England: Bikepacking-Tour im Lake District

Radreise England
Bikepacking-Tour im Lake District

Jetzt auch mit neuer Podcast-Episode rund ums Bikepacking! – Den Reisebericht unserer Bikepacking-Tour im englischen Lake District lest ihr hier. Gewürzt wurde die Tour mit einem frühen Herbsteinbruch ...

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Foto: Phil Hall

Ein kritischer Blick in die Müslitüte: "Das sollten wir nicht mehr essen", sage ich. Wir hatten heute Nacht Besuch von einer Maus. Unsere Bleibe ist eine unbeheizte Schäferhütte im Lake District oben in Nordengland. Wir, das sind Aoife, Phil, Sebastian und Maike. Wie wir es geschafft haben, mit vier Bikes und reduziertem Frühstück auf einer einsamen Hütte zu landen? – Das lest ihr hier ...

Ihren Anfang fand diese Reise schon vor einem guten Jahr, als meine englische Journalisten-Kollegin Aoife mir vom Bothy Biking erzählte: Mehrtagestouren mit dem Bike und Übernachtungen in kleinen, unbewirtschafteten Hütten, genannt Bothies. Nach Terminfindung und Ausrüstungsanschaffung trafen wir uns zu viert in einem Cottage in Loughrigg Fell in der Nähe von Ambleside. Das Ferienhaus soll das Basislager für unser Abenteuer sein.

Nach der Ankunft sieht es dort schnell aus wie in einem explodierten Outdoor-Laden: halb aufgebaute Räder, Gaskartuschen, Schlafsäcke, Lebensmittel und Bikepacking-Taschen in jeder Ecke. Ob das alles am nächsten Morgen an unsere Räder passt? Gute Frage. Eine, die man besser über Lammeintopf und einem Pint im Pub um die Ecke beantwortet.

Start der Tour in Keswick

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Phil Hall
Kunterbunt: Der Herbst im Lake District hat seine ganz eigene Farbensprache.

Am Morgen parken wir das Auto in Keswick und beladen die Bikes. Erst jetzt, mit allem Gewicht am Rad, stellen wir Federung und Reifendruck ein. Dann rollen wir los. Unser Ziel: eine kleine Schiefer-Hütte auf dem Warnscale Fell, ehemals im Sommer von Schäfern genutzt und nun als offene Berghütte von der »Mountain Bothy Association« instand gehalten. Keine Betten, kein Brennholz, kein Klo. Und der bange Blick auf die Berge zeigt: Schnee auf den Gipfeln. Jeder nimmt zur Sicherheit noch ein Holzscheit mit ins Gepäck.

Typisch England? Im Lake District hat es in den letzten Wochen viel geregnet. Überraschenderweise bleibt es bei unserem Aufbruch aber sonnig und trocken, zumindest von oben. Guide und Fotograf Phil hat am Wochenende zuvor die Strecke erkundet und den ersten Abschnitt von unterspülten Trails und überfluteten Wegen kurzerhand auf die Straße verlegt. Mit je knapp zehn Kilogramm Gepäck protestieren wir nur wenig. Auch das ist Abenteuer: flexibel bleiben. Die Aussicht ist auf jeden Fall spektakulär. Über die nächsten Kilometer arbeiten wir uns stetig auf den »Surprise View« über dem See Derwent Water zu.

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Phil Hall
Bei den gelegentlichen Flussquerungen lautet die Losung: »Trockene Füße«.

Nach einer kurzen Foto- und Atempause geht es weiter nach Rosthwaite – der erste Downhill. Der ist steinig, wurzelig, rutschig – aber fabelhaft. Es tut gut, die Bikes rollen zu lassen. Die Federungen schlucken trotz Mehrgewicht Steine und Kanten, wir ernten die Höhenmeter, die wir uns vorher verdient haben. Ungewohnt ist es dennoch. Wegen der großen Satteltasche fällt es schwer, in steilen Stücken das Gewicht nach hinten zu verlagern, durch die große Rolle am Lenker sieht man nicht, was das Vorderrad macht. Unsere Fahrtechnik läuft also nach dem Motto »Point and Pray«, wir richten das Vorderrad nach Gefühl aus und hoffen auf das Beste.

Im Tal trennen uns noch ein größerer Anstieg und ein paar Flussquerungen von der kleinen Warnscale Bothy, unserer Hütte für die Nacht. Die Anfahrt zum Honister Pass hat es in sich: Bei teilweise über 25 Prozent Steigung müssen wir streckenweise schieben, schaffen es aber irgendwann nach oben. Hinter der Passhöhe ändert sich die Szenerie, statt satter Wiesen und lehmiger Trails herrscht nun Schiefer vor. Am frühen Nachmittag haben wir es geschafft und finden Warnscale Bothy – bis auf einen alten Notfallschlafsack – leer vor. Die Sicht von der Hütte über den See Buttermere raubt den Atem: Der Kontrast zwischen den gepuderten Bergen und dem ruhigen Gewässer im Tal könnte größer nicht sein.

Wenn die Radtour zum Abenteuer wird

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Phil Hall
Die Warnscale Bothy verschmilzt mit dem Schiefergestein der Umgebung.

Bikes verstauen, umziehen, Schlafplätze richten, dann beginnt das große Fressen. Im nordenglischen Herbst hat man ohne Elektrizität und Handynetz nicht viel zu tun – und bekanntlich braucht man Brennstoff, um sich warm zu halten. Innen und außen! Die Holzscheite prasseln im Ofen, und während das Teewasser heiß wird, lassen wir den Flachmann kreisen. Draußen hagelt es. So schmeckt Abenteuer.

Nach Spaghetti Bolo aus der Tüte und einer ganzen Menge Mini-Salami und Käsewürfeln ist der erste Hunger gestillt. Der zweite wird einige Zeit später in Form von Schokolade, Muffins und Crackern bekämpft. Der glorreiche Abschluss: Ein ganzer Camembert, in der Pfanne erwärmt wie ein Ofenkäse, und Cracker, mit denen wir den geschmolzenen Käse herauslöffeln. Flüssiges Gold. Dass das Thermometer nur noch 3 Grad anzeigt, wird zur Nebensache. Wir lesen noch ein paar Seiten im Hüttenbuch: Anscheinend gibt es eine Maus hier, die sich gern an den Vorräten der Reisenden bedient. »Sicher nicht bei dem Wetter«, gähnen wir und machen uns bereit für eine kalte, lange Nacht.

Um 20 Uhr legen wir ein letztes Holzscheit in den Ofen und ziehen die Reißverschlüsse unserer Schlafsäcke zu. Fünf Stunden später wache ich zitternd auf, das Feuer ist ausgegangen und ich habe meine Kalorien vom Abendessen anscheinend verbrannt. Mit einem extra bereitgelegten Müsliriegel fülle ich nach und klettere in den Biwak-Sack, der mich zusätzlich isolieren soll.

Als die Sonne aufgeht machen die Männer Feuer, Aoife und ich holen Wasser. Der in einiger Entfernung vorbeiführende Bach ist eiskalt. Über Nacht hat es geregnet und sogar etwas geschneit, die Bothy passt sich so gut in die Umgebung ein, dass wir auf dem Rückweg genau hinsehen müssen, um sie wiederzufinden. Das, was die Maus vom Frühstück übrig gelassen hat, schmeckt fürstlich: Porridge mit Rosinen und Nüssen, Sandwiches mit gebratenem Bacon.

Hier nennen wir Leute wie euch "Verrückte"

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Phil Hall
Manchmal schmeckt Tütennahrung im Stirnlampenlicht so wie Steak im Kerzenschein.

Wir fegen die Hütte und machen uns auf den Rückweg. Die ersten Wanderer kommen uns entgegen, sie sind früher aufgestanden als wir. »Es gibt hier einen Namen für Leute wie euch: Verrückte!«, erklärt uns ein Local, durchaus nicht unfreundlich. Noch verrückter als wir seien aber die »Fell Runners«, Outdoor-Sportler, die die Gipfel im Laufschritt und mit Minimalgepäck erklimmen. Ein paar andere Wanderer sind erstaunt und interessiert:

Wo wir übernachtet haben, wo wir hinfahren, ob die Taschen gut funktionieren? Ja, das tun sie! Und dank unseres Appetits sind sie heute bedeutend leichter als gestern. An einem Café auf dem Pass stärken wir uns mit heißem Kakao für die Abfahrt. Aus grauem Schiefer wird langsam wieder die grüne Wiesenlandschaft des ersten Tages, sanft und entspannt rollt unser Trail zwischen den Gipfeln des Castle Crag und High Spy am Hang entlang, zurück nach Derwent Water.

Dieses Mal fahren wir am anderen Seeufer nach Keswick. Am Abend wärmen wir uns im Basislager auf und gönnen uns ein Abendessen im Pub. So ein Abenteuer, sind wir uns einig, müsste man viel öfter erleben. Während unsere Schuhe und Knieschoner noch am Kamin trocknen, planen wir bereits das nächste.

Weitere Infos zum Bikepacking

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Phil Hall
Sebastian Hohlbaum, Maike Hohlbaum und Aoife Glass

Eine Radtour im Campingstil, das bedeutete vor zehn Jahren noch einen Balanceakt mit schwer bepackten Taschen an Vorder- und Hinterrad. Eine seitliche Windböe konnte einen von der Straße fegen, und sobald der Untergrund etwas ruppiger wurde, hieß es schnell: schieben. Seitdem hat sich viel getan – mit modernen Mountainbikes kommen heute auch Gelegenheitsbiker mühelos über schmale Bergpfade und gewundene Waldwege.

Dass dabei der Wunsch aufkommt, die Nacht draußen zu verbringen, liegt in der Natur der Sache. Und so dauerte es nicht lange, bis es auch für diese Outdoor-Spielart die richtige Ausrüstung gab: Das »Bikepacking« war erfunden. Im Gegensatz zu einer normalen Campingtour mit dem Bike heißt das zu allererst: Ausrüstung abspecken! Nur das Nötigste passt in die Taschen, auf ein Zelt verzichten Bikepacker meistens ganz, geschlafen wird in Unterständen oder unter freiem Himmel. Das Schöne: So wird selbst ein Wochenende im bekannten Mittelgebirge zur abenteuerlichen Auszeit.

Welches Mountainbike?

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Redaktion
Knowhow: Bikepacking

Ob vollgefedertes »Tourenfully« oder »Hardtail «, das nur vorne über eine Federgabel verfügt: Hauptsache, das Bike kann mit genügend Taschen bestückt werden, um die Campingausrüstung darin zu verstauen (siehe Abbildung unten). Vollgefederte Räder haben den Vorteil, dass die Taschen, an Lenker, Sattelstütze und Rahmen befestigt, mitgefedert werden.

Allerdings fehlt bei vielen aktuellen Fully-Modellen oft der Platz für eine Rahmentasche, da die Hinterbaufederung den Platz braucht. Zudem kann die Satteltasche beim Einfedern am Hinterrad schrammen. Generell gilt: je leichter das Gepäck, desto höher der Spaßfaktor. Muss man zu sehr quetschen, passen ein paar leichte Kleidungsstücke auch mal in einen kleinen Bikerucksack.

Hardtail oder Fully?

Welches Bike sich optimal eignet, ist abhängig von der Strecke. Fährt man auf anspruchsvollen Trails, braucht man mehr Federweg – ganz wie auf normalen Wochenend- Touren ohne Gepäck. Führt die Strecke meistens über Forststraßen und Schotter, kann man mit einem Hardtail Gewicht sparen.

Federung anpassen

Mit Gepäck für mehrere Tage kommt ein erhebliches Zusatzgewicht auf das Bike. Damit Sie auf technischen Passagen nicht durch den Federweg rauschen, sollten Sie erst, wenn das Rad ganz beladen ist, Dämpfer und Federgabel einstellen: Wenn das Gepäck am Rad befestigt und auch die Trinkblase ganz gefüllt ist.

Kratzer vermeiden

Mit einer großen Satteltasche ist es unter Umständen schwierig, das Bein beim Aufund Absteigen hinten über den Sattel zu schwingen. Die Alternative: über die Radmitte aussteigen. Damit man sich mit schlammigen Schuhen das Oberrohr nicht zerkratzt, kann man einen leichten Schutz aus Neoprenstoff oder Rennrad-Lenkerband anbringen. Dasselbe gilt für die Kontaktpunkte zwischen Bikepacking- Taschen und Bike: Kommt Ihnen der Verschluss der Bikepacking-Taschen zu grob vor, umwickeln Sie die Kontaktstelle mit Klebeband, ehe Sie die Tasche befestigen.

Schraube locker?

An Lenker, Sattel und Vorbau ruckelt das Gepäck im Gelände beachtlich. Durch die ungewohnte Belastung können sich manchmal Schrauben lösen. Vor der Tour alle noch einmal ordentlich festziehen: Achtung: auf jeden Fall die Drehmoment-Angaben beachten. Nach Fest kommt Lose!

Werkzeugkasten

Neben Pumpe und Flickzeug sollten Kettenöl, Ersatzschlauch und Multifunktionstool mit ins Gepäck.

Weitere Impressionen aus dem Lake District