Freitagnachmittag im Büro. Schrill klingeln die Telefone, die Luft wirkt abgestanden, die Uhrzeiger schleppen sich nur träge Richtung Feierabend. Nur ein Wunsch bestimmt meine Gedanken: Schnell raus hier und für ein paar Tage aus dem Alltag ausbrechen. Zum Glück steht das Fluchtfahrzeug schon bereit.
Fünf Minuten nach dem letzten Meeting öffnet sich das Tor der Tiefgarage, dann schlängelt sich der Campervan durch den Münchener Stadtverkehr. Am Laimer S-Bahnhof checkt Andrea in die fahrende Unterkunft ein, kurz darauf rollen wir in unserem Campingbus auf der A 95 nach Süden, hinein in ein Wochenende in den Alpen.
Übernachtung Nr. 1 am Kochelsee, 70 km südlich von München
Kaum eine Stunde später bestimmt der langgestreckte Kamm der Benediktenwand hinter den bauchigen Zwiebeltürmen des Klosters Benediktbeuern die Kulisse, dann endet die Fahrt am Kochelsee. Statt Zelt aufbauen heißt es jetzt: einfach ankommen.
Mit wenigen Handgriffen verwandelt sich das Aufstelldach in ein Schlafzimmer, zwei Faltstühle und ein Klapptisch bilden die Aussichtsterrasse. Während wir zuschauen, wie Blässhuhnfamilien auf dem spiegelglatten See ihre Bahnen ziehen, köcheln Spaghetti mit Gambas und Tomaten auf dem Herd. Edelpasta statt Dosenravioli, dazu ein Gläschen Rioja, und das Festmahl ist komplett.
Bald tauchen die letzten Sonnenstrahlen die Kulisse in goldenes Licht, dann lösen sich die Konturen der Landschaft in der Dunkelheit auf. Zeit, sich im Obergeschoss des Campers unter warme Decken zu kuscheln. Nachts gibt die Natur ein kolossales Schauspiel: Donner grollt, Blitze lassen die Berge und den See in elektrisch-blauem Diskolicht aufflackern, Sturzregen trommelt auf das Klappdach. Beim Zelten würde es jetzt ungemütlich. Doch statt aufzustehen und durchnässt Ablaufrinnen für die Wassermassen zu graben, lassen wir uns vom Soundtrack der Elemente wieder in den Schlaf tragen.
Morgenglück am Herzogstand
Während morgens die letzten Wolken über dem Kochelsee abregnen, erfüllt die Macchinetta unser mobiles Heim mit Kaffeeduft, die Standheizung hält die Temperatur im Innern konstant auf 22 Grad.Der Schritt vor die Tür lässt die Restmüdigkeit verfliegen: Draußen ist es 14 Grad kälter und erfrischend still. Noch verwandeln keine Motorräder die nahe Kesselbergstraße in ein dröhnendes Inferno, noch ist auch der Wanderparkplatz unterhalb des Herzogstands (1731 m) menschenleer. Auf den ersten Metern kriecht die Morgenkälte zwischen den Schulterblättern den Rücken hinab, der Wald riecht nach feuchtem Moos und Tannennadeln.
Doch allmählich reißt der Himmel auf, die ersten Fichten leuchten in der Sonne. Mit der Höhe kommt die Weite, die vergleichsweise zahmen bayerischen Berge verwandeln sich in ein hochalpines Landschaftstheater. Der fulminante Schlussakt wartet nach zwei Wanderstunden am Gipfel des Herzogstands: Im Norden leuchten die oberbayerischen Seen in der Tiefe, im Osten grünen die Benediktenwand, die Tegernseer Berge, das Rofan und der Wilde Kaiser, hinter dem Walchensee im Süden grünen die Hohen Tauern, das Karwendel und die Stubaier Gletscher, weiter westlich machen die Zugspitze, die Ammergauer und die Allgäuer Berge die Rundschau komplett.
Kein Wunder, dass die Herzöge von Bayern am Herzogstand schon im 16. Jahrhundert Gämsen jagten und den bis dahin Farchenberg genannten Gipfel adelten. Im 19. Jahrhundert ließ Ludwig II. den Vorläufer des heutigen Berggasthauses errichten, doch Einsamkeit spüren hier heutzutage nur Frühaufsteher.
Wenn um neun Uhr die ersten Touristen mit der Herzogstandbahn hinaufschweben, wird es Zeit, abzusteigen. Erfrischung im Walchensee Auf der kurzen Fahrt zum Walchensee zeigt das Außenthermometer 28 Grad. Verlockend glitzert das türkisgrüne Wasser zwischen dunklen Wäldern, Bikini und Badehose liegen schon im Heckschrank des Vans bereit.
Der Temperaturtest mit dem großen Zeh gibt grünes Licht, doch kaum erreicht das Wasser den Bauchnabel, kreischen im Körper die Alarmsysteme – trotz der gleißenden Mittagssonne ist der See im Juni noch 16 Grad kalt. Auf einen spitzen Schrei und das beherzte Abtauchen folgt tiefe Entspannung. Der Schweiß der Bergtour bleibt im See, wir fahren erfrischt weiter.
Zehn Kilometer südlich des Walchensees beginnt die zwölf Kilometer lange Mautstraße durch das Isartal. Hier spielt der nur knapp fünf Meter lange Camper einen weiteren Trumpf aus: Mit einem klobigen Wohnmobil hieße es hier genau Maß nehmen, um Schäden an Außenspiegeln und Kratzer zu vermeiden.
Campen & Mountainbiken im Karwendel
Zwar bietet unser rollendes Eigenheim weder Dusche noch Breitwandfernseher, doch statt nerviger Manöver genießen wir auf dem Roadtrip unbeschwerten Fahrspaß. Ein Hauch von Kanada Eisblau strömt die Isar entlang der Straße zwischen grauen Kiesbänken hindurch, das Ufer säumen Weiden, Erlen und Totholz, das der Fluss aus dem Karwendel nach hier geschleppt hat.
Kurz vor Vorderriß gewähren die breiten Schwemmbänke des Rißbachs ungehinderten Weitblick hinein ins Karwendel. Unberührte Tannenwälder erstrecken sich schier endlos in die Tiefe, erst die Felswände des 2419 Meter hohen Risser Falk halten den Blick auf – Westkanada- Feeling in Oberbayern.
Wir steigen von vier auf zwei Räder um, kräftiger Wind schiebt uns auf den Sätteln der Mountainbikes durch eine Landschaft wie aus einem Heimatfilm. Auf 1080 Höhenmetern wird der Talgrund plötzlich flach wie ein Brotzeitbrett. Über 2400 Bergahorne fangen im Großen Ahornboden im Karwendel das Sonnenlicht ein, die ältesten schon seit rund 700 Jahren.
Dahinter vollzieht die Kulisse einen spektakulären Wechsel von der Horizontalen in die Vertikale: Lotrecht streben die Nordwände von Lamsen-, Spritzkar- und Grubenkarspitze bis zu 1000 Meter weit in den Himmel. Im Herbst, das nehmen wir uns fest vor, wollen wir den Ahornboden im Karwendel wieder besuchen, um die Bäume in voller Farbenpracht zu erleben.
Die Begleitmusik zur Alpenidylle liefern heute riesige Jungkuhherden, deren Glocken ein talfüllendes Konzert geben. In der Engalm sorgen die Wiederkäuer für einen weiteren Genuss: Ihre Milch ist so gut, dass die hiesigen Käser bei der »Olympiade der Almkäsbauern« regelmäßig Goldmedaillen gewinnen.
Der Ahornboden gäbe zwar ein überaus malerisches Plätzchen für das Nachtlager ab, doch an jeder Parkbucht erinnern Schilder daran, dass wildes Campen hier verboten ist – wie fast überall in den Alpen. Bis zu 15 000 Euro Bußgeld riskiert, wer es dennoch tut. Der Wohnmobilstellplatz in Fall am glasklaren Sylvensteinsee ist da deutlich günstiger.
Süßes Finale Nach einer Nacht im heimeligen Bus steuern wir das letzte Ziel des Kurztrips an. Kurz vor Wildbad Kreuth beginnt der Weg auf die Blauberge. Zielstrebig donnert hier die Hofbauernweißach in Richtung Tegernsee. Kurz hinter dem Parkplatz steht an einer Stufe am Fluss die Siebenhüttenalm.
Im Holz der ehemaligen Ziegenalm klaffen tiefe Risse, die vom jahrhundertelangen Kampf gegen Sonne und Schnee erzählen. Als König Max Joseph im 19. Jahrhundert das benachbarte Wildbad zur königlichen Heilstätte erklärte, lieferten die Hofbauern aus Siebenhütten Ziegenmolke für Trinkkuren und Schönheitsbäder. Heute locken hier andere Genüsse: »Kein Kuchen ist auch keine Lösung«, heißt es auf einem Schild.
Doch bevor wir dem verlockenden Rat nachgeben, kurbeln wir mit den Bikes zur rund zwei Kilometer entfernten Wolfsschlucht, steigen von hier zum Predigtstuhl (1562 m), bevor uns der fast 1800 Meter hohe Kamm zwischen Blaubergschneid und Blaubergkopf einen letzten Postkartenblick in die Brandenberger Alpen schenkt.
Gaumen- statt Augenschmaus wartet zurück an der Siebenhüttenalm: Streuselkuchen und Mandarinenschmand, der auf der Zunge schmilzt. Der milchig-sü.e Geschmack begleitet uns noch ein Stück auf dem Heimweg, nach einer guten Stunde rollt der Van in die heimische Garage. Ab morgen dient das mobile Basislager wieder als Stadtauto – aber stets einsatzbereit fürs nächste Abenteuer.
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