Martl Jung: Gegenfrage! Wann braucht man denn Schuhe? Grundsätzlich sind unsere Füße nämlich gemacht, um barfuß zu laufen.
Viele tragen natürlich vor allem im Berufsalltag Schuhe. Das ist bei mir auch so. Für mich als Bergwanderführer gehören da einige Tourenabschnitte dazu: Im scharfkantigen Karwendel oder dem Steinernen Meer laufe ich zum Beispiel nicht ohne Schuhe. Auch beim Skifahren sind sie natürlich nötig, beim Radfahren trage ich Schuhe und im Winter, wenn Rollsplit auf den Straßen liegt – das ist eine ekelhafte Kombination.
Bereits als Junge bin ich im Sommer am liebsten barfuß gelaufen. Bei Bergtouren fing das vor etwa 20 Jahren an. Bei einer Tour in den hohen Tauern habe ich während der Pause erleichtert die Bergstiefel ausgezogen – und einfach nicht mehr angezogen. Ich wollte sehen, wie lang es barfuß geht. Und es ging erstaunlich gut. Und so wurden die Versuche größer.
Nachdem ich immer mehr Touren gemacht hatte und feststellte, dass eine Transalp ohne Schuhe sonst wohl noch niemand gemacht hatte, setzte ich mir das zum Ziel. Eine Probetour von Oberstdorf nach Meran funktionierte super, und so hab ich mit dem Alpencross-Projekt nach Verona begonnen. Ich konnte aber im Vorfeld natürlich nicht wissen, ob es wirklich klappt.
Oh, da gab es einige. Gerade bergab ist man viel langsamer unterwegs als mit Schuhen, das muss man immer im Hinterkopf behalten. Und bis ich an der Marmolata-Nordseite zum ersten Mal Eiskontakt hatte, wusste ich nicht, ob das geht auf diesem Untergrund. Ich habe dann aber schnell festgestellt, wenn das Eis etwas angetaut ist, geht das erstaunlich gut.
Haha, nein – also nicht wirklich. Natürlich ist das Vorhaben erst mal sehr ungewöhnlich. Aber sie haben den Prozess ja von Beginn an mitgekriegt, ab den ersten Barfußversuchen. Und irgendwann war das der nächst- größere Schritt. Sie haben gesehen, dass ich mich mit Bedacht gesteigert habe. Deshalb haben sie mich da total unterstützt.
Gefährliche Sachen mache ich nicht. Das Risiko einer Notsituation oder Rettungsbedarf nur wegen fehlender Schuhe ist keine Option. Oft habe ich ja Schuhe dabei, und sonst weiß ich genau, was ich tue. Risiko sollte man barfuß noch weniger eingehen als mit Bergschuhen. Etwa in Schneefeldern. Auch Geröll kann tückisch sein, denn Knöchel und Zehen sind barfuß nicht geschützt. Da muss man Schuhe dabeihaben – oder einen Plan B in der Tasche. So habe ich das auch auf der Transalp-Tour gehandhabt. Und auch Bergwachts- Mitglieder, die ich auf Touren getroffen habe, waren immer interessiert, sobald sie merken, der weiß, was er tut. Dann unterstützen sie es.
Ein bisschen verwundernd ist der Anblick für viele erst mal schon. Aber dann erfahre ich eigentlich meistens Interesse. Dass mal jemand einen blöden Spruch loslässt, passierte bisher wenn dann nur in Parkplatznähe, von Leuten – mit Verlaub – die meist wenig fachkundig wirkten. Ich freue mich über das Interesse der Leute und hoffe, dass es manchem eine Anregung ist.
Man spürt einfach viel mehr! Die Sinneswahrnehmungen über die Füße sind enorm. Die Beschaffenheit des Untergrundes, Temperaturunterschiede – man nimmt barfuß so viel mehr wahr, und das bereichert die Tour ungemein. Auch die Durchblutung wird barfüßig viel stärker angeregt, ich bin so auch im Kopf viel freier und fühle mich tatsächlich lebendiger.
Klar, man muss sich viel mehr konzentrieren und Stück für Stück daran gewöhnen. Aber barfuß wandern hat zahlreiche Vorteile.
Man knickt barfuß praktisch nicht um. Die natürliche, abgerundete Fußform balanciert das viel besser als Schuhe mit ihren Leisten. Die Schritte sind auch unregelmäßiger als mit Schuhen, das lässt keine Langeweile aufkommen, man tappt nicht so vor sich her. Außerdem aktiviert man barfuß seine Tiefenmuskulatur viel stärker, läuft durch das andere Abfedern viel knieschonender. Neben der Muskulatur werden auch Gleichgewichtssinn und Bandapparat kontinuierlich gestärkt. Und Schweiß- oder Käsefüße, wie man sie aus Wanderschuhen kennt, sind barfuß kein Problem, das Fußklima ist super.
Nein – im Gegenteil. Gerade Fußpilz wächst auf dem Nährboden von feuchten Schweißfüßen in Socken. Da sind Wander- oder Kletterschuhe die Begünstiger. Und Verletzungen holt man sich viel weniger als gedacht. Man passt bei jedem Schritt viel besser auf. In eine Scherbe bin ich mal am Strand, in eine rostige Schraube auf meinem Balkon getreten ... Nur mit dem kleinen Zeh bin ich manchmal hängen geblieben, da ist ein bisschen Gewöhnung gefragt.
Also mein höchster Berg war bisher der Ortler, der geröllige Abstieg von der Marmolata war auch schon besonders knackig. Ich möchte gerne noch auf den Großglockner, eine Route sollte barfuß möglich sein. Aber hier kommt wieder das Thema Risiko ins Spiel. Ich möchte da keine Rekorde jagen, sondern mache das für mich.
Ich empfehle, das stückweise zu steigern. Auf Almwiesen-Passagen mal zu starten und sich nicht zu überfordern. Es soll ja guttun. Für Einsteigertouren bieten sich der Mittag, der Heimgarten oder das Hörnle zwischen Allgäu und Ammergau an. Barfußpfade, wie bei mir in der Nähe, in Bad Bayersoien (südlich von München), sind ebenfalls ein super Einstieg. Und auch zu probieren, im Alltag möglichst viel barfuß unterwegs zu sein. Ich liebe es zum Beispiel, im Winter barfuß Schnee zu schippen. Und wer jetzt im Sommer mit Barfußlaufen anfängt, ist im Winter auf jeden Fall bereit dazu. Mein Motto: »Probiert es, dann g’spürt ihr es!«