Der Erzieher Michael Stark hat im Rahmen seines Anerkennungsjahres ein Kletter-Projekt mit kleinen Kindern im Alter von bis zu 6 Jahren durchgeführt. Bislang gibt es kaum Literatur über dieses Thema; wenige Kletterhallen haben Angebote für diese Altersgruppe.
Michael stellte bei seinem Projekt fest, dass man sehr gut mit U6 Kindern klettern kann. Die Kinder hatten beim Klettern (oder eher: Bouldern) viel Spaß und waren sehr motiviert. Daraus folgerte Michael, dass man auch mit sehr kleinen Kindern klettern gehen kann; vorausgesetzt man geht umsichtig vor und achtet auf die Bedürfnisse der Kids.
Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt, worauf beim Klettern mit Kindern bis zu sechs Jahren zu achten ist. Die wichtigsten Tipps inklusive.
Klettern ist ja eine natürliche Bewegungsform; ab wann kann ich denn mit Kindern tatsächlich was an der Kletterwand machen?
Sobald das Kind anfängt sich eigenständig an Gegenständig hochzuziehen oder hochzuklettern. Wichtig ist, dass das Kind das mit der eigenen Motivation macht. Kurz: Wenn es auf Stühle, Tische, Klettergerüste klettert und dabei keine Angst zeigt, kann man sich überlegen, ob man nicht mal mit dem Kind in die Kletterhalle gehen kann.
Wenn man sich die motorische Entwicklung von Kindern ansieht, haben sie mit ungefähr drei Jahren die Voraussetzungen zum Klettern. Sie haben einen stabilen Gang und ihre Hand-Augen-Koordination ist entsprechend entwickelt. Im Kindergarten klettern sie die Sprossenwände der Turnhalle hinauf. Das Klettern als natürliche Bewegungsform ist also schon vorhanden, wenn man sich das Kind einfach genauer anschaut.
Wie sah Dein Projekt aus?
Am Anfang musste ich erstmal schauen, was die Kinder aktuell beschäftigt. Es gab da noch ein paar andere Interessen, die die Kinder hatten. Aber das Thema Klettern war doch am häufigsten zu hören. Das kam, weil wir in der Einrichtung eine Kletterwand bekommen sollten und ich deswegen meine Kletterausrüstung mitgebracht hatte. Seit dem Zeitpunkt waren die Kinder ganz heiß darauf. Danach habe ich mir eine Gruppe von Kindern gesucht, mit denen ich das Projekt machen wollte. Es wollten viele mitmachen, aber alle konnte ich natürlich nicht mit in die Gruppe nehmen. Ich habe mich für die Kinder entschieden, die etwas ruhiger sind und noch nicht so genau wussten, was sie eigentlich alles konnten.
Dann begann das eigentliche Projekt. Es bestand aus drei Phasen. In der ersten Phase habe ich mit den Kindern zusammen überlegt, was sie über das Klettern schon alles wussten und was sie gerne machen wollten. In der zweiten Phase habe ich sie mit Spielen, einer zusammen geschriebenen Geschichte und einer selbst gebauten Kletterwand für Spielfiguren an das Thema Sportklettern herangebracht. In der letzten Phase haben wir einen Ausflug in die Boulderhalle „Eifelblock“ in Koblenz geplant und uns darauf vorbereitet, indem wir Regeln besprochen haben, Übungen und Spiele an der Kletterwand in der Einrichtung machten.
Dann haben wir zusammen all das organisiert, was wir für den Ausflug brauchten. Es ging also nicht nur darum, dass die Kinder zum Klettern kamen, sondern dass sie die ganze aktive Vorbereitung mitgestalten konnten. In der Kletterhalle haben die Kinder dann hauptsächlich geklettert. Sie sind quer durch die Halle, haben Routen ausprobiert und sich dabei von den einfachsten Routen bis zu mittelschweren Routen versucht. Es gab einige Abstürze, aber das fanden sie eher lustig und haben die entsprechende Route immer wieder und wieder probiert.
Was ist mit Spotten? Ja oder nein, wenn ja, was gibt es zu beachten?
Bei den einfachen Bouldern war ich am Anfang dabei. Als ich gesehen habe, dass die Kinder das drauf haben, habe ich sie da auch mal alleine klettern lassen. Bei den schwierigeren Bouldern, also für die Kinder schwieriger, habe ich gespottet. Dabei habe ich ihnen Tipps gegeben wo sie mit Händen und Füßen greifen und stehen können und habe natürlich darauf geachtet, dass ich sie bei einem Absturz aufgefangen bekomme.
Was sind die Schlussfolgerungen aus dem Projekt?
Meine hauptsächliche Schlussfolgerung ist die, dass man ein sehr gutes Angebot mit U6 Kindern zum Thema Klettern machen kann und das dieses auch andere Einrichtungen oder Kletterhallen anbieten sollten. Ich habe im Vorfeld von einigen Seiten gesagt bekommen, dass das Projekt nicht klappen wird, da die Kinder schlicht zu klein sind. Das habe ich nicht bestätigt gefunden. Man muss sich viel mit dem Klettern und der Entwicklung der Kinder beschäftigen und dies zusammenführen bzw. auf das Niveau der Kinder herunterbrechen. Eine weitere Schwierigkeit war, dass es quasi keine Literatur zum Thema Klettern mit Kindern gibt. Ich musste meine gesamte Theorie aus Büchern für Erwachsene holen und dann für die Kinder herunterbrechen.
Kannst Du da Beispiele nennen?
In meinem Theorieteil ging hauptsächlich darum, dass das Klettern mit U6 Kindern das positive Selbstkonzept und die Handlungsfähigkeit von ihnen positiv beinflusst. Also dass Kinder, die klettern, sich besser wahrnehmen können, ihre Frustationstoleranz höher ist und sie ihren eigenen Willen besser einschätzen können. Das sind so Sachen, die ich aus Literatur von Erwachsenen auf Kinderniveau herunterführen konnte. Das gleiche habe ich auch bei der Theorie zum eigentlichen Klettern gehabt, wobei das nochmal eine Nummer härter war, weil es hier garnichts über das Klettern mit U6 Kindern gab.
Generell gilt beim Klettern mit so kleinen Kids: Man muss nicht bei null anfangen. Nur muss man bei Kindern halt etwas einfacher denken. Bei U6 Kindern sollte nicht das Ziel sein, die Route oder den Boulder zu meistern sondern einfach nur zu klettern. Lasst das Kind einfach klettern. Und wenn es nur zwei Griffe klettert, ist das auch in Ordnung. Die Kinder sollen über das Klettern sich und ihren Körper kennenlernen. Den ganzen Rest mit Techniken und so weiter sollte man erst dann machen, wenn die Kinder ungefähr ins Schul-Alter kommen. Es gilt: Weniger ist mehr!
Als Elternteil oder Betreuer von U6-Kids: Wie und womit fange ich mit dem Klettern an?
Als erstes muss man schauen, ob das Interesse der Kinder da ist und ob es ein echtes Interesse ist. Viele Kinder sagen ja zu etwas, nur damit die Eltern Ruhe geben; manchmal können sie sich auch nichts unterm Klettern vorstellen. Auch muss man schauen, ob das Kind schon in der Lage ist zu klettern. Ich hatte ein Kind in der Einrichtung, welches unbedingt mitmachen wollte, aber einfach noch nicht die motorischen Fähigkeiten hatte, die man dazu braucht.
Wenn diese Punkte alle gegeben sind, sollte man nicht direkt in eine Kletterhalle gehen. Man sollte das Kind da klettern lassen, wo es vielleicht schon mal geklettert ist. An einem Klettergerüst auf dem Spielplatz, einem kleinen Felsen oder einem Baum im Wald oder Park. In einer Einrichtung können Kinder auch super an einer Sprossenwand klettern oder es gibt sogar eine kleine Kletterwand. Da wo das Kind sich auskennt und sich sicher fühlt, wird es die ersten und besten Fortschritte machen.
Wenn es sich sicher bewegt und die Motivation immer noch vorhanden ist, kann man als nächsten Schritt in eine Kletterhalle gehen. Ich empfehle eine Boulderhalle. Die meisten Kletterhallen mit Seilsicherung haben keine Gurte für U6 Kinder und extra einen zu kaufen ist doch etwas teuer. Ein weiterer Vorteil der Boulderhalle ist, dass die Wände nicht so hoch sind und Weichbodenmatten ausgelegt sind. Das ist für Kinder geeigneter.
Worauf muss ich achten, welche Risiken vermeiden?
Kinder sind ja nun mal Kinder. Grade im U6 Bereich heißt das, das man Regeln aufstellen kann, aber die Kinder sich an diese nicht unbedingt immer halten. Man muss also immer aufmerksam sein. Die Kinder sind motiviert, aufgedreht und wollen am liebsten alle gleichzeitig klettern. Man muss darauf achten, dass man eine Gruppe hat, wo man die Übersicht nicht verliert und wo man immer weiß welches Kind gerade was macht. In meinem Fall waren wir mit fünf Kindern und zwei Erziehern unterwegs. Das war ein sehr gutes Verhältnis und viel mehr Kinder hätten wir auch nicht mitnehmen können. Auch sollte man schauen, an welchen Routen die Kinder klettern können und wo sie vielleicht auch mal ohne direkte Aufsicht klettern können. Es ist wichtig, dass man die Halle selber kennt und weiß, was dort abgeht.
Bis zu welcher Höhe lässt Du die Kids klettern? Teilweise sind ja die Wände auch in Boulderhallen schon recht hoch.
Bei den einfachen Bouldern im Eifelblock in Koblenz hab ich die Kinder bis nach ganz oben klettern lassen. Es gibt da die sogenannte Affeninsel, da ist der einfachste Boulder und der müsste so dreieinhalb bis vier Meter hoch sein. Ansonsten habe ich die Kinder so hoch klettern lassen wie sie wollten, wenn die Umstände gepasst haben. Es gab aber auch Boulder, wo ich von Anfang an gesagt habe, dass die Tabu sind, weil sie einfach zu schwer oder zu hoch waren.
Wie bekomme ich die Kids motiviert?
Viel motivieren braucht man die Kinder gar nicht. Die meisten von ihnen waren noch nie in einer Kletterhalle und sind davon direkt begeistert und wollten sofort loslegen. Es ist wichtig, dass man selbst motiviert ist und die Kinder damit ansteckt. Auch die Vorbereitung ist ein wichtiger Teil. Die Kinder sollen spüren, dass sie etwas mitnehmen und das sie das in der Kletterhalle endlich umsetzten können. Sollten die Kinder trotzdem mal nicht motiviert sein, hilft es meistens, wenn man spielerisch an das ganze herangeht. Spielen geht immer bei Kindern. Ich hatte mir selbst für den Fall, dass die Kinder ihre Motivation verlieren ein, zwei Spiele überlegt, die man an der Wand spielen konnte. Ich habe sie aber nicht gebraucht.
Kannst Du ein Beispiel für ein Motivationsspiel geben?
Ein schönes einfaches Motivationsspiel ist das Playmobil-Spiel. Man holt eine Playmobil-Figur (kann natürlich auch was anderes sein) und klemmt sie auf einen Griff des Boulders. Die Kinder sollen die Figur dann holen. Das habe ich in der Vorbereitung mal ausprobiert und die Kinder sind voll darauf eingestiegen. Am besten ist es, wenn die Kinder ein Spiel schon kennen und es mit dem Klettern kombiniert. Zum Beispiel geht auch „Fangen“ an der Kletterwand.
Was sollte ich nicht mit so jungen Kids an der Kletterwand machen?
Das ist einfach: Nicht fordern oder sogar zwingen! Lasst die Kinder an der Wand klettern. Lasst sie die Routen ausprobieren. Wenn man ein sicheres Umfeld geschaffen hat, kann man sie einfach machen lassen. Mit Druck geht bei U6 Kindern mal gar nichts. Man sollte mit dem Grundgedanken in das Angebot gehen das weniger oft mehr ist.
Was muss man noch beachten?
Persönlich sollte man sich natürlich mit dem Klettern auskennen. Man sollte auch die Kletterhalle kennen, wo man mit dem Kind hin möchte. Außerdem ist es hilfreich, wenn man sich ein bisschen mit der gesamten Entwicklung des Kindes auskennt, damit man überhaupt erkennt, ob das Kind es will und kann. Wenn man mit einer Gruppe von U6 Kindern klettern möchte, ist es ratsam, dass die Gruppe nicht zu groß ist und man genügend fähige weitere Betreuer dabei hat.
Wie vermeide ich Stress?
Ganz wichtig ist es, keinen Druck aufzubauen. Die Kinder sollen keine Ziele der Erwachsenen erreichen sondern ihre eigenen setzen und diese erreichen. Hier ist wieder die Motivation ein wichtiger Faktor. Mit sich selber motivierenden Kindern kann man vieles machen ohne dabei Stress zu haben, weil die Kinder es selber machen wollen. Auch ist wieder die Gruppengröße und die Anzahl der anwesenden Betreuer ein Faktor der Stress vermeiden kann. Bei den Kindern ist es zudem wichtig, dass sie genau wissen, was man zusammen macht. Dann können sie sich darauf einstellen und gehen entspannter in die Situation, was für die Kinder und Betreuer auch wieder weniger Stress bedeutet.
Welche Rolle spielen die Eltern?
Die Eltern müssen natürlich informiert sein, was man macht. Da viele Eltern sich nicht wirklich mit dem Sportklettern auskennen, sollte man ihnen ausreichend Infos darüber geben und wie das alles abläuft. Wenn man sie immer auf dem Laufenden hält, sind die meisten entspannt und freuen sich, dass man so etwas mit ihrem Kind macht. Wenn man will, kann man die Eltern noch einbinden. Dann ist es aber wichtig, dass sie ein bisschen Ahnung von der Materie haben.
Michael Stark, Jahrgang 1984, lebt in Andernach (Rheinland-Pfalz) und klettert seit 2010. Im Rahmen seines Anerkennungsjahres der Ausbildung zum Erzieher hat Michael seine Leidenschaft Klettern mit in seine Arbeit integriert. Seiner Meinung nach ist Klettern unter den richtigen Bedingungen für Kinder unter sechs Jahren durchaus geeignet.