Bürostress und schwüle Stadtluft – spätestens Anfang Juli wächst bei mir die Sehnsucht nach See, Wald und Natur. Kumpel Jérôme geht es genauso, nur: wohin, was machen? Jérôme mag Reisen nach Kuba oder Südostasien, zur Entspannung Festivals oder eine Tour mit der Band. Ich bevorzuge die Alpen, Mountainbike-Trails und Roadtrips, je weniger Zivilisation, desto besser. Aber für etwas Aufwendiges haben wir gerade keine Zeit, allenfalls ein Wochenendausflug wäre drin. Vielleicht campen? Ein Bekannter schlägt vor: "Fahrt doch an den Schluchsee." Der liegt im Schwarzwald, so viel weiß ich, und sofort blinken meine Warnleuchten: Angst vor dunklen Tannen und vor Touristen auf der Suche nach Kuckucksuhren.
Neugierig werde ich aber doch, denn man soll auf dem Campingplatz lauschig in einem Wäldchen zelten können, ganz ohne Gartenzwerge, Satellitenschüsseln und Rollrasen. Und außerdem behauptet unser Gewährsmann, auf einem Bild des Camps fliegende Zelte gesehen zu haben. Die Vorstellung gefällt mir, Jérôme überzeugt eher die schnelle Anreise und der Umstand, dass das Wort Naturcamp Steckdosen nicht ausschließt, wie unsere Recherche im Netz ergibt.
Schwarzwald-Camp: Natur inklusive Bonus
Der Platz heißt schlicht Schwarzwald-Camp, versteckt auf 930 Meter Höhe oben im Südschwarzwald. Die nächste große Stadt ist Freiburg, aber das liegt 50 Kilometer westlich weit unten im Tal. Mit anderen Worten: Es kommt uns erst einmal ganz schön still vor hier oben. Camp-Aufsicht Christian zeigt uns auf dem Plan die freien Plätze. "Schaut einfach, wo es euch gefällt", sagt er. Das sind für einen Campingplatz ungewohnt angenehme Töne, und so streifen wir durch lichten Nadelwald, der Boden federt unter den Füßen. Zwischen Blaubeersträuchern und Fichten führen die Pfade entlang und verbinden die kleinen Flächen für die Zelte. Viele Plätze sind es nicht, abends wird das Camp komplett belegt sein. Gut, dass wir uns angekündigt haben. Wie es aussieht, sehnen sich auch andere nach dieser Art Erholung: direkt in der Natur, trotzdem mit dem Bonus, Dusche und WC auf dem benachbarten Campingplatz nutzen zu können. Ein frischverliebtes Pärchen campt in der Nähe, eine Familie aus Frankreich nebenan.
Die Rucksäcke fliegen von den Schultern: Hier bleiben wir und machen es uns bequem, mit Camping-Sessel, Hängematte und Benzinkocher. Gewicht sparen war beim Packen schließlich unnötig, auch beim Zelt konnten wir auf die geräumige Komfort-Variante mit Riesenvorzelt zurückgreifen. Langsam stehen auch die inneren Uhren auf Ankommen: Schuhe aus, Brot auf den Tisch und entspannen. Die Nachbarskinder kommen zu Besuch und balancieren auf der Slackline. Die leise Gitarrenmusik aus Jérômes Outdoor-Box vereint sich mit dem Ploppen der Kronkorken zum Soundtrack fürs Urlaubsgefühl.
Sommerfreuden: Zelten, wandern, picknicken
Wenn die Tage heiß werden, wird der Frühstart zur Pflicht, denn in den Schwarzwald zu fahren, ohne zu wandern, das geht irgendwie nicht. Sportliche Höchstleistungen stehen aber nicht auf dem Plan, obwohl sich rund um den Schluchsee jede Menge Tagestouren verteilen und ihn solch spektakuläre Fernwanderwege wie der 118 Kilometer lange Schluchtensteig streifen. Weil Jérôme die Panorama- Fähigkeiten seiner Spiegelreflex- Kamera testen will, entscheiden wir uns für eine Tour zum Bildsteinfelsen, der immerhin auf 1134 Meter Höhe liegt. Ein gewundener Pfad führt zum Aussichtspunkt. Dort verstehen wir erst einmal die Welt nicht mehr, denn der Wald hat sich das Panorama zum Teil zurückerobert. "Wahrscheinlich waren die Bilder, die ich gesehen habe, alt", sagt Jérôme etwas enttäuscht. Ein Picknick aus dem Rucksack hebt die Laune wieder, und ein bisschen See sieht man schließlich trotzdem.
In der Mittagshitze wird uns jede Bewegung zu viel. Wir chillen am Zelt, fläzen auf Isomatten unter Tannen, die ein turmhohes Sonnendach bilden. Jérôme liest, mir steht der Sinn nach Kaffee, nach richtig gutem aber. Jetzt schlägt die Stunde der Mokka-Kanne, die sonst aus Platzgründen oft zu Hause bleibt. Ab auf den Kocher, ich inhaliere den Duft. Jérôme lacht nur und lästert: "Das war‘s wohl mit dem Minimalismus, oder?" Er hat recht, mein Wildnisethos wankt – die Dusche morgens war prima, und Instantkaffee wäre jetzt nicht das Gleiche.
Nicht ganz so schwarz wie der Kaffee, aber ziemlich braun breitet sich vor uns das Wasser des Schluchsees aus. Bis vor hundert Jahren war er noch ein kleiner Gletschersee, erst der Bau der großen Staumauer machte ihn zum größten See im Hochschwarzwald. Christian vom Camp erklärt uns später, wie die Farbe entstand: "Mit der Wasserqualität hat das nichts zu tun, die ist hervorragend. Schuld sind eigentlich die Nazis", sagt er, "denn die haben den See mit Torf abgedeckt." Das klingt verrückt, sollte aber die Staumauer vor den Bomben der Alliierten verbergen. Mit der Zeit sank der Torf auf den Grund. Gemeinsam mit den moor-haltigen Zuflüssen färbt er das Wasser bis heute braun.
Unbedingt machen: Paddeln auf dem Schluchsee
Wer sich für ein paar Tage im Camp entscheidet, sollte die Chance nutzen, bei Camp-Chef Raphael Kuner, einem passionierten Wassersportler, ein paar Lektionen zu lernen. Oder in seiner Paddel-Schule Rafftaff – die Boote liegen in der Amalienbucht nah beim Camp. Hier starten Kurse und Touren, außerdem stehen Kanadier, Kajaks und Stehpaddelbretter zum Verleih. Das nutzen wir und schieben einen feuerroten Kanadier in den braunen See. Nach kurzer Team-Koordination stechen die Paddel tief ins Wasser, das wie eine spiegelnde Kupferscheibe vor uns liegt. Ohne ein Wort zu wechseln, paddeln wir am Ufer entlang, der Rumpf des Kanadiers gleitet durch das Abendlicht. Hier fühlt man sich endgültig weit weg von allem Alltagstrubel.
Abends zieht es uns tiefer in das Gelände des Schwarzwald-Camps – es wird Zeit, das Geheimnis der fliegenden Zelte zu lüften. Auf Holzplattformen thronen hier Tipis, davor stehen Trapperstühle und Tische auf dem Deck wie auf einer Veranda. Vollausgestattet bieten sie Gästen Komfort und Natur in Kombi. "Glamping" nennt sich diese Art des Zeltens, eine Mischung als Glamour und Camping. Sogar das Frühstück kann dazugebucht werden. Am besten gefallen mir aber die Baumzelte. Versteckt in Hecken und Wald scheinen sie unter den Fichtenwipfeln zu schweben – tatsächlich sind sie mit Gurten in den Bäumen verzurrt, darunter hängt ein Sicherungssegel. Die Bewohner erreichen ihr Nachtquartier über eine Strickleiter, zum Essen setzen sie sich unten im Schatten an den Tisch.
Feuerstellen verteilen sich im ganzen Camp auf die kleinen Lichtungen. Luxus pur: Sogar das Brennholz dafür liegt gespalten im Gatter bereit, das Abendessen vom Grill ist gesichert. Unsere Nachbarn stoßen zu uns, sie haben Teig für Pancakes dabei. Sie diskutieren kurz, ob es in Ordnung geht, die Heidelbeeren im Camp zu essen – wir füllen schon mit blau verschmierten Fingern ein Körbchen. In kleinen Pfannen an langen Holzstangen backen die Pfannkuchen, bis alle kugelrund und glücklich sind. Sahnehäubchen des Tages: Auf dem Rücken liegend unterhält uns der klare Himmel mit Sternschnuppen-TV.
Frühmorgens scheint die Sonne ins Zelt. Weil wir gestern süchtig nach Sternen und Lagerfeuer erst spät in die Schlafsäcke gefunden haben, entscheiden wir uns zu einem entspannten Frühstück in den Heidelbeersträuchern. Während das Sonnenlicht die Lichtung flutet, genießen wir mit Isomatten, Kaffee, Kocher und Tee ausgerüstet den beginnenden Tag. Schnipseln Bananen zu den letzten Heidelbeeren ins Müsli und tanken noch einmal Energie für zu Hause.
Der Stellplatz auf dem Schwarzwald-Camp kostet 8 Euro pro Nacht. Hinzu kommen 7 Euro pro Person. Mehr: www.schwarzwaldcamp.com
Auch empfehlenswert: Eine Trekkingtour durch den Nationalpark Schwarzwald - mit der Möglichkeit im Wald zu Zelten. Infos dazu in der Fotostrecke: