Die Entwicklung hochleistungsfähiger Kunststoffe gehört zu den großen Errungenschaften im letzten Jahrhundert und ist einer Gründe für unseren Wohlstand. Doch die Herstellung verbraucht wertvolles Rohöl und viel Energie, unvorstellbar große Mengen an Plastikmüll landen auf Deponien oder im Meer – laut Umweltbundesamt wachsen allein die im Wasser treibenden Abfallteppiche jährlich um rund 10 Millionen Tonnen.
Weltweit liegt die Recycelquote laut einer aktuellen OECD-Studie aber nur bei neun Prozent. Somit spricht viel dafür, Outdoor-Ausrüstung verstärkt aus Recycelmaterialien herzustellen, schließlich besteht sie größtenteils aus Kunstfasern. Neu ist die Idee der Wiederverwertung indes nicht. Weil der Müll in der Antike kaum Glas und Metall enthielt, gehen Forscher wie die renommierte österreichische Archäologin Sabine Ladstätter davon aus, dass die Menschen damals schon die wertvollen Materialien sammelten und neu einschmolzen.
Viele Herausforderungen beim Recycling
Schon im Mittelalter tüftelten findige Köpfe daran, das teure und rare Papyrus mehrfach nutzen zu können. Auch in den Nachkriegsjahren spielte Recycling eine wichtige Rolle. Doch aufgrund des Wirtschaftswunders mit seiner Flut an immer preiswerteren Produkten verlor das Thema ab den 1960ern schnell an Bedeutung. Erst die in den 80er Jahren wachsende Umweltbewegung rückte es wieder stärker in den Fokus, die Abfallverwertung beschränkte sich jedoch vor allem auf Glas, Papier und Kunststoffverpackungen. Die erste Jacke aus Recycelfleece kam 1993 auf den Markt – ein Ergebnis der Zusammenarbeit von Fleeceerfinder Polartec und Patagonia.
Ein Jahr später startete Vaude das Ecolog-Projekt, ein System zur Rücknahme und Wiederverwertung von Outdoor-Ausrüstung. Zum Konzept gehörte auch die Entwicklung einfach recycelbarer Kleidung, die nur aus Polyester bestand. Einer, der damals eine Ecolog-Dreilagenjacke kaufte, war der spätere outdoor-Ausrüstungsredakteur Boris Gnielka. Das Modell funktionierte so gut, dass er unter einem seiner Fotos von damals vermerkte, die Atmungsaktivität sei erfreulich hoch. Allgemein muss die Zufriedenheit und Lebensdauer hoch gewesen sein – es kam jedenfalls nicht genügend Material zur Wiederverwertung zusammen, und so stellte Vaude das Projekt wieder ein.
Rund zwei Jahrzehnte köchelte das Thema auf Sparflamme. Laut einer Statistik des Umweltbundesamtes verarbeitete der Sektor Haushaltswaren, Sport und Freizeit gerade einmal 0,6 Prozent der in Deutschland 2017 eingesetzten Recycelkunststoffe – Spitzenreiter: die Baustoffbranche mit 42,9 Prozent. Doch mittlerweile haben viele Outdoor-Hersteller das Ruder herumgerissen – was allerdings nicht von heute auf morgen passieren konnte. "Wir lernten schnell: Statt Neu- einfach Recycelfasern verwenden funktioniert nicht immer. Wir müssen jedes Produkt testen und bei Bedarf überarbeiten, damit es leistungsfähig und langlebig bleibt", sagt Brad Boren, der Nachhaltigkeits- und Innovations-Chef von Norrøna.
Der Textilingenieur arbeitet seit mehr als 30 Jahren in der Sport- und Outdoor-Branche und zählt zu den erfahrensten Köpfen. Heute liegt der Anteil an wiederverwerteten Materialien im Programm der norwegischen Marke bei über 80 Prozent, neben Polyesterstoffen gibt es mittlerweile auch viele aus Nylon, die aus alten Teppichen und Fischernetzen hergestellt wurden. Mit dieser Quote gehört Norrøna zusammen mit Patagonia zu den Spitzenreitern unter den Outdoor-Herstellern. Manchmal benötigt man allerdings einen Anteil an Neufasern, im Fachjargon Virgin Fibres genannt (jungfräuliche Fasern), um die Farbechtheit oder die Atmungsaktivität zu garantieren.
Der Markt ist derzeit so dynamisch, dass sich die Materialzusammensetzungen schnell wieder ändern können. Eine weitere große Herausforderung besteht darin, dass sich nur ein kleiner Teil des weltweiten Plastikmülls für leistungsfähige Outdoor-Ausrüstung nutzen lässt. »Wir verwenden derzeit nur PET-Flaschen als Ausgangsbasis für Polyesterfasern, weil mit minderwertigem Plastikabfall die Langlebigkeit und Isolation nicht unseren hohen Standards entsprechen«, erklärt Florian Schneiderbanger von Primaloft.
Der Marktführer in Sachen Kunstfaserfüllungen im Outdoor-Segment beliefert die wichtigsten Marken, zum Beispiel Adidas, Vaude, Schöffel, La Sportiva oder Norrøna. Im Jahr 2021 konnte Primaloft durch den Einsatz von fast 90 Prozent Recycelanstelle von Neufasern 66 Prozent Energie und 6400 Tonnen CO2 einsparen. Zum Vergleich: Ein Bundesbürger verursacht jährlich im Schnitt 7,8 Tonnen des klimaschädlichen Gases. Dafür wurden fast 154 Millionen PET-Flaschen aufbereitet. Ihr Kunststoff ist hochwertig, weil für ihn strenge Lebensmittelstandards zählen. Das liegt an den chemischen Grundbausteinen, den sogenannten Polymeren. Je nach Zusammensetzung der Polymere gibt es spezifische Eigenschaften – was uns höchst leistungsfähige Kunststoffe beschert, aber auch deren Wiederaufbereitung erschwert. Denn derzeit werden Plastikabfälle geschreddert, anschließend eingeschmolzen und für die Faserherstellung in kleine Pellets gegossen, aus denen später die Fasern hergestellt werden.
Von entscheidender Bedeutung: die Abfallqualität
Die Gefahr bei diesem sogenannten mechanischen Recycling liegt darin, dass unterschiedlichste Polymere, weniger hoch- wertige Bestandteile und eventuelle Schadstoffe auch in der wiederaufbereiteten Faser stecken. Eine aufwendige, saubere Abfalltrennung, gründliche Reinigung und Qualitätskontrolle gehören somit zu den Grundvoraussetzungen, bei Billigangeboten vom Wühltisch sollte man vorsichtig sein. Zusätzlich Sicherheit geben Labels wie Bluesign und Ökotex, die Materialien auf Schadstoffe prüfen. Die Zukunft gehört allerdings dem chemischen Recycling. Dabei werden Kunststoffe in großen Chemiewerken in ihre Polymere zerlegt und je nach Bedarf wieder neu zusammengesetzt.
So lassen sich auch Mischgewebe aufbereiten – was derzeit kaum möglich ist. Doch erste Erfolg versprechende Ansätze gibt es schon: Das Nylon der Farley-Stretchhosen von Vaude besteht zu Teilen aus chemisch aufbereiteten Altreifen. Wie viele Jahre es noch dauert, bis chemisches Recycling die Oberhand gewinnen wird, kann derzeit jedoch niemand sagen. Deshalb geht es darum, dass Outdoor-Ausrüstung – und jedes andere Produkt auch – möglichst einfach wiederverwertbar ist. Das trifft zu, wenn nur ein Materialtyp verwendet wird – so wie es Vaude schon in den 90ern mit Ecolog geplant hatte.
Bei Fleecebekleidung und Funktionswäsche könnte das schon funktionieren, bei Materialien für Regenbekleidung ist es dagegen schwieriger, denn fast jede wasserdichte, atmungsaktive Beschichtung oder Membran, die in der Regel innen auf dem Außenstoff aufgebracht ist, verunreinigt diesen bei der mechanischen Aufbereitung. Aus diesem Grund verarbeiten einige Hersteller, zum Beispiel Fjällräven, Houdini oder Puya, sogenannte Monomaterialien, bei denen neben dem Innen und Außenstoff auch die Membran aus Poly ester besteht. Außerdem benötigt man Sammelstellen für die aus gediente Bekleidung – auch daran scheitert es derzeit noch. Bis es eine funktionsfähige Kreislaufwirtschaft gibt, in der Ausrüstung ressourcenneutral hergestellt werden kann, ist es noch ein weiter Weg. Auch hier führen viele kleine Schritte zum Ziel: Derzeit arbeitet die European Outdoor Group (EOG) an einer Vereinheitlichung von Plastikverpackungen, um deren Wiederverwertung zu vereinfachen.
Langlebigkeit bleibt Trumpf
Somit gilt weiterhin: Die aktuell beste Möglichkeit, Ressourcen zu schonen, bleibt, hochwertige Produkte lange zu nutzen, zu pflegen und zu reparieren.Viele etablierte Hersteller bieten einen Wasch und Reparaturservice oder geben auf ihren Internetseiten Tipps und Anleitungen zur DIY Reparatur und Pflege. Bei Bedarf einfach beim Fachhändler oder dem Hersteller nachfragen. Und wer gut erhaltene Ausrüstung selbst nicht mehr braucht, gibt sie am besten zur direkten Nutzung weiter, im Secondhandladen oder online – die ersten OnlineHändler bieten bereits Secondhand in ihren Shops an.
Die größte Auswahl an Ausrüstung aus Recycelmaterialien findest du im Bekleidungssegment. Neben Kunstfasern lohnt es sich zudem, Naturprodukten ein zweites Leben einzuhauchen. Denn während bei der Produktion von neuer Wolle durch die Tierhaltung und den Transport jede Menge schädlicher Treibhausgase ntstehen, hat Recycelwolle eine ökologisch weiße Weste. Auch wiederaufbereitete Daune kommt verstärkt auf den Markt. Hochwertige Qualitäten können in Sachen Bauschkraft und Langlebigkeit mit sehr guter Neuware mithalten – das zeigen outdoor Langzeittests. In der Kategorie der Rucksäcke und Schlafsäcke tut sich ebenfalls enorm viel, die Hersteller Exped und Vaude bieten seit diesem Jahr Isomatten aus wiederverwerteten Materialien.
Einkaufs-Guide: Recycelte Outdoor-Neuheiten
Die Outdoor-Hersteller legen sich mächtig ins Zeug und bieten jedes Jahr mehr Ausrüstung aus Recycelmaterialien. Hier zeigen wir dir, wo gerade am meisten passiert.
Bekleidung: Ob Fleece, Baselayer, Regen- oder Kälteschutz, wer möchte, kann auf seinen Outdoor-Touren von Kopf bis Fuß Recycelmaterialien tragen. Patagonia und NorrØna verwenden mittlerweile über 80 Prozent davon in ihren Polyester- und Nylonstoffen.
Manchmal stellen allerdings nur Mischgewebe aus Neu- und Altfasern eine optimale Funktion sicher. Auch top: wiederaufbereitete Naturmaterialien wie Wolle und Daune. Sie sparen Ressourcen und fördern das Tierwohl.
Rucksäcke: Alle bedeutenden Rucksackhersteller folgen dem Trend und verarbeiten verstärkt nachhaltige Stoffe. Diese müssen sehr strapazierfähig sein, da sie stark beansprucht werden. Hier hat aus alten Teppichen und Fischernetzen hergestelltes Nylon im Vergleich zu weniger robustem Polyester die Nase vorn. Der bekannteste Markenname ist Econyl, große Hersteller wie Deuter, Osprey und Vaude verarbeiten hochwertige, nach eigenen Spezifikationen gefertigte Gewebe.
Schlafsäcke/Isomatten: Hüllen und Füllungen aus Recycelfasern sowie aufbereitete Daune: Im Schlafsacksegment gibt es eine große Bandbreite an Modellen aus nachhaltigen Materialien. Führende Hersteller sind Mountain Equipment, Rab, Marmot und Vaude.
Marktführer Primaloft bietet viele umwelt- freundliche Kunstfaserfüllungen. Die größte Auswahl an Isomatten aus Recycelmaterial findet man bei Exped, dicht gefolgt von Vaude. Beide produzieren ihre Matten klimaneutral.