Tradklettern: Tipps & Co

Clean Climbing
Selbst absichern beim Klettern

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Clean Climbing oder Trad-Klettern ist das Klettern mit mobilen Sicherungsmitteln und ohne Haken oder Bohrhaken. Ziel ist, dass der Fels nach der Begehung keine Spuren aufweist – clean eben. Nur etwas für Mutige? Keineswegs.

Trad-Klettern, clean climbing in der Schweiz
Foto: Silvan Schüpbach

Selbst absichern ist eine hilfreiche Fähigkeit und macht Spaß. Tim Marklowski wirbt für mehr Vielfalt und hält ein Plädoyer fürs Tradklettern.

In diesem Artikel:

Clean-Klettern ist nicht besser als Klettern mit Bohrhaken, sondern einfach anders. Es verlangt etwas mehr Einsatz: den Fels lesen, die Linie suchen, Zwischensicherungen legen, Stand bauen (nur selten ganz ohne fixes Material), alles wieder mitnehmen. Einigen gefällt das, anderen nicht. Gut so, denn Vielfalt macht den Klettersport attraktiv.

Trad-Klettern, clean climbing in der Schweiz
Hugo Vincent
Silvan Schüpbach klettert in den Premium-Rissen des Petit Clocher du Portalet.

Entstanden sind mobile Sicherungsgeräte, als der Kletterer Yvon Chouinard bemerkte, dass das Schlagen und Entfernen der damals mal üblichen Normalhaken den Fels nachhaltig beschädigte, und die sogenannten Pin Scars, also Narben im Fels, entstanden. Er entwickelte Klemmkeile, später kamen die aktiven Friends hinzu. Damit wurde sozusagen spurloses Klettern möglich.

Altes Spiel mit neuem Spielzeug

Trad-Klettern ist also nichts Neues, nur die Klemmgeräte sind immer durchdachter geworden. Dadurch ist Plaisir-Klettern heute auch ohne Bohrhaken möglich. Dank immer besseren, mobilen Sicherungsgeräten können heute auch weniger erfahrene Kletterer und Kletterinnen sicher ohne Bohrhaken unterwegs sein.

Clean Climbing ist nicht zwingend Extremsport. Es braucht lediglich geeigneten Fels, Eigenverantwortung, Übung und die Lust, sich mit dem Fels auseinander zu setzen. Nebenbei sei bemerkt, dass das, was in unseren Gefilden als normal gilt, in anderen Kletterkulturen ein absolutes Tabu ist. Wer das nicht glaubt, sollte mal im Gritstone in England oder in Indian Creek in den USA eine Risslinie mit Bolts versehen – und dann am besten die Beine in die Hand nehmen. (Das war nur eine Redewendung. Ihr sollt dort natürlich nichts einbohren...)

Trad-Klettern, clean climbing in der Schweiz
Tim Marklowski
Geniale Risskletterei in der Atacama am Zervreilahorn.

Was kann Clean, was Bohrhaken nicht können?

Sich selbst einen Weg suchen, sich wie ein Erstbegeher fühlen – Clean Climbing ist Freude an ursprünglicher Natur, an logischen Linien, die nur der Fels vorgibt. Ist Freude daran, wilde Felslandschaften zu erleben und möglichst spurlos wieder zu verlassen. Es ist eine Auszeit von der Zivilisation, wo immer alles verfügbar sein muss, und ein Eintauchen in die Echtheit scheinbar unberührter Natur – nichts weist einem den Weg, nur wenige Spuren erinnern an den Alltag.

Der Führerautor und Schweizer Clean-Kletter-Guru Silvan Schüpbach drückt es so aus: „Es ist absolut faszinierend, wenn sich beim Sportklettern an scheinbar glatter Wand genau die nötigen Griffe finden, die es braucht, um eine Linie kletterbar zu machen. Was für ein Wunder! Diese Begeisterung potenziert sich noch, wenn zusätzlich genau die Strukturen vorhanden sind, die es zum soliden Absichern der Route ohne Bohrhaken braucht.“

Ein Spiel, viele Spielarten

Wie beim Klettern an fixen Sicherungen gibt es auch beim Klettern „an Gear“ ganz verschiedene Spielarten. Zwar verbindet man mit „Clean“ oder „Trad“ im Alpenraum meist abenteuerliche Mehrseillängenrouten, es gibt aber auch Clean-Klettergärten und lange Routen, in denen der Fokus voll und ganz auf den Schwierigkeiten und den Moves liegt, nicht auf dem Erreichen eines Gipfels oder dem Durchsteigen einer großen alpinen Wand. Also Sportklettern mit Rotpunkt-Ambitionen, nur ohne Bohrhaken, aber dennoch gut absicherbar. Und dann wären da noch die cleanen Routen, die komplex oder nur sehr spärlich abzusichern sind und schon auf wenigen Metern ein ordentliches Abenteuer bieten können.

Trad-Klettern, clean climbing in der Schweiz
Silvan Schüpbach
Tradklettern am Grimselpass

Grün ist das neue Rot

Eine weitere Spielart ist das sogenannte „Greenpointing“, welches auf den ersten Blick etwas befremdlich anmuten mag. Das Spiel geht so: Klettere eine eingebohrte Route, ohne die Bohrhaken zu benutzen. Richtig gelesen: Ohne die Bohrhaken zu benutzen. Und als ob das nicht schon genug wäre, kommt noch hinzu, dass bei einer echten Grünpunktbegehung alle Sicherungsmittel im Vorstieg gelegt werden.

Und warum macht man das überhaupt, das Grünpunkten? Warum Bohrhaken nicht klippen, wenn sie schon da sind? Warum das gemüt-liche Einhängen der Bolts und das Gefühl der Sicherheit gegen das zeitaufwendigere Gefummel, gefolgt von oft weniger guten Gefühlen, eintauschen? Die Gründe sind mannigfaltig. Folgende Typen von Grünpunkt-Kletternden lassen sich, natürlich nach hochwissenschaftlicher Analyse, abgrenzen:

• Da gibt es diejenigen, die einfach gerne mit Friends und Keilen hantieren und daran fast mehr Spaß haben als am eigentlichen Klettern – die nerdigen Technik-Aficionados.

• Es kann vorkommen, dass man in einem Gebiet klettert, in dem alles viel zu leicht ist und Langeweile droht. Greenpointen kann hier Abhilfe schaffen und bringt Pep in Routen, die weit unter der eigenen Leistungsgrenze liegen – die physisch Unterforderten.

• Und dann macht es natürlich das Puzzle einer Kletterroute deutlich komplexer, wenn man sich genau überlegen muss, wo zuverlässige Sicherungen gelegt werden können – die kopflastigen Knobelfans.

• Schließlich gibt es Leute, die greenpointen, um für Routen gewappnet zu sein, in denen es schlicht gar keine Bohrhaken gibt – quasi Clean-Klettern mit Bohrhaken-Backup. Beim Greenpointen trainieren diese Kletterer ihr Auge für Absicherungsmöglichkeiten, den Umgang mit ihren Gerätschaften und, je nach Güte der Placements, last but not least ihre Moral – die nach Größerem strebenden Alpinisten oder aber Clean-Climbing-Einsteiger.

• Und dann sind da noch die Highend-Leistungssportler, die sich in der Welt des Sportkletterns, in der Grade alles sind, irgendwie abgehängt fühlen. Wenn es für 9c rotpunkt nicht reicht, dann eben 9a grünpunkt – die Nicht-Weltklasse-Spitzenkletternden. Die Liste könnte fort-geführt werden: die lebensmüden Draufgänger (die kompakte Platten grünpunkten), die militanten Bohrhaken-Abflexer, die der Leistungsgesellschaft abschwörenden Kletter-Hippies …

Trad-Klettern, clean climbing in der Schweiz
Silvan Schüpbach
Nachsteigen an der Teufelstalwand.

Vertical Freeriding

Eine ideale Übungsmethode gefällig? Wie wäre es mit „Vertical Freeriding“? So bezeichnen wir eine freie Art des Kletterns in einfacherem, gut strukturiertem Gelände ohne „offizielle“ Routen. Hier geht es weder um Gipfel noch um sportliche Aspekte. Im Vordergrund steht der Spaß am mobilen Absichern, die damit verbundene Erfahrung und ein spielerisches Erkunden. Wichtig ist dabei, dass man sich in Schwierigkeiten weit unter dem eigenen Kletterkönnen bewegt und es möglichst unendlich viele Strukturen zum Legen der Sicherungen gibt. Zudem sollte es natürlich Aus- und Abstiegsmöglichkeiten geben, um ohne Materialverlust gesund wieder vom Fels runterzukommen.

Also zum Teufel mit den Bohrhaken?

Sollte ab jetzt also nichts mehr eingebohrt werden und das Klettern an Bolts offiziell zur Todsünde erklärt werden? Nein danke, wir wollen nicht übertreiben. Bohrhaken haben unzähligen Menschen den Weg in die Vertikale geebnet, weil man eben nicht um Leib und Leben fürchten muss. Aber ein Appell sei angesichts der mancherorts gängigen Bohrhaken-Exzesse dennoch ans Klettervolk gerichtet: Zuviel vom Gleichen, und sei es noch so schön, verursacht Langeweile oder gar Abstumpfung. Monokulturen sind eben nicht nur ökologisch bedenklich. Auch den Klettersport machen sie monoton.

Noch haben wir eine geniale Vielfalt an Erlebnismöglichkeiten: Clean / Trad, Aid, Sport, Plaisir und Mischformen. Eben ein Spiel mit vielen verschiedenen Spielarten. Das Bewusstsein für den Wert dieser Vielfalt ist zu wenig verankert. Wie oft findet sich neben einem perfekten Riss eine Reihe Bohrhaken? Schade! Selbst wenn es sich um einen Klettergarten handelt: Warum nicht die ein, zwei Routen, die sich zum „Selber-Legen“ eignen, belassen und damit ein Stück Vielfalt erhalten? Ein kleines Stück vertikale Wildnis oder zumindest alternativer Kletterkultur für alle, die das erleben möchten.

Abschließend sei gesagt, dass es sich beim Clean-Klettern mit all seinen Spielformen um berechtigte und spannende Spielarten des Kletterns handelt, für die es viele gute und ein paar schlechte Gründe gibt. Und ganz wichtig: Bei Unsicherheiten oder gar Unabsicherbarkeiten ist nichts so doof wie falscher Stolz! Ein geklippter Bohrhaken zwischendurch oder ein Rückzug im rechgten Moment zeugen hier von Intelligenz und Umsicht. Viel Spaß!

Tipps zum Einstieg ins Clean-Climbing (MSL)

Teufelstalwand

Steil und rissig ragt die Wand aus dem Teufelstal empor und ist zweifellos eine der besten Granitwände der Schweiz. Florina (7c), Laura (7a) und Eternal Crack (7a) sind fast durchgehend cleane Routen, die sich bestens selbst absichern lassen. Risskletterkenntnisse sind hier sicher von Vorteil. Wer das Anbringen von Keilen und Friends üben will, findet in der Route Zeichen der Freundschaft (6b+) ideales Gelände. Die Bewertungen variieren stark: So ist etwa Alpentraum (7a) eher einfacher als angegeben, während einem in Laura und Florina nichts geschenkt wird. Aufgrund der Steilheit, Länge sowie Zu- und Abstieg ist die Wand nicht zu unterschätzen. Achtung: Das Gebiet liegt in einer Wildruhezone, deshalb ist das Klettern vom 1.12. bis 30.4. verboten!

Tradklettern in der Schweiz
Silvan Schüpbach
Steil und ausgesetzt: die Route Laura und Florina hoch über dem Teufelstal.

Gestein: Granit

Absicherung: Mehrheitlich cleane Routen mit gebohrten Ständen.

Ideale Kletterzeit / Saison: Sommer, Herbst. Je später im Jahr, desto weniger Sonne im unteren Wandteil. Sehr sonnige Wand, genügend Wasser mitnehmen!

Talort / Ausgangspunkt: Andermatt, Haltestelle Nätschen oder Teufelsbrücke/Schöllenenschlucht

Routen: 7 Routen von 6b+ (6a+ obl.) bis 7c, Routenlängen bis 330 m, bis 10 Seillängen.

Zervreilahorn

Die Zervreila ist in der Valser Mythologie die Göttin der Ästhetik. Bei einer Zusammenkunft des alljährlichen Göttinnenrats im Valsertal nahm die Tragödie ihren Lauf: Zervreila trank zu viel des himmlischen Weins, stürzte und schlug mit dem Kopf auf einem Felsen auf. Eine massive Beule brandmarkt seither ihre Stirn, eine Beule von übernatürlicher Schönheit – das Zervreilahorn.

All das ist natürlich schlichtweg erfunden, jedoch ist es so weit nicht hergeholt. Viel markanter und betörender kann eine Felsbastion wohl kaum sein. Wir sprechen hier vom „Bündner Matterhorn“, was jedoch zum Glück nur vom Anblick während des Zustiegs herrührt. Felsmässig ist es eher der El Capitan in „gneisig-rau“, mit dem wir es zu tun haben.

Dass die Wandhöhe 300 Meter nicht groß übersteigt, kann man ja nach vorangegangener Lügengeschichte getrost auch noch unter den Teppich kehren. Der Fels jedenfalls ist verboten gut. Wer es hier schafft, einen Griff auszubrechen, darf ihn guten Gewissens behalten! Jede der Routen ist ein absoluter Edelstein. Wer anders denkt, dem ist nicht mehr zu helfen.

Alle Linien erfordern mobile Sicherungsmittel, manche mehr (Atacama (6b), Lord of Camalot (7a+), Con todo guerrero (6c), Kleopatra (6a+)), andere weniger (Nanouk (7a+), Medea (6c)). Bedient wird eher der versierte Kletterer, denn wirklich leicht ist hier oben nichts. Die Routen sind meist clever eingerichtet. Wo man mangels Absicherbarkeit Kopf und Kragen riskieren müsste, steckt in der Regel ein Bolt. Was absicherbar ist, fordert dann weitgehend Eigeninitiative. Und das ist auch gut so.

Trad-Klettern, clean climbing in der Schweiz
Tim Marklowski
Der Autor im Granit von Oceano Naranjo am Zervreilahorn

Gestein: Gneis

Absicherung: Der Klettergarten am Wandfuss ist komplett eingebohrt, bietet aber einige schöne Risse, welche sich mobil absichern lassen. Die Mehrseillängenrouten sind sparsam und mit gutem Material eingerichtet.

Ideale Kletterzeit / Saison: Frühsommer und Herbst

Talort / Ausgangspunkt: Vals, Postautohaltestelle Vals / Zervreila

Routen: 14 Routen von 5c+ bis 7a+, mit Längen bis 300 m, bis 10 Seillängen.

Untertal

Das geniale Gebiet für die ersten Schritte im Clean-Klettern mit kurzen, eher einfachen Mehrseillängenrouten, in denen die Zwischensicherungen selbst gelegt werden müssen. Die Stände sind hingegen mit hochwertigem Material ausgestattet. Eine spektakuläre Aussicht auf die vergletscherten Berge, ein kurzer Zustieg und wunderbar strukturierter Gneis sorgen für einen einen tollen Klettertag. Im Gegensatz zum Granit findet man hier viel mehr Griffe und Tritte. Dafür sind die Placements für Keile und Cams etwas weniger offensichtlich.

2018 wurde das verwahrloste Gebiet von Rostgurken und zerfetzten Schlingen befreit und für das Clean-Klettern neu eingerichtet. Der perfekte Fels und die moderaten Schwierigkeiten machen Untertal zu einem genialen Ort für Anfänger. Da keine Infos über die bisherigen Routen ausfindig gemacht werden konnten, gibt es hier statt Routennamen nur Nummern.

Tradklettern in der Schweiz
Silvan Schüpbach
Der Autor im perfekten Übungsfels fürs Clean Climbing in Untertal

Gestein: Gneis

Ideale Kletterzeit / Saison: Sommer und Herbst

Talort / Ausgangspunkt: Gadmen / Meiental, Sustenpass, Steingletscher

Routen: 5 Routen von 5a bis 6a+ mit bis zu 100 m (4 SL) Länge. Im rechten Wandteil bietet der rund 80 m hohe Fels viel Platz fürs „Vertical Freeriding“.

Kletterführer: C(H)lean! – Tradklettern in der Schweiz

Trad-Klettern, clean climbing in der Schweiz
SAC

Der neue Kletterführer von Mountain Wilderness Schweiz und dem Schweizer Alpen-Club (SAC) stellt 64 Gebiete vor, in denen das Klettern mit Friends, Keilen und Co. erlernt und angewendet werden kann. Die Auswahl reicht von Granit bis Kalk und vom eingebohrten Klettergarten bis zur hochalpinen Trad-Route. Enthalten sind außerdem viele Hintergrundinfos sowie Tipps und Tricks zum Umgang mit mobilen Sicherungsmitteln.

Weitere Infos zum Thema Klettern und Umwelt sowie speziell zum Clean-Climbing in der Schweiz gibt es unter:

www.mountainwilderness.ch oder www.keepwildclimbs.ch