"Das muss andersrum!", sagt Anaïs und zieht die Stange wieder raus, die Stange wieder raus, die ich gerade durch ein paar Schlaufen gefädelt hatte. Dann legt sie selbst Hand an und, siehe da, es passt. "Du musst mich nur machen lassen", sagt sie trocken und grinst. Keine Frage, wenn schon eine Tour im 2er-Kanu ein Test für die Chemie zwischen der Besatzung ist, dann der gemeinsame Aufbau eines Faltkanus erst recht – in unserem Fall ein Prototyp des neuen Origamikanus Onak:
Eigentlich wollten wir es am fränkischen Obermain zu Wasser lassen, doch zeigt der Pegel Niedrigwasser an. So sind wir auf die nahe gelegene Regnitz ausgewichen, deren zwei Arme die Stadtinsel von Bamberg pittoresk umschlingen. Nebel lag noch über den Auen, als wir das Boot vor einer Stunde durch den »Hain« zogen, eine Parkanlage an der Südspitze der Insel. Das ging hervorragend, denn zusammengefaltet ist das Onak ein großer Rollkoffer. Noch sind wir die einzigen im Park, nur ein Tubaspieler nutzt die Gunst der Stunde für eine Probe.
Aufbau des Faltkajaks und Start unserer Testtour
Dass Übung den Meister macht, gilt vor allem für den Aufbau eines Faltbootes, auch wenn hinter unserem Onak-Modell ein recht neues Konzept steckt. Das Onak kommt mit deutlich weniger Einzelteilen aus als klassische Faltboote. Nur je sieben Steckverbindungen bilden den Aluminiumrand auf jeder Bootsseite, dazu kommen die beiden Sitze. Die Hülle besteht aus einem Stück und lässt sich aus dem Transportkasten im Nu zu einem Rumpf falten. Das neuartige Material macht es möglich: Durch eine zwischen zwei Kunstfasermatten geklebte Bienenwabenkonstruktion wird die Hülle überraschend leicht, durch die vorgestanzten Falze lässt sich das Material problemlos in eine stabile Form drücken. Ein ausgeklügeltes System von Spannriemen hält alles zusammen. Ein paar Feinjustierungen an den Riemen noch, um dem Rumpf eine gerade Form zu geben, dann geht es endlich aufs Wasser.
Vorher stellt sich die Frage: Wer darf hinten sitzen, also steuern? Dankenswerterweise nimmt uns die Physik die Machtfrage ab. Damit ein Zweier gut im Wasser liegt, sitzt der Schwerere hinten. Und das bin, wer hätte es gedacht, ich. Anaïs nimmt mehr oder weniger vertrauensvoll auf dem vorderen Sitz Platz. Wirkt das Boot mit einer Person noch etwas kipplig, liegt es vollbeladen satt im Wasser, deutlich besser, als die nur 17 Kilo leichte Konstruktion vermuten lässt. Durch den kantigen Querschnitt, Bootsbauer sprechen von einem Doppelknickspant, vereint das Onak eine gute Kippstabilität mit einem ordentlichen Geradeauslauf und lässt die Schulklasse neben uns in ihren aufblasbaren Kanadiern ziemlich alt aussehen. Zwar können (intakte) Luftboote nicht sinken und bügeln in leichtem Wildwasser viele Wellen und Strudel einfach glatt, die in anderen Booten exaktes Manövrieren erfordern würden. Doch auf ruhigem Wasser unterliegen Schlauchboote einem mit festem Rumpf in puncto Geradeauslauf und Windanfälligkeit fast immer.
Paddeltour nach Bamberg
So paddeln wir beschwingt in die Stadt Bamberg, zur Linken grüßt die barocke Villa Concordia herüber. Der schlossartige Sandsteinbau mit der feudalen Treppe zum Wasser hin markiert die erste Aussetzstelle. Kurz hinter dem Schloss fließt die Regnitz über ein Wehr, größere Boote fahren links in eine historische Schleuse, die einst Teil des Main-Donau-Kanals war. Wir wollen den Wärter nicht bemühen und umtragen. Was mit einem über 30 Kilo schweren Kanadier leicht zu einer schweißtreibenden Angelegenheit gerät, gestaltet sich mit dem Onak kinderleicht. Neugierig umringen uns Spaziergänger – Origamiboote sind auch in einer Wasserstadt wie Bamberg ein seltener Anblick.
Das Wiedereinsetzen gestaltet sich wegen einiger knapp unter dem Wasser liegender Steine etwas rumplig. Ein entscheidender Schwachpunkt bei Reisebooten, egal ob aufblas- oder faltbar: Sie brauchen Liebe in der Handhabung. Spitze Steine, herausragende Nägel oder auch Asphalt sind ihre Sache nicht. Und auch wenn er unbeschadet bleibt: Am Bug des Onak gehen ein paar Steinberührungen auch nicht ganz spurlos vorbei. Wir nähern uns dem alten Rathaus, das, über zwei Brückenbögen verbunden, mitten in der Regnitz steht. Der Fluss rauscht kräftig. Wer hier vor dem Rathaus auf die andere Seite traversieren will, braucht ein Boot, das eine klare Kante zeigt. Anaïs schaut etwas skeptisch zu mir nach hinten, als wir aus dem Kehrwasser fädeln, sie fürchtet wahrscheinlich um ihren Ruf, nähme sie die kulturellen Schätze ihrer Heimatstadt schwimmend in Augenschein.
Die Touristen auf der Brücke jedenfalls haben ihre Kameras schon gezückt und auf uns gerichtet. In bewegtem Wasser kippen, schon mit einem normalen Kanadier kein wirkliches Vergnügen, will man mit einem Faltboot erst recht nicht. Ein vollgelaufenes Boot wiegt schnell über eine Tonne. Felsberührungen oder ein Kontakt mit einem Pfeiler führen dann gerne zum Totalschaden. Im Fall des Onak kommt hinzu: Die Spannriemen können beim Kentern in turbulentem Wasser zum Verhängnis werden, schnell verheddert sich ein Schwimmer in ihnen. Anaïs ‘ Furcht vor dem Kentern erweistsich als unbegründet, schön steif sticht der Rumpf des Onak in die Strömung und ebenso sicher auch durch die Wellen und in das Kehrwasser hinter dem Brückenpfeiler. So paddeln wir weiter an "Klein Venedig" vorbei: ein Ensemble direkt am Wasser gebauter fränkischer Fachwerkhäuschen.
Die Stimmung ist gelöst, und der Sinn steht, wie er es in Franken an einem schönen Sonntag zu tun pflegt, nach Kloß mit Soß. Ein Landeplatz am Ufer findet sich schnell, und fast ebenso schnell sind die Riemen gelöst und das Onak zur Box eingeklappt. An Land spielt das Origamiboot seine volle Stärke aus. Der Rollkoffer überzeugt auf Bahn- und Flugsteigen, und auch ein paar Kilometer zu Fuß bringen einen damit nicht um. So schlendern wir von Wirtshaus zu Wirtshaus. Anaïs kann sich nicht entscheiden, für welches. Ich beende die Odyssee, indem ich mich irgendwo hinsetze und ein Bier bestelle. »Du musst mich halt nur machen lassen«, sage ich.