Kopf versus Körper: Alle Infos zum Ultrawandern

Kopf versus Körper
Alle Infos zum Ultrawandern

Wer 24 Stunden wandern will, braucht nicht nur Schmackes in den Beinen, sondern auch einen starken Kopf. Alles zum Phänomen des Ultrawanderns, beliebte Extremwanderrouten, Erfahrungsberichte sowie Produktempfehlungen die leicht und praktisch sind findet ihr hier.

Ultrawandern
Foto: Jens Klatt

6 Tipps für eine erfolgreiche 24h-Wanderung

  1. Trink genug! Hilfreich ist eine Trinkblase, weil man so permanent Wasser zur Verfügung hat. Zusätzlich kann man sich alle zwei Stunden vom Handywecker daran erinnern lassen, wieder zu trinken. Magnesium-Tabletten beugen Krämpfen vor.
  2. Nachtwandern: Zur Vorbereitung auf den harten Abschnitt durch die Nacht wandert ihr testweise ein- bis zweimal vorher bei Dunkelheit. So bekommt ihr ein Gefühl für den eigenen Körper unter diesen Bedingungen.
  3. Fitness: Den Körper sollte man schrittweise an die Belastung heranführen. Wie man das umsetzt? Regelmäßig lange wandern gehen, im Alltag bewusst Strecken zu Fuß zurücklegen und einen Schrittzähler aktivieren.
  4. Pack light! Was gehört wirklich in den Rucksack? Darüber macht ihr euch schon lange im Vorfeld Gedanken – und nehmt dann nur das Allernötigste mit. Auf langen Strecken zählt jedes Gramm.
  5. Trail-Entertainment: Musik motiviert und lenkt von Müdigkeit und Erschöpfung ab. Am besten stellt man sich entsprechende Playlists zusammen. Gut geeignet sind auch Spiele wie »Ich sehe was, was du nicht siehst« oder »Wer bin ich?«.
  6. Blasen vorbeugen: Präventiv kann man doppellagige Socken tragen. Vor der Wanderung sollte man die Füße pflegen und regelmäßig mit Hirschtalg eincremen. Ins Gepäck gehören Blasenpflaster, Tape und Desinfektionsmittel.

Unsere Ausrüstungstipps zum Gewichtsparen

Hike light – Bei Ultrawanderungen mit bis zu 170 Kilometern zählt wirklich jedes Gramm.

Diese Ausrüstung solltest du für deine 24h-Wanderung einpacken

    1. Funktionswäsche: Auf langen Wanderungen geht es nicht ohne Klimaanlage: Tragen Sie als unterste Schicht Funk­tionswäsche aus Kunstfasern oder Merinowolle. Denn Modelle aus Baumwolle speichern Feuchtigkeit und kleben unangenehm kalt auf der Haut, wenn sie einmal nass geworden sind.
    2. Passende Schuhe & Wandersocken: Viele 24h-Wanderungen wie z. B. die "24 Stunden von Bayern" verlaufen über gute Wege und Pfade. Trotzdem sollte man einen Schuh wählen, der guten Halt gibt, nicht zu schwer und trotzdem stabil ist – wichtig, wenn die Konzentration nachlässt. Außerdem sollten die Schuhe gut gedämpft sein. Laufen Sie sie unbedingt ein! Unverzichtbar fürs Fußklima und gegen Blasen: Wandersocken aus Funktionsmaterial oder Wolle.
    3. Fernglas: Bei einer 24 Stunden Wanderung lassen sich auch Tiere entdecken oder die Wälder erspähen. Mit einem kompakten Fernglas ist man auf Wanderungen bestens gerüstet: z. B. das Nikon Outdoor Fernglas Monarch M5 8x42 - hier auf Amazon kaufen
    4. Trekkinghemd: Bei wechselhaftem Wetter leistet ein langärmeliges Trekkinghemd gute Dienste. Es kommt immer dann zum Einsatz, wenn das Funktionsshirt allein zu kühl, die Soft­shell aber zu warm wäre. Wenn es warm genug ist, können Sie es wie eine Jacke in Pausen überziehen, damit Sie nicht auskühlen.
    5. Zip-Off-Hose & Softshelljacke: Eine bequeme Zip-Off-Wanderhose aus schnell trocknendem Material sowie eine gute Softshelljacke schützen gegen Auskühlung und leichten Nieselregen. Im Rucksack nehmen sie nicht viel Platz ein.

100 km Ultrawandern: Tobias Kretschmar erzählt

outdoor: Entschuldige die Frage, aber warum tust du dir das an?

Tobias Kretschmer: Weil ich wahnsinnig bin. Nein, man geht einfach jedes Mal an eine Grenze und überschreitet sie.100 Kilometer am Stück zu gehen, ist eine brutale Überwindung. Da sind Leute dabei, die sich nach 70 Kilometern hinsetzen und nicht mehr aufstehen können, weil der Körper streikt. Aber das Gefühl, wenn man im Ziel ankommt, das kann man schlecht beschreiben.

outdoor: Versuch es bitte trotzdem!

Tobias Kretschmer: Beim Zieleinlauf nach meinem ersten Hunderter hatte ich einen irrsinnigen Knödel im Hals. Ich dachte nur: Fang jetzt bloß nicht an zu heulen. Und dann war da auch ein wenig Trotz, weil viele Leute meinten, dass ich das eh nicht schaffe. Bei so einem Marsch ist die Willenskraft das Wichtigste.

outdoor: Kann das also jeder, der nur seinen Schweinehund im Griff hat?

Tobias Kretschmer: Also wandern kann eh jeder. Man muss sich nur pushen können. Auf einem Marsch habe ich zum Beispiel ein Ehepaar in seinen Siebzigern getroffen. Die sind 100 Kilometer gegangen. Inspiriert dazu haben sie ihre Enkel. Das hat mich beeindruckt.

outdoor: Was ist das Härteste an so einem Extremmarsch?

Tobias Kretschmer: Eindeutig die Nacht. Irgendwann lässt die Konzentration nach und die Wegfindung wird schwierig. Tagsüber sieht man die Markierungen noch ohne Probleme, nachts hat man trotz der Stirnlampe Probleme. Deswegen ist es besser, mit anderen unterwegs zu sein, damit man sich gegenseitig unterstützen kann.

outdoor: Wie sieht dein Jahr 2022 aus?

Tobias Kretschmer: Ab März bis September habe ich jeden Monat einen Marsch. Durch meinen Job als Glaser bin ich täglich zehn Kilometer auf den Beinen, und obendrauf gehe ch die acht Kilometer zur und von der Arbeit zu Fuß. Das ist das beste Training.

6 beliebte Extremwanderungen 
in Deutschland und im Alpenraum

Schuhe and und los!

  1. Megamarsch: Der Megamarsch ist einer der größten Anbieter auf dem Markt. 2022 stehen fast 20 Märsche mit Distanzen von 50 und 100 Kilometern auf dem Programm: meist in Stadtnähe in der Ebene (Köln, Berlin), aber auch mal durch hügeliges Gelände wie in den Stuttgarter Weinbergen oder bei München.
  2. 24h-Trophy: Bei der 24h-Trophy steht das Naturerlebnis im Mittelpunkt: Teilnehmende wählen Wanderungen mit Längen von sechs, zwölf oder vierundzwanzig Stunden. Ob Südtiroler Eggental, Königssee, Watzmann, Harz oder Salzburger Land: Die 24h-Trophy verläuft in ausgesucht schönen Bergregionen.
  3. Marsch zum Meer: Die steife Brise kann schon mal am inneren Schweinehund rütteln. Teilnehmende wählen unter anderem zwischen dem Original mit Strecken zwischen 27,5 und 66 Kilometern und der 7-Island-Edition, bei der man ab April bis Ende Oktober im Alleingang sieben ostfriesische Inseln umrundet.
  4. 48h Wandern Extrem Extrem: Schon ein paarmal 24 Stunden geschafft und es wird langweilig? Dann einfach verdoppeln. Auf der Rundtour von Diemelsee über Willingen und Korbach stehen in 48 Stunden mehr als 150 Kilometer und etwa 3500 Höhenmeter auf dem Programm. Wer das geschafft hat, ist bereit für (noch) Größeres!
  5. Münstermarsch: Brandneu ist der Münstermarsch, der von der Sektion Münster/ Westfalen des Deutschen Alpenvereins im August zum ersten Mal veranstaltet wird. In zwölf Stunden stehen 48,1 Kilometer auf dem Plan, in denen man einmal komplett die Stadt Münster umrundet. Sightseeing de luxe!
  6. Saale-Horizontale: 100 Kilometer und über 2300 Höhenmeter in 24 Stunden – dieser Herausforderung kann man sich im Juli im thüringischen Jena stellen. Auf der Saale-Horizontale umrundet man die Stadt auf aussichtsreichen und teils alpinen Pfaden. Verkürzen kann man auf 35 oder 42 Kilometer.

Ultrawandern: Ein Erfahrungsbericht

Wie in Trance setzt sie einen Fuß vor den anderen. 70 Kilometer hat sie bereits in den Beinen. Plötzlich taucht ein überdimensionaler Hase vor ihr im Gras auf. In diesem Moment erscheint es ihr völlig normal, dann schreckt sie hoch aus ihrem Sekundenschlaf und wandert weiter. Zeit zum Wundern bleibt nicht. Noch 30 Kilometer fehlen ihr bis zum Zieleinlauf. »Zwischen drei und vier Uhr morgens bin ich immer in einem richtigen Loch«, sagt Stefanie Nonnenmann. Hallu­zinationen sind dann keine Seltenheit. Die Nacht und ihre Tücken sind die größte Herausforderung für sie. Die Ultrawanderin aus Bayern ist Spezi­alistin, wenn es um lange Wanderungen geht. Seit 2018 hat sie an knapp 40 sowohl 50­ als auch 100­Kilometer­ Märschen teil­ genommen. Damit ist sie nicht die einzige in Deutschland.

Ultrawandern
Jens Klatt
Eine Stirnlampe ist in der Nacht Pflicht – schon um die Wegweiser zu finden. Nicht einschlafen!

Das Extremwandern, auch Ultrawandern genannt, boomt. »In den ver­gangenen Jahren hat sich ein gutes Dut­zend kommerzieller Veranstalter auf dem Markt platziert«, sagt Nonnenmann. Hinzu kommen Einzelevents mit Starts auf be­kannten Wanderwegen. Die fünf größten bieten zusammen etwa 60 Extremwande­ rungen im Jahr an. Wer will, kann quasi je­des Wochenende an einer teilnehmen. »Tendenz steigend, da passiert gerade sehr viel«, sagt Nonnenmann.

Wir-Gefühl unter Tausenden

Die Strecken variieren zwischen 20 und 170 Kilometer. Viele der Events finden in der Ebene und in Stadtnähe statt. Bergiger wird es auf Routen rund um süddeutsche Städte, wo mehr als tausend Höhenmeter hinzukommen. Ob Hamburg, Sylt oder München, es treffen sich mitunter Tausen­de und marschieren gemeinsam drauflos. Was alle eint, ist die Suche nach einer be­sonderen Herausforderung und nach dem großen Wir­-Gefühl, das sich auf solchen Gewaltmärschen einstellt. Für den Laien wirkt so eine Unterneh­mung im ersten Moment abschreckend. 50 Kilometer in 12 Stunden, 100 Kilometer in 24 Stunden, 150 Kilometer in 48 Stunden – warum sollte man sich das antun? »Der Reiz ist, sich dieser Herausforderung zu stellen und dann zufrieden und voll mit Emotionen ins Ziel zu wandern«, sagt Toni Graßl, Organisator der 24h-Trophy. »Das ist ein Körpergefühl, das man sonst nicht abrufen kann, weil so viel körperliche Leistung dahintersteckt«, sagt der Bergführer.

Ultrawandern
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Gemeinsam auf dem Weg zum Ziel.

Graßl setzt mit seiner 24h-Trophy vor allem auf das Naturerlebnis, das sich die Wanderer über viele Höhenmeter erarbeiten müssen. Die Wanderungen führen hinein ins bergige Gelände im Harz, in Südtirol oder im Berchtesgadener Land. So kommen bei der 24h-Rosengartentour in 24 Stunden schon mal 55 Kilometer und mehr als 2800 Höhenmeter zusammen. Im Gegenzug »brauchen sich die Teilnehmer um nichts zu kümmern«, weil sie mit dem Ticket zur Wanderung All-inklusive-Betreuung buchen. Verpflegung, Shuttleservice, Trailbegleitung, für alles ist gesorgt.

Dem Sonnenaufgang entgegen

Die Aussicht, an einem Verpflegungszelt anzukommen, sei auf so einer Wanderung immer ein Highlight. »Ganz besonders morgens, wenn man sich dem Frühstück nähert, kommt so ein richtiger Adrenalinstoß«, sagt Graßl. Die Sonne geht auf, ein neuer Tag beginnt, das Ziel ist zum Greifen nah. Insgesamt gehen einige Hundert Teilnehmer an den Start. Da sind die Veranstaltungen von Megamarsch schon ein anderes Kaliber.»Vor Corona hatten wir manchmal 4500 Teilnehmer«, sagt Pressesprecher Timo Siebels. Neben Mammutmarsch zählt Megamarsch in Deutschland zu den größten Anbietern von 24-Stunden-Wanderevents. Beide organisieren Ultrawanderungen mit 50 und 100 Kilometern Länge, überwiegend auf ebenen Strecken.

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Kurz Kraft tanken, bevor es auf die harte Nachtetappe geht.

Um einen reibungslosen Ablauf an den Versorgungsstationen zu garantieren, gibt es gestaffelte Startzeiten und eine Mindest- und Maximalgehgeschwindigkeit. Durchschnittlich dürfen Teilnehmer nur zwischen 4,2 bis sechs Kilometern die Stunde gehen. Das Megamarsch-Team fährt die Route vorher mit dem Rad ab. Muss sie geändert werden, sei es wegen umgestürzter Bäume oder Wegeschäden, geht die neue Streckenführung via GPX-Track an die Teilnehmer. Sollte sich während des Events jemand ernsthaft verletzen und kann nicht mehr weitergehen, wählt er die Notfallnummer und lässt sich von Sanitätern abholen. Bei Erschöpfung haben die Wanderer die Möglichkeit, Taxis oder Öffentliche zu nutzen. Oder man bittet gleich jemanden aus dem Bekanntenkreis, ob er oder sie in der Zeit des Marsches auf Standby bleibt.

Das Mindset muss stimmen

»Ob man es packt oder nicht, ist zu achtzig Prozent Kopfsache«, sagt Timo Siebels. »Mit der richtigen Einstellung kann man den Körper zu ungeahnten Leistungen bringen. Auch wenn irgendwann die Füße schmerzen.« Siebels hat selbst an einem 100-Kilometer-Marsch in Hamburg teilgenommen. Und dass es eine große Leistung ist,100 Kilometer am Stück zu wandern, zeigen die Zahlen. Die Finisher-Quote liegt zwischen 25 und 30 Prozent; bei 50 Kilometern deutlich höher bei 85 bis 95 Prozent. Der Kopfsache pflichtet Stefanie Nonnenmann bei. »Das Mindset muss stimmen: Wenn ich an den Start gehe, dann mit dem Ziel, auch die 100 Kilometer zu schaffen«, sagt sie. Sie rät aber klar dazu, gezielt zu trainieren und nicht darauf zu vertrauen, dass der Körper einfach so funktioniert. Mit einem neuen Auto fahre man ja auch nicht gleich 180 auf der Autobahn. In ihrem Sachbuch stellt Nonnenmann Trainingspläne vor.

Wer neu dabei ist, sollte sich sechs Monate lang vorbereiten und die Distanzen langsam steigern. Dadurch testet man auch seine Ausrüstung. Und wann weiß man, dass man bereit ist? Für den 100er sollte man 50 Kilometer gehen können, ohne danach tagelang Schmerzen zu haben. Für die 50-Kilometer-Wanderung reichen 30 oder 40 Kilometer. »Außerdem sollte man seinen Alltag gehend verbringen«, sagt Nonnenmann. Also das Auto stehen lassen, Wege zu Fuß zurücklegen, mal eine S-Bahn-Station früher aussteigen. Ob sie schon mal abbrechen musste? Ja. »Manchmal ist ein Abbruch auch wichtig, weil der einen wieder erdet«, sagt Nonnenmann. Man sollte vor jedem Marsch immer wieder aufs Neue Respekt haben. Es könne immer etwas passieren, ob Magenprobleme, ein verdrehtes Knie, eine Blase am Fuß. Für dieses Jahr plant Nonnenmann, an 20 Märschen teilzunehmen: 20 Mal endlose Müdigkeit, aber auch 20 Mal größte Glücksgefühle. Vielleicht sogar ohne Hasen.