Trainingsprinzipien und ihre Relevanz fürs Klettertraining
Selbst wenn wir uns in der Kletterhalle brutal anstrengen und komplett auspowern, heißt das nicht, dass wir den unbedingt den optimalen Trainingseffekt erzielen. Auch beim Planen des Trainings kann einiges schief gehen: Ob zu hoher Umfang, falsche Wiederholungszahl oder gar die falsche Übung: Es gibt nicht umsonst Trainer und Coaches, die viel Mühe darauf verwenden, den richtigen Trainingsreiz zu finden. Doch nicht verzagen: Die hier erläuterten allgemeinen Trainingsprinzipien helfen euch dabei, die richtige Einschätzung zu treffen und euer Klettertraining sinnvoll zu planen. Selbst wenn du nicht vorhast, einen detaillierten Trainingsplan auszuarbeiten: Das Wissen um die hier vorgestellten Trainingsprinzipien wird dir helfen, auch bei relativ unstrukturiertem Training die richtigen Entscheidungen zu fällen.
Beim Training ist es entscheidend, die richtige Belastung zu finden. Die hier vorgestellten Trainingsprinzipien helfen dabei, das fürs Klettertraining optimale Maß zu finden. Um zu wissen, wo man steht und das eigene Training zu planen, ist zu Beginn ein Leistungstest hilfreich. Wenn man einmal etabliert hat, wo man steht und was das persönliche Maximum darstellt, dann lässt sich anhand dieser persönlichen Marke ableiten, wie das Workout gestaltet werden muss, um wirksam zu sein.
Übrigens: Von Training kann jeder profitieren, egal in welcher Situation oder auf welchem Leistungsstand. Tatsächlich erleben Untrainierte beim Umsetzen einem systematischen Training erst einmal einen stärkeren Leistungszuwachs als bereits Trainierte – doch es gibt auf jedem Level etwas zu verbessern.
Prinzip des trainingswirksamen Reizes
Der Trainingsreiz muss so gewählt werden, dass er die gewünschte Anpassung hervorruft. Dabei muss das Verhältnis stimmen: Unterforderung bringt nichts, Überforderung birgt Verletzungsrisiken und die Gefahr des Übertrainings. Der Reiz muss stark genug sein, um eine Anpassungsreaktion auszulösen – so stark wie nötig, so niedrig wie möglich heißt die Devise.
Des weiteren müssen Intensität (wie schwer eine Übung ist) und Umfang (wie oft ich trainiere und mit wievielen Wiederholungen und Sätzen) aufs Trainingsziel hin abgestimmt werden. Möchte man Kraft aufbauen, muss der Trainingsreiz relativ intensiv sein, wir erlauben dem Körper aber dafür eine längere Erholungszeit. Möchte man die Ausdauer verbessern, darf der Reiz niedriger sein, sollte aber bei kürzeren Pausen öfter wiederholt werden. Wie intensiv und wie oft der Reiz optimalerweise gesetzt wird, hängt von weiteren individuellen Faktoren ab, z.B. von der allgemeinen Grundverfassung sowie dem Trainingsstand.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Campusboard, Fingertraining und sonstige Übungen müssen ans individuelle Level und das Trainingsziel hin angepasst sein. Erfolge beim Training können schlicht ausbleiben, wenn der Reiz eine gewisse Schwelle nicht überschreitet. Im anderen Extrem, bei zu starkem Reiz, ist das Verletzungsrisiko hoch, weil der Körper überlastet wird. Daher ist es sinnvoll, immer mit dem niedrigsten Reiz zu arbeiten, der eine Anpassung erzielt. Apropos Campusboard: Die Klettertrainerin und Fingerkraftspezialistin Eva Lopez empfiehlt Campusboard-Training erst, wenn man entweder 10- klettern oder 7B+ bouldern kann.
Prinzip der Individualisierung und Altersgemäßheit
Die Trainingsreize müssen so gestaltet sein, dass sie der jeweiligen individuellen Belastbarkeit, Akzeptanz und Bedürfnislage einer Person entsprechen. Dies umfasst die Beachtung der individuellen Trainingsziele genauso wie den jeweiligen Gesundheitszustand, Alter oder Verletzungshistorie, und natürlich auch Trainingserfahrung und Trainingszustand. Psychologische Aspekte wie Motivation spielen natürlich ebenso eine Rolle.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Das Training muss für eine Person zugeschneidert sein. Es ist sinnlos, vier Trainingseinheiten pro Woche zu planen, wenn man realistisch nur für zwei Sessions Zeit und Energie hat. Nach einer Verletzung muss man anders ans Training herangehen als jemand, der gesund und voll belastbar ist. Auch Erholungszeiten variieren zwischen Personen stark, diese sind aber von grundlegender Bedeutung für die Wirksamkeit des Trainings. Kinder und Jugendliche sollten vor dem Ende der Wachstumsphase kein Campustraining betreiben und das Aufstellen an kleinen Griffen vermeiden, damit die noch wachsenden Finger keine Schäden davon tragen (Details erklärt Dr. Chris Lutter in diesem Interview). Bei Nichtbeachten besteht die Gefahr der Über- oder Unterforderung. Außerdem besteht das Risiko, dass die trainierende Person die Lust verliert, weil keine Erfolge die Motivation stützen und keine Aussicht auf Erfolgserlebnisse besteht. Grundsätzlich sollte der Trainingsplanung eine individuelle Bestandsaufnahme vorausgehen, die Möglichkeiten, Ziele und (Trainings-)Mittel einer Person zugrunde legt. Die individuelle Situation ist maßgeblich, um den korrekten Trainingsreiz zu bestimmen.
Prinzip optimalen Gestaltung von Belastung und Erholung
Nach einem Trainingsreiz benötigt der Körper Zeit, um zu regnerieren und sich anzupassen. Während dieser Regeneration werden wir also de facto stärker. Der Körper pass sich an, in dem er etwas mehr Reserven anlegt, als für den erhaltenen Reiz nötig sind – dies nennt man Superkompensation. Folgt in der Superkompensationsphase kein weiterer Trainingsreiz, baut der Körper diese allerdings wieder ab. Die Schwierigkeit liegt also darin, genügend Zeit zur Erholung und dem Aufbau der Superkompensation zu erlauben, aber nicht zuviel Zeit verstreichen zu lassen, um den nächsten Reiz innerhalb des Zeitfensters der Superkompensation zu setzen.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Wer den Belastungsreiz zu gering wählt, wird keine Anpassung über das Ursprungsniveau erreichen (=keine deutliche Verbesserung). Ein zu hoher Reiz kann das Gewebe überlasten, das Verletzungsrisiko steigt. Auch wer zu früh wieder trainiert, behindert die Erholung und damit die Anpassung auf ein höheres Niveau; wer zu spät wieder trainiert, kann nicht mehr von der Superkompensation profitieren, sondern fängt sozusagen von vorne an. Das Prinzip gilt auch in größerem Rahmen: Wenn man einen Trainingsphase vollendet hat (zum Beispiel in 6-wöchiges Aufbauprogramm oder eine 4-wöchige Maximalkraftphase), dann sollte danach eine sogenannte Deload-Woche folgen, also eine Art Verschnaufpause. In dieser Woche halbiert man den Umfang oder macht gar komplett Pause, um danach wieder fit und gestärkt in den nächsten Zyklus zu starten.
Prinzip der progressiven Belastungssteigerung
Wenn man immer das gleiche Programm fährt, wird man irgendwann nicht mehr besser. Der Körper gewöhnt sich an das geforderte Level. Dann löst der gleiche Reiz keine Anpassungsreaktion mehr aus, der Trainingsreiz ist zu gering geworden. Deshalb sollte man die absolute Belastung in den Trainingsphasen schrittweise steigern.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Deshalb werden wir nicht besser, wenn wir immer nur klettern und dabei grob immer das gleiche machen. Wer schwerer klettern will, muss dem Körper zeigen, welche Leistungen von ihm gefragt werden. Natürlich schrittweise, um ihn nicht zu überfordern, aber regelmäßig, damit der Körper sich anpasst. Zum Beispiel erst einmal wöchentlich, dann bei jeder Klettersession in eine Route im nächsten Grad einsteigen. Oder alle paar Wochen einen Klimmzug mehr pro Satz einbauen, oder mit steigendem Zusatzgewicht arbeiten.
In den Sportwissenschaften sieht man folgende Reihenfolge an Steigerungsmöglichkeiten als sinnvoll an: Erhöhung der Trainingshäufigkeit (mehr Einheiten pro Woche), Erhöhung des Trainingsumfangs innerhalb der Trainingseinheit, Verkürzung der Pausen, Erhöhung der Trainingsintensität. Zu bedenken ist, dass wenn man dies durchdekliniert, zusammen mit einer gesteigerten Trainingsintensität dann wieder eine Entspannung in den anderen Aspekten möglich wird: Wer härter trainiert, darf (und sollte) dann wieder mehr Ruhetage einplanen.
Prinzip der Belastungsvariation
Nachdem Progression nicht immer möglich oder wünschenswert ist, kommt mit der Belastungsvariation ein anderes wichtiges Prinzip zum Tragen, um das Training effektiv zu halten. Dabei verhindert man eine zu starke Gewöhnung des Körpers an den Trainingsreiz, indem man ihn regelmäßig ändert.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Eine gute Faustregel ist, alle vier Wochen eine Änderung vorzunehmen. Das kann eine andere Übung oder Variation einer Übung sein, ein anderer Schwerpunkt fürs Training oder kürzere Pausenzeiten – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Man sollte nur achtgeben, dass man es sich nicht deutlich leichter macht als zuvor: Dann droht Leistungsabbau. Eine weitere mögliche Änderung der Belastungskomponenten könnte auch ein phasenweiser Wechsel vom Bouldern zum Seilklettern sein, oder anders herum.
Prinzip von Wiederholung und Kontinuität
Regelmäßiges Training ist notwendig, damit der Organismus eine Reihe von Umstellungen vornimmt; im Stoffwechsel, im Kreislauf, in der Muskulatur, im Gelenk-Apparat. Nur dann kann eine stabile Anpassung erreicht werden.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Spezielle Trainingsreize müssen wiederholt gesetzt werden. Einmal im Quartal Klimmzüge zu machen, bringt nichts. Anpassungen im Stoffwechsel und enzymatische Umstellungsvorgänge vollziehen sich dabei relativ schnell (zwei bis drei Wochen). IK-Training, das auf die Ansteuerung im Muskel abzielt, erwirkt schon nach rund vier Wochen einen spürbaren Effekt. Für strukturelle Änderungen erfordern längere Zeitspannen (mindestens vier bis sechs Wochen). Hypertrophie-Training, das auf lokales Muskelwachstum abzielt, erfordert rund 12 bis 15 Einheiten, damit das Ergebnis spürbar ist. Die Strukturen des Zentralnervensystems benötigen die längste Anpassungszeit (Monate). Nicht ganz unwichtig ist auch die Widerstandsfähigkeit der passiven Strukturen, also Sehnen und Gelenke, die bei regelmäßiger Belastung stärker und resistenter werden als bei unregelmäßiger.
Prinzip der Periodisierung und Zyklisierung
Insbesondere im Leistungssport ergibt sich die Tatsache, dass ein Sportler nicht ganzjährig im Hochleistungszustand sein kann, da er sich damit im Grenzbereich seiner individuellen Belastbarkeit befindet. Deshalb ist eine Aufteilung des Trainingsjahres in verschiedene, systematische Schwerpunktphasen sinnvoll (Makrozyklen). Diese wiederum sind unterteilt in Mesozyklen von sechs bis sieben Wochen, die jeweils auch eine Erholungsphase umfassen.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Es ist nicht sinnvoll oder auch möglich, das ganze Jahr hindurch auf Topniveau zu performen oder ohne Pause zu trainieren. Bei Nichtbeachtung droht Übertraining (=Leistungsabbau durch zu starke Belastung) und auch ein gesteigertes Verletzungsrisiko, weil der Körper keine Möglichkeit erhält, geschwächte Systeme zu reparieren. Wer einfach "nur klettert", sollte trotzdem mindestens ein bis zweimal jährlich eine Erholungsphase von einigen Wochen einbauen. Wer strukturiert trainiert, plant bei periodisiertem Training nach der Leistungsphase konkrete Deload-Phasen ein. Wer nach Köstermeyers nichtlinearer Periodisierung verfährt, sollte ebenfalls pro Mesozyklus eine Erholungsphase einlegen, außerdem plant er 1-2 Regenerationszyklen pro Jahr. (Nachlesen: im Buch Peak Performance oder in der Fotostrecke)
Verlauf der Leistungsentwicklung
Mit zunehmender Leistungsfähigkeit wird trotz eines größeren Trainingsaufwandes der Leistungszuwachs immer geringer. Die besten Fortschritte macht naturgemäß ein Einsteiger, der mit verhältnismäßig wenig Aufwand relativ gute Ergebnisse erzielen kann. Wer schon sehr gut trainiert ist, muss sehr viel tun, um sich weiter zu steigern.
Was heißt das fürs Klettertraining?
Vom fünften in den sechsten Schwierigkeitsgrad kommt man mit verhältnismäßig wenig Trainingsaufwand. Um vom achten in den neunten Schwierigkeitsgrad zu gelangen, muss man deutlich mehr trainieren. Dieses Phänomen ist unter anderem dafür verantwortlich, dass viele Sportler irgendwann ein Leistungsplateau erreichen. Um dieses mit Erfolg zu verlassen, ist meist ein überdurchschnittlicher Aufwand nötig, der für manchen Freizeitsportler zeitlich schwer zu leisten ist. Ein Ansatz wäre, mit der Belastungsvariation zu experimentieren. Praktischerweise ist dies beim Klettern mit seinen vielen Ausprägungen und Unterdisziplinen nicht schwer.
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