Christo Foerster: Ich glaube, da spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Viele Menschen verspüren eine Sehnsucht, eine Lust auf herausfordernde Erlebnisse in der Natur – und finden keine einfache Lösung. Mit der Idee des Mikroabenteuers, des kleinen Abenteuers vor der Haustür, sind die Ausreden weg: Für großartige Erlebnisse muss man keinen großen Aufwand treiben. Vielleicht wäre das Buch vor 40 Jahren belächelt worden, aber jetzt trifft das Thema einen Nerv der Zeit. Zudem ist das Buch sehr authentisch, der Inhalt kommt aus meinem Leben.
Woher stammt das Konzept des "Mikroabenteuers"?
Abenteuer vor der Haustür sind keine Neuerfindung des Rades, neu ist nur der Begriff. Der Brite Alastair Humphreys hat ihn im Jahr 2014 geprägt: »Microadventures«. Ich habe ihn eingedeutscht. Außerdem habe ich ein paar eigene Regeln entwickelt: Ein Mikroabenteuer dauert für mich acht bis 72 Stunden, man benutzt dabei kein Auto und natürlich erst recht kein Flugzeug, und wenn ich draußen übernachte dann ohne Zelt.
Ja, letztes Jahr bei einem Event am Schliersee. Kontakt hatten wir vorher schon, wir tauschen uns öfter aus. Es war also nicht die große Überraschung, dass wir uns auch bei der realen Begegnung gut verstanden haben.
Klar, zumindest kann sie es sein. Man darf aber das Konzept nicht verwässern. Wenn du einen Spaziergang machst oder mit deinen Kindern auf einen Kirchturm steigst, ist das schön, aber kein Abenteuer. Beim Abenteuer musst du eine gewisse Ungewissheit akzeptieren und deine Komfortzone verlassen. Abenteuer kann die Tour zum Beispiel werden, wenn ich mir vornehme, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang unterwegs zu sein, ohne irgendwo einzukehren.
Da gab es vor ein paar Jahren ein Schlüsselerlebnis. Ich telefonierte mit einem Kumpel aus Berlin (Christo Foerster lebt in Hamburg), und irgendwann fiel der Satz: »Wir müssen uns mal wieder treffen.« So lief das immer, nie passierte es. Da überkam es mich: Ich schlug vor, dass wir uns am nächsten Morgen um zehn Uhr am Brandenburger Tor treffen und frühstücken gehen. Und dass ich mit dem Fahrrad komme. Gestartet bin ich um 16 Uhr, die Distanz betrug 324 Kilometer, und es war echt hart, aber fantastisch und ein großes Abenteuer.
Stimmt, ich war immer sportlich aktiv und hatte ein gutes Fahrrad bereitstehen. Sonst wäre so etwas wirklich bekloppt. Aber: Zu der Zeit war ich seit zehn Jahren nie mehr als 20 Kilometer am Stück gefahren. Auf der Rückfahrt nach Hamburg mit dem Zug war ich völlig hinüber. Und sehr glücklich. Weniger als 24 Stunden nach dem Start stand ich wieder zu Hause im Flur.
Ich habe die Aktion auf Facebook gepostet und bekam jede Menge positives Feedback. Viele Leute wollten plötzlich ähnliche Dinge unternehmen. Mir hat es viel gegeben, sie zu motivieren. Und ich begann, öfter die gewohnten Bahnen zu verlassen – mit Kurs auf die Natur.
Ja, ich glaube schon. Wir verfallen immer mehr in Muster, wollen im Job mehr leisten, besitzen immer mehr Dinge, und die digitale Kommunikation frisst auch viel Zeit. Es ist schon ein Paradox, wir haben ja statistisch viel mehr Freizeit als Arbeitnehmer in den 1950er Jahren – und trotzdem fehlt vielen Menschen ein Gefühl von Freiheit.
Können Mikroabenteuer weite Reisen ersetzen?
Natürlich haben Reisen in andere Länder und Fernreisen ihren Reiz. Aber sie bedeuten häufig eine Auszeit oder Flucht vom Alltag. Das, was wir eigentlich suchen, liegt oft viel näher, als wir denken: Herausforderung, Spannung, neue Perspektiven. Mikroabenteuer lassen sich in den Alltag integrieren, bieten die Chance, diesen zu verändern. Und wenn man ehrlich ist, kann man andere Kulturen auch auf einer ostfriesischen Insel oder in Thüringen kennenlernen. Wer in Indien ernsthaft in das dortige Leben eintauchen will, hätte einen echt harten Urlaub vor sich.
Ich habe dazu keine Zahlen. Durch meine Vorträge mit anschließenden Diskussionen würde ich schätzen, dass es sich in etwa die Waage hält. Ich weiß, das Buch liest sich, als wäre es eher für Städter konzipiert. Aber gerade die jüngeren Menschen auf dem Land haben oft keinen engen Bezug mehr zur Natur und freuen sich über Inspiration.
Eine Nacht draußen, die man nicht an einer Destination festmacht. Zum Beispiel eine Übernachtung ohne Zelt im Garten oder eine Wanderung.
Zu zweit losziehen. Oder mit einem Hund, sofern möglich. Das Unsicherheitsgefühl ist in erster Linie Kopfsache, ein Tag in einer Großstadt birgt viel mehr Gefahren als eine Nacht im Wald. Aber es stimmt, dass ein kleines Restrisiko bleibt.
Sehr gute! Sie durchbrechen komplett unser Alltagsmuster. Man muss sich ungewohnten Fragen stellen, zum Beispiel, wie man sich morgens frisch macht. Und obwohl man nicht so tief schläft wie im eigenen Bett, fühlt man sich irgendwie fit am nächsten Tag – vom vielen Sauerstoff. Der Tiefpunkt kommt erst nach Feierabend, sodass man besonders müde und glücklich aufs Sofa oder ins Bett fällt.
Darf man einfach draußen übernachten?
Das ist eine Grauzone. Wildes Zelten ist in Deutschland verboten, Biwakieren nicht. Allerdings sollte man sich an Verordnungen halten, zum Beispiel nicht im Naturschutzgebiet übernachten.
Zecken scheinen mich nicht zu mögen, ich bin auch nicht gegen FSME geimpft. Ich suche mich einfach nach meiner Rückkehr ab. Eine Zeckenzange sollte man für Akutfälle aber immer dabeihaben.
Unterschiedlich. Manchmal habe ich Lust auf Kochen und nehme entsprechend Ausrüstung mit, manchmal muss kalter Proviant reichen. Ich schwöre auf Couscous, das ist mit Heißwasser total schnell zubereitet. Und ich habe ein Faible für kalte Pfannkuchen. Man kann aber auch unterwegs was kaufen. Essen sollte echt niemals der Grund sein, auf Abenteuer zu verzichten!
Braucht man für Mikroabenteuer eine Grundausstattung?
Ich will die Ausrüstungslatte nicht hochhängen, das bremst Leute schnell aus. Zum Draußenübernachten braucht man natürlich einen guten Schlafsack plus Isomatte oder Hängematte, ein Biwaksack oder Tarp ist ebenfalls nützlich. Wandern kann man in Turnschuhen, sofern man nicht im Hochgebirge unterwegs ist.
»Wo die Angst ist, da geht's lang.« Diesen Satz aus meiner Coaching-Ausbildung finde ich super. Natürlich geht es nicht um Todesangst. Aber man sollte etwas tun, was einen Reiz besitzt und wovor man sich zugleich ein wenig sträubt.
Klingt wohl pathetisch: Familie gründen, Kinder bekommen. Außerdem ziehen sich Abenteuer durch mein ganzes Leben. Das Thema Abenteuer und Abenteurer vertiefe ich in meinem neuen Buch »Raus und machen«. Seit einiger Zeit steht »Abenteurer« auch auf meiner Visitenkarte. Das wollte ich schon immer, habe mich aber lange nicht getraut.
Video: Christo Förster auf Tour
Unter dem Hashtag #rausundmachen stellt Christo auf Instagram viele weitere Anregungen fürs nächste Mikroabenteuer zusammen: