Von einer Indoorboulderin wandelte sich Anna Hazelnutt zur kühnen Königin der Trad-Platten. Mit dem Erfolg ihres Youtube-Kanals gehört die US-Kletterin zu einem neuen Typ Kletterprofi.
Interview mit Anna Hazelnutt
Anna, wie bist du zum Klettern gekommen?Kurz nach meinem 16. Geburtstag habe ich das Bouldern in der Halle entdeckt und mich sofort verliebt.
Ja, das ist etwas paradox. Ich hatte wirklich viel Angst beim Sportklettern, nachdem ich vom Bouldern kam, und musste ziemlich kämpfen. Der Prozess des Projektierens hilft mir aber, etwas Großes in Teile herunterzubrechen. Die kann ich dann üben und nach und nach meistern. Dazu wiegt der Wunsch, etwas zu klettern, schwerer als die Angst. Und ich bin gut im Performen. Wenn ich mich bereit fühle und mich entschieden habe, dann gebe ich absolut alles. Entsprechend bin ich nicht so gut im Onsightklettern, obwohl ich das auch total gerne mag. Ich brauche immer eine Gewöhnungsphase, eine Woche des Einkletterns, und wenn ich mich mit dem Fels und den Gegebenheiten angefreundet habe, kann ich auch Gas geben und Flashs und Onsights versuchen. Ich fürchte mich also eher vor dem Unbekannten. Wenn ich an einer Route länger gearbeitet habe, ist es anders. Und wenn ich mir und meinen Fähigkeiten vertraue.
Das stimmt (lacht). Das hat alles geändert. Nun habe ich den Luxus, mehr Zeit am Fels zu verbringen.
Eine Studienfreundin hat sich mein Telefon gegriffen und Instagram für mich eingerichtet. Sie hat gemeint, dass ich meine Klettererlebnisse dort posten sollte. Eigentlich war ich eher gegen Social Media, ich finde die Idee komisch, dort sein Privatleben auszubreiten, und wollte auch nicht zu sehr dort hineingesogen werden. Aber mein Klettern dort zu dokumentieren, hat mir dann tatsächlich Spaß gemacht, es ist ja auch eine Art Fotoalbum der Orte, die man bereist hat. Und dann bekam ich dort ein bisschen Aufmerksamkeit. Vor drei Jahren habe ich als Videoredakteurin bei einem anderen Youtube-Kanal gearbeitet, daher kannte ich mich damit schon aus, und habe dann gedacht, ich probiere jetzt einfach mal aus, mein Leben in Katalonien auf Youtube zu erzählen. Ich war nach dem Studium nach Nordspanien gegangen, um Spanisch zu lernen und mehr Sportklettern zu gehen. Und dann habe ich diesen eher schlechten Vlog gedreht. So konnte ich meiner Familie in den USA zeigen, was ich so treibe. Die 1000 Aufrufe, die ich bekam, brachten mich dann auf die Idee, Youtube einfach mal für ein Jahr zu bespielen und auszuprobieren. Und das entwickelte sich gut.
Genau. Mein Video über unseren Boulderwandbau ging viral, damit ging es eigentlich wirklich los. Dann musste ich mir überlegen, worum es auf meinem Kanal gehen soll. Und um ehrlich zu sein, bin ich da immer noch dabei.
Im Moment geht‘s eigentlich. Ich habe Instagram noch nicht einmal auf dem Smartphone, ich nutze es hauptsächlich, um meine Inhalte von Youtube zu verbreiten, und privat überhaupt nicht. Ich konzentriere mich lieber darauf, gute, qualitativ hochwertige Filme zu machen, das macht mir mehr deutlich mehr Spaß als Instagram.
Anfangs war ich allein, aber es ist schwierig, zu klettern und sich dabei selbst zu filmen. Also haben erst Freunde ausgeholfen, und mittlerweile arbeite ich mit Kameraleuten zusammen, die ich bezahle. So entstehen deutlich bessere Filme.
An den meisten Tagen sitze ich irgendwo vor meinem Computer, mit dicken Kopfhörern, Micro und Festplatten und bearbeite Videos. Ich arbeite in Blöcken, nach zwei Stunden mache ich Pause, dann geht es weiter. Es macht mir viel Spaß, und oft sitze ich den ganzen Tag dran. Und dann gibt es Filmtage wie neulich auf Sardinien: Die beginnen am Abend vorher mit der Vorbesprechung, welche Szenen wir brauchen. Morgens geht es früh los, dann wird gefilmt, manche Szenen durchaus auch öfter, was anstrengend sein kann. Meist müssen wir erst Fixseile für die Kameraleute einrichten und das Equipment in die Wand bringen. Dann kommen Interviews. Oft muss man dann noch einmal klettern, diesmal für Fotos. Das sind lange, anstrengende Tage, und irgendwann um Mitternacht sitzt du da und überspielst die Daten und besprichst den nächsten Tag. Wenn wir in der Kletterhalle filmen, ist es nicht ganz so intensiv, aber auch da muss man vorbereiten und planen. Und wenn ich jemand zum Filmen bezahle, möchte ich natürlich auch möglichst viele Szenen in den Kasten bekommen an einem Tag. Manchmal klettere ich dann an die acht Stunden an solchen Tagen.
Das ist so an Filmtagen. Wobei, die Zusammenarbeit mit anderen Youtubern war echt gut für mich. Die haben alle gedacht, es wäre lustig, wenn sie mich mit Dynos konfrontieren, weil ich ja eher auf delikate Platten und kleine Griffe spezialisiert bin. Das Ergebnis ist, dass ich jetzt in Dynos und Comp-Moves sehr viel besser geworden bin, weil ich mir natürlich vor der Kamera schon Mühe gebe und nicht so schnell aufgebe. Das hat mich schon etwas weiter gebracht.
Oh, ich habe so viele! Ich sammle Traumlinien mit Bild, Name, Beschreibung und bester Jahreszeit zur Inspiration. Aber ich will vor allem eine noch bessere Kletterin werden. Deshalb wollte ich jetzt versuchen, mein Limit im Sportklettern zu verschieben. Nominell ist meine schwerste Route Prinzip Hoffung, und ich denke, vielleicht kann ich noch schwerer klettern, wenn ich nicht die ganze Zeit stoppen muss, um was zu legen, und mentale Schlachten ausfechte. Ich hatte die verrückte Idee, mal eine 5.14c zu probieren. Daher werde ich jetzt wieder mit dem Training beginnen, ich habe gerade eine Weile Pause gemacht. Nächste Woche geht es dann los. Im Herbst bin ich wieder in Smith Rock und habe da schon eine bekannte klassische Linie ins Auge gefasst.
Wenn ich unterwegs bin und Projekte verfolge, besteht das Training darin, schwere Züge zu machen. Dadurch, dass ich öfter den Fokus gewechselt habe, vom Bouldern zum Sportklettern, dann zum Tradklettern und jetzt wieder zurück, lerne ich dazu und setze unterschiedliche Reize. Das ist zwar kein systematisches Training, aber macht durchaus stärker. Wenn ich, wie jetzt, zu Hause bin, trainiere ich mit Lattice Training nach Plan und arbeite etwas strukturierter.
Wenn ich Sponsorengelder und alles rund ums Klettern wie Vorträge und sowas zusammennehme, etwas mehr als die Hälfte. Ich arbeite noch selbstständig als Cutterin. Manchmal finde ich es etwas unheimlich, dass sich beruflich fast alles nur ums Klettern dreht, und frage mich, wie nachhaltig oder langlebig das sein kann. Aber das ist eben auch gut, weil ich so motiviert bin, noch andere Dinge zu machen. Bislang ist es ein Experiment und klappt ganz gut. Aber ich kann nicht kontrollieren, wie gut meine Videos ankommen und wieviel Einkommen sie bringen. Es ist ein Lernprozess.
Ja, wobei ich vollständig bereit bin, die zu bringen (lacht)! Es ist ein eher unbeständiges und spontaneres Leben. Mein Einkommen ist ungeregelt. Es ist schwerer, Freundschaften zu schließen, wenn man viel herumreist. Im ersten Jahr habe ich viel geweint. Aber das gehört wohl dazu, wenn man diesen Weg einschlägt. Mittlerweile geht es, weil ich viele tolle Menschen kennengelernt habe und man sich in der Kletterwelt doch auch wiedersieht, dann halt in einem Klettergebiet anderswo auf der Welt, und nicht jede Woche am selben Ort. Das entwickelt sich dann langsamer und anders, aber zählt durchaus als Freundschaft. Ich fühle mich jedenfalls nicht mehr so allein.
Ich bekomme unangenehme Zuschriften, jeden Tag. Die meisten kommentieren ungefragt mein Aussehen, einige mein Können und viele sind einfach frauenfeindlich, so à la Frauen sollten nicht so viel reden und ihre Meinungen seien irrelevant und gehörten nicht in die Öffentlichkeit. Das sind Probleme, die männliche Youtuber deutlich weniger haben. Aber ich bin mittlerweile viel selbstbewusster und besser darin, so etwas zu ignorieren. Ich lösche beleidigende und sexistische Beiträge mittlerweile sofort und unkommentiert.
Das muss ich sagen: Die Kletterszene ist großartig. Aber auf Youtube vermengen sich ja Szene und Rest der Welt. Und auch in der Kletterhalle passieren einem seltsame Dinge, obwohl das seltener wird.
Man hört Kommentare innerhalb einer Männergruppe: "Wenn die das klettern kann, kannst du das sowieso!" Oder bekommt direkt gesagt: "Probier das nicht, das ist zu schwer für dich". In einer Boulderhalle wurden alle V4 Boulder, die ich klettern konnte, auf V3 abgewertet. Irgendwann erwähnte ich das gegenüber den Routenbauern, die dann offen zugaben: "Stimmt, wir wissen doch, dass du keine V4-Kletterin bist." Es war etwas albern, aber irgendwann später bin ich dann hingegangen, habe mich aufgewärmt, das schwerste Problem der Halle geklettert, und bin dann wieder gegangen. Kindisch, aber in dem Moment musste ich das machen.
Natürlich habe ich zu starken Kletterinnen aufgeschaut und sie bewundert. Aber das Bild von ihnen erschien mir so eindimensional. Es hatte vielleicht mehr mit der Darstellung der Kletterinnen zu tun. Sie waren kaum mal lustig oder zeigten irgend eine Art von Tiefe. Sie konnten sich nicht verletzlich oder schwach zeigen, vielleicht weil sie sich schon so weit außerhalb der Rolle befanden, in der Frauen üblicherweise gesehen wurden. Sie mussten sich beweisen; zeigen, dass sie mithalten konnten und genauso ernst und extrem sein konnten wie Männer, krasse Frauen halt. Sie waren eindimensional. Genau wie die Männer, die auch mit eher wenigen Charakterschattierungen gezeigt wurden. Die durften zwar mal lustig sein, aber auch keine Schwäche zeigen. Ich glaube und hoffe, das hat sich geändert. Ich will einen kompletten Menschen zeigen. Schwach sein dürfen, Fehler machen dürfen, weinen. All diese Dinge machen mich nicht schwach, sondern sind menschlich. Ich will das alles zeigen können, ohne dafür abgewertet zu werden.
Ganz genau. Klar muss man sich von gesellschaftlichen Erwartungen und Stereotypen innerlich freimachen und lernen, darüber zu stehen. Aber das positive Feedback, das ich bekomme, zeigt, dass es wichtig ist, Sichtbarkeit zu schaffen. Und damit Akzeptanz.
Info: Anna Hazelnutt
- Bürgerlich Anna Hazlett, geboren 1997 in Illinois und aufgewachsen in Kalifornien, USA.
- Studium Biopsychologie (Abschluss mit Auszeichnung) und Englisch.
- Sponsoren Evolv, Wild Country, Rab, Lattice Training
- Highlights 2021 Once upon a Time in the South West (E9 6C) in Devon (GB); 2022 The Walk of Life (E9 6c) in Devon, 2023 Prinzip Hoffnung, Bürser Platte (AT)
- Youtube youtube.com/@AnnaHazelnutt
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