Wasser und Wandern gehören nicht zusammen. Höchstens, wenn man sich das eine beim Ausüben des anderen in die Kehle schüttet. Jahrelang war dies für mich Gesetz. Bis ein rotes Gummiboot in der Redaktion eintraf und alles änderte. Seither durchlebe ich immer wieder Kindheitserinnerungen: Salzwasser in der Nase, die Angst,vom Drei-Meter-Brett zu springen, oder dass ich das Schwimmabzeichen in Bronze nicht bekam, weil ich einen Gummiring nicht hochtauchen konnte. Mit anderen Worten: Ich bin keine Wasserratte, geschweige denn eine Wildwasserratte.
Wandern mit Boot: So geht Packrafting
Warum ich etwas nervös bin? Heute werde ich ein aufblasbares Boot in meinen Rucksack stecken, auf die Birkkarspitze (2749 Meter) tragen und von dort über das Birkkar ins Hinterautal absteigen. Dort, mitten im Karwendelgebirge, entspringt die Isar, sie soll mich und das rote Gummiboot zurück zum Ausgangsort Scharnitz tragen. Natürlich kam dieses Boot nicht aus dem Spielzeugladen. Es ist ein sogenanntes Packraft: leicht, klein zu verpacken und für wilde Gewässer geeignet. Ebenfalls für Wildwasser geeignet ist mein Begleiter, Jens Klatt, seines Zeichens Fotograf und Profi-Paddler.
Bereits um sechs Uhr morgens verlasse ich das Karwendelhaus, zu dem ich gestern Abend aufgestiegen bin. Die Isar und mich trennt eine etwa 1000 Meter hohe Wand aus bröseligem Wettersteinkalk. Schon nach wenigen Metern merke ich die etwa sechs Kilo Zusatzgewicht durch Boot, Paddel, Helm, Trockenanzug, Spritzdecke, Schwimmweste und Bootsschuhe. Ich bin viel langsamer als sonst. Andere Bergsteiger überholen mich und mustern meinen Rucksack, in dessen Seitentaschen die roten Blätter des teilbaren Paddels stecken. Dann die Frage: »Was tust du mit einem Paddel auf dem Berg?«, gefolgt von einem leicht ironischen: »Hast du auch ein Boot dabei?« Gespannte Blicke. Dann die Erklärung. Große Augen. Glückwünsche. Weitergehen. Etwa drei Stunden wandere ich so durch die angenehm kühle Luft des Schlauchkars, hinauf auf den grell ausgeleuchteten Sattel und auf den mit Seilen gesicherten Gipfel. Dann stehe ich am höchsten Punkt des Karwendels und posiere mit Paddel vor einem weitläufigen Panorama, das heute bis ins Zillertal reicht. Vergessen sind die Angst vor dem Wasser, vergessen sind die vom schweren Rucksack schmerzenden Schultern. Nun folgt endlich der angenehme Teil. Denke ich ...
40 Grad Sommerhitze drücken aufs Gemüt
Beim Abstieg durch das südseitige Birkkar zeigt meine Sportuhr bei jedem Blick einen neuen Temperaturrekord, bei 40 Grad pendelt sie sich ein. Schatten? Fehlanzeige. Über Stunden geht es durch Geröll, die Sonne brutzelt, die Hitze drückt auf das Gemüt. Jens‘ Kopfhaut nähert sich farblich dem Rot des Packrafts an.
Nach einiger Zeit begleitet der Birkkarbach meinen Weg. Mit ihm verliere ich an Höhe. Der Gedanke an das rote Gummiboot im Gepäck schaltet auf Dauerschleife, genährt von dem Rauschen des Baches, der die Isar speist und später zum Wildwasser wird, auf dem ich paddeln werde. Schließlich bleibt die Mondlandschaft des oberen Birkkars zurück. Es folgt ein mannshoher Latschenwald mit leidlich Schatten, der nach und nach in einen richtigen Wald übergeht. Irgendwann am frühen Nachmittag stehe ich endlich im Hinterautal an der Isarquelle.
Der noch junge Bach schlängelt sich durch saftige Wiesen und vorbei an moosbewachsenen Findlingen, doch noch ist er zu seicht zum Paddeln. Meine Bedenken zerstreuen sich, vor so einem Bächlein habe ich doch keine Angst! Nach einer weiteren Stunde Fußmarsch ist das Bächlein zu einem stattlichen Bach angeschwollen, und auch die offizielle Einsetzstelle kommt in Sicht. Hier warten bereits das Kajak von Jens und outdoor-Kollege Alex Krapp, der als Safety Boater ein paar Meter hinter mir fahren wird, um mich im Notfall zu retten.
Das für den Verkehr gesperrte Hinterautal wird vom Taxiunternehmen Mair aus Scharnitz bedient, das mehrmals täglich Paddler zum Einstieg fährt. Auch ihre Blicke zieht das Packraft auf sich. Ein älterer Kanute interessiert sich besonders dafür, fasst immer wieder das Material an und bedauert mich. Ich werde wohl bald kentern, prophezeit er, denn die Isar führe Niedrigwasser. Es lägen viele Steine blank, die das Material schnell beschädigten. Danach dreht er sein Kajak in die Strömung und verschwindet. Na danke.
Nur kurz aufblasen und schon ist das Packraft einsatzbereit
Das Packraft ist schnell startklar. Es wird mit einem leichten Blasesack aus Nylon geliefert, der oben offen ist und unten ein Schraubventil besitzt. Zuerst fächert man Luft in den Sack, dann verschließt man ihn blitzschnell, und drückt die so eingefangene Luft in den Schlauch. Die Steifigkeit erhält es durch ein kleines Mundstück, mit dem man den nötigen Druck erzeugt.
Jens sagt, ich solle vorfahren und dann im ersten Kehrwasser auf ihn warten. Kehrwasser? Jens erklärt: »Das ist ruhiges Wasser, das man meist an Einbuchtungen oder hinter Felsen findet und in dem man sich, ohne zu paddeln, halten kann. « Dann wird es ernst: Ich setze mich ins Boot, das an einen aufblasbaren Autoscooter- Wagen erinnert, und drehe mich in die Strömung. Über die ersten Wellen hüpft mein Gefährt ohne Mühen. Auch runde Felsen im Bachlauf, denen ich nicht ausweichen kann, nimmt es problemlos: Erst stößt es an, dann dreht es sich an ihnen vorbei. Autoscooter eben.
Dann folgt das erste Kehrwasser. Ich steuere es an, drehe den Rumpf gegen die Strömung und paddle wie wild. Vergebens. Ich breche den Versuch ab. Das nächste Kehrwasser folgt bald. Doch auch für diese Nische ist meine Technik nicht ausgereift genug. Ich werde unruhig. Schließlich lasse ich mich am seichten Rand einer Kiesbank von den Steinen bremsen. Was wohl ein Kajak-Kurs gekostet hätte? Mein Selbstvertrauen ist dahin, weggespült von der nur drei Meter breiten Isar. Aber zum Abbrechen ist es zu spät. Nach weiteren Versuchen treffe ich tatsächlich einige Kehrwasser. Mittlerweile finde ich auch etwas Zeit, die Schönheit der Isar zu würdigen. Der noch junge Bach fließt in diesem Teil in einem weißen Kiesbett und schimmert türkisblau um den Rand des knallroten Bootes.
Action kommt auf der Isar nicht zu kurz
Parallel zum Fluss verläuft der Schotterweg, den die Bootslosen nehmen müssen. Ich bemitleide jeden einzelnen Wanderer und freue mich über meine Art der Fortbewegung. Plötzlich sehe ich den älteren Paddler, den ich von der Einsetzstelle kenne, am Rand warten. Er ruft: »Achtung, jetzt kommt der Katarakt.« Mein Puls schnellt in die Höhe. Nervös drehe ich mich um, suche nach Jens. Warum hat er nichts von der Passage erzählt? Und vor allem: Was ist ein Katarakt? Ich suche nach ähnlichen Begriffen, bleibe aber immer nur am Wort »Katastrophe« hängen. Blicke zum Ufer. Jetzt beneide ich die Wanderer. Gibt es noch Kehrwasser? Nein. Kann ich noch aussteigen? Nein. Horror-Bilder in meinem Kopf. Ist ein Katarakt ein riesiger Wasserfall?
Das Wasser fließt immer schneller. Noch eine Biegung, dann sehe ich eine steile Stromschnelle, in der große Felsen liegen. Das Schlauchboot bricht durch Wellen, sackt mit einem Platsch nach unten und taucht mit der Spitze voraus in die Isar ein, nur um bei der folgenden Aufwärtsbewegung noch heftiger gegen eine Wand aus Wasser gedrückt zu werden. Ich stoße auf Steine, stemme das Paddel gegen die Blöcke, um die Bootshaut des Packrafts vor ihnen zu schützen. Noch eine Kurve. Noch mehr Steine. Endlich: ein Kehrwasser. Rast. Jens und der Alte gratulieren.
Nach dem sportlichen Höhepunkt kommt der landschaftliche
Steile Grashügel nähern sich der Isar an, bis sie schließlich das Ufer berühren. Bald darauf flankieren Felsen den noch immer türkisfarbenen Bach. Der Sommerwind trägt den Geruch von Kiefern durch die Schlucht. Wo immer die Schlucht es erlaubt, trifft Sonne auf das klare Wasser. Bereits beim Zusammenfalten des Bootes in Scharnitz plane ich weitere Touren mit dem roten Packraft. Denn für mich steht mittlerweile fest: Wasser und Wandern gehören doch irgendwie zusammen.
Kanufahren: So gehts
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