Kajak Tour in Schweden: Rund um Gotland

Schweden ahoi!
Rund um Gotland

Mit dem Kajak einmal um Schwedens größte Insel Gotland: ein Ostsee-Abenteuer mit ganz eigenen Herausforderungen.

Gotland
Foto: Jörg Knorr

Wellen bei fünf bis sechs Windstärken schieben uns von Lilla Karlsö Richtung Klintehamn. Mit kurzen kräftigen Paddelschlägen beschleunigen wir unsere Kajaks und kommen immer wieder ins Surfen. Berauschender kann Paddeln kaum sein. Bernhard zieht gerade wieder mit Full Speed an mir vorbei. Der Bug meines Kajaks ragt auffällig weit aus dem Wasser, und das Beschleunigen klappt irgendwie nicht mehr. Ein Blick nach hinten sorgt für Aufklärung: Mein Hecklukendeckel hat sich geöffnet. Das Boot ist ab dem Cockpit nach hinten voll geflutet. "Scheiße!", schreie ich übers Wasser und ordere meinen Kumpel Bernhard längsseits zu mir. Nach über 350 Kilometern entlang an Gotlands Küstenlinie ist das eine echt blöde Situation. Glück im Unglück ist der prächtige Sonnenschein, der eine Stunde später nach einem Kurswechsel und dem kürzesten Weg an Land meine Ausrüstung bis zum Abend wieder vollständig trocknet. Das Gute an der Sache: Diese "kleine Seenot" soll bis zum Schluss das einzige ernsthafte Problem unserer Tour bleiben. Aber jetzt mal lieber ganz von vorne ...

Fårös Steinsäulenpracht

Am 12. Juni 2023 starten wir in Gnisvärd, etwa 20 Kilometer südlich von Gotlands Hauptstadt Visby, ganz im Westen der schwedischen Ostseeinsel. Der Plan ist, sie in maximal drei Wochen im Uhrzeigersinn zu umrunden. Über 80 Kilometer legen wir in den ersten drei Tagen entlang der Westküste zurück – und begreifen schnell, dass Schwedens mit knapp 3200 Quadratkilometern größte Insel ein echtes Juwel ist.

Dann, am Nordende, sehen wir die Insel Fårö vor uns, die nur ein schmaler Sund von Gotland trennt. Hier wollen wir uns einige der schönsten Raukar ansehen, für die diese Ostseeregion bekannt ist. Raukar sind Kalkstein-Formationen, teilweise über zehn Meter hoch, die durch Wind und Wasser über Tausende Jahre aus dem Fels herauserodierten. Ihre Formen sind vielfältig. Manche erwecken den Anschein, als könnten sie im nächsten Moment in sich zusammenfallen. Wir paddeln erst mal ein Stück weiter und bauen die Zelte auf. Zum Abend setzen wir uns noch mal in die Kajaks, und es geht eine Viertelstunde wieder zurück nach Süden. Das rötliche Sonnenlicht lässt die Raukar jetzt noch plastischer wirken. Die Felssäulen leuchten uns vom Ufer entgegen, sie wirken wie ein aufwendig gestaltetes Bühnenbild. Bis der Sonnenvorhang fällt, bleibt noch reichlich Zeit für uns, Fårös Highlight zu bewundern. Und wahrscheinlich haben wir im Kanu die besten Plätze in diesem Naturtheater gebucht: Aus unseren schwimmenden Logen heraus bieten sich besonders schöne Blicke auf die beeindruckende Uferlandschaft.

Jörg Knorr

Die schönsten Raukar – hohe Kalksteinsäulen – findet man auf Gotlands Nachbarinsel Fårö.

Fiskeläge zum Zelten

An der gesamten Küste Gotlands findet man kleine ehemalige Fischerhäfen. Von ihnen fuhren die gotländischen Bauern einst zum Fischen hinaus, ein zweites Standbein im Broterwerb. Heute würde sich das nicht mehr lohnen, es gibt hier nicht mehr genug Fisch. Viele der kleinen Häfen sind aber noch da. Fiskeläge nennen die Gotländer diese Orte, die zum hiesigen Kulturgut gehören: eine Ansammlung kleiner Holz- und Steinhütten, die oft um einen noch erhaltenen kleinen Hafen oder Anleger drapiert sind. Meist finden sich auch noch alte originale Fischerboote, die man mehr oder weniger gut erhalten wie Ausstellungsstücke in der Nähe an Land drapiert hat. Die Häuser nutzen die Einheimischen wie kleine Gartenlauben. Man erholt sich, genießt den Sommer oder feiert mit Freunden. Menschen trifft man in den Fiskelägen in der Regel aber erst ab Mittsommer.

Bei Hangrebod bauen wir unsere Zelte am Steg eines Fiskeläges auf. In der Nähe finden wir sogar eine Pumpe, die Süßwasser spendet. Jedem Campingplatz würde ich diesen Ort vorziehen. Aber Campingplätze meiden wir in Schweden ohnehin. Das Jedermannsrecht macht es uns leicht, lauschige Übernachtungsplätze zu finden. Genau 200 Paddelkilometer liegen jetzt in unserem Kielwasser, die Hälfte unserer Route – eine Strecke, die paddeltechnisch schöner kaum hätte sein können. Acht Tage schon genießen wir den erstaunlich warmen schwedischen Frühsommer an dieser beschaulichen Küste, die uns fast durchgängig mit perfektem Paddelwetter verwöhnt.

Ein Tag zum Auspowern

Inzwischen rückt das Südende Gotlands näher, und zur Abwechslung müssen wir uns mit auffrischendem Wind von vorne arrangieren. Das ist auf Dauer kraftraubend. Wir kämpfen uns trotzdem weiter, prügeln mit dem Paddel regelrecht auf das Wasser ein und sind froh, in Ronehamn eine Pause einlegen zu können. Schultern und Arme müssen heute viel mehr leisten als üblich. Der Körper schreit nach Energie, und diesen Ruf sollte man nicht ignorieren. Am Ortsausgang werden wir fündig: Hier gibt es einen kleinen Lebensmittelladen. Neben dem Kuchen, den wir für die sofortige Energiezufuhr brauchen, landet unter anderem eine große Packung Eier im Korb. »Was willst du mit so vielen Eiern?«, frage ich Bernhard. "Morgen wird hier Mittsommer gefeiert", antwortet er. "Und da will ich mal was anderes essen als immer Nudeln, Reis oder diese ollen Fertigtütensachen.« Hatte ich gar nicht so auf dem Radar, aber warum nicht mal einfach feiern ... »Alles klar. Eier satt. Gute Idee."

Am Tag darauf läuft es wieder besser mit dem Paddeln. Ein leichter Seitenwind und diffuse Sonne begleiten uns. Wir machen Strecke, vorbei an Ytterholmen und weiter nach Süden bis zur Bucht Ajnviken, die wir als würdige Mittsommer-Location einschätzen. Mittsommer ohne gutes Essen und alkoholische Zutaten zu feiern ist in Schweden nur schwer vorstellbar. Der Feiertag rangiert mit Weihnachten auf einem Level. Das auf den 21. Juni folgende Wochenende ist sozusagen der vielleicht wichtigste Partytermin des Landes – und wir Touristen machen mit. Eine junge Krähe beobachtet uns neugierig, als Bernhard seinen Kocher in Gang setzt. Unser Menü heute: Erster Gang Kräuter-Omelette, zweiter Gang Rührei mit Salami-Schnitzeln an Kartoffelpüree, dritter Gang Spiegeleier. Last but not least das Dessert: Karamel-Erdnussschnitte (auchbekannt unter dem Namen Snickers) mit Keksen und einem Glas Rum. "Skol!", proste ich Bernhard zu. "Skol! Es sind übrigens noch Eier da", bietet er Nachschlag an. Nee danke, es reicht für heute.

Gotland
Jörg Knorr

Das kleine Glück ist groß. Flipflop-Wetter und ein abendliches Bier reichen nach einem guten Paddeltag völlig.

Der Kreis schließt sich

Ganz spontan beschließen wir, an unserem vorletzten Paddeltag nach Lilla Karlsö zu paddeln. Die fast kreisrunde Insel liegt knapp drei Kilometer vom Gotland-Ufer entfernt und ist ein unbewohntes Naturreservat. Bei wenig Wind erreichen wir das Eiland, um eine kleine Pause einzulegen. Ein Stück weiter um die Ecke befindet sich an der Steilküste eine Trottellummen- und Tordalkkolonie, die wir nach der Pausepassieren. Große Vogelgeschwader fliegen mit aufgeregtem Geschrei um uns herum. Wir drehen ab und bekommen jetzt starken Rückenwind zu spüren. Die ersten Surfversuche laufen vielversprechend, doch dann irgendwann wird mein Kajak so schwerfällig, dass es sich nur noch schwer auf Trab bringen lässt – das Heck ist geflutet. Wahrscheinlich habe ich während der letzten Pause den Knebel des hinteren Lukendeckels nicht bis zum Anschlag gedreht. Wichtige Erkenntnis: Vor jeder Etappe prüfen, ob alles sicher verstaut und verschlossen ist. Nachlässigkeit kann zu bösen Überraschungen führen. Bernhard kriegt den Deckel mit Ach und Krach wieder zu. Wir nehmen den kürzesten und sichersten Weg rüber zum Ufer. Ich bin froh, keine Ausrüstung verloren zu haben, auch wenn vieles klatschnass geworden ist.

Über die guten zwei Wochen unserer Tour hat sich ein Paddelrhythmus eingestellt, der uns manchmal in einen schwer zu beschreibenden Zustand versetzt hat. Zeitweise hatten wir das Gefühl, dass unsere Körper quasi von alleine paddeln – bei etwa 13 000 bis 14 000 Paddelschlägen am Tag nicht verwunderlich. Euphorisch steigen wir in Gnisvärd nach 16 Paddeltagen aus unseren Kajaks. Das tiefe Gefühl der Zufriedenheit in solchen Momenten lässt sich kaum überbieten, zugleich kommt eine gewisse Wehmut hinzu. Es geht zurück in einen Alltag, in dem man längst nicht so viel Zeit im Boot und in der Natur verbringt. Aber jetzt wissen wir: Gotland und Seekajakpaddeln sind zwei Dinge, die besser kaum zusammenpassen könnten. Unbedingt nachmachen!

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