Warum Langlebigkeit bei Bekleidung so wichtig ist

Interview mit Textilforscher
„Meine Softshell erfüllt seit 12 Jahren ihren Zweck!“

Outdoor-Kleidung wird immer umweltfreundlicher. Vor allem, wenn wir sie so lang wie möglich tragen, sagt der Textilforscher Kai Nebel...

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Foto: Benjamin Hahn

OUTDOOR: Sie leben am Rande der Schwäbischen Alb und fahren gern sportlich Fahrrad. Was ziehen Sie beim Radfahren wohl in zehn Jahren an?

Hoffentlich noch das Gleiche wie jetzt! Meine Softshelljacke erfüllt seit zwölf Jahren ihren Zweck. Wenn es kälter ist, ziehe ich einen Wollpullover drunter. Manchmal kommt auch eine leichte Windjacke zum Einsatz. Aber ich kaufe mir nur dann etwas, wenn ich wirklich Bedarf habe – nicht, weil eine neue Jacke vielleicht schicker ist als die alte. Das gilt auch für den Fahrradhelm.

Seit Jahrzehnten forschen Sie im Bereich Textilien, mit starkem Bezug zur Nachhaltigkeit. Entsprechend haben Sie auch Neuentwicklungen auf dem Markt im Blick.

Reizt es Sie nicht, neue Produkte auszuprobieren?

Da hat es in den letzten Jahren interessante Entwicklungen gegeben. Vor allem Funktionstextilien haben einen Sprung gemacht: Viele Produkte sind immer leichter und dünner geworden, manche Stoffe besitzen sowohl wärmende wie kühlende Eigenschaften und so weiter. Das beobachte ich aus wissenschaftlicher Sicht sehr gern. Aber wenn das, was ich besitze, für meine Zwecke reicht, kaufe ich nichts dazu.

Aus Überzeugung?

Ja. Ich kenne mich mit der globalen Textilproduktion gut aus, und da entsteht insgesamt viel zu viel. Die meisten Kleidungsstücke hierzulande hängen ungetragen im Schrank oder werden kurz nach dem Kauf entsorgt. Hinzu kommt, dass sich knapp die Hälfte aller produzierten Kleidungsstücke gar nicht erst verkauft und in der Verbrennung landet: eine Ressourcenverschwendung sondergleichen.

Schafft Textil-Recycling Abhilfe gegen Ressourcenverschwendung?

Ich habe nichts gegen Recycling, aber aktuell erschweren die Rahmenbedingungen es. Es werden ja so gut wie keine Textilien recycelt. Wenn eine in Asien produzierte Funktionsjacke aus Kunststoff hier geschreddert und dann nach Asien geschifft wird, damit dort eine neue Jacke entsteht, die dann wieder hierher reist, funktionell aber nicht mehr ganz so gut ist wie die aus Neumaterial – hilft das der Umwelt wirklich? Eine größere Stellschraube wäre da zum einen eine verringerte Produktion und zum anderen eine aufs Maximum ausgerichtete Tragedauer.

Und wie sieht es bei Wolle aus?

Die im Outdoor-Bereich sehr geschätzte Merinowolle ist ein Naturprodukt, verbraucht aber bei Herstellung und Verarbeitung viele Ressourcen.

Bei Wolle kann sich Recycling lohnen, jedenfalls für einen Zyklus. Neben dem Ressourcenverbrauch spielt hier ihre Beliebtheit eine Rolle, die auch mit dem outdoorbedingten Merino-Boom einhergeht. Ich kann das übrigens nachvollziehen, ich liebe dieses Material auch. Für das Recycling sprechen zudem die hohe Nachfrage und die aktuell steigenden Preise für Merinowolle, die unter anderem eine Folge der Buschfeuer in Australien sind. Nur gibt es bisher hierzulande keine Recycling-Infrastruktur. Unter anderem in Italien kennen sich ein paar kleinere Firmen ganz gut damit aus. Grundsätzlich würde ich sagen, der Ansatz wäre bei uns ausbaufähig.

Green Issue Heft 04/2021: Interview Outdoor-Kleidung
Getty Images/ Jose Luis Raota / EyeEm
Bei Jeans zum beispiel kommt laut Textilexperte Nebel keine Faser an Baumwolle heran.

Es klingt, als wäre Ihnen Regionalität ein wichtiges Anliegen?

Ja, Wertschöpfung vor Ort und kurze, möglichst transparente Lieferketten halte ich für sehr wünschenswert. Um bei Wolle zu bleiben: Outdoor-Hersteller wie Ortovox oder Fjällräven haben schon begonnen, heimische Wolle zu verarbeiten. Die Schäfer hier auf der Schwäbischen Alb wären auch bereit, ihre Herden anders zu pflegen, die Wolle zu sortieren und so weiter. Meine Mitarbeiter und ich versuchen seit Jahren, die Ministerien von Bayern und Baden-Württemberg zu überzeugen, die Wollverarbeitung zu fördern. Aber das sind furchtbar träge Prozesse. Ein Problem dabei ist auch, dass Wolle laut EU-Recht aus schwer nachvollziehbaren Gründen nicht als landwirtschaftlicher nachwachsender Rohstoff gilt.

Von Wolle ist im Outdoor-Segment der Sprung zur Daune nicht weit. Was sagen Sie hier zu Recycling?

Zunächst mal halte ich Daune grundsätzlich für etwas problematischer als Wolle. Auch bei den Herkunftsbescheinigungen vieler Outdoor-Firmen, die Lebendrupf ausschließen, muss man sich im Klaren sein: Kaum eine Gans oder Ente stirbt an Altersschwäche, verwendet werden Nebenerzeugnisse der Fleischindustrie. Wenn Hersteller wie Patagonia oder Vaude die Daunen von ausrangierter Bettwäsche zur Füllung von Jacken und Westen weiterverwerten, ist das aus der Nachhaltigkeitsperspektive eine gute Sache. Aber es wurden gerade in den letzten Jahren auch hochfunktionelle Synthetikfüllungen entwickelt, die Daune fast ebenbürtig sind, sich besser waschen lassen und in deren Hintergrund kein Tierleid steht.

Synthetik-Produkte gerieten vor einigen Jahren in Verruf – wegen des Mikroplastiks, das sie bei Waschvorgängen an die Umwelt abgeben.

Was sagen Sie zu Mikroplastik in Outdoor-Produkten?

Das ist seit 30 Jahren bekannt, hat aber lange Zeit niemand interessiert. Für manche Kleidungsstücke wie Regenjacken gibt es meines Erachtens nichts Besseres als Kunststoff. Solche Jacken wäscht man eigentlich auch nicht so oft, und im Vergleich zu einer Fleece-Jacke geben sie relativ wenig Mikroplastik ab. Natürlich ist es gut, wenn man das vermeidet. Aber das Problem wurde ziemlich aufgebauscht. Der Großteil allen Mikroplastiks in der Umwelt stammt von Reifenabrieb. In Deutschland sind das im Schnitt 1230 Gramm pro Kopf im Jahr, während von Kunststoffkleidung nur 80 Gramm pro Person kommen. Um noch eine Vergleichszahl einzuwerfen: Der Abrieb von asphaltierten Sportplätzen und Kunstrasen bringt es auf 130 Gramm pro Person – obwohl viele von uns sie gar nicht nutzen.

Halten Sie auch die Diskussion um den Einsatz per- und polyfluorierter Kohlenstoffe (PFC) in Outdoor-Kleidung für aufgebauscht?

Um Himmels willen, nein! Es war höchste Zeit, dass PFC geächtet werden. Die Detox-Kampagne von Greenpeace hat zum Glück einiges bewirkt, und die meisten Outdoor-Firmen versuchen mittlerweile zu substituieren. Die Chemiezulieferindustrie bietet ja mit PFC-freien Ausrüstmitteln auch schon zahlreiche Alternativen. Meiner Meinung nach ist eine PFC-Ausrüstung bei sportlichen Hobbys völlig überflüssig. Anders sieht es bei persönlicher Schutzausrüstung aus, wenn es wie bei der Feuerwehr oder beim Technischen Hilfswerk um Leib und Leben gehen kann.

Sie haben sich vorhin bereits für Konsumreduktion und Langlebigkeit ausgesprochen. Aber haben Sie bei Kleidung für Bergtouren und Co. auch grundsätzliche Materialtipps?

Ja, aber die stehen für mich an zweiter Stelle. Sie können sich ein GOTS-zertifiziertes Ultraleicht-Merinoshirt kaufen, damit auf La Réunion wandern und es hinterher im Schrank vor sich hinvegetieren lassen. Ist das eine nachhaltige Wahl? Das regelmäßig beim Joggen undWandern getragene Finisher-Shirt vom letzten Halbmarathon, aus Synthetik, sonstwo produziert, hat im Endeffekt eine bessere Ökobilanz. Was die Bergtour betrifft: Ich bin kein Freund von Kunststoff auf der Haut. Merinowolle ziehe ich persönlich vor, auch wenn Synthetik- oder Mischfaserproduktenoch funktioneller sein mögen. Bei Wanderhose, Softshell, Regenjacke und Co. sollte man sich fragen, was man wirklich braucht – und außerdem Kleidungsstücke wählen, von denen man sich vorstellen kann, sie auch in zehn Jahren noch zu tragen.

Wir hören in der Corona-Krise oft Shopping-Appelle, weil der Textil-Einzelhandel zu leiden scheint …

Ja, das hat etwas Absurdes. Vergessen scheinen die Appelle ans »Weniger«, die es ja durchaus schon in den Medien gab. Wir brauchen einen Systemwechsel in der Textilindustrie, und es wäre schön, wenn die Menschen jetzt merken, wie gut sie mit weniger Konsum hinkommen. Die Macht der Verbraucher ist ziemlich groß, und sinkende Nachfrage führt zu verringerter Produktion, was weniger Ressourcenverbrauch bedeutet. Dass für Rohstoffe und Arbeitsleistung mehr bezahlt werden sollte, ist noch ein anderes Thema. Da wäre die Politik gefordert. Das Lieferkettengesetz von Entwicklungsminister Müller sehe ich als guten Ansatz – ich hoffe, es verkümmert nicht schon vorzeitig.

Noch mal zu den Ressourcen: Auch Färbeprozesse verbrauchen Wasser und Chemikalien. Was sagen Sie zu wassersparenden Verfahren wie Spindye?

Da ja die Fasern bereits beim Spinnprozess eingefärbt werden, ist die Flexibilität in der Farbgestaltung sehr eingeschränkt – zudem lohnt sich das nur bei großen Mengen gleicher Farbe. Der Natur wäre mehr geholfen, wenn in den asiatischen Produktionsländern nicht mehr so viel ungeklärtes Abwasser von konventionell färbenden Textilfabriken in Flüssen landen würde.

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Pittoresk anzuschauen, aber nachteilig für die Natur: Färben ohne moderne Klärprozesse.

Welche Stoffinnovationen können wir in der nahen Zukunft erwarten?

Regeneratfasern aus Cellulose wie Lyocell & Co bieten viel Potenzial – und das Angebot wächst. Durch moderne Produktionsverfahren entsteht eine vielseitige und hochfunktionelle Chemiefaser, die Baumwolle ähnelt und auch biologisch abbaubar ist, aber etwa bei Sport-Shirts viele Vorteile bietet:schnelltrocknend, geruchshemmend und mehr. Sollte ich in diesem Sommer ein neues T-Shirt brauchen, schaue ich mich in dem Bereich auch mal um.

Zur Person Kai Nebel:

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Karl Scheuring
Textilchemiker, Dipl.-Ing. (FH) Kai Nebel

Schon seit fast 30 Jahren ist Nachhaltigkeit sein Steckenpferd – Beruf und Hobby verschmelzen bei ihm miteinander. Der Textilchemiker lehrt und forscht an der Hochschule Reutlingen und leitet dort den Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit und Recycling. Ob bei Kleidung oder Nahrungsmitteln, sein Credo lautet: »Weniger Ressourcenverschwendung!«

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