Messner beklagte entsprechend den "Mord am Unmöglichen". Die bei traditionsbewussten Kletterern weit verbreitete Ablehung des Bohrhakens äußerte sich aber nicht nur in flammenden Essays, sondern auch in den sogenannten "Bohrhakenkriegen". Sowohl in der Pfalz als auch im Wilden Kaiser wurden in den 70er- und 80er-Jahren die frisch gebohrten Sicherungspunkte immer wieder mal abgesägt.

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Ralph Stöhr
An der Combe Obscure in Südfrankreich führt eine chemische Reaktion (des Mörtels oder des Stahls) dazu, dass der dunkle, dünne Flechtenbelag auf dem kompakten Kalk abgewaschen wird. Zurück bleiben weiße Streifen unter den Bolts.

Neue Regeln, neuer Sinn

Dass die Bohrhaken heute allgemein anerkanntes Sicherungsmittel sind, verdanken wir im Grunde dem Elbsandstein. Dort wurde der Spagat zwischen Technik und klettersportlicher Ethik durch klare Regeln gelöst: Setzen von Sicherungsringen nur von unten kommend; Ringe dürfen nur zur Sicherung, nicht zur Fortbewegung verwendet werden; sie dürfen nur in gewissen (immer wieder neu definierten) Abständen gesetzt werden. Ergebnis: Das Abenteuer blieb erhalten, die Sicherheit und die Möglichkeiten für Erschließer aber nicht ganz auf der Strecke.

Kein Wunder also, dass mit dem Aufkommen des Freikletterns im Westen – das sich seine Epigonen wie Kurt Albert ja zum Teil im sächsischen Fels abgeschaut hatten – der Bohrhaken zunehmend als Sicherungsmittel akzeptiert wurde. Die neuen Regeln beim Freiklettern – Haken nur zur Sicherung, nicht zur Fortbewegung – gaben ihm einen anderen Sinn. Dazu kamen neue technische Möglichkeiten wie das Bohren mit tragbaren Akkubohrmaschinen. Inzwischen ist die Absicherung mit soliden Bohrhaken in den meisten Sportklettergebieten der Welt Standard.

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"Ihr braucht sie ja nicht einhängen" erwiderten die frühen Sportkletterer den Bohrhakenkritikern. Kann man machen: Günther Mauthe klettert den Kaiserweg (7) im Donautal clean.

Insbesondere der als besonders unzuverlässig erkannte Normalhaken (auch: Piton), dessen Haltekräfte zwischen fast Null und bombenfest streuen, wurde fast komplett abgelöst, das Sichern mit Keilen, Cams und Schlingen ist dagegen vielerorts noch zusätzlich verbreitet.

Natürlich gibt es weltweit noch etliche Gebiete, in denen die Kletterer traditionell lieber auf Bohrhaken verzichten und mit natürlichen Sicherungsmitteln (Keile, Friends, Schlingen) oder auch, wie häufig in den Dolomiten, mit Normalhaken klettern. Sie tun das, weil es das Klettern um die Dimension des selbst Absicherns und der Auseinandersetzung mit den natürlichen Möglichkeiten, die der Fels bietet, erweitert.

Extrem fest – fast immer

Moderne Bohrhaken weisen Festigkeiten auf, die meist weit über denen der restlichen Kletterausrüstung liegen. Sie sind also das stärkste Glied der Sicherungskette. Die Haltekräfte von Bohrhaken hat die DAV Sicherheitsforschung mehrfach untersucht. Dabei erreichte ein zehn Zentimeter tief gesetzter Verbundhaken Haltekräfte zwischen 40 und 60 kN, die mechanischen Bohrhaken wiesen zwischen 20 und knapp über 70 kN auf.

Die heutigen, normgerechten Bohrhaken sind also extrem verlässliche Sicherungspunkte. Eine absolute Lebensversicherung sind sie aber nicht immer. Schlechter Fels, Fehler beim Setzen, nicht normgerechtes Material und mehr oder minder sichtbare Korrosion: Es gibt manchmal gute Gründe, der Festigkeit eines Bohrhakens zu misstrauen. Schlechter Fels, mieses Material oder sichtbare Korrosion sind zumindest für den geübten Blick halbwegs zu erkennen. Bei Setzfehlern, Korrosion im Bohrloch oder Hohlräumen im Fels sieht es schlechter aus.

Stärker anfällig für Setzfehler sind Verbundhaken. Hier muss von der Felsqualität über die Form des Hakens und die Säuberung des Bohrlochs bis zur richtigen Durchmischung und zum Abbinden des Mörtels alles stimmen. Das ist zwar keine Zauberei, aber immerhin weisen erfahrene Erschließer wie Reinhold Scherer oder Ralf Sussmann ebenfalls auf solche Gefahren hin. Reinhold Scherer meint dazu: "Man sollte nie einem einzelnen Klebehaken vertrauen" und bezieht das besonders auch auf Umlenker in Klettergärten. Deshalb wird hier inzwischen generell auf Redundanz geachtet, sind Umlenkketten, die an zwei Bolts befestigt sind, zum Standard geworden.

Keine Norm für Erschließer

Dennoch werden bei Sanierungen und bei der Erschließung von Klettergärten aus dem Abseilsitz heute überwiegend Verbundhaken gesetzt. Sauber verarbeitet und aus normgerechtem und für Fels und Region geeignetem Material (siehe Kasten rechts), sollten sie für einige Jahrzehnte als sichere Fixpunkte in der Wand dienen. Zudem ist das Bohrloch mit dem Mörtel zugleich abgedichtet, was Korrosion im Bohrloch weitgehend verhindert, und die Verbundhaken sitzen im Gegensatz zu Express­ankern absolut spannungs- und kräftefrei im Fels. Im alpinen Fels, wo die Routen überwiegend von unten eröffnet werden, sind Express­anker allerdings das Mittel der Wahl, weil sie im Gegensatz zu Verbundhaken nach dem Setzen sofort belastet werden können.

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Ralph Stöhr
Die Akkubohrmaschine erlaubt effizientes Sanieren und Einbohren von Neutouren

Während für die Bohrhaken selbst eine Norm existiert, gibt es für das Einrichten von Routen grundsätzlich keine Vorschriften. Im Prinzip ist jeder Erstbegeher frei, Haken dort und so zu setzen, wie es ihm beliebt. Bei der Sanierung von Routen, also dem Ersetzen alter Sicherungspunkte durch solide Bohrhaken, wird meist versucht, den ursprünglichen Charakter der Route – also zum Beispiel mehr oder weniger kühn – zu erhalten. Es gibt auch bislang keine Vorschriften, wer Haken setzen darf und wer nicht. In der Regel sind es erfahrene Kletterer oder solche, die bei einem alpinen Verein geschult worden sind. Klare Vorgaben zur Absicherung, wie sie in den Klettergärten des Climber‘s Paradise in Tirol oder teilweise in Arco oder Kalymnos gemacht werden, sind die Ausnahme. Dies auch deshalb, um sich nicht die rechtliche Verantwortung für die Sicherheit und damit die Aufsichtspflicht von Routen am Fels ans Bein zu binden. Allerdings liegt es schon im Eigeninteresse der Erstbegeher, Routen so abzusichern, dass man sich im Sturzfall nicht schwer verletzt.

Der Untergang ist abgesagt

Anfängliche Skespis und bekannte Probleme hin oder her: Der Bohrhaken hat den Alpinismus nicht in den Ruin getrieben, sondern das Spielfeld im Klettern gewaltig erweitert. In den Mittelgebirgen ist heute dank Bohrhaken ein relativ unbeschwertes und sicheres Klettern in allen Graden möglich. Dass sich in den letzten Jahren das Tradklettern erneuter Beliebtheit erfreut, zeigt aber auch: Bohrhaken sind zwar die sicherste und bequemste Lösung, aber bei weitem nicht die einzige.

Verbundhaken versus Spreizdübelsystem: Warum Bohrhaken halten

Mit Mörtel oder mit Spreizdübel: Es gibt zwei Systeme, die zum Verankern von Bohrhaken im Fels verwendet werden. Beide haben Vor- und Nachteile

Der Verbundhaken

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Schema eines Verbundhakens im Fels

Beim Verbundhaken (Bild oben) verbindet ein Zement (wie beim klassischen Bühlerhaken) oder Zwei-Komponenten-Mörtel den Bohrhaken mit dem Fels – man spricht dabei von einem stoffschlüssigen System. Die Mörtel wurden ursprünglich für Schwerlastverankerungen im Baugewerbe entwickelt. Der Bohrlochdurchmesser muss etwa zwei Millimeter größer sein als der Umfang des Hakens, so dass dieser komplett vom Mörtel umschlossen wird. Der Mörtel kommt entweder mit einer Glaspatrone oder aus der Kartusche ins Bohrloch. Bevor der Haken belastet werden kann, muss der Kleber aushärten – ein Nachteil für Erstbegeher, die Routen von unten eröffnen.

Das Spreizdübelsystem

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Schema von Spreizdübelsystemen im Fels

Bei den gängigen Systemen im Bergsport wird ein Dübel im Bohrloch gespreizt, entweder durch Einschlagen eines Stifts (Nr. 2 im Bild, Einschlaganker) oder durch Anziehen einer Schraube (Nr 3 im Bild, Expressanker). Man spricht auch von einem reib- oder kraftschlüssigen System. Wichtig ist, dass Dübel und Lasche aus demselben Material bestehen, sonst korrodiert der Haken. Einschlag- und Expressanker sind einfach zu setzen und sofort belastbar, weshalb sie bei Erstbegehungen von unten – vor allem im alpinen Bereich – fast ausschließlich zum Einsatz kommen.

Das Problem mit der Korrosion

In meernahen Gebieten sowie in häufig nassen Wänden greift die Korrosion Bohrhaken schnell an. Abhilfe schafft nur optimales Material.

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Klettergebiete in Meeresnähe: zum Beispiel Sizilien

Bohrhaken, die rund um die Uhr Feuchtigkeit, Wärme, Chloride (Meersalz) und Abgasen ausgesetzt sind, werden schneller Opfer der Korrosion als solche, die weniger strapaziösen Bedingungen ausgesetzt sind. Alte, nicht normgerechte Bohrhaken sind dabei besonders gefährdet (weshalb alpine Verbände und Klettervereine diese mit Hochdruck austauschen). Verzinkte und verchromte Haken aus gewöhnlichem Stahl korrodieren besonders schnell. Kommt noch dazu, dass die Lasche zum Beispiel aus Aluminium besteht, tritt zusätzlich Kontaktkorrosion auf: Die Alulasche "zerfällt". Nach EN Norm sind solche Materialmixe daher nicht mehr zulässig. Die UIAA-Norm und die alpinen Verbände empfehlen grundsätzlich nur noch die Verwendung von Bohrhaken aus Edelstahl (A2-Legierung oder höher).

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Diese Umlenker stammen aus einer Sanierungsaktion an der Costa Blanca. Der schlechte Zustand ließ sich von außen erahnen – innen waren die Dübel nahezu komplett zerstört

In Meeresnähe (und bis viele Kilometer ins Hinterland) genügen aber auch solche Edelstähle teilweise nicht mehr. Nachdem vor einigen Jahren eine Reihe überraschender Bohrhakenbrüche bekannt wurde, warnte die UIAA Safety Commission 2015 vor dem Problem der Spannungsriss-Korrosion. Diese "aggressivste Form der Korrosion" greift selbst manche V4A-Edelstähle an (z.B. 316L, 1.4404) und ist optisch nicht zu erkennen. Ausgangspunkt sind kleinste Verformungen oder Spannungen im Haken, wie sie schon beim Einschlagen ins Bohrloch auftreten. Für meeresnahe Gebiete werden daher HCR-Stähle (high corrosion resistant) oder Titanhaken empfohlen. In Gebieten wie Kalymnos, Sizilien oder Thailand werden daher die älteren Bohrhaken nach und nach ausgetauscht.