Alles hat sie mitgemacht: ist über schwankende Stege gelaufen, über wackelige Seile balanciert und über Seilrutschen von Baum zu Baum gesaust. Doch jetzt zögert sie. Mara (8) lehnt in sechs Meter Höhe an dem Stamm einer soliden Buche und schaut hinüber zur nächsten Buche. Dort will sie hin, aber dafür muss sie die sichere Plattform verlassen und hinüberspreizen in eine Wand mit Klettertritten und -griffen. Sieht harmlos aus, von unten betrachtet. Doch wer oben steht, der hat eine ganz andere Perspektive – es ist wie damals im Freibad, als man zum ersten Mal auf dem Fünfer stand. Vorsichtig lehnt Mara sich hinüber, streckt das Bein und versucht, sich auf den ersten Tritt zu stellen, aber der ist weit weg, und der erste Griff noch ein Stück weiter. »Und wenn ich falle?«
»Kann nichts passieren«, ruft Karlotta, die schon drüben steht. Stimmt, passieren kann nichts. Zwei kurze Seile sichern Mara; wenn sie wirklich fallen sollte, bekommt sie einen Fangstoß und baumelt in der Luft. Aber das ist eine unangenehme Vorstellung. Der Mensch hat über die Jahrtausende gelernt, dass es sinnvoll ist, die Höhe zu fürchten. Und wenn das Unterbewusstsein »nein« sagt, dann lässt es sich nur schwer vom Gegenteil überzeugen. »Die Schwelle, ab der die Angst einsetzt, ist sehr unterschiedlich«, sagt Heiko Barthelmeß vom Hochseilgarten Rutesheim bei Stuttgart. »Aber nur ganz wenige kommen überhaupt nicht mit der Höhe klar.« Ein halbes Prozent, schätzt der hoch aufgeschossene, drahtige Mann mit dem unternehmungslustigen Blick.
Zusammen mit seinem Bruder Sven hat er vor zwei Jahren auf einem Areal von drei Hektar seinen Hochseilgarten eröffnet. Verzeihung, Waldhochseilgarten, darauf legt er Wert. Der Unterschied? »Für normale Hochseilgärten werden die Pfähle extra errichtet und einbetoniert. Solche Gärten nehmen meist eine recht kleine Fläche ein.« Ungefähr 350 davon gibt es in Deutschland. Bei den etwa 40 Waldhochseilgärten dagegen werden unterschiedlich schwierige Parcours direkt zwischen die Bäume eines lichten Waldes gelegt. Lauschig ist es im Buchenwald des Rutesheimer Waldhochseilgartens, obwohl er direkt an der Autobahnausfahrt von der A 8 liegt. Dass ein paar hundert Meter entfernt der tägliche Wahnsinn vorbeirauscht, davon hören die Gäste nichts.
An die 50 Leute balancieren an diesem Freitagnachmittag im Juni in den Bäumen herum, in Höhen zwischen drei und zwölf Metern. Unten am Boden steht gerade wieder ein Gruppe um eine Trainerin. Das Klettergeschirr haben die Jugendlichen schon an, der Helm sitzt, in den Blicken liegt eine mulmige Mischung aus Vorfreude und Nervosität. Manchen fällt es schwer, sich auf die Einweisung in die Sicherungstechnik zu konzentrieren. »Wir sichern uns in jeder Situation mit zwei Karabinern«, erklärt Gabi Dobler, eine von 22 Sozialpädagogen und Sportlehrern aus dem Team des Waldhochseilgartens. Wie man mit den Karabinern umgeht, wird vorher auf einem Miniparcours geübt, Vorwissen wird nicht benötigt. Nach ungefähr zehn Minuten hat jeder verstanden, wie es funktioniert, und es kann losgehen. »Unfälle hat es bisher keine gegeben, abgesehen von ein paar Abschürfungen und blauen Flecken«, sagt Barthelmeß und klopft auf Holz.
Gleichgewicht und Geschicklichkeit für das Abenteuer Hochseilgarten
Zwölf Parcours warten in Rutesheim, den einfachsten schaffen auch die jüngsten – sechs Jahre alt müssen die Besucher mindestens sein und einhundertzehn Zentimeter groß. Auf den härtesten Parcours dürfen nur über Achtzehnjährige, Jüngere wollte die Versicherung nicht zulassen. Und es ist ja auch nicht jedermanns Sache, in zwölf Meter Höhe an Seilschlaufen zu hangeln oder von einem baumelnden Autoreifen zum nächsten zu turnen. 20 bis 25 Minuten dauert ein Parcours im Schnitt, die Barthelmeß-Brüder und die Trainer schaffen den schwersten mittlerweile in fünf Minuten. »Aber es geht ja nicht um Leistung«, sagt Barthelmeß. Der Hochseilgarten trainiert Kraft, Geschicklichkeit, Gleichgewichtsgefühl und: Mut. Und da gibt es schon mal Überraschungen. »Oft sind es die Zurückhaltenden und Schüchternen, die sich im Hochseilgarten beweisen.« Der Effekt eines Waldseilgartens lässt sich an den Gesichtern derjenigen ablesen, die einen Parcours absolviert haben: heitere Gelöstheit. Vergangenes Jahr waren Neuntklässler aus der Albertville-Schule in Winnenden zu Gast, erzählt Barthelmeß. »Manche von denen haben zum ersten Mal wieder richtig gelacht, das war ein richtig schönes Erlebnis.«
So geht´s: 8 Tipps für den Hochseilgarten
1. Sicherheit:
Nie ungesichert in den Parcours gehen. Mindestens eine Sicherung muss geschlossen im Seil hängen.
2. Geduld:
Immer warten, bis der Vorgänger seine Übung absolviert und sich an der nächsten Station gesichert hat.
Erst dann selber starten.
3. Kleidung:
Ans Wetter angepasste Funktionskleidung ist optimal. Die Hose sollte Bewegungsfreiheit lassen, die Schuhe sollten fest sein. Ideal sind stabile Multifunktionsschuhe.
4. Gruppengrößen:
Hochseilgärten lassen unterschiedliche Gruppengrößen zu. Erkundigen Sie sich vor dem Besuch.
5. Körpergrösse:
In viele Hochseilgärten kommt man erst ab einer Körpergröße von 110 Zentimetern. Andere haben Altersbeschränkungen. Auch hier hilft nur: vorher informieren.
6. Ausrüstung:
Die Ausrüstung (Gurt, Helm, eventuell Handschuhe) wird vom Betreiber des Hochseilgartens gestellt.
7. Gewicht:
Einige Hochseilgärten haben eine Gewichtsbeschränkung für Teilnehmer, die Grenze liegt dann bei 120 bis 130 Kilogramm.
8. Infos:
Unter www.hochseilgarten.de können Sie herausfinden, welche Hochseilgärten sich in Ihrer Nähe befinden. Die Liste ist allerdings nicht vollständig. Den im Artikel beschriebenen Waldhochseilgarten finden Sie im Internet unter freizeitparkrutesheim.de.