Alexander Huber spricht über Angst und Mut im Leben und an der Wand

Alexander Huber Interview
Alexander Huber spricht über Angst

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Seilfrei in extremen Wänden und von einer Angststörung betroffen: Alexander Huber spricht über Angst und Mut im Leben und beim Bergsteigen.

Alexander Huber über Angst und Mut
Foto: Heinz Zak

Expeditionsbergsteigen am Limit, Free-Solo-Begehungen großer Wände, eine Angststörung, spärlich abgesicherte Erstbegehungen: In seiner langen Kletterkarriere hatte Alexander Huber immer wieder Gelegenheit, sich intensiv mit Angst auseinanderzusetzen. Wir haben gefragt, was er dabei gelernt hat.

Alexander, du hast ein ganzes Buch über die Angst geschrieben. Wie kam es dazu?

Irgendwann in meinem Leben habe ich Angststörungen entwickelt und gemerkt, so kann ich nicht weitermachen. Da habe ich die beste Entscheidung getroffen und mir professionelle Hilfe geholt. Ich habe einen Therapeuten gesucht, der sich mit mir und meinen Problemen auseinander gesetzt hat.

Waren das Angststörungen vom Klettern oder kamen die aus dem Alltag?

Es ging nicht um Angst beim Klettern. Aber es kamen zu der Zeit verschiedene Dinge zusammen: ohne sportlichen Erfolg von einer Expedition zuückgekehrt, dadurch auch weniger Vortragsbuchungen, finanzielle Probleme und schließlich auch noch den Finger verletzt. Mein strukturierter Alltag – trainieren, klettern, Freunde treffen – hatte mir immer einen guten Halt gegeben, und das brach auf einmal wie ein Kartenhaus zusammen. Ich war lange gewohnt, dass das Bergsteigen und Klettern einen sehr stabilen Mittelpunkt in meinem Leben darstellt. Und gefühlt ist das auf einmal weggebrochen. In diesem Moment hatte ich tatsächlich massiv Angst, die Lust am Bergsteigen verloren zu haben.

Alexander Huber über Angst und Mut
Heinz Zak
Alexander Huber seilfrei in 'Locker vom Hocker' (8, 280m) in der Schüsselkarspitze-Südwand.
Du hattest also Schwierigkeiten mit deinen Lebensumständen?

Es hat sich vielleicht gerächt, dass ich einige Baustellen nicht schon früher angegangen bin. Wenn dich etwas stresst im Leben, kannst du der Sache ja durchaus ausweichen. Aber mit so einem Verdrängen bist du auf lange Sicht nie gut beraten. Irgendwann holen dich die Probleme wieder ein. Und das kann halt auch in einem ungünstigen Moment sein. So war das bei mir.

Wie kommt es zum Untertitel des Buchs, dass Angst "dein bester Freund" ist?

Mein Therapeut hat mir das so erklärt: Ich bin sehr professionell im Umgang mit der Angst beim Bergsteigen und Klettern. Aber das wird nicht automatisch auf den Alltag übertragen, das muss man sehr aktiv tun. Du musst dich mit deinen Problemen und Ängsten auseinandersetzen. Sei mutig und nimm dein Leben in die Hand, dann wird es dir auch eine Lösung präsentieren. Mach dir die Angst zum Freund.

Du sagst, du hast die Angst beim Bergsteigen gut im Griff. Gab es denn da schon besonders angstvolle Momente?

Die Angst ist beim Bergsteigen ja tatsächlich dein bester Freund, denn sie lenkt und leitet dich. In einer Situation mit hohem Gefahrenpotenzial entwickle ich Angst als Reaktion auf das Erkennen der Gefahr. Die Angst treibt mich an, die Situation zu analysieren und dann den richtigen Schluss daraus zu ziehen. Wenn ich das Gefahrenpotenzial nicht im Griff habe, bringt mich die Angst dazu, nervös zu werden und umzukehren. Wenn ich aber weiß, dass ich das im Griff habe, dann macht mich die Angst nicht nervös, sondern einfach nur konzentriert. Unabhängig davob, ob ich umkehre oder besonders konzentriert vorgehe, ist die Angst meine wichtigste Lebensversicherung.

Alexander Huber Zitat Angst und Mut
KLETTERN
Hast du jemals Panikmomente erlebt beim Klettern im Vorstieg oder gar beim Free-Solo-Klettern?

Beim Free Solo zum Glück nicht. Da sollte man ohnehin so unterwegs sein, dass du nie auch nur in die Nähe von Panik kommst. Das Einzige, was du da brauchen kannst, ist die totale Fokussierung auf das Klettern selbst. Anders ist es wie gesagt, wenn du mit Gefahren zu tun hast, die nur bedingt kontrollierbar sind. Wie beim Abstieg nach der Erstbegehung der Latok II Westwand. Da hatten wir eine Woche schönes Wetter in der Wand, was aber auch zu starkem Steinschlag geführt hat. Da war klar, dass wir nur noch in der Nacht unterwegs waren. Als wir um Mitternacht beginnen wollten, durch das Abstiegscouloir am Wandfuß abzusteigen, fegte genau in dem Moment eine gewaltige Steinlawine durch das Couloir. Wir hatten gehofft, dass es nach Sonnenuntergang vorbei sei mit dem Steinschlag. Wir haben dann bis zwei Uhr nachts gewartet und sind dann erst abgestiegen. Da blieb es auch sehr ruhig, aber wir waren trotzdem wirklich angstgetrieben und heilfroh, dass das gut ausgegangen ist. Als Konsequenz kann ich sagen: Geil, dass ich die Latok II Westwand gemacht habe, das Erlebnis möchte ich mir nicht nehmen lassen. Aber es war auch ein doppeltes Ausrufezeichen, dass ich am besten solche Touren nicht mehr plane.

Dem ersten Anschein nach ist Free-Solo-Klettern das Riskanteste, was es gibt. Bei Alex Honnold hat man sogar das Gehirn untersucht, um herauszufinden, ob er besonders angstfrei ist. Denkst du, dass der Umgang mit der Angst angeboren oder eine Gewöhnungssache ist?

Man kennt das als klinisches Bild, dass manchen Menschen natürliche Reaktionen fehlen. Das Hirn ist sehr komplex in seiner Struktur, in der Regel aber relativ gleich aufgebaut. Aber es gibt eben starke individuelle Unterschiede, und bei Alex hat man offenbar gewisse fehlende Reaktionen festgestellt, die eigentlich normal wären. Deshalb klettert Alex trotzdem nicht hirnlos durch die Gegend, weil er sich der Konsequenz kognitiv sehr wohl bewusst ist. Es mag sein, dass bei ihm die physische Reaktion nicht so ausgelöst wird wie bei anderen. Aber es gibt eben neben der physischen auch die kognitive Reaktion. Deswegen wird auch Alex Honnold ohne Seil viel vorsichtiger unterwegs sein als angeseilt. Ich kann nur sagen: Bei mir ist die physische Reaktion definitiv da. Ich spüre, selbst wenn ich angeseilt bin, immer noch die Ausgesetztheit. Allerdings bin diese Situation aufgrund von vielen Metern in der Senkrechten sehr gewöhnt und habe gelernt, damit umzugehen.

Alexander Huber Zitat Angst und Mut
KLETTERN
Musst du dich da immer wieder neu daran gewöhnen?

Was man über einen langen Zeitraum erlernt hat, bleibt sehr stark in einem hängen. Aber wenn ich den ganzen Winter nur trainiert habe und nicht am Fels war, brauche ich auch eine gewisse Zeit, bis ich wieder reinkomme. Dieses Aktivieren geht aber bei mir relativ schnell. Wobei es schon ständig eine neue Auseinandersetzung mit dem Thema braucht, damit das auf hohem Level erhalten bleibt. Aber ja: So wie es gut ist, beim beim Sport den Körper warmzumachen, so schadet das auch beim Geist nicht. Das ist schon sehr essenziell.

Hat sich denn im Laufe deiner Kletterkarriere dein Angstempfinden geändert?

Das hat sich stark verändert und befindet sich auch im steten Wandel. Wenn man jung ist, sieht man manche Gefahren nicht so. Deshalb ist es immer gut, wenn man als junger Mensch mit erfahrenen Mentoren unterwegs ist. Je mehr man dazu lernt, desto besser kann man das Gefahrenpotenzial einer Situation einschätzen. Und das macht ja erst eine Reaktion möglich. Deshalb ist es wichtig, wenn man sich einer Gefahrensituation aussetzt, dass man auch die nötige Kompetenz mitbringt. Solche Situation wie oben geschildert am Latok II, die darfst du auch nicht allzu oft wiederholen, sonst holt dich irgendwann das Schicksal ein. Und die Konsequenz ist dann halt einfach der Tod. So gesehen bin ich froh, dass ich immer einen gesunden Menschenverstand mitgebracht habe, der gesagt hat: Bis hierher und nicht weiter!

Gab es denn in jungen Jahren Zeiten, wo du dich für unverwundbar gehalten hast?

Eigentlich nicht. Das hat mit einer Erfahrung aus meiner Jugend zu tun. Ich habe mit einem guten Freund Handball gespielt, der auch ein bisschen in die Berge gegangen ist. Und der ist bei einer Skitour mit dem Alpenverein in eine Lawine gekommen und mit 13 gestorben. Deshalb war mir schon immer klar, dass es beim Bergsteigen von einer Sekunde auf die andere nicht mehr lustig sein und auch fatale Konsequenzen haben kann. Das hat mich tief geprägt.

Alexander Huber über Angst und Mut
Klaus Fengler
Hartes alpines Sportklettern: Auch in Ramayana (10+) im Gebiet der Loferer Alm beweist Alexander Huber gute Nerven.
Du hältst dich also für eher vorsichtig und risikobewusst?

Ich bin einerseits sehr mutig, also bereit, Risiken einzugehen. Aber ich versuche, das von der kognitiven Seite her so anzugehen, dass ich die Gefahr erkannt habe und weiß, dass ich damit kompetent umgehen kann. Ich bin mir also der Gefahr bewusst und gehe trotzdem das Risiko ein, mich dieser Gefahr auszusetzen. Wenn einer die Gefahr gar nicht erkennt, dann ist er auch nicht mutig. Man kann als Hasardeur im Bergsteigen sehr erfolgreich sein, indem man einfach losrennt und die Gefahr ignoriert. Nur: Das ist beim Bergsteigen noch nie lange gut gegangen.

Hast du Verständnis, wenn Menschen diesen Mut nicht haben und lieber auf gut gesicherten Routen unterwegs sind?

Nur weil Routen gut gesichert sind, heißt das nicht, dass die Leute besser oder sicherer unterwegs sind. Es geht ja vor allem immer darum, dass ich weiß, was ich drauf habe. Am Klettersteig gibt es genauso tödliche Unfälle wie in Plaisirrouten. Das Wichtigste ist, dass man dort, wo man unterwegs ist, die Sache im Griff hat.

Der Alpenverein betont immer die Rolle der Risikokultur und der Eigenverantwortung. Denkst du, dass Plaisirrouten dies bedrohen?

Die Haltung des DAV ist hier sehr eindeutig: Jeder Mensch soll auch weiterhin eigenverantwortlich in den Bergen handeln dürfen. Und er sagt seinen Mitgliedern: Setzt euch mit den Gefahren der Berge auseinander. Wir bieten euch die Kurse an, damit ihr das Können und das Wissen mitbringt, euch mit alpinen Situationen auseinanderzusetzen. Ansonsten sehe ich schon, dass durch die fehlenden Auseinandersetzungsmöglichkeiten mit dem Risiko diese Risikokultur schon abnimmt. Und Plaisirrouten machen das Bergsteigen auch nicht sicherer, denn es gibt auch noch das Nicht-Plaisir-Gelände. Und da stehen bei uns immer wieder mal Leute drin, die sich verklettert haben. Da gibt es dann auch Unfälle. Deswegen kann das Einbohren von jedem Quadratmeter Fels nicht das Allheilmittel sein.

Alexander Huber Zitat Angst und Mut
KLETTERN
Zurück zur Angst: Es muss ja einen Grund geben, warum sich Kletterer dieser Angst aussetzen. Warum tun sie sich das immer wieder an?

Es ist immer intensiver, sich selbst mit einem Thema auseinanderzusetzen, als alles für sich machen zu lassen. Es ist mit Sicherheit ein großartiges Erlebnis, mit einem Bergführer auf seinen Traumberg zu steigen. Wenn man sich aber weiter entwickelt hat und dann mit seinem eigenen Können und Wissen und aus eigener Kraft auf diesen Berg steigt, ist das eine viel intensivere Erfahrung. Wo jemand letztlich in seinem Leben glücklich wird, dass kann jeder nur selbst entscheiden. Aber was man aus eigener Kraft schafft, wird immer ein stärkeres Erlebnis sein.

Für dein Free Solo der Direttissima der Großen Zinne 2002 musstest du dich intensiv mit der Angst auseinandersetzen. Was ging dir vor dem Einstieg durch den Kopf?

Das war ein Grenzgang, etwas, was in dieser Dimension noch nicht gemacht worden war. Und auch ein Gang an die eigene Grenze, wo ich versuchen musste herauszufinden: Kann und darf ich mir das zutrauen? Da denkt man schon darüber nach, was passiert, wenn man das nicht schafft. Wenn du nervös wirst und irgendwann stürzt. Wie das dann ist, wenn du frei durch die Luft fällst und unten einschlägst. Diese schwarzen Gedanken waren aber auch sehr wichtig für mich, weil ich dann wusste: Wenn ich da einsteige, dann ganz bewusst. Ich habe aber auch die positiven Seiten gesehen: Das ist nicht schwerer als 8+, da ist jeder Griff, selbst an der schwierigsten Stelle, immer noch ein Henkel für mich. Das kann ich klettertechnisch beherrschen. Dieses intensive Wechselbad der Gefühle, von "Ich weiß, ich kann’s beherrschen" bis "Was ist, wenn ich da abstürze", das hatte ich sogar noch beim Einsteigen. Ich bin losgeklettert und habe gemerkt, dass ich nicht wirklich bei der Sache bin, dass meine Gedanken immer noch rauf und runter gehen. Dann bin ich wieder abgeklettert und habe mich unten an den Einstieg gesetzt. Und da ist echt eine Last von mir abgefallen. Ich hatte mich selbst so unter Druck gesetzt, dass ich das Gefühl hatte, ich muss da jetzt durchklettern. Aber so habe ich gemerkt, ich kann auch abklettern und mich mit dem Scheitern zufrieden geben. Bis zum Point of no return, der ersten schwierigen Stelle, die ich nicht wirklich zuückklettern hätte wollen, sind es 80 Meter. Bis dahin kann ich noch zurück. Als ich dann wieder eingestiegen bin, habe ich gemerkt: Ich habe meine Gefühle im Griff, ich habe die Angst im Griff, ich komme in den Flow, wo es nichts anderes mehr gibt als das Klettern selbst.

Und was war ganz oben deine Belohnung für diese Überwindung und diesen Kampf mit der Angst?

Bis zu den Ausstiegsrissen hat es nur diesen Fokus gegeben, nur den nächsten Griff und keine weitergehende Emotion. Als dann die Schwierigkeiten nachgelassen haben, hatte ich wieder Gedankenspielraum. Da habe ich gesehen, wie die Nebelschwaden heraufgezogen sind. Das war so ein geiles Gefühl, wie diese kalte Luft, die von unten nach oben strömt, an dir vorbeizieht, und du steigst und die Gedanken werden frei. Und es gibt kein Gestern und kein Morgen, nur das Jetzt. Und der Höhepunkt war das Erreichen des Gipfels: Da hockst du oben und bist einfach völlig überwältigt von der Intensität des gerade Erlebten. Das war so brutal intensiv, über die lange Zeit so voll konzentriert unterwegs zu sein. Die ganze Anspannung, die dich während und vor der Begehung begleitet hat, ist weg und du bist völlig gelöst. Und du weißt genau: Das, was du jetzt gerade erlebt hast, wie du das erlebt hast, an das wirst du dich noch in vielen Jahren minutiös erinnern können. Das bleibt stehen. Und das ist für mich eben der Wert des Bergsteigens.

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