Partner mit Fell
Eselwandern in der Südpfalz

Wandern mit Esel kann eine Geduldsprobe sein, aber auch herzerwärmend schön. outdoor-Autorin Lena Jauernig hat es in der Südpfalz probiert – mit Callison.

Eselwandern
Foto: Robert Bachmann/Der Brecher

"Während ihr wandert, soll Callison nicht fressen!", mahnt Eselpflegerin Barbara und krault ihrem Schützling zärtlich das Fell. Packesel Callison wird den Fotografen Robert und mich auf einer zweitägigen Wanderung durch den Pfälzerwald begleiten. Ich bin gleich doppelt gespannt auf die Tour. Zum einen auf üppige Mischwälder, romantische Wiesen, mystische Felsen und tolle Fernblicke. Und zum anderen auf unseren tierischen Begleiter.

Callison ist nahe der französischen Grenze, auf der Eselfarm "Ânecdote" im Örtchen Eppenbrunn zu Hause. Outdoorer können ihn und seine 12 langohrigen Kollegen als Packesel für Tagesausflüge oder mehrtägige Treks mieten. "Esel sind sehr gesellig und unternehmungslustig", sagt Barbara. "Sie lieben es, mit Menschen unterwegs zu sein." Eine kleine Schulung gibt es aber trotzdem: Wie lege ich Halfter und Sattel an, wie befestige ich die Packtaschen? Was gibt es bei der Fell- und Hufpflege zu beachten? Wie führt man den Esel und wie nutzt man das Führseil, um Kommandos zu geben? "Noch Fragen?", erkundigt sich Barbara zum Abschluss. Eine habe ich: "Warum darf Callison unterwegs nichts fressen?" – "Esel stammen aus kargen Steppen. Als Wüstentiere suchen sie ständig nach Nahrung. Wenn ihr das nicht konsequent unterbindet, kommt ihr nicht voran. In den Wanderpausen und abends auf der Weide darf Callison natürlich nach Herzenslust futtern." Ok, verstanden.

Callison darf nichts fressen

Barbara drückt mir das Führseil in die Hand. "Denk dran: Esel achten genau auf Körpersprache. Bist du unsicher, bewegt Callison sich keinen Zentimeter. Gibst du entschlossen die Richtung vor, folgt er dir gerne." Ich marschiere los – extrem entschlossen. Der Esel folgt gehorsam. Genau fünf Meter weit. Dann hält er an, senkt den Kopf und grast. "Der Esel darf nicht fressen!", ruft Robert. Ich interveniere mit einem schnellen Seilimpuls. Callison mampft unbeeindruckt weiter. "Dranbleiben. Er testest dich", mahnt Barbara. Ich ruckele noch vier, fünf Mal. Callison rupft weitere vier, fünf Grasbüschel aus. Schließlich hebt er seelenruhig den Kopf. Wir ziehen weiter. Zum nächsten Grasbüschel. Wieder wandert der Kopf nach unten. Diesmal reagiere ich schneller und platziere das Kommando, noch bevor der Schlawiner einen Grashalm zu fassen bekommt. Tatsächlich lässt Callison von seinem Plan ab. Wir wiederholen das Spiel noch ein paar Mal. Ich bin hochkonzentriert. Fotograf Robert amüsiert sich köstlich.

Barbara winkt uns zum Abschied zu, wir zuckeln Richtung Eppenbrunner Weiher. Esel können, wenn es darauf ankommt, zwar über 20 Stundenkilometer schnell rennen, doch sie bevorzugen meist ein gemächliches Wandertempo. Callisons Gemütsruhe färbt ab, ich fühle mich im Nu entschleunigt. Zeit zum Trödeln haben wir genug: Bis zum Naturfreundehaus Niedersimten, unserem heutigen Etappenziel, sind es nur 14 Kilometer. Laut Wander-App vier Stunden.

In der ersten Stunde schaffen wir einen Kilometer, im Stop-and-go-Modus durchs Schlaraffenland. Saftige Gräser, knusprige Rinde, zarte Blätter: Seit wir den Wald betreten haben, hält Callison alle paar Meter an, um zu naschen. Ihn zum Weitergehen zu überreden kostet jedes Mal enorme Mühe. Da! Jetzt reckt dieser Lump den Hals schon wieder nach einem Ast! "Du darfst nicht fressen! Hast du denn bei der Einweisung nicht zugehört!", schreie ich ihn entnervt an. Callison stellt sich taub und zermalmt eine Portion Buchenblätter. Der lässt mich und meine Wut einfach auflaufen! Typisch Esel: Mit Druck kommt man bei den feinfühligen Tieren nicht weit. Sie arbeiten freiwillig mit oder gar nicht. Eine Wesensart, die sie zu guten Lehrmeistern in Sachen Führungsstil und Kommunikation macht. Gelernt: Emotionale Ausbrüche verfehlen das Ziel.

Eselwandern
Robert Bachmann/Der Brecher
Esel sind ursprünglich Wüstentiere. Deswegen suchen sie ständig Nahrung.

Typisch Esel

Ich atme ein paar Mal tief durch, finde mein inneres Gleichgewicht wieder und versuche es erneut: "Du darfst nicht fressen", sage ich freundlich, aber bestimmt, ruckle am Seil und marschiere los. Und siehe da: Callison folgt. "Bravo mein Freund! Und jetzt machen wir Strecke." Aber daraus wird nichts, und das hat diesmal nichts mit Callison zu tun, oder nur indirekt. "Äh. Ich glaube, wir sind falsch abgebogen. Vor einer ganzen Weile schon." Robert studiert verwirrt die Karte. Wir waren offenbar so konzentriert auf Callison, dass wir nicht auf den Weg geachtet haben. Macht aber nichts. Ich bin inzwischen im Esel-Groove, die Ruhe selbst. "Kein Problem, gehen wir einfach zurück." Ich mache kehrt. Callison nicht. Er bleibt wie angewurzelt stehen. Schon wieder typisch Esel: Passiert etwas Merkwürdiges, halten die Tiere inne und analysieren erst einmal die Situation. Völlig zu Unrecht wird ihnen diese kluge, besonnene Art oft als Sturheit ausgelegt. Nach kurzer Bedenkzeit kommt Callison zum Schluss, dass wir ihn nicht ins Verderben stürzen wollen. Er setzt sich in Bewegung. "Danke, dass du uns vertraust", flüstere ich ihm ins Ohr. Ich fühle mich geehrt.

Der richtige Weg führt zum "kleinen Teufelstisch", einem Sandsteinfels, der aussieht wie ein überdimensionaler Pilz. Bizarr geformte Felstürme wie diesen kann man hier in der Südwestpfalz vielerorts bestaunen. Vom Teufelstisch steigen wir hinauf zum Eulenfels. Inzwischen kommt die kleine Karawane ganz ordentlich voran, also bleibt oben Luft für eine Pause mit Vesperbrot und Blick über den endlosen Wald. Callison labt sich an einem Strauch, dann geht es einen schmalen, wurzelüberwucherten Pfad bergab. An einer Steinstufe blockiert Callison plötzlich. Alle Versuche, ihn an dem hohen Absatz vorbeizulotsen, scheitern. Jetzt muss ich einen Vertrauensbeweis bringen. Ich lasse das Führseil los, damit Callison seinen eigenen Weg finden kann. Es klappt. Mit traumwandlerischer Sicherheit arbeitet er sich die steile Böschung hinunter. Dank ihrer harten, steilen Hufe sind Esel sehr geländegängig. Deswegen werden sie im Gebirge viel öfter als Lastentiere eingesetzt als Pferde. Noch etwas unterscheidet Esel und Pferd: Pferde sind Fluchttiere. Esel nicht. Obwohl ich Callison freigegeben habe, läuft er nicht weg, sondern bleibt ein paar Meter weiter stehen, bis wir aufholen. Die Wartezeit überbrückt er mit einem kleinen Imbiss.

Wir queren eine Straße und tauchen erneut ab unter hohe Baumkronen. Der Pfälzerwald ist das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands und steht als Biosphärenreservat unter besonderem Schutz. Gegen Ende des Tages wird der Wald zu einem richtigen Dschungel: Der "Teufelspfad" leitet vorbei an einem romantischen, moosüberwucherten Brunnen zu den 50 Meter hohen Teufelsfelsen. Auf, über, zwischen und neben den beeindruckenden Buntsandsteinformationen wuchern Farn, Moos und Efeu – eine Orgie in Grün.

Nach gut sechs Stunden rückt das Naturfreundehaus Niedersimten in den Blick, idyllisch an einem See im Wald gelegen. Auf einer eingezäunten Weide steht Heu und Wasser für Callison bereit. Wir versorgen den Esel, gönnen uns etwas Zünftiges zum Abendessen und fallen in die Betten. Ich bin ganz schön erledigt!

Eselwandern
Robert Bachmann/Der Brecher
So gehorsam folgt Callison nur sehr selten.

Morgens weckt mich ein lautes "I-ah". Callison. Ob er uns vermisst? Als wir nach dem Frühstück auf die Weide gehen, freue ich mich richtig, ihn wiederzusehen. Wir schmusen ein wenig, dann striegele ich ihn. Die Fellpflege ist wichtig, damit später keine Steinchen unter dem Sattel scheuern. Callison genießt das Wellnessprogramm. Sogar die Hufe lässt er sich bereitwillig auskratzen. Zurück zur Eselfarm nehmen wir eine andere, kürzere Route als gestern. Callison und ich sind jetzt zu zweit. Robert musste heute Morgen abreisen. Ob ich es schaffe, den kleinen Vielfraß alleine im Zaum zu halten? Wir folgen eine Weile dem idyllischen Gersbach, kraxeln eine steile Anhöhe hinauf und erreichen eine Siedlung, von der es über einen Höhenkamm Richtung Eppenbrunn geht. Die Sonne scheint. Die Aussicht ist herrlich. Der Esel frisst nicht.

"Hast dich ein bisschen verliebt", stellt Barbara lachend fest, als Callison und ich am Mittag pünktlich und in friedlichem Einvernehmen ins Ziel einlaufen. Ja, dieser sanftmütige Dickschädel ist mir ans Herz gewachsen. Und auch ich selbst bin ein bisschen gewachsen, an ihm und dieser besonderen Wanderung.

Tierisch nett unterwegs

Eselwandern ist ein Entschleunigungsprogramm für jedermann. Und man braucht noch nicht einmal Vorkenntnisse.

  • Anbieter: Eselwandern liegt im Trend, Anbieter gibt es vielerorts in Deutschland. Die Eselfarm Ânecdote nahe der französischen Grenze bietet Touren von zwei Standorten aus an: Eppenbrunn in der Pfalz und Obersteinbach im Elsass. Ânecdote ist übrigens ein Ableger der französischen Farm Gentiâne. Am Stammsitz im Nationalpark Cevennen werden seit 1984 Eselwanderungen angeboten. eselwandern-pfalz.de
  • Pakete: Mit Guide oder auf eigene Faust, als kurzer Spaziergang, Tagesausflug, Sternwanderung oder mehrtägiger Esel-Trek – Eselwandern umfasst bei Ânecdote das ganze Spektrum. Außerdem organisiert das Team Kindergeburtstage, Fotoshootings, Therapiestunden und sogar Managerseminare mit Eseln. Kinder bis zu 30 Kilogramm dürfen auf den Eseln auch reiten. Eine Tagestour mit Esel kostet 65 Euro, für zwei Tage beträgt die Gebühr 133 Euro.
  • Vorbereitung: Erfahrung mit Eseln braucht man nicht. Voraussetzung ist nur die Bereitschaft, sich auf das Tier und seine Bedürfnisse einzulassen. Das Ânecdote-Team sendet seinen Gästen vorab ein ausführliches Video-Tutorial. Vor Ort gibt es eine persönliche Einführung. Tipp: Einen Vorgeschmack auf die Herausforderungen des Eselwanderns gibt die französische Komödie "Mein Esel, ihr Liebhaber und ich". Die Story ist Geschmacksache, der Esel wunderbar authentisch.
  • Gepäck: Ein Packesel darf bis zu 30 Kilogramm tragen. Wichtig: Das Gepäck absolut gleichmäßig auf die beiden Packtaschen verteilen. Neben einer Waage gehören zur Ausrüstung, die Ânecdote stellt, auch Utensilien für die Fell- und Hufpflege. Die Menschen benötigen festes Schuhwerk, Regenkleidung und Verpflegung (die dann in die Satteltaschen kommt).
  • Verpflegung für den Esel: Esel kommen lange ohne Wasser aus. Meist reicht es, wenn das Tier vor und nach der Tour ausgiebig trinkt. An den Partner-Herbergen steht Wasser und Kraftfutter bereit.
  • Wandergebiet Pfälzerwald: Der Pfälzerwald ist mit 180.000 Hektar das größte zusammenhängende Waldgebiet Deutschlands und ein Eldorado für Wanderer und Biker. Von Eppenbrunn, dem Standort der Eselfarm Ânecdote, starten viele lohnende Touren. Unbedingt einplanen, ob mit oder ohne Esel: Knapp drei Kilometer von Eppenbrunn entfernt befinden sich die berühmten Altschlossfelsen. Das aussichtsreiche Buntsandsteinmassiv mit seinen bizarren, rostroten Felsformationen bietet einen faszinierenden Anblick.

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