Zwei Berg-Generationen: Stefan Glowacz (58) & Philipp Hans (29)

Generationenübergreifende Expedition
Interview: Stefan Glowacz (58) & Philipp Hans (29)

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Kletterprofi Stefan Glowacz und Philipp Hans erzählen, wie man als generationenübergreifendes Team am Berg erfolgreich ist.

Nein, sie sind nicht verwandt. Doch mit 58 Jahren ist Stefan Glowacz rund doppelt so alt wie Philipp Hans und könnte sein Vater sein. Warum die beiden gern gemeinsam auf Tour gehen und was sie dabei voneinander lernen, verraten sie uns hier.

Stefan Glowacz und Philipp Hans Interview
Moritz Attenberger
Stefan Glowacz (rechts), geb. 22. März 1965, Profikletterer. Er gewann drei mal den Rockmaster in Arco, eröffnete im Wilden Kaiser Des Kaisers neue Kleider (10+) und führte Expeditionen in Süd- und Nordamerika, Baffin Island, der Antarktis und Grönland durch.
Philipp Hans, geb. 21. September 1993 in Stuttgart, klettert seit über 20 Jahren bis 10/10+ und ist Ninja-Warrior-Finalist. Er hat das Studium in Sport und Englisch auf Lehramt abgeschlossen und absolviert ein Zusatzstudium Geografie.
Stefan und Philipp, ihr habt die letzten Jahre diverse größere Unternehmungen wie in Grönland gemacht. Wie kam es zu den gemeinsamen Trips?

Stefan: Philipp und Moritz waren schon unsere ersten Red-Chili-Athleten, als sie noch sehr jung waren. Die ersten Male mussten wir bei Fotoshootings noch die Eltern um Erlaubnis fragen. Ich habe gesehen, wie Philipp aufwuchs, wie er sich entwickelte, was für ein Mensch er wurde. Und dabei ist eine enge Freundschaft entstanden. Deshalb traute ich mich auch, ihm vorzuschlagen, auf die Expedition nach Grönland mitzukommen. Weil ich wusste, dass er Lust darauf hat, und weil ich ihn relativ gut einschätzen konnte.

Philipp, für dich war das ein ganz neues Metier: zwei Monate lang in der Ebene einen Schlitten ziehen statt zu klettern. Das war ein Sprung ins kalte Wasser, oder?

Philipp: Ja, schon. Aber es war immer ein Kindheitstraum, mal mit Stefan loszuziehen. Als er mir die SMS mit der Anfrage schickte, war für mich völlig klar, dass ich mitkomme. Das war für mich das Größte.

War es anstrengend, mit zwei älteren Herren übers Eis zu ziehen? Musstest du viele alte Geschichten anhören?

Philipp: Es gab nie Stress, weder auf dem Schiff noch auf dem Eis, wo du ja ständig aufeinander hockst und keine Privatsphäre hast. Wir haben viel gelacht und sind als richtig gute Freunde auseinander gegangen. Aber am Anfang hatte ich schon ein bisschen Bammel: Wie werde ich aufgenommen, werden sie mich akzeptieren? Die beiden sind ja viel erfahrener, und bei unserem ersten Treffen lief Thömy (Thomas Ulrich, d. Red.) da rein, schaute mich an und fragte: Und du, Junge, willst jetzt also mitkommen? In so einem Kasernenhof-Slang, dass ich dachte: Das kann ja heiter werden.

Stefan Glowacz und Philipp Hans Interview
Moritz Attenberger
In Grönland ist Klettern nur ein kleiner Teil des Abenteuers. Herrliche Biwakplätze gehören auch dazu. Am 5. Juli 2018 starten Stefan, Philipp und der Schweizer Fotograf und Abenteurer Thomas Ulrich erst per Elektro-Auto gen Schottland, dann per Segelyacht an die Westküste Grönlands. Die geplante Überquerung des Inlandeises mit rund 1000 Kilometer Länge ist schwieriger und braucht länger als geplant, daher muss eine geplante Erstbegehung an der Ostküste ausfallen. Nach dreieinhalb Monaten ist das Team wieder zuhause.
Wie hat sich der "Junge" dann angestellt auf der Expedition?

Stefan: Da hätte mich meine Menschenkenntnis schon extrem getäuscht, wenn das anders gelaufen wäre, als ich mir das vorgestellt hatte. Mir war klar, dass das super funktioniert. Von der körperlichen Leistungsfähigkeit her sowieso. Klar hat Philipp noch nicht die Erfahrung, aber er ist extrem wissbegierig und lernfähig. Und eben auch sehr vielseitig interessiert, das ist für mich extrem wichtig. Ich kann nicht einen lieben, netten Kerl neben mir haben, mit dem ich mich nicht unterhalten kann. Auch wenn wir jetzt mal zu zweit unterwegs sind, tauschen wir uns über Gott und die Welt aus. Das ist auch manchmal eine Herausforderung, mit so einem jungen Kerl unterwegs zu sein, der vielleicht eine ganz andere Sichtweise hat. Aber wenn man sich darauf einlässt, ist das unglaublich bereichernd.

Stefan, du hast 43 Kletterjahre auf dem Buckel, hast alle möglichen Phasen und Disziplinen des Kletterns durchlaufen. Denkst du, dass dir diese Vielseitigkeit geholfen hat, die Motivation hochzuhalten?

Stefan: Ich frage mich natürlich immer, was mich wirklich motiviert und was einfach Gewohnheit ist. Durch diese Vielfalt – Alpinklettern, Sportklettern, Wettkampf, Expeditionen – hast du immer wieder neue Betätigungsfelder und Herausforderungen. Und ich glaube, der primäre Antrieb bei mir ist eigentlich die Neugier. Nicht die Neugier, ob ich noch einmal leistungsfähiger werden kann. Eher die Neugier auf Sachen, die ich noch nicht kenne. Wie zum Beispiel die Grönland-Überquerung oder auch dieses "Experiment", mit einem jungen Kletterer unterwegs zu sein. Die Neugier, wie es möglich ist, in einem fortgeschrittenen Kletteralter immer noch leistungsfähig zu sein. Wenn ich jetzt nur noch Sportklettern gehen dürfte, wäre mir das glaube ich zu wenig. Da würde dieses Brennen in mir erlöschen.

Als junger Kletterer hast du mit Quergängen am Wandfuß im Klettergarten Oberau trainiert. Beneidest du manchmal die Jungen um ihre Trainingsmöglichkeiten und darum, wie sie heute in kurzer Zeit unglaublich stark werden?

Stefan: Beneiden? Nein, ich glaube, wir haben damals schon auch das Beste aus unseren Möglichkeiten gemacht. Heute kann ich voller Begeisterung daran teilhaben, wie sich der Klettersport entwickelt. Kann mich daran freuen, jemandem wie Chris Sharma oder auch Philipp beim Klettern zuzuschauen, die Griffe anzufassen und zu sagen: "Totaler Wahnsinn. Das hätte ich nie gedacht, dass man sich daran festhalten kann." Wir waren ja früher auch keine Hanswursten. Aber ich habe mir gerade erst den Clip angesehen von Adam Ondra in England, wo er Jerry Moffatts Boulder The Ace (8B) flasht. Und Jerry war ja auch keine Pappnase, der hat ewig auf diesen Boulder hingearbeitet. Und der Ondra haut das Ding einfach mal weg, als wenn das irgendein 7B-Boulder in der Halle wäre. Das finde ich total faszinierend. Das funktioniert für mich aber auch nur, weil ich meine Zeit gehabt habe und das Beste aus dieser Zeit gemacht habe. Und weiß: Ich war vorne mit dabei und konnte es zu der Zeit auch nicht besser machen.

Stefan Glowacz und Philipp Hans Interview
Archiv Stefan Glowacz
Erst 2022 und im zweiten Anlauf packen Stefan und Philipp (im Bild) die Neutour in der Nordwand des Wetterhorns. Mit 33 Seillängen bis 8a+ ist sie extrem anspruchsvoll.
Für dich war das eine gute Zeit?

Stefan: Auf jeden Fall. Ich muss ehrlich sagen: Ich würde heute nicht mehr unbedingt als Profikletterer leben wollen. Wir haben damals eine Phase mitgemacht, wo alles in Aufbruchstimmung war mit diesem Übergang vom alpinen ins Sportklettern, auch ins Wettkampf- und Plastikklettern. Da herrschte schon eine gewisse Goldgräberstimmung, und wenn du da so ein Frontmann bist, genießt du das natürlich in vollen Zügen. Ich bewundere die jungen Leute wegen ihrer Leistungsfähigkeit, und klar, ich hätte selbst gerne noch etwas jüngeres Material, um noch einmal eine Schippe drauflegen zu können. Aber es passt auch gut so, wie es ist.

Philipp, du bist in der Halle großgeworden und in ein eher fertiges Kletterleben hineingewachsen. Fehlt dir da was oder ist es prima, wie es ist?

Philipp: So ein bisschen habe ich ja auch schon Phasen durchgemacht. Aber klar, für mich gab es schon immer eine Kletterhalle. Aber selbst in meiner Zeit hat sich das noch entwickelt. Zum Beispiel beim Bouldern, da war bei uns ein Doppeldynnamo das höchste der Gefühle. Jetzt geht es dynamisch recht, links, fünf Patscher, da komme ich auch nicht mehr mit. Es ist Wahnsinn, wie schnell sich das entwickelt hat. Das Rad dreht sich so schnell, das ist schon krass. Ich bin aber total happy mit meiner Position. Ich sehe mich eher so als kletternden Abenteurer. Weil dieses Höher, Schneller und immer Weiter, und alles ist nur noch einen Wisch wert und dann schon wieder vergessen, das finde ich krass. Und diese Aufbruchstimmung von damals, von der Stefan gesprochen hat, die vermisse ich heute ein bisschen.

Kann man denn als junger Kletterer heute noch kreativ sein, neue Spielarten ausprobieren, irgendetwas Neues entwickeln?

Philipp: Ich glaube, du musst schauen: Was interessiert mich denn wirklich? Es muss nicht immer ein neuer Zeitrekord oder ein noch krasserer Schwierigkeitsgrad sein. Sondern vielleicht eher andere Sportarten mit dem Klettern kombinieren so wie Gleitschirmfliegen oder Segeln. Das finde ich spannend.

Stefan Glowacz und Philipp Hans Interview
Moritz Attenberger
Im Sommer 2021 radeln Stefan und Philipp für ihr Projekt 'Wallride' in die östlichen Dolomiten, von dort in die Schweiz, in die Seealpen und über die Schweiz zurück an den Starnberger See. Unterwegs gelingen an der Croda Bianca und dem Pic de Bure zwei Erstbegehungen, das dritte Ziel, eine Neutour am Schweizer Wetterhorn, vereitelt schlechtes Wetter
Habt ihr denn auf euren gemeinsamen Unternehmungen etwas voneinander lernen können?

Stefan: Vor allem in der Planungsphase. Ich bin halt oldschool und setze mich mit einem Bleistift und einem Block hin. Und wenn ich Informationen suche, dann eher im Lexikon im Schrank. Da nutzt Philipp natürlich viel mehr die digitalen Möglichkeiten und das Internet. Bei den Expeditionen ist es dann so, dass du das machen musst, was vor dir liegt, egal in welchem Alter. Du musst genauso aufstehen, losziehen, die gleichen Sachen machen und versuchen, mit der Ausgesetztheit und Einsamkeit umzugehen. Und da hilft einem so ein Team schon sehr. Wir haben auch diese Offenheit, den anderen zu kritisieren oder auf etwas aufmerksam zu machen, ohne dass der gleich eingeschnappt ist. Und Philipp sagt schon, wenn ihm was nicht passt. So lernt man als älterer Mensch auch, dass man die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen hat.

Und Philipp, konntest du dir was abschauen von den alten Hasen?

Philipp: Ja, absolut. Das ganze Technische: Wie bewege ich mich auf dem Eis, wie in einer großen Wand? Wie gehe ich so eine Wand überhaupt an? Die ganze Struktur, die da dahinter steht, und diese jahrelange Erfahrung – da konnte ich wahnsinnig viel lernen. Und dass ich sofort akzeptiert wurde und es völlig klar war, dass ich auch vorneweg laufe mit dem GPS in der Hand, das fand ich sehr cool.

Wie war das dann bei eurer letzten Unternehmung, bei der ihr drei Erstbegehungen in den Alpen gemacht habt? Steigt ihr da beide gleichberechtigt vor oder ist einer stärker als der andere, sei es körperlich oder mental?

Stefan: Am Anfang hatte ich schon noch wesentlich mehr Erfahrung, was das Vorsteigen, das Cliffen und das Einrichten von unten angeht. Aber das sind ja handwerkliche Fähigkeiten, die hat Philipp wahnsinnig schnell gelernt. Wir sind auch von der Einstellung her nicht weit auseinander. Wir sind beide sehr besonnen und sagen: Wozu sollen wir Kopf und Kragen riskieren? Uns bringt es viel mehr Spaß, wenn wir wissen, dass wir bei einem Sturz nicht auf dem nächsten Band aufschlagen. Aber es ist schön, jemanden etwas beizubringen, ob das die Standplatzorganistion, das Vorsteigen, die Taktik ist.
Philipp: Am Anfang war es schon so: Wenn der Tag kommt und du stehst unter der Wand und weißt, es geht jetzt los – da war ich froh, wenn Stefan die ersten Längen übernommen hat. Irgendwann war aber auch klar, dass Stefan sagt: Hallo, jetzt bist du dran. Und da ist dann schon dieses mulmige Gefühl in der Bauchgegend. Aber ich komme immer schneller rein, und dann macht das richtig Spaß, wenn man abwechselnd Länge für Länge erstbegeht, egal wie schwer oder anspruchsvoll das jetzt ist.

Stefan Glowacz und Philipp Hans Interview
Moritz Attenberger
Endlich oben: 2021 gelingt einem Quartett mit Stefan und Philipp die am 1.977 Meter hohen Grundtvigskirken an der Ostküste Grönlands die Erstbegehung der Südwestwand.
Ihr seid da also in der Zwischenzeit so ungefähr auf Augenhöhe?

Philipp: Die ganz technischen Längen mit viel Cliffen oder Peckern reinhauen und so, da ist Stefan schon noch deutlich erfahrener. Aber sonst …
Stefan: Das ist ein bisschen wie mit Kurt (Albert, d. Red.) früher. Ich habe von Kurt auch total viel gelernt, was das Einrichten von Neutouren in großen Wänden angeht. Auch diese gesicherten Abläufe, dieses Motto "Never trust a single piece", was Kurt ja später genau zum Verhängnis wurde – dass er einer einzelnen Sicherungsschlinge vertraut hat. Und diese Relevanz auch jungen Kletterern weiterzugeben, das finde ich extrem wichtig. Wenn Kurt mir früher etwas erklärt hat, dann war das nicht wie ein Lehrer, der seinem Schüler etwas beibringt. Sondern das waren absolute Profitipps.

Philipp, wo siehst du dich in 20 Jahren klettern?

Philipp: Nach wie vor in der Schiene, in der ich jetzt bin. Dass ich schon auf einem hohen Level klettern möchte, aber dass das Klettern eben nur eine Teilkomponente von einem größeren Abenteuer oder Erlebnis ist. Aber Klettern wird aber immer ein Bestandteil sein, weil es einfach so eine tolle Bewegungsform ist.

Stefan Glowacz und Philipp Hans Interview
Stefan Glowacz
Sommer 2021: Nach einer Herz-OP bricht Stefan mit Philipp zum Projekt 'Wallride' auf. Über 2200 Kilometer mit dem Rad durch die Alpen, zur Erholung gibt‘s Erstbegehungen wie hier an der Croda Bianca in den Dolomiten.
Stefan, an dich die Frage: Was ist dein Rezept für ein langes, zufriedenes Kletterleben?

Stefan: Ich finde es entscheidend, dass man sich hinterfragt: Interessiert mich das, was ich mache, wirklich oder ist das von außen motiviert und gesteuert? Und das gilt für alle Lebensbereiche: Mache ich etwas nur, weil es jeder macht? Viele Kletterer in meinem Alter gehen halt klettern, weil sie das schon immer gemacht haben und weil sie vielleicht auch nichts anderes mehr interessiert. Ich bin von der Veranlagung her halt einfach sehr interessiert und neugierig, und das ist ein Geschenk. Ich habe jetzt wieder angefangen, Gitarre zu spielen, weil ich das mit zwölf mal gemacht habe. Nach einem grausamen Lernprozess treffe ich jetzt wieder zwei Akkorde. Aber das ist für mich, wie wenn ich einen Boulder nach langem Üben schaffe. Mit Philipp zusammen mache ich jetzt einen Segelschein, um mal wieder etwas neues zu lernen. Ansonsten denke ich, dass es wichtig ist, sich von äußeren und inneren Erwartungshaltungen zu lösen. Man muss sich komplett davon befreien und einfach Spaß an dieser Leidenschaft haben. Und wenn du mal eine 8a nicht hochkommst, geht die Welt auch nicht unter. Aber so muss ich ehrlich sagen: Ich bin immer noch total begeistert. Wenn ich eine tolle Wand sehe, wo noch Platz für eine gute Linie ist, dann kribbelt‘s in den Fingern genauso wie vor 30 Jahren.

Philipp: Da ist er noch wie ein kleines Kind, der Stefan.