Ratsch, saust der Streichholzkopf an der Schachtel entlang. Zischend entzündet sich eine Flamme. Sogleich führt Johannes das Streichholz unter die Holzspäne, die er in einer Erdmulde aufgehäuft hat. Doch diese glimmen nur kurz auf. „Das Feuernest war noch nicht groß genug“, analysiert Johannes. Mit seinem Fahrtenmesser schnitzt der Pfadfinder weitere Späne von einem Holzscheit, legt sie sachte in die Mulde und stopft gekräuselte Birkenrinde darunter. Zweites Streichholz, zweiter Versuch. Jetzt schlagen Flammen aus dem Spanhaufen und der 13-Jährige legt dünne Holzscheite nach. Gruppenführer Christian beobachtet ihn. Er schlägt Johannes blaues Probenbuch auf und unterschreibt unter der Zeile „Ich kann ein Feuer entfachen“. Johannes grinst, jetzt muss er nur noch Großen und Kleinen Wagen, Orion und Nordstern am Nachthimmel finden.
„Ich will zeigen, dass ich es kann“
40 kleine Aufgaben hat Johannes zu bewältigen, bevor er das blau-gelbe Pfadfinderhalstuch verliehen bekommt. Die anderen sechs Mitglieder seiner Pfadfindergruppe tragen das Halstuch bereits über dem dunkelblauen Klufthemd. Doch das spornt Johannes nur zusätzlich an: „Ich will zeigen, dass ich es auch kann.“ Der Siebtklässler aus der sächsischen Kleinstadt Wittichenau stieß 2008 zur Sippe Mustang, wie sich seine Gruppe nennt. Die Sippenmitglieder kennt er seit der Grundschule.
Seit seine Freunde bei den Pfadfindern sind, erzählen sie dauernd von ihren Erlebnissen auf Lagern und Fahrten. „Wenn sie ihre Insiderwitze rissen, konnte ich nicht mitlachen. Ich wollte mitreden können, wollte dazugehören.“ Er fährt mit auf ein Winterlager und ist begeistert: „Das Gruppenklima auf diesem Lager fand ich klasse –diese Gemeinschaft. Jeden Abend haben wir gemeinsam was unternommen, saßen vorm Kamin und haben gesungen oder zusammen gespielt.“ Jetzt will er richtig dazugehören und sich das Halstuch verdienen.
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Voneinander lernen
So auch im Pfadfinderbund Weltenbummler e.V. (PbW), dem der 13-jährige Johannes angehört. Kleine Aufgaben, wie das Erlernen von Knoten oder die Versorgung kleiner Wunden sollen ihn herausfordern, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Er soll ermutigt werden seine Kompetenzen zu erweitern und an sich selbst zu arbeiten. Anders als in Prüfungen in der Schule kann er bei den Proben nicht durchfallen. „Das Ablegen von Proben ist freiwillig. Und wer eine Aufgabe beim ersten Mal nicht schafft, versucht es mit der Hilfe des Gruppenführers nochmal“, sagt Ursula Bachmaier, Beauftragte für Ausbildung im PbW.
Voneinander lernen
„In der Schule bekommen wir vieles vom Lehrer beigebracht“, beklagt Johannes. „Bei den Pfadfindern lerne ich von mir selbst, bringe mir selbst etwas bei oder wir lernen in der Gruppe voneinander. Das macht viel mehr Spaß.“ Regelmäßig besucht er zwei ältere Gruppenführer, die gleich um die Ecke wohnen, lässt sich Weberknoten und Mastwurf zeigen oder von den Abenteuern des Gründers der Pfadfinder erzählen. Das Leben Robert Baden-Powells interessiert ihn. Er liest ein Buch um mehr zu erfahren. Für bewiesenes Können und Wissen erhält er eine Unterschrift in seinem Probenbuch. „Dieses kleine Erfolgserlebnis vermittelt den Kindern ein Kompetenzgefühl. Das stärkt ihr Selbstvertrauen“, erklärt die 26-jährige Ursula Bachmaier den pädagogischen Wert der Aufgaben. Selber ausprobieren, erfahren, was man kann, ist Programm bei den Pfadfindern. Das pädagogische Prinzip „Learning by Doing“ geht auf den Gründer der Pfadfinder zurück.
„Etwas von Heldentum“
Die Fähigkeiten, die sich Johannes bei den Pfadfindern angeeignet hat, möchte er nun nicht mehr missen. Wenn er mit seiner Gruppe unterwegs ist, kann er sie regelmäßig anwenden, zum Beispiel bei der Orientierung mit Karte und Kompass. Sich von einem GPS-Gerät den Weg weisen zu lassen, fände er dagegen langweilig. „Da würde die Pfadfinderidee verloren gehen“, erklärt er. „Das Schöne ist doch, dass wir an Wegkreuzungen immer wieder die Karte rauskramen und überlegen, wo wir sind und wo es weiter geht.“ Gemeinsam beraten, sich bei unterschiedlichen Meinungen zusammenraufen, gehört für ihn selbstverständlich zum Wandern dazu.
Das Attraktive an den Pfadfinderfertigkeiten sei, dass man etwas kann, dass andere nicht können, weiß Bachmaier. „Es hat etwas von Heldentum, unterwegs ohne moderne Technik auszukommen und nur auf die eigenen Fähigkeiten vertrauen zu können. Das macht Abenteuer aus. Das macht die Pfadfinder aus“, meint sie. Dass diese Fähigkeiten bei den Kindern auf großes Interesse stoßen, merkt Bachmaier auch an dem Zulauf zu den offenen Ferienfreizeiten, die der Pfadfinderbund über sein Ferienwerk „Fahrten – Ferne – Abenteuer“ anbietet. „Unser Wilderness-Camp für 9 bis 13-Jährige ist regelmäßig ausgebucht“, berichtet Bachmaier. In dem Camp suchen die Kinder essbare Pflanzen und Beeren, lernen Spurenlesen oder sich im Wald ohne Hilfsmittel zu orientieren – 'Soft Survival' heißt das Lagerprogramm neudeutsch.
Sich etwas abverlangen
Johannes hat zuletzt Liedtexte gelernt. „Damit hab ich mich dann doch etwas schwer getan“, sagt er. Dass zur Bewältigung der Proben auch ein Stück Disziplin gehört, stört ihn jedoch nicht. „Nachdem man die Proben abgelegt hat, ist man ja erst so richtig Pfadfinder. Das Halstuch ist eine Art Geschenk von der Gruppe an mich. Da muss ich auch was dafür tun. Und wenn man sich dafür anstrengt, freut man sich auch viel mehr darauf.“ Auf dem gemeinsamen Lager der Wittichenauer Ortsgruppe hat er am klaren Nachthimmel eben noch die Sternzeichen gefunden, von denen er die Himmelsrichtungen ableiten kann. Damit erhielt er nach zwei Monaten intensiver Probenarbeit seine letzte Unterschrift.
Am Abend zieht er mit 40 Pfadfindern auf eine Waldlichtung. Fackeln erhellen den Kreis, den die Pfadfinder Hand in Hand gebildet haben. Als bei der Verleihfeier sein Name aufgerufen wird, ist das für ihn ein „Super-Gefühl“. Er bekommt das gewickelte Tuch um den Hemdkragen gelegt und spricht das Pfadfinderversprechen. „Meine Gruppenführerin Lisa hat gelobt, dass ich mich gut in die Sippe eingelebt habe und oft bei Gruppenstunden und Fahrten dabei bin. Da bin ich stolz drauf.“
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40 Proben bis zum Halstuch
- „Ich kenne die Pfadfindergesetze, das Pfadfinderversprechen und den Pfadfindergruß“, heißt die erste Aufgabe auf den ersten Seiten des brusttaschengroßen Büchleins.
- Was ist eine Meute, eine Sippe, ein Horst oder ein Stamm? Der Pfadfinder kennt den organisatorischen Aufbau seines Pfadfinderbundes. Aus vier trapezförmigen schwarzen Planen ein Zelt bauen? Die Kohte, die Unterkunft der deutschen Pfadfinder, steht bei drohendem Gewitter schon mal in wenigen Minuten.
- Die wichtigsten Hilfsmittel eines Pfadfinders auf Fahrt sind Karte und Kompass. Und im Umgang mit denselben ist der Pfadfinder geübt. Für die Orientierung im Gelände kennt er den Aufbau des Kompasses, kann die Legende einer Karte deuten, die Karte einnorden, die Marschzahl über Kimme und Korn und seinen Standort anhand markanter Landmarken bestimmen.
- Bei klarem Nachthimmel bleibt der Kompass im Rucksack. Mit Hilfe verschiedener Sternbilder kann der Pfadfinder genauso gut die Himmelsrichtungen bestimmen. Auch in Knotentechniken muss der Pfadfinder fit sein: Den Weberknoten zur Verbindung zweier Seilenden, den Spannerknoten zum Nachstraffen von Zeltleinen, einen Abschlussknoten zur Verbindung von Zeltbahnen, Kreuzbund und Parallelbund zum Bau von Lagerbauten und einen Strickleiterknoten kann er aus dem Effeff. Für Ausflüge mit dem Rad weiß er, wie sich Fahrradpannen beheben lassen und wie er sich im Straßenverkehr verhält. Das Kanu kentert bei der nächsten Paddeltour? Kein Problem: der Pfadfinder trägt mindestens das Schwimmabzeichen in Bronze. „Vorsicht bissiger Hund“ oder „Hier geht’s zum Lagerplatz“ – Zur Verständigung mit anderen Gruppen lernt der Pfadfinder Waldläuferzeichen legen. Auf ausgedehnten Touren nimmt der Pfadfinder nur das Nötigste mit. Trotzdem trägt er da schon mal 20 bis 30 Kilogramm auf dem Rücken. Mit der richtigen Verteilung der Ausrüstung im Rucksack schont er Rücken und Energie. Die dreckigen Socken vom Vortag stecken im Schlafsack-Ende und unter der Isomatte liegen Gummibärchen? Für Pfadfinder ein Unding. Bevor Heerscharen von Ameisen das Zelt erobern, beherzigt er lieber die Regeln der Lagerhygiene. Bevorzugtes Fahrtengebiet der Pfadfinder sind Nationalparks: Unverzichtbar ist deshalb, dass der Pfadfinder die Naturschutzregeln kennt. „Der Pfadfinder singt und pfeift in jeder Lebenslage“, heißt eines der Pfadfindergesetze. Dazu hat er jederzeit einige Liedtexte im Kopf, unter anderem das Lied seines Pfadfinderbundes und das international bekannte „Nehmt Abschied Brüder“. Was tun bei Vergiftungen? Wie kann man eine Zecke fachgerecht entfernen, wie einen Notruf korrekt absetzen, wie kleine Schnittwunden verarzten oder im äußersten Notfall jemanden wiederbeleben? All dies gehört zum Pfadfinderwissen. Mit nassem Holz ein wärmendes Feuer entfachen? Für den Pfadfinder eine leichte Übung. Zur Probe gehört aber auch, dass er je nach Zweck die richtige Feuerart einsetzt und über Feuerschutzbestimmungen sowie Feuerlöschmethoden Bescheid weiß. Fuß, Schritt, Klafter, Elle oder Spanne: Der Pfadfinder kennt seine eigenen Körpermaße und kann mit Hilfe verschiedener Schätzmethoden die Breite des zu überquerenden Flusses oder die Höhe eines Baumes bestimmen. Als Koch, Chronist, Spieleleiter, Singeleiter oder Materialwart übernimmt der Pfadfinder Verantwortung in der Gruppe und ist fit in seinem Spezialgebiet. Den Wuchs der Jahresringe eines Baumstamms deuten und anhand des Moosbesatzes die Himmelsrichtung bestimmen? Der Pfadfinder kann sich notfalls ohne Hilfsmittel orientieren. Eine Spinne spannt am Morgen ihr Netz, Mückenschwärme tanzen in der Abendsonne oder die Schwalben fliegen tief: Der Pfadfinder weiß Wetteranzeichen in der Natur richtig zu interpretieren und Wetterkarten zu deuten. Auch handwerklich hat ein Pfadfinder was auf dem Kasten, denn auch kleine Werkarbeiten gehören zu den Pfadfinderproben. Außerdem eignet sich der Pfadfinder Grundkenntnisse in internationaler und deutscher Pfadfindergeschichte an.
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Scouting – ein Produkt des Krieges?
Während seiner Ausbildung in der englischen Charterhouse School durchstreifte der junge Baden-Powell lieber das weitläufige Schulgelände als die Schulbank zu drücken. Baden-Powell „hat allem Anschein nach völlig damit aufgehört, sich mit Mathematik zu beschäftigen.“, schrieb ein Lehrer in seinem Zeugnis. Ein anderer merkte an: „Er schläft oft während des Unterrichts.“ Seine eigentliche Schule fand Baden-Powell im Wald hinter dem Internat. Er stellte Fallen auf und fing Hasen. Falls ihm mal einer in die Falle ging, zog er ihm das Fell über die Ohren und briet ihn sich über dem Feuer. „Dabei lernte ich mich leise anzuschleichen, mich an charakteristischen Landmarken zu orientieren, Spuren zu lesen oder ein raucharmes Feuer zu entfachen, um die Lehrer nicht auf mich aufmerksam zu machen“, erzählte er.
Verantwortung übernehmen
Bei der Eignungsprüfung für den Offiziersdienst in der Kavallerie belegte Baden-Powell trotzdem den zweiten Platz vor 716 Mitbewerbern. Daraufhin wurde er zu einem Regiment nach Nordindien versetzt. Nach seiner Offiziersausbildung sollte er selbst junge Soldaten ausbilden. Dabei klagte er über die Vorbildung der Männer: „Als diese jungen Burschen der Army beitraten, hatten sie lediglich Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt und in der Regel nicht mehr. Sie wurden nie gelehrt, Männer zu sein, die auf sich selbst achten oder wie sie Verantwortung übernehmen können. Sie tun, was man ihnen sagt, entwickeln aber keine Eigeninitiative.“ Baden-Powell lehrte sie die Orientierung an Sternen. Er lehrte sie, wie sie Fährten lesen, sich mit einer Karte zurecht zu finden oder sich abseits der Militärlager selbst zu versorgen. Dabei verzichtete er auf militärischen Drill und beobachtete bald, dass die jungen Soldaten an Selbstvertrauen gewannen. Als einen seiner Ausbildungsgrundsätze formulierte er später: „Die Männer müssen Spaß an ihrer Ausbildung haben. Weil ich die Leute in Wettbewerb treten ließ, wuchs ihr Eifer und die Leistungsbereitschaft aller.“ Dieser Grundsatz sollte Grundlage der Pfadfinderausbildung werden.
Idee eines Scoutings für Jungen entsteht
Im Burenkrieg in Südafrika verteidigte Baden-Powell 1899 die Stadt Mafeking 217 Tage lang gegen eine große Übermacht. Europäische Bauern, die vor den Briten Südafrika besiedelt hatten, nahmen nicht hin, dass ihre unabhängigen Republiken der britischen Kolonie einverleibt werden. Bei der Verteidigung Mafekings spielten junge Burschen eine bedeutende Rolle. Denn aus den über neun Jahre alten Jungen bildete Baden-Powell ein Kadettenkorps. Die Jungen überbrachten Nachrichten, trugen Post aus, arbeiteten als Pfleger oder besetzten Ausschauposten. So konnte er mehr Männer zur Verteidigung der Stadt einsetzen. „Wir erlebten, dass die Jungen genauso tüchtig und zuverlässig waren wie Männer, wenn wir unser Vertrauen in sie setzten.“ Seine Erfahrungen in der Kundschafterausbildung hatte Baden-Powell indes im Lehrbuch „Aids to Scouting“ zusammengefasst. Verdutzt stellte er fest, dass nicht nur Soldaten das Buch lasen, sondern auch Jungen, die nach dessen Anleitung „Auskundschaften“ spielten.
Auf diese Weise entdeckte er den erzieherischen Wert des „Scouting“. Seine Idee: das Pfadfinden könnte die negativen Folgen der Industrialisierung abmildern. „Mit der Ausdehnung von Städten und Industrie drängt die Zivilisation die Natur weiter und weiter aus dem Leben der Menschen, bis die Erkenntnis ihrer Schönheiten und Wunder im materialistischen Leben verloren geht. Wir verdrängen das Natürliche in unserem Leben. Dank Autos, Motorrädern und Fahrstühlen wird unser Körper wie auch unser Geist aus Ermangelung an Bewegung verkümmern.“
Probelager auf Brownsea Island wird zum Erfolg
Als gefeierter Held kehrte er nach England zurück, um seine Idee eines Scoutings für Jungen zu erproben. Auf der kleinen Insel Brownsea schlägt er 1907 mit 20 Jungen ein Lager auf – darunter Söhne von Generälen und Burschen aus Arbeiterfamilien. „Ich wollte sehen, inwieweit meine Idee Jungs unterschiedlicher Herkunft ansprechen würde.“ Auf dem Programm stehen unter Anderem Knotentechniken, Feuer entfachen, Lagerbauten, Erste Hilfe, Spuren lesen, Tier- und Pflanzenkunde und kochen. Sein Ansatz: Er lässt die Jungen zunächst alles selbst ausprobieren – die Geburt des „Learning by doing“. „Was das Lager in solch kurzer Zeit bei den Jungen bewirkte, zeigte mir die Möglichkeiten, die das Pfadfindertraining für sie bereit hält“, resümierte Baden-Powell. Bestärkt arbeitete er weiter an seinem Buch „Scouting for Boys“. Anfang 1908 erschien das Abenteuer-Handbuch in sechs Teilen.
Plötzlich gründeten sich überall im Land erste Pfadfindergruppen und Baden-Powell konnte sich vor Zuschriften kaum retten. Er richtete eigens ein Büro ein, um den Schriftverkehr zu bewältigen. Mit diesem rapiden Wachstum hatte er nicht gerechnet. Denn ursprünglich wollte er mit seinem Konzept des Pfadfindens bestehenden Organisationen ein ansprechendes Jugendprogramm bieten. 1909 zählte er bei einem ersten Treffen aller Pfadfinder Großbritanniens im Londoner Crystal Palace bereits 11.000 Teilnehmer. Er war begeistert vom Enthusiasmus und der Eigeninitiative der Jungen: „Scouting started itself!“
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Pfadfinden bedeutet Selbsterziehung
„Pfadfinden bedeutet den individuellen Weg der Selbsterziehung zu finden und zu gehen.“ So fasst Hans Gerr, ehemaliger Dozent für Jugendarbeit an der Uni Würzburg, die Pfadfinderpädagogik zusammen. Diese selbsterzieherische Wirkung gründet in der Ausrichtung des täglichen Lebens an pfadfinderischen Verhaltensregeln, den Pfadfindergesetzen und in der Verpflichtung zu diesen ethischen Prinzipien durch das Pfadfinderversprechen. In Anlehnung an den Ritterkodex formulierte der Pfadfindergründer Baden-Powell zehn Pfadfindergesetze:
- Auf die Ehre eines Pfadfinders ist Verlass.
- Der Pfadfinder ist treu.
- Der Pfadfinder ist hilfsbereit.
- Der Pfadfinder ist Freund aller Menschen und Bruder aller Pfadfinder.
- Pfadfinder ist höflich und ritterlich.
- Der Pfadfinder schützt Pflanzen und Tiere.
- Der Pfadfinder ist gehorsam.
- Der Pfadfinder lacht und pfeift in allen Lebenslagen.
- Der Pfadfinder ist fleißig und sparsam.
- Der Pfadfinder ist rein in Gedanken, Wort und Tat.
Durch verschiedene Übersetzungen und die Vielfalt deutscher Pfadfinderbünde gibt es heute viele Variationen der Pfadfindergesetze. Sie sollen dem Pfadfinder helfen, in einer konkreten Situation richtig zu handeln. Nachdem der Neuling seine Gruppe eine Zeit lang in Lager und Gruppenstunden näher kennengelernt hat, legt er vor der Gemeinschaft das Pfadfinderversprechen ab. Wörtlich heißt das von Baden-Powell formulierte Pfadfinderversprechen:
„Ich verspreche bei meiner Ehre,
Gott und meinem Vaterland zu dienen,
anderen Menschen jederzeit zu helfen
und die Pfadfindergesetze zu befolgen.“
Der Pfadfinder verspricht, sich in der Gemeinschaft und für sie zu engagieren. Damit wird er offiziell in die Bewegung aufgenommen.
Erfahrungen sammeln in der Gruppe
In seiner Kleingruppe kann der Pfadfinder die in den Pfadfindergesetzen formulierten Werte und Normen als wahr erfahren. Lügen oder Schadenfreude werden die Pfadfinderfreunde nicht gutheißen. Die Führung durch ein nur geringfügig älteres Gruppenmitglied kommt dem Bedürfnis nach selbstbestimmter Freizeitgestaltung entgegen. Gemeinsam bewältigen die Kinder Strapazen und erfahren den Wert verlässlicher Freundschaft. Als Sanitäter, Schatzmeister oder Materialwart lernen die Mädchen und Jungen in der Gruppe Verantwortung zu übernehmen und selbstständig zu handeln.
Bevorzugter Ort für viele Pfadfinderaktivitäten ist die Natur. Pfadfinderlager und –fahrten bilden den Schwerpunkt pfadfinderischer Jugendarbeit. Draußen werden die Pfadfinder so dem jugendlichen Bedürfnis nach Abenteuern und Entdeckungen am ehesten gerecht. Verschiedene Aktivitäten, die vielfach aufeinander aufbauen, verhindern, dass aggressive Langeweile entsteht.
Geländespiele und Wildnisfahrten
Das wichtigste pädagogische Prinzip der Pfadfinder ist das Erfahrungslernen. Durch Versuch und Irrtum werden Erkenntnisse und Fertigkeiten am schnellsten verinnerlicht, diese Einsicht macht das „Learning by doing“ heute zu einer anerkannten Methode moderner Pädagogik. Ein selbstbestimmtes Handeln fördert Handlungsfähigkeit, Kreativität und Entscheidungsfähigkeit – Eigenschaften, die spätere Lebensaufgaben bewältigen helfen.
„Look at the boy“ empfahl Baden-Powell angehenden Pfadfinderführern. Die Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen drückt sich bei den Pfadfindern in verschiedenen Alterstufen aus. Für die spielerischen Aktivitäten der sechs bis elf-jährigen „Wölflinge“ dient das Dschungelbuch als Grundlage. Die Tiere des Dschungels versinnbildlichen verschiedene Charaktereigenschaften, die den Kindern als Orientierungshilfe dienen. Im Mittelpunkt der Aktivitäten der 12- bis 16-jährigen „Pfadfinder“ stehen dagegen erlebnisorientierte Unternehmungen, wie Trekkingtouren, Floßfahrten oder große Geländespiele. Der pfadfinderische Erziehungsweg endet bei den „Rovern“, denen Jugendliche ab 16 Jahren angehören. Projekte zu ökologischen, sozialen oder interkulturellen Themen bestimmen hier das Programm.
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Wie wird man Pfadfinder?
Sinnvoll ist es für Ihre Kinder Anschluss an eine Gruppe in Ihrem Heimatort zu suchen. Über den zuständigen Jugendring oder den Jugendpfleger der Stadt erhalten Sie Kontaktadressen zu den vor Ort vertretenen Pfadfindergruppen. Diese freuen sich über neue Besucher ihrer wöchentlichen Gruppenstunden oder eines ihrer Lager. Vor Ort besteht noch keine Pfadfindergruppe? Kein Problem! Lassen Sie Ihre Kinder mit Freunden doch selbst eine Gruppe gründen. Viele Pfadfinderbünde bieten dazu unkomplizierte Aufbauhilfe.
Adressen
Der Ring deutscher Pfadfinderverbände ist der deutsche Pfadfinderdachverband, der von der Weltorganistion „World Organisation of the Scout Movement“ anerkannt ist. Unter ihm haben sich der interkonfessionelle „Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder“, die katholische „Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg“ und der evangelische „Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder“ zusammengeschlossen.
Hier geht’s zur Verbandswebsite: www.pfadfinden-in-deutschland.de
Der Deutsche Pfadfinderverband vereint eine Vielzahl weiterer Bünde, die zum Teil bundesweit oder nur in bestimmten Regionen der Bundesrepublik tätig sind. Der interkonfessionelle Dachverband zählt nach eigenen Angaben 29.000 Mitglieder.
Hier geht’s zur Verbandswebsite: www.dpvonline.de
Mit dem Kanu durch Schweden paddeln, zu Fuß die Alpen überqueren oder Segeln lernen auf der Ostsee – wer unverbindlich Pfadfinderabenteuer erleben möchte, dürfte das Angebot des Ferienwerks des Pfadfinderbundes Weltenbummler e.V. interessieren. Die Fahrten-Ferne-Abenteuer gGmbH bietet für Jungen und Mädchen ab 9 Jahren bundesweit Camps und Fahrten an.
Zur Website des Ferienwerks:
www.fahrten-ferne-abenteuer.de
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Mit Fahrtenbegeisterung und Liederschatz
Noch bevor die Pfadfinder auch in Deutschland Fuß fassten, suchten einst Schüler und Studenten den Weg aus den Städten zurück in die Natur. Die seit 1896 zuerst an einem Gymnasium in Berlin-Steglitz durchgeführten Schülerfahrten wurden 1901 in der Wandervogelbewegung institutionalisiert. Zum Lebensstil dieser Bewegung gehörten Wanderfahrten, Lagerleben, Volkstanz und –lieder. Diese Traditionen prägten auch die wenige Jahre später entstandenen deutschen Pfadfindergruppen. Sie führten zu international charakteristischen Eigenarten deutschen Pfadfindertums.
Die ersten deutschen Gruppen
1909 hatte der Militärarzt Alexander Lion auf einer Englandreise die Pfadfinderbewegung kennen gelernt und das Pfadfinderhandbuch ins Deutsche übersetzt. Angeregt durch die Lektüre dieses Buches gründeten sich noch im selben Jahr in München und Bamberg die ersten deutschen Pfadfindergruppen. Bis zum ersten Weltkrieg entstand eine Vielzahl von weiteren Gruppen, die sich in unterschiedlichen, mitunter nach Konfessionen und Geschlechtern getrennten Verbänden zusammenschlossen.
Zersplitterung bringt Vielfalt
Während sich die Pfadfinderverbände weltweit auf der Grundlage des Pfadfinderhandbuchs „Scouting for Boys“ weiterentwickelten, schlug das deutsche Pfadfindertum durch den Kontakt mit der Wandervogel-Bewegung einen Sonderweg ein: Formen des englischen Scoutismus verschmolzen mit denen des Wandervogels. Durch unterschiedliche Erneuerungsbewegungen, durch Abspaltungen und Vereinigungen verschiedener Gruppen entstanden in der Folge unterschiedliche Pfadfinderbünde. Neben der Auseinandersetzung zwischen traditionellen und progressiven Pfadfindern waren viele Trennungen auch einem verstärkt politischen Engagement mancher Bünde Ende der 1960er Jahre geschuldet. So ist die Zersplitterung der deutschen Pfadfinderbewegung bis heute international ohne Vergleich: Der „Pfadfindertreffpunkt“ listet im Internet 173 deutsche Pfadfinderverbände – von nur in einem Ort tätigen Mini-Bünden bis zur bundesweit engagierten Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg mit 95.000 Mitgliedern.
Auf internationalen Lagern sind die deutschsprachigen Pfadfinder dennoch leicht zu finden, denn nur sie campieren im rustikalen Schwarzzelt, der Kohte. Nicht das moderne Leichtbauzelt geht mit auf Fahrt, sondern vier wasserabweisende, feuerfeste Planen. Diese knüpft die Fahrtengruppe am Abend zusammen. Mit Holzstangen aus dem Wald und selbst geschnitzten Heringen errichten sie dann das pyramidenförmige Zelt, in dem bis zu acht Pfadfinder Platz finden. Großer Vorteil der Kohte: Sie hat keinen Boden und an der Spitze ein Rauchloch. So können die Pfadfinder im Zelt ein wärmendes Feuer entfachen. Außerdem lassen sich die Zeltbahnen zu unterschiedlichsten Konstruktionen kombinieren: vom Zwei-Mann-Zelt bis zur Zeltkirche, in der hunderte Pfadfinder unterkommen.
Neues erfahren auf der Fahrt
Während ausländische Pfadfinder meist nur Standlager kennen, entwickelte sich unter den deutschen Pfadfindern eine besondere Form der Aktivität: die Fahrt. Aus der Tradition der Wanderausflüge der Wandervogelbewegung sind die Pfadfinder auf der Fahrt ob per Kanu, per Fahrrad oder per pedes aus eigener Kraft unterwegs. Sie wissen nicht, wo sie am Abend ihr Nachtlager aufschlagen werden. „Fahrt“ meint also nicht nur die Fortbewegung, sondern bedeutet darüber hinaus Neues zu erfahren. Es geht nicht um ein möglichst bequemes sicheres Unterwegs-Sein. Die Fahrtengruppe lässt sich auf Fahrt herausfordern: körperlich, geistig und emotional. Das formt den Charakter der Gruppe.
Am Lagerfeuer, das am Abend entfacht wird, werden dann nicht die aktuellen Hits der Charts angestimmt. Kommerzielle Rock- und Popmusik ist insbesondere in den bündisch geprägten Pfadfinderbünden verpönt. Dagegen hat sich in der deutschen Jugendbewegung ein ganz eigenes Liedgut entwickelt. Denn die ersten Fahrtenbegeisterten belebten Anfang des 20. Jahrhunderts deutsche Volkslieder neu. Geprägt von den Erfahrungen der Fahrten entstanden daneben vielfach neue Lieder. Aus Norwegen, Schweden, Polen oder Russland fanden ausländische Volksweisen Eingang in die Liederbücher. Deshalb grölen Pfadfinder nicht „Country roads, take me home“, sie singen „In die Sonne, die Ferne hinaus, lasst die Sorgen, den Alltag zu Haus“.
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Lebensschule Pfadfinder
„Ich will ja nicht behaupten, dass ich Bundespräsident in Deutschland geworden bin, weil ich bei den Pfadfindern war, aber ich will Euch doch ganz klar und mit Ernst sagen: Meine Zeit bei den Pfadfindern, die Erlebnisse, das Lernen und vor allen Dingen die Gemeinschaft bei den Pfadfindern, das hat mich für mein ganzes Leben geprägt und ich bin sehr dankbar dafür.“
Ansprache des Bundespräsidenten Horst Köhler beim Internationalen Pfadfinderlager am 21. September 2007 im Schlosspark Bellevue
Berühmte Pfadfinder
Quellen: World Organisation of the Scout Movement
www.scout-o-wiki.de/index.php/Liste_berühmter_Pfadfinder
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