Einen Tag nach seinem 33. Geburtstag holte sich Mickaël Mawem den bisher größten Titel seiner Kletterkarriere: Weltmeister im Bouldern. Wie es dazu kam, was er dafür investiert hat und was er sich für sein zukünftiges Kletterleben wünscht, erklärt er hier.
Danke! Ich klettere seit 24 Jahren, seit 18 Jahren trainiere ich, um der Beste der Welt zu sein. Klar, ich stehe nicht am Anfang meiner Karriere. Ich habe bereits sehr viel investiert. Und gerade in den Monaten vor der Weltmeisterschaft habe ich mit den größten Zweifeln gekämpft, die ich je in meiner Karriere hatte. Ich habe mich gefragt: Sollte ich nicht einfach aufhören? Oder sollte ich weiter machen und meinen Körper über seine Grenzen hinaus treiben? Denn um ehrlich zu sein, war ich ganz schön müde und kaputt, ich stand mehrmals kurz vor dem Burnout. Ich habe also nicht mehr wirklich mit dem Titel gerechnet. Aber das heißt nicht, dass ich nicht alles gegeben habe, um dieses Ziel zu erreichen.
Natürlich, wenn das nicht so wäre, wäre ich schon lange nicht mehr bei den World Cups dabei. Das Level im französischen Team ist extrem hoch, allein sich für die World Cups zu qualifizieren, ist sehr schwierig. Physisch immer stärker zu werden, ist also extrem wichtig. Mein physischer Fortschritt zeigt sich aber auch in anderen Bereichen. Ich bewege mich heute zum Beispiel viel besser an der Wand als noch vor drei Jahren und auch meine Flexibilität wird immer besser. Es sind sicher viele Faktoren, die zu meinem Sieg beigetragen haben. Aber ich denke der wichtigste ist: Ich habe mein Leben fürs Klettern gegeben, dafür eines Tages der Beste zu sein. Ich habe nie aufgehört, nie aufgegeben, trotz der zahllosen Rückschläge und Niederlagen auf meinem Weg.
Ja, ich habe extrem viele Opfer gebracht. Mir ging es wie jemandem, der sich mit 30 Jahren und ohne Schulabschluss entscheidet, Astronaut werden zu wollen. Man wird ihm sagen: Es ist zu spät, das ist zu schwierig. Bassa und ich kamen von nirgendwo, wir hatten nicht das Niveau, nicht die Mittel, wir lebten nicht am richtigen Ort und wir wussten nicht einmal, was es bedeutet, internationale Wettkämpfe zu machen. Trotzdem haben wir uns gesagt: Wir wollen die Besten sein.
Unser Leben hat so richtig begonnen, als wir 1996 ins Elsass gezogen sind, nach Huninge, ein kleiner Ort an der Schweizer Grenze, in der Nähe von Basel. Wir waren drei Brüder, drei Schwestern und meine Mutter, die trotz ihrer extrem beschränkten Mittel immer dafür gekämpft hat, dass unser Leben so normal wie möglich scheint... Sie hatte sich von unserem biologischen Vater getrennt und der dachte nicht daran uns zu unterstützen. Mein Stiefvater, ein Schweizer, hat in Basel gearbeitet. Darum sind wir ins Elsass gezogen. Dort hatten wir zum ersten Mal eine richtige Wohnung, jeder von uns hatte sein eigenes Bett, wir konnten zur Schule gehen und so weiter. Aber einfach war es trotzdem nicht…
Das war eher Zufall. Bassa hat ungefähr ein Jahr vor mir angefangen. Er hatte schon alle möglichen anderen Sportarten ausprobiert. Eines Tages hat ein Freund ihn zum Klettern mitgenommen und sofort gesehen, dass er Potential hat. Die Halle war winzig, ein kleiner Raum mit einer Wand voller Griffe, das war‘s. Dahin hat er mich irgendwann mitgenommen. Ich war gar nicht so scharf aufs Klettern, sondern eher darauf, Zeit mit meinem großen Bruder zu verbringen. Aber ich hatte sofort das Gefühl, in eine kleine Familie zu kommen, in der alle gleich waren. Das hat mir wahnsinnig gut gefallen. Seitdem habe ich die Kletterhalle eigentlich nicht mehr verlassen. Mit 12 Jahren habe ich 20 bis 30 Stunden dort verbracht. Nicht um zu klettern, sondern weil ich den Ort so mochte, meine kleine Bubble …
Nicht wirklich. Unser Interesse am Sport hing nie an einer bestimmten Person. Wir haben geklettert, weil wir das Klettern und die Community geliebt haben. Bis heute folgen wir den News aus der Szene nicht wirklich. Natürlich gibt es Personen, die ich besonders inspirierend finden, zum Beispiel Chris Sharma. Was er geschaffen hat ist wirklich bewundernswert. Er hat einfach immer sein eigenes Ding gemacht, so wie wir.
Ich würde gar nicht sagen, dass uns das irgendwann aufgefallen ist (lacht). Bei dem ersten Wettkampf, an dem wir als Jugendliche teilnehmen durften, haben wir beide in unterschiedlichen Kategorien sogar den letzten Platz gemacht. Aber damit hat eigentlich alles angefangen. Danach haben wir uns gesagt: "Nie wieder!" Wir lieben den Wettkampf und auch das Gewinnen zu sehr, um auf dem letzten Platz zu landen. Wir haben uns also gefragt, was wir tun müssen, um nicht mehr Letzte zu werden. Und das hat noch nicht gereicht: Wir wollten die Besten werden.
Wir ähneln uns sehr, wahrscheinlich weil wir das gleiche machen. Wir teilen den gleichen Alltag, die gleichen Ambitionen und Ziele. Wir haben viel in die gleiche Arbeit investiert, leiten zusammen eine Firma, das Klettern verbindet uns sehr. Wir sind aber auch unterschiedlich. Mein Bruder fühlt sich in den Farben schwarz und grau wohl, während ich orange, lila, rot und blau liebe. Das sagt auch etwas über unseren Charakter aus. Ich bin sehr extrovertiert, Bassa eher introvertiert. Aber die Tatsache, dass wir beim Klettern an einem Strang ziehen, ist sicherlich mit dafür verantwortlich, dass wir seit so langer Zeit ein hohes Niveau halten können. Wir sind untereinander extrem kompetitiv, bei der Arbeit, im Training und so. Wir haben beide eine sehr hohe Disziplin und eine enorme Motivation, unsere Ziele zu erreichen.
Nein, das ist es für uns nicht. Wir haben uns dafür entschieden, was den Sport angeht, alles zusammen zu machen. Wir haben uns daran gewöhnt, zusammen zu leben, wir unterstützen uns sehr, sind extrem eng. Aber wir sind eben auch zwei unterschiedliche Personen mit unterschiedlichen Leben, wir machen vieles anders und das ist auch eine unserer Stärken. Die "Mawem Brüder" sind nicht einfach nur Mika und Bassa Mawem sind, sondern eine eigene Persönlichkeit, die mehr Qualitäten und Knowhow hat, als die Summe von uns beiden. Natürlich haben wir manchmal unterschiedliche Meinungen oder Ansichten, aber wir kennen uns so gut, dass daraus kein Streit entsteht, sondern wir das schnell regeln.
Was den Sport angeht ganz klar: uns zurück zu nehmen. Wir sind nicht gut darin, es langsam angehen zu lassen, weniger zu machen. Es fällt uns schwer, nicht ins Übertraining zu gehen, noch etwas für den nächsten Tag übrig zu lassen. Naja … Und eine Schwäche ist, dass wir eben nicht die Stärksten sind. Das ist nicht so, weil wir es nicht wollen, sondern wir schaffen es nicht, beständig an der Spitze zu sein. Ob Bassa mit seinen Zeiten in Speed oder ich mit beständigen Ergebnissen im Bouldern. Aber gut, trotz dieser Schwächen schaffen wir es auch immer wieder eine gute Performance hinzulegen.
Unser Training hat sich in den Jahren natürlich entwickelt, an unsere Ziele angepasst. Einen Coach haben wir nicht, es gibt nur Bassa und mich. Bassa hat in seiner gesamten Karriere kaum mit einem Coach gearbeitet, sondern war sehr schnell sehr gut darin, sich selbst zu coachen. Ich hatte für eine kurze Phase einen Coach, also abgesehen natürlich vom Coach der Nationalmannschaft. Aber mir gefällt es auch am besten, mich selbst zu trainieren. Damit meine ich, dass ich mein Training an Bassa abgebe, weil er mich einfach am besten kennt und ich ihm zu 100 Prozent vertraue. Außerdem gibt es auch keinen Trainer, der die Zeit hat, sich vom Aufwärmen bis zum Ende der Session mit uns zu befassen. Darum haben wir beschlossen uns gemeinsam zu trainieren, alleine, so wie wir angefangen haben.
Das Klettern ist heute nicht mehr nur unser Sport, unsere Passion, unser Zeitvertreib, sondern auch unser Job, das Mittel, mit dem wir Geld verdienen, um zu leben. Wenn wir uns aus dem Sport zurückziehen, dann wird es für uns vor allem darum gehen, die Freude am Klettern wiederzufinden und all das, was wir über die Jahre, in denen wir so auf Wettkämpfe fokussiert waren, verloren haben.
Wir finanzieren unsere Karriere durch unsere Arbeit. Darum nennen wir uns selbst auch nicht "professionell", sondern "semi-professionell". Wir nehmen zwar auf einem professionellen Niveau an Wettkämpfen teil, aber in unserem persönlichen Leben spielt die Arbeit eine genauso große Rolle wie der Sport. Mein Bruder und ich arbeiten zusammen für unsere Marke "Les Frères Mawem", wir verkaufen unser Image, wir haben eine eigene Kletterhalle, wir entwickeln das Klettern weiter. Wir haben viele Projekte. Die Kletterhalle ist unsere Geldanlage. 15 Jahre lang haben wir jeden Cent beiseite gelegt, um das Geld eines Tages anlegen zu können und es war unser Traum, eine eigene Kletterhalle aufbauen zu können. 2018 haben wir schließlich begonnen, diesen Traum in die Realität umzusetzen.
Mein Ziel ist Paris 2024, der nächste Schritt ist für mich also, mich dafür zu qualifizieren. Für Bassa, der sich schon qualifiziert hat, ist das nächste Ziel natürlich, in Paris eine Medaille zu holen.
Bassa würde in seinem Leben gerne 9a klettern, am liebsten eine mit Geschichte, aus der Zeit als er mit dem Klettern angefangen hat. Biographie ist so eine Route, die ihn schon immer inspiriert hat. Bevor er ganz mit dem Klettern auf hohem Niveau aufhört, würde er die gerne klettern. Mir geht es nicht so sehr um Grade, ich freue mich vor allem darauf, all die Klettergebiete zu sehen, die ich wegen meines vollen Wettkampf- und Arbeitsalltags nicht besuchen konnte, in Amerika, in Asien. Ich will den Lifestyle rund ums Klettern ein bisschen mehr genießen und mir Zeit dafür nehmen.
Der Sieg hat mich entspannt. Ich würde nicht sagen, dass er mir den Druck genommen hat. Denn so lange wie ich trainiere, begleitet mich der Druck von dem Moment, in dem ich morgens aufstehe, bis ich abends schlafen gehe. Aber er hat mich so sehr entspannt, dass ich danach einen richtigen Urlaub gemacht habe. Drei Wochen ohne klettern, das habe ich seit zehn Jahren nicht mehr gemacht. Und ich konnte diesen Urlaub machen ohne die Angst, dass ich schwach zurückkehre und oder, dass das Training mir schwer fallen würde. Nach dem Urlaub konnte ich mein Training jetzt mit ganz frischer Kraft und Motivation angehen.
Auf gar keinen Fall (lacht). Wir haben uns vorgenommen, nach den Olympischen Spielen in Paris mit dem professionellen Klettern aufzuhören. 2024 ist also unsere letzte Saison. Wir haben in diesem Jahr beide große Ziele erreicht, das war die Voraussetzung für unser Karriereende. Und so fühlt es sich gut an, bald keine internationalen Events mehr zu machen.
Bassa sieht sich hier im Elsass, mit ausreichend finanziellen Mitteln, um sich ein schönes Haus zu kaufen und um sich mit seinen vielen Projekten zu beschäftigen. Vor allem will er aber ein ruhiges Leben haben, oder zumindest ruhiger als das, was wir gerade haben. Ich selbst will in 20 Jahren an einem Strand liegen, auf einer kleinen Insel weit weg von hier. Vielleicht habe ich dort eine kleine Bar und meine Wohnung, in der ich mit meiner kleinen Familie wohne, ist gleich nebenan. Mir ist wichtig, dass es ruhig ist, ich will weit weg von allem Stress, am liebsten sogar weit weg vom Internetempfang.
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