Bavona-Tal, Vallemaggia, Verzascatal: Wanderparadies Tessin

Frühjahrstouren im Tessin
Wandern im Bavona-Tal, Verzascatal, Vallemaggia

Im Frühling erfüllt der Klang der Wasserfälle und Wildbäche die engen Täler des Tessins. Wir stellen euch die fünf schönsten Touren für einen Saisonauftakt in der Sonne vor ...

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Foto: Ben Wiesenfarth

Lage & Charakter

Das Tessin gilt gemeinhin als die Sonnenstube der Schweiz. Besonders die Täler der Maggia und der Verzasca mit ihren glattgeschliffenen Granitformationen und ausgewaschenen Flussbetten sind ein Paradies für Wanderer. Ist bei den Wanderungen entlang der Flüsse nur eine geringe Höhendifferenz zu überwinden, sind die Berghänge ausgesprochen steil. Wanderer sollten auch auf gut ausgelaufenen Pfaden ein paar Stöcke im Gepäck haben: Die Kniegelenke werden sich freuen. Beste Reisezeit: Von Mai bis Oktober. Die südliche Lage macht die Tessiner Berge im Frühling schon beizeiten schneefrei, im Sommer sind die meisten Bergwanderungen durch die hohe Lage angenehm luftig.

Anreise und Transport vor Ort


Mit der Schweizer Bahn (SBB) bis Locarno, von dort führt ein gut organisiertes Busnetz durch die verschiedenen Täler. Die meisten Ausgangs- und Zielorte der Wanderungen liegen nahe einer Busstation. Der Locarno-Regional-Pass kostet 108 CHF für 7 Tage freie Fahrt im öffentlichen Nahverkehr (Postauto und Bahnen), auch in den Seitentälern. Von Locarno nach Cevio verkehren die privaten FART-Busse (40 Minuten, Linie 315). Mit dem Auto vom Gotthard oder über den Lukmanierpass kommend auf der A 2 bis Ausfahrt Bellinzona Süd. Von dort der Beschilderung Richtung Locarno bzw. den braunen Schildern ins Valle Maggia oder Val Verzasca folgen. Für die Benutzung der Autobahnen in der Schweiz ist eine Jahresvignette für 40 CHF erforderlich, gültig jeweils ab 1. Dezember bis 31. Januar des übernächsten Jahres.

Touren

Weitere Reiseinfos und unser Tourenbericht

Hier im Tessiner Bavona-Tal zeigt sich, wie sehr Mensch und Natur verschmelzen können: Auf der rund zehn Kilometer langen Talsohle von San Carlo (938 m) bis Cavergno (465 m) zum Beispiel haben große Erdrutsche steile und steinige Kegel gebildet. Zahlreiche Felsblöcke liegen quer in dem Gletschertal verstreut und wurden oftmals direkt mit den typischen Tessiner Häusern – den Rustici – verbaut. Ein gut ausgeschilderter Talweg führt von Norden kommend von San Carlo durch Sonlerto im Val Bavona. Südlich des Dorfes biegt er nach links auf eine kleine Wiese. Dort türmt sich ein über zehn Meter hoher Felsbrocken neben dem Weg auf, eine alte Steintreppe führt auf den vollkommen zugewucherten Stein. (Impressionen siehe Fotostrecke oben)

Pittoresk geht es weiter: Über eine Holzbrücke gelangt der Wanderer über den Fluss Bavona. In den Sommer- und Herbstmonaten unscheinbar klein und harmlos, führt er nach der Schneeschmelze oft reißendes Wasser. Ein angenehm schattiger Wanderweg, teils von Steinmauern eingefasst, folgt seinem Lauf entlang der Dörfer Sèrta, Faèd und Rosèd nach Foroglio. Mit immer mächtiger werdendem Rauschen macht sich der Wasserfall gleich neben dem Dorf schon von weitem bemerkbar. Aus 80 Metern Höhe prasselt das Wasser auf einen Felsengrund, der von blühenden Wiesen gesäumt wird. Von dort zweigt ein Abstecher ins Val Calnègia.

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Ticino Turismo Alessio Pizzicannella
Blick ins Bavona-Tal.

Bis ins 16. Jahrhundert war das Bavona-Tal ganzjährig bewohnt. Dann wurden die Winter in dem über 900 Meter hoch gelegenen Seitental des Maggia-Tals immer strenger. Erdrutsche und Lawinen machten das Leben noch gefährlicher, als es in den Bergen ohnehin schon war. Heute lebt hier nur noch im Sommer jemand im Tal. Auch Guido Mafli, der Wirt der gemütlichen Grotto Bavona in Sonlerto, kehrt seiner Gaststätte im Winter den Rücken. »Im Schnee ist es hier oben nicht so idyllisch, wie sich das die Touristen im Sommer vorstellen.« Manchmal bleibt Sonlerto wochenlang eingeschneit. Als Wintergrenze der Zivilisation, wenn man so möchte, gilt deshalb seit jeher der Ort Cavergno, wo sich Val Bavone und Maggia-Tal treffen. Übersetzt heißt Cavergno (Casa d‘inverno) so viel wie »Winterhäuser«.

Im Frühling verirren sich nur wenige Menschen in das kleine Seitental, an dessen Nordflanke steil die blanken Felsen in die Höhe schießen. In ihrem Schatten geht es auf verwunschenen Wegen zur kleinen Siedlung Puntid, wo sich der Fiume Calnègia tosend hinabstürzt. Über das Geröll seines Bachbettes erreicht man die Alm Gerra (1045 m). Die direkt an die Felsen gebauten Hütten sind Musterbeispiele der Tessiner Rustico-Kultur. Harmonisch fügen sich die Häuser mit den charakteristischen Steindächern in die Landschaft ein, als seien sie ebenso natürlich entstanden wie der glasklare Bach und die glatt geschliffenen Felsen.

Der harte Granit ist verantwortlich für die Steilheit des Maggia-Tales und seiner Seitentäler. Nur widerwillig gab das Gestein den Kräften der Erosion nach, den Wildbächen blieb zwischen den Felsen der beiden Talseiten nicht viel Raum. Großzügige Mäander sucht man hier vergebens, im Tessin kennen die Flüsse nur eine Richtung: abwärts. Während der Schneeschmelze bilden sie eines der anspruchsvollsten Kajak-Reviere der Alpen, im Sommer genießen Wanderer die wunderbar verblockten Bachbetten vom Ufer aus. Das grüne Wasser (auf italienisch: verde acqua) war namensgebend für den Fluss, der das Nachbartal der Maggia ausgrub: die Verzasca.

Zunächst erlebt man hier einen krassen Gegensatz zur Weltvergessenheit des oberen Maggia-Tales. 220 Meter hoch türmt sich der Betonbogen der so genannten Contra-Staumauer am Taleingang – ein Bauwerk, dem wohl nur Stromkonzerne und Bungee-Springer etwas Positives abgewinnen können. Weltbekannt wurde der Sprung an der großen Mauer in dem James-Bond-Film "Goldeneye". Wagemutige lösen hier für 245 Schweizer Franken das One-Way-Ticket der Schwerkraft. Gleich hinter dem Stausee versöhnt der Ort Lavertezzo mit seiner doppelbögigen Steinbrücke das geschundene Auge.

Und auch weiter flussaufwärts findet es Balsam: Die Talwanderung von Sonogno nach Lavertezzo führt entlang glitzernder Gumpen. Von Felspool zu Felspool rinnt das Wasser – eine willkommene Erfrischung, solange man nicht in die Strömung gerät. "Cosa bella, cosa pericolosa" gemahnen daher die Schilder, die davon künden, dass eine schöne Sache auch eine gefährliche sein kann. Nicht nur durch die Schilder spürt man, dass das Tessin italienischsprachig ist. Minestrone, Risotto, Polenta, marinierte Fische oder Vitello tonnato zählen ebenso zur Küche wie kalte und warme Braten mit Bratkartoffeln, Kaninchen oder Pilze. Wer Deutsch sprechen will, muss zurück in das Maggia-Tal ...

Das Dorf Bosco Gurin

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Renato Bagattini myswitzerland.com
Wandern in der Schweiz - Schweiz-Urlaub

Die einzige deutschsprachige Ortschaft des Kantons Tessin blickt auf eine 750-jährige Geschichte zurück. Im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ließen sich die Walser aus dem Oberwallis hier nieder. Im Jahr 1980 sprachen noch 94 Prozent der Einwohner Deutsch, bei einer Volkszählung 2000 gaben von 71 Einwohnern nur noch 23 Deutsch als Hauptsprache an. Doch auf den Schildern stehen die Flurnamen noch immer im Walliserdeutsch. Der Hang oberhalb von Bosco Gurin beispielsweise heißt Üssera Staful. Über ihn gelangen Wanderer zum Schwarzsee (2315 m) und Üssera See (2393 m), in der Ferne erstrahlen die Tessinberge mit ihren zerklüfteten Tälern, zackigen Steilhängen und grün schattierten, bewachsenen Hängen. Es folgt einer der für das Tessin typischen Abstiege: Ein steiler Zickzack führt auf die Hochtalebene in Camanoi (1136 m).

Schnell ist von hier aus die nächste Busstation in Corino erreicht und damit auch wieder die Schweiz, wie man sie kennt: mit einem präzise funktionierenden Personennahverkehr. Hinter mancher Bushaltestelle verbergen sich herrliche Badestätten, wie zum Beispiel im Dorf Maggia selbst, an der Schlucht bei Ponte Brolla oder entlang des gesamten Verzasca-Tals. Die kühlen, smaragdgrünen Wassermassen im rund ausgespülten Flussbett sind nach den langen Wandertagen wie eine Ladestation der eigenen Batterie – ganz ohne Strom.

Übernachtung
Zum Beispiel: Ristorante Eco-Hotel Cristallina, Fam. Kälin-Medici, CH-6678 Coglio, Tel. 0041/917531141, info@hotel-cristallina.ch

Informationen
Ticino Tourismus, Via Logano 12, 6501 Bellinzona (CH), Tel. 0041/918257056, www.ticino.ch
Für zusätzliche Informationen zum Ferienland Schweiz: Schweiz Tourismus, Tel. 00800/10020030 (gebührenfrei), im Internet: www.myswitzerland.com

Karten
Wanderkarte Val Verzasca, Swisstopo 276 T, Maßstab 1:50000, 14 CHF;
Valle Verzasca, Trekking Trails, Quadraconcept /Tenero-Tourismo, Maßstab 1:25000, 26 CHF;
Bassa Vallemaggia, Trekking Trails, Quadraconcept /Tenero-Tourismo, Maßstab 1:25000, 26 CHF

Literatur
Heinrich Bauregger: Tessin. Bergverlag Rother 2017
14,90 Euro

Bergwandern im Tessin
M. Volken/R.Kundert, AT Verlag 2010
34,90 Euro

Hüttentour: Via Alta Vallemaggia

Die Septembersonne blitzt auf dem Lago Maggiore, hohe Palmen und helle Häuser spiegeln sich im See. Nichts in der Uferstadt Locarno lässt vermuten, dass ein einziger Tagesmarsch reicht, um von hier in eine andere Welt zu gelangen: an Orte, die so wild wirken, als wäre dort noch nie jemand gewesen.

Aber es waren Menschen dort, nur so konnte die Via Alta Vallemaggia entstehen. Ziegenhufe und Hirtenschuhe haben dem Weg seine Linie gegeben, und der Wunsch, tausend Meter über dem Maggia-Tal von einer Alpe zur anderen zu kommen. Fünfzig Jahre lang lagen die Häuser der Bergbauern verlassen an den felsigen Hängen. Dann, Ende der 1990er, kam Efrem Foresti, einem Schreiner aus Prato, die Idee, sie zu renovieren und zu einem Trek zu verbinden. So kam neues Leben in die alten Gemäuer, und heute bewahren die Stein- Rustici die Geschichte einer Kultur, die ihrem eigenen Rhythmus folgt.

Wanderern präsentiert sich die Via Alta Vallemaggia als sechstägige Wanderroute von Süd nach Nord durch die schroffen Berge über dem Maggiatal im Schweizer Tessin. Auf dem Weg von Locarno nach Fusio überwindet sie 5500 Meter Höhenunterschied. Obwohl nur 55 Kilometer lang, erfordert sie Ausdauer und Konzentration, es geht kräftig bergauf und bergab durch zerklüftete Berge, auf Graten entlang und durch Schutt.

Nur wenige kennen die Via Alta Vallemaggia, möglicherweise, weil sie wild und anspruchsvoll ist. »Der Via Alta zu folgen ist so, als würde man dem Rücken eines Dinosauriers folgen, der seinen Schwanz im Lago Maggiore badet und den Kopf zum Kamm der Alpen erhebt«, wie der Fotograf Bruno Donati es formulierte.

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Dan Patitucci

Der Lift von Locarno nach Cardada trägt Dan, Janine und mich hoch über das Treiben der Stadt. Von der Bergstation bis zum Hausberg von Locarno, der 1870 Meter hohen Cima della Trosa, wandern noch viele. Doch danach geht es ohne Begegnungen weiter. Drei Kilometer hinter dem Gipfel des Madone teilt sich der Weg in eine rote und eine blaue Variante, die beide an der Hütte Nimi enden, der ersten von fünf Hütten.

Wir wählen blau, um auf der Höhe zu bleiben, und gelangen schließlich zu einem Wegweiser, der uns vor die Wahl stellt: entweder am Grat weiterwandern oder nach Nimi absteigen. Wir blicken den steilen Pfad hinab zur Hütte. »Und wenn wir einfach zur nächsten Hütte weiterwandern?« Das würde uns am Morgen den Aufstieg sparen. Aber es geht nur um 300 Höhenmeter, und Nimi zu verpassen – das wäre ein Fehler gewesen, wie sich herausstellt.

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Dan Patitucci
Das Wasser in der Badewanne der Alpe Nimi hat noch jeden Wanderer erfrischt.

Die Ziegenalpe liegt auf etwas über 1700 Meter, und dort anzukommen fühlt sich an, als würde man einen magischen Ort betreten. Gleichzeitig einfach und luxuriös ist es hier. Nimi besitzt sogar eine Art eigenen Strand: eine alte Badewanne, eingelassen in Felsen, das Wasser fließt eiskalt hindurch. 800 Käseräder pro Jahr produziert die Capanna Alpe Nimi mit ihren rund hundert Ziegen. Jede Ziege kennt ihren eigenen Namen, aber was noch beeindruckender ist: Pietro Zanoli, der die Alpe leitet, kann sie offensichtlich alle identifizieren.

»Pipistrello, das bedeutet Fledermaus, ist die kleinste Ziege, aber die erste, die den Berg hinabgerannt kommt,wenn sie gerufen wird.« Pietros Freundin Katharina rattert eine Liste melodiös klingender Ziegennamen herunter, während sie in der kleinen Küche Tomatensauce rührt. Es riecht köstlich nach gehackten Zwiebeln und Ziegenkäse. Nebenbei erzählt sie uns ein bisschen von Pietro, dem Banker, der Käsemacher wurde. Seit 20 Jahren führt er Nimi und setzt so die Arbeit seines Onkels fort.

Unsere Ankunft liegt auf einem der wenigen Tage in der Saison, an denen er runter in die Stadt musste. Aber Katharina bereitet uns ein herzliches Willkommen. Wir plaudern weiter beim Tee, während Katharina kocht. Sie fügt den Pilzen, die sie ge- sammelt und getrocknet hat, Weißwein hinzu, und wir setzen uns zum Abendessen im Schein der Solarlampe über dem Tisch. Die »City Girls«, eine kleine Gruppe dünner Ziegen, kehrt in den Hof unter dem großen Fenster zurück. Wir sind noch nicht lange hier, aber ich möchte schon nicht mehr weg. Die Schlichtheit, selbst die Rauheit der Alpe Nimi hat etwas.

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Dan Patitucci
Ganz nah bei Locarno und doch sehr weit entfernt: die Capanna Alpe Nimi.

"Ich lebe hier ganz im Moment", sagt Katharina. "Die Saison wird enden, wenn die Ziegen wieder ins Tal gehen. Sie wissen, wann es Zeit ist, wann der erste Schnee kommt. Und wenn sie sich auf den Weg machen, dann folgen wir ihnen." Morgens wollen wir Nimi ganz in Ruhe verlassen, aber vor uns liegt eine lange Wanderung und wir brechen eilig auf. Plan ist, die kurze zweite Etappe zur Alpe Masnée mit der dritten zu kombinieren, zur Alpe di Spluga.

Wir folgen ein paar Ziegen den steilen Pfad hinauf, um wieder auf den Grat zu gelangen. Seine Linie weist meist bergauf, ehe sie zur Alpe Masneé abfällt. Nur bis hierher zu wandern, das wäre ein erholsamer Tag, aber wir müssen weiter, auf dem Grat geht es jetzt kräftig auf und ab. Die Route folgt blau-weißen Markierungen auf den Felsen und lässt sich leicht erkennen, aber das Gelände verlangt, dass wir jeden Schritt mit Bedacht setzen.

Die ganze Zeit über begegnet uns kein Mensch. Wir erreichen Spluga und waschen uns gerade noch rechtzeitig in dem natürlichen Brunnen, ehe der Nebel aus dem Tal aufsteigt und die Steinhäuser der Alpe verschlingt. Ganz allein sind wir hier. In der Küche kochen wir Spaghetti, die wir im Rucksack mitgebracht haben.

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Dan Patitucci
Steil führt der Weg von der Alpe Spluga hinauf zur Bocchetta del Sasso Bello.

Das Schild vor der Capanna Spluga sagt: sieben Stunden Richtung Rifugio Tomeo. »Ich glaube nicht, dass es sieben Stunden dauern kann, acht Kilometer zu Fuß zu gehen«, sage ich. Aber es kann. Die Etappe führt über drei stramme Pässe, dazwischen queren wir Geröllhalden. In einer von ihnen grüßen uns heute zwei andere Wanderer. Sie teilen unsere Begeisterung für diese rauen, einsamen Berge, von denen wir den Blick kaum losreißen können: Über uns ragen scharf geschnitten die Cima di Broglio, der Pizzo dei Chènt und der Monte Zucchero auf, zwischen 2300 und 2700 Meter hoch.

Grate reihen sich in alle Richtungen hintereinander und verblassen in der Ferne. Das Rifugio Tomeo thront hoch über dem Lago di Tomè. Doch man braucht nur wenige Minuten in einen Felskessel abzusteigen, um darin ein Bad in alpiner Kulisse zu nehmen. Erst vor fünf Jahren wurde neben dem alten Rifugio ein neues errichtet, in einer sympathischen Mischung aus traditioneller Stein- und Holzbauweise.

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Dan Patitucci
Seit es den Weg gibt, lebt auch die Ziegenhaltung in den Tessiner Bergen wieder auf.

Freiwillige kümmern sich um die Hütte. Diese Woche betreuen Wolfgang und Germana die Ziegen und das Gebäude. Kein Löffel liegt falsch am Platz.Wir kommen gerade rechtzeitig: Sie bereiten das Abendessen vor. Heute Abend schlemmen wir Polenta, einen Braten, Rosmarinkartoffeln, Brot und Käse, Pudding und frisches Obst – draußen im Hof. Wir baden in der Sonne, während unsere Gastgeber uns mehr über die Hütten und den Weg erzählen. »Es gibt immer wieder Wanderer, die von der Einsamkeit auf der Via Alta Vallemaggia überrascht oder sogar verängstigt sind«, sagt Wolfgang.

Und er hat eine schlechte Nachricht: »Die Soveltra hat Anfang des Jahres gebrannt. Sie muss erst wieder instand gesetzt werden«, berichtet er über unsere nächste Hütte. Und nun? Die beiden letzten Etappen fallen zu lang aus, als dass wir sie zu einem Tag zusammenfassen könnten. Alternativ gäbe es ein Biwak am Weg, das wäre eine Möglichkeit. Die andere wäre, morgen direkt nach Broglio ins Tal abzusteigen.

Wir vertagen die Entscheidung auf morgen früh. Wir leben für den Moment und bleiben noch eine ganze Weile draußen vor der Hütte sitzen. Der Weg lohnt sich, finden wir, so anstrengend er mitunter ist. Und dann, beim Frühstück, während wir wieder über unseren Plan diskutieren, finden ein paar Ziegen ihren Weg in den Kräutergarten der Hütte und schlendern dann den Weg hinunter in Richtung Broglio. Es ist nicht unser ursprünglicher Plan, aber die Ziegen gehen ins Tal, und so folgen wir.

Alle Etappen der Via Alta Vallemaggia Hüttentour

1 – Cardada–Alpe Nimi
12 Kilometer, 7,5 Stunden, 1409 Höhenmeter, schwer
Von der Liftstation Cardada an der Alpe Cardada vorbei und über die Skistation Cimetta auf die Cima della Trosa (1870 m). Über den Gipfel des Madone und auf einen Grat hinauf zum Pizzo d’Orgnana. Hinab zum Nimi-Pass (2048 m) und von dort weiter hinab zur Hütte (1718 m).

2 – Zur Alpe Masnée
5 Kilometer, 3,5 Stunden, 739 Höhenmeter, schwer
Die Kürze der Etappe bedeutet nicht, dass der Weg einfach wäre: Leichte Kletterpartien (mit Eisen und Ketten gesichert) würzen die Route, die zunächst fast hinauf auf die Madom da Sgióf (2265 m) leitet. Weiter zum Deva-Pass und über einfachen Grat zur Alpe Masnée.

3 – Zur Alpe Spluga
10 Kilometer, 8,5 Stunden, 893 Höhenmeter, schwer
Eine harte Etappe über Blockfelder, Schutt- und Felsterrassen – wild, reizvoll und aussichtsreich. Zu Beginn einen Steilhang hinauf zur Alpe Scimarmota. Nun der weiß-blauen Markierung nach bis unterhalb dem Pizzo Dromegio. Auf gerölligem Weg erst hinab, anschließend hinauf zur Alpe Cuasca. Weiter hinauf zum Pass dei due Laghi und zu den elf Steinhäusern der Alpe Spluga.

4 – Zum Rifugio Tomeo
8 Kilometer, 7 Stunden, 974 Höhenmeter, schwer
Der weiß-roten Markierung bis hinauf zu einem kleinen See folgen. Von hier hinauf zur Bocchetta del Sasso Bello und durch einen Steinkanal hinab. Über Steinhalden in Richtung Passo di Chènt, zum Pass hinauf und hinab ins Tomeo-Tal. Bald erkennt man den Tomeosee, oberhalb von ihm liegt die Hütte.

5 – Zur Capanna Barone
9 Kilometer, 6,5 Stunden, 1513 Höhenmeter, schwer
Auf weiß-rot markiertem Bergweg zum Corte Piatto (2058m), hier nördlich zur Bocchetta di Pertusio. Weiter zur Alpe Gonta und zum Passo Redorta. Zwei Kilometer Richtung Norden halten, dann rechts ab Richtung Bocchetta di Campala und Capanna Barone (die Capanna Soveltra wird bis 2021 renoviert).

6 – Abstieg nach Fusio
15 Kilometer, 7 Stunden, 1175 Höhenmeter, schwer
Vom Rifugio Barone zurück zur Bocchetta di Campala, dann über die Capanna Soveltra zur Alpedi Fontana. Weiter zum Piatto-See und hinauf zum Passo Fornale, dorthinab zum Mognola-See. Auf der linken Seite um den von Gipfeln umgebenen See, der Abstieg nach Fusio führt via Corte di Mezzo (1839 m) und die Alm Vacarisc di Fuori.

Reise- und Wandertipps zur Mehrtagestour

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Dan Patitucci
Am Ende der zweiten Etappe helfen Ketten und Eisenbügel über einen Grat.


Zum Start der Via Alta Vallemaggia geht es von Locarno Orselina zur Station Cardada (1340 m). Preis: 24 CHF. Die Standseilbahn fährt halbstündlich, in den Monaten Juni, Juli und August von 7.45 Uhr bis 19.45 Uhr. Vom Endpunkt der Tour in Fusio geht es mit dem Bus in etwa zwei Stunden zurück nach Locarno. postauto.ch und Autolinea FART, centovalli.ch

Karte
Gute Dienste leistet die Swiss Topo National Map 1:25.000 (Locarno, Maggia, Campo Tencia), 11,90 Euro, beispielsweise über mapfox.de

Surfen
Ein Flyer zur Via Alta Vallemaggia mit Höhenprofil und Wegverlauf findet sich unter ticino.ch/de.

Beste Zeit
Ende Juni bis Mitte Oktober. Sind Gewitter vorhergesagt, sollte man lieber in den Hütten auf besseres Wetter warten.

Anspruch
Die Via Alta Vallemaggia ist eine alpine Wanderroute. Sie fordert Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und Kondition. Heikle Passagen sind mit Drahtseilen abgesichert.

Unterkünfte & Hütten auf der Via Alta Vallemaggia

Am Ende der ersten Etappe schläft man in der Alpe Nimi (1718 m). Bewirtschaftet, 16 Schlafplätze, Mitte Juni bis Mitte September,
Tel. 0041/(0)79/2304879

Am zweiten Tag in der Alpe Masnée (2063 m), Selbstversorgerhütte, 16 Schlafplätze, geöffnet Mitte Juni bis Mitte Oktober,
Tel.0041/ (0)79/2400831, Reservierung: patriziatomaggia.ch

Am dritten Tag in der Alpe Spluga (1838 m), Selbstversorgerhütte, 18 Schlafplätze, geöffnet von Mitte Mai bis Ende Oktober,
Tel.0041/(0)91/7532349, Reservierung: alpespluga.ch

Am vierten Tag: Capanna Tomeo (1739 m), teils bewirtschaftet, 24 Schlafplätze, Mitte Mai bis Spätoktober,
Tel. 0041/(0)79/4624800, Reservierung: capanneti.ch

Am fünften Tag übernachtet man, solange die Capanna Soveltra noch renoviert wird (bis 2021), in der Capanna Barone, unbewirtschaftet, 35 Schlafplätze, geöffnet von Juni bis Mitte Oktober,
Tel. 0041/(0)91/7452887, Reservierung: verzasca.net

In Fusio
Für ein gemütliches Ende der Tour sorgt das Hotel Fusio, wo man sich auch ein 3-Gänge-Menü im Restaurant reservieren kann.
DZ 210 CHF (185 Euro), Tel. 0041/(0)91/6000900, hotelfusio.ch

Rustikal von außen, modern und komfortabel von innen: Die Hütten am Weg haben Küchen mit Gasherd, Kochutensilien und Geschirr. Hier kocht man sich, was man im Rucksack mitgebracht hat. Einige Hütten haben auch Duschen. Durchschnittlicher Übernachtungspreis: 25 CHF. In den nicht bewirtschafteten Hütten kann man, so der Vorrat nicht gerade erschöpft ist, Nudeln, Reis, Polenta, manchmal auch Bier und Wein kaufen – bezahlen ist Ehrensache.

Auf den Berg
Während der letzten Etappe des VAVM lockt ein Abstecher auf den Pizzo Campo Tencia (3072 m), den höchsten Gipfel des Tessins. 500 Höhenmeter im Auf- und Abstieg kommen so hinzu.

Vor dem Start
Die Madonna del Sasso in Locarno ist die bedeutendste Wallfahrtskirche im Tessin. Sie liegt ganz in der Nähe der Talstation der Cardadabahn – also dort, wo die VAVM beginnt.

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