Ein Paddeltraum in Finnland!
Es ist so unfassbar still, dass selbst mein Atem mir laut vorkommt. Das Wasser der Bucht, an deren Ufer wir sitzen, liegt spiegelglatt vor uns, und die untergehende Abendsonne taucht die ganze Szenerie in kräftige Farben. Dann durchbricht ein Vogel mit hektischen Krächzlauten die Stille.
Mira tippt mir auf die Schulter, dann deutet sie gen Himmel: »Ein Greifvogel«, flüstert sie. Hoch über unseren Köpfen gleitet etwas Großes majestätisch Richtung Sonnenuntergang. »Das Gekreische des Ohrentauchers eben war ein Ablenkungsmanöver«, fügt sie hinzu. Der Greif zeigt allerdings kein Interesse am Ohrentaucher, der daraufhin verstummt, abdreht – und zurück zum Nest schwimmt. Wieder nichts als Ruhe.
Meine Frau hat als Biologin ein Auge für solche Vorgänge. Ich hingegen beschäftige mich im Moment mehr mit der Frage, ob ich nach unserem Saunagang einfach in den See springen soll oder doch besser langsam reingleite. Durchgeschwitzt und dampfend blicken wir über eine der zigtausend Buchten des Saimaa, Finnlands größtem See. Genauer gesagt handelt es sich um ein gigantisches Seensystem aus mehreren größeren Einzelseen, die alle miteinander verbunden sind.
4500 Quadratkilometer Wasserfläche und fast 15 000 Kilometer Küste umfasst der Saimaa. Unser Camp liegt im Süden der Insel Linnansaari im gleichnamigen Nationalpark, Luftlinie rund 350 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Helsinki.
Wir haben hier eine kleine Holzhütte mit Stockbetten gemietet, gegenüber liegt eine überdachte Kochhütte mit Ofen, ein Grillplatz und eben eine der drei Millionen finnischen Saunen. Viel gepaddelt sind wir am ersten von drei Kajaktagen nicht, dennoch bin ich irgendwie platt. Mit einem beherzten Köpper verschaffe ich meinem Herzschlag einen Boost: Das Wasser ist frisch, aber nicht kalt, trotzdem tanzt mein Blut Samba.
Mira folgt mir etwas widerwillig ins Wasser, lässt sich das abendliche Bad aber nicht nehmen. Da Mira fast drei Jahre gar nicht im Boot saß, war der heutige Paddeltag als Einstand sowieso voll und ganz ausreichend. Schon auf dem ersten Kilometer nach unserem Start im Örtchen Oravi deckten die Wellenkämme des Haukivesi – eines Teilsees des Saimaa – unsere Bootsspitzen ein. Ein unschönes Gefühl, wenn man länger nicht gepaddelt ist.
Oravi liegt an einem Verbindungskanal zwischen zwei großen Seen, beim Rausfahren aus dem Kanal trifft die mit dem Auge kaum erkennbare Strömung auf den entgegengesetzten Südwind – das wirft Wellen auf. Zum Glück konnten wir relativ zügig zur nächsten Insel queren und so dem Wind entgehen, der von den offenen Flächen hinüberbläst. In den Saimaa-Gewässern gibt es rund 14 000 Inseln – wir befinden uns sozusagen in einem riesigen Labyrinth.
Die Ringelrobbe wäre beinahe ausgestorben
Noch eine Besonderheit macht den Saimaa einzigartig: die Ringelrobbe, genauer gesagt die Saimaa-Ringelrobbe, die nur im Süßwasser vorkommt. Nachdem ihr Bestand Mitte des 20. Jahrhunderts stark bedroht war, wird die Population mittlerweile wieder auf etwa 380 Robben geschätzt. Allerdings handelt es sich um ziemlich scheue Tiere, die man – außer bei Abwurf des Winterfells im Mai und Juni – nur selten zu Gesicht bekommt.
Den nächsten Tag beginnen wir mit einer kleinen Wanderung über Linnansaari. Neben dem großen Camp, in dem wir übernachtet haben, gibt es noch ein kleineres im Norden der Insel. Ein Rundweg verbindet sie, und wir genießen es, die Beine zu bewegen, bevor es wieder in die Boote geht. Der Weg führt durch einen dichten Wald, vorbei am Linnavuori-Aussichtspunkt, der einen wunderbaren Weitblick über das nicht enden wollende Blau verschafft.
Finnland ist zu über 80 Prozent von Wäldern bedeckt und besitzt 187 888 Seen. Während es ein verbreiteter Mythos ist, dass die Eskimos zahlreiche Wörter für Schnee kennen, benutzen die Finnen tatsächlich vergleichsweise viel Vokabular für Wasser: So haben sie zum Beispiel einen Begriff für offenes Wasser (selka), weil ihnen der Begriff See (vesi) allein nicht ausreicht. Die Aussicht stärkt die Vorfreude – ich will aufs Wasser!
Nachdem die Klamotten im Boot verstaut sind, paddeln wir zunächst entlang des Inselwestufers Richtung Porosalmi, einer kleinen Siedlung. Dort werden wir in einem Camp mit angeschlossener RentierFarm übernachten. Der direkte Weg nach Porosalmi würde über das offene Wasser Richtung Westen führen, wir aber entscheiden uns für einen Umweg durch die Inseln in nördlicher Richtung, die uns vor dem gegen Mittag auffrischenden Südwind schützen sollen. Eilig haben wir es eh nicht.
»Da, ein Horst von einem Fischadler!« Miras Spürsinn für Tiere erstaunt mich auch nach vielen Jahren mit ihr immer wieder.Während ich noch orientierungslos die Umgebung absuche, hat sie schon das Fernglas aus der Schwimmwestentasche gezückt. Hoch oben auf einem Baumwipfel thront der Horst. Der Fischadler hat uns natürlich schon längst entdeckt, startet gen Himmel und dreht ein paar Runden um seine kleine Insel. In seinen Klauen hält er irgendwas, ich kann es mit bloßem Auge nicht erkennen. »Ein Fisch! Wir haben ihn beim Futtern gestört«, sagt Mira. Ein zweiter Fischadler gesellt sich zu ihm, gemeinsam signalisieren sie: Haut ab, das ist unser Reich!
Sich nicht zu verirren erfordert Konzentration
Langsam paddeln wir weiter. Während Mira stetig den Horizont nach Tieren abscannt, konzentriere ich mich darauf, dass wir nicht verloren gehen. Hört man nämlich auf, die passierten Inseln mit der Karte abzugleichen, ist man schnell orientierungslos. Zwar habe ich für Notfälle ein GPS dabei, doch in mir brennt der Ehrgeiz, ohne technische Hilfsmittel klarzukommen.
Als wir eine Pause an einem kleinen Durchstich machen, massakrieren zwei Schwarzspechte neben uns einen Baum.Außerdem sichtet Mira Elchsköttel. »Hier, auf einer Insel?« Das verwirrt mich zunächst. Aber Elche sind gute Schwimmer und schrecken auch vor längeren Strecken nicht zurück. Mira ist begeistert. Bloß von der Ringelrobbe fehlt weiterhin jede Spur.
Dadurch, dass der Wind durch den Durchstich bläst, bleibt unser Pausenplatz trotz des Schilfgürtels mückenfrei – und so können wir die finnische Regel brechen, sich möglichst steinige Plätze zum Pausieren zu suchen.Wir brutzeln ein paar finnische Käsewürstchen in der Pfanne, die überraschend gut schmecken. Der kulinarische Höhepunkt steht aber hoffentlich noch bevor: Ein erfolgreicher Angler auf Linnansaari hat uns bei unserer Abfahrt einen Lachs geschenkt, und aus dem wollen wir am Abend Flammlachs machen, eine finnische Spezialität.
Dafür wird der Fisch an ein Holzbrett genagelt und zum Garen dicht ans Feuer gestellt. Bei der Weiterfahrt kommen wir wieder an einem Adlerhorst vorbei, diesmal auf einem riesigen Findling im Wasser. Nach ein paar Kilometern drehen wir ab Richtung Westen, nun geht es aufs offene Wasser. Zwischen den Orten Varkaus im Norden und Savonranta im Süden verläuft eine Schifffahrtsroute – was in Finnland nicht viel Verkehr bedeutet, aber etwas Wachsamkeit verlangt. Der Wind frischt auf den ungeschützten Flächen auf, weht aber lange nicht so stark wie am ersten Tag. Mittlerweile hat Mira sich daran gewöhnt, dass das Ufer manchmal verschwindet.
Kleine Holzstege ragen ins Wasser,vereinzelt werden Hütten hinter den Bäumen sichtbar: Wir nähern uns Porosalmi. Und gerade hier passiert sie, die höchst unwahrscheinliche Begegnung! Mira deutet stumm auf den kleinen schwarzen Punkt im Wasser, der uns aus sicherer Entfernung begutachtet. Ich bin völlig perplex und mache ein paar vorsichtige Paddelschläge Richtung Ringelrobbe. Wir starren uns an. Ich erkenne die beiden Augen, die Nasenspitze. Für einen kurzen Moment kommunizieren wir stillschweigend, bevor die Robbe langsam abtaucht und verschwindet. Glücksgefühl durchfährt mich – was für ein unvergesslicher Moment!
Nach diesem Erlebnis fehlt nur noch der Elch auf Miras Wunschliste.Als wir später am Feuer sitzen und der Fisch zu duften beginnt, beschäftigt meine Frau allerdings vor allem die Idee, dass ein finnischer Lapphund gut zu unserem Königspudel daheim passen würde. »Die sind freundlich, klug, agil und gesellig«, schwärmt sie. Mir reicht neben unserem Sohn der Pudel als Mitbewohner, und so probiere ich es mit dem einzig erfolg-versprechenden Ablenkungsmanöver: »Schatz, das Essen ist fertig!«
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