800 Meter über dem Fjord herrscht Stille. Nur der Wind dringt wispernd in die Ohren – und ein leises Pfeifen. Das stammt vom eigenen Atem, der nach dem steilen Aufstieg mühsam aus den Lungen und wieder hineinfindet. Aus einem grasbewachsenen Felsplateau ragt ein weißer Stein: Er trägt die Inschrift »29. Juni 2013« und »Sonja«: Königin Sonja von Norwegen weihte hier 2013 ihren Lieblingswanderweg ein, den Dronningstien, zu Deutsch: Königinnenweg. Man kann es sich kaum vorstellen, dass Ihre Majestät, immerhin schon im Jahr 1937 geboren, diesen Aufstieg auf sich nimmt.
Es ist ein zäher Hatsch über gut 600 Höhenmeter, entweder gefühlt fast senkrecht auf Waldpfaden oder über breite Forststraßen in vielen Serpentinen. Warum sie überhaupt hier heraufkommt, versteht man sofort, denn die Aussicht ist mehr als majestätisch: Unten glänzen bleigrau gleich drei Fjorde, gegenüber schießt die Wand der Folgefonn-Halbinsel jäh 1200 Meter empor, und ganz oben funkelt türkisfarben der Folgefonna, der drittgrößte Festlandsgletscher Norwegens.
Der Dronningstien verläuft 80 Kilometer östlich von Bergen als Höhenweg über dem Sørfjord. Er ist zwar nur eine Tageswanderung am äußersten Rand der Hardangervidda lässt Wanderer aber schon die Weite des Fjells ahnen, das genau hier beginnt, wo das von Fjorden durchfurchte Küstenland in die gewaltige Hochebene übergeht. Zunächst türmt schroffes Gebirge mit Gipfeln von 1600 Metern auf, nach Osten hin wird es immer sanfter und flacher, in seinem Norden ruht der Gletscher Hardangerjøkulen. Straßen sind in der 240 Kilometer breiten Hardangervidda Fehlanzeige, nur Weitwanderwege durchschneiden das Fjell. Vor allem der spannendere Westteil ist ein Paradies für alle, die ausgedehnte Treks lieben.
Und die Hardangervidda macht es ihnen leicht: Die Wege sind gut markiert, über schnell strömende Flüsse helfen Brücken hinweg, und in angenehmen Abständen stehen Hütten des norwegischen Wandervereins DNT. Manche davon bieten nur Unterschlupf, andere halten Lebensmittel vor, aus denen man sich in der Hüttenküche selber etwas kochen kann, und einige sind bewirtschaftet und bieten sogar richtige Betten und warme Mahlzeiten.
Am schönsten ist es, mit dem Zelt loszuziehen
Man kann in der Hardangervidda übernachten, wo man will. Das ist dank Jedermannsrecht erlaubt, solange man den Platz sauber hinterlässt. Eine Nord-Süd-Querung der Hardangervidda, der skandinavische Trekklassiker schlechthin, dauert eine Woche und beginnt im Norden in Finse gleich mit einem landschaftlichen Paukenschlag: Der Weg umrundet die schimmernden Eismassen des Hardangerjøkulen. Und am nächsten Tag wandert man mit Blick auf Gletscherzungen, schaut in tiefe Fjordtäler und besucht den Wasserfall Vøringsfossen, der über 180 Meter in eine schmale Schlucht stürzt. Danach erreichen Wanderer das Herz der Hardangervidda, Landschaft und Pulsschlag werden flacher. Seen wechseln sich mit Kuppen ab, in den Senken wiegt sich Wollgras, und mit etwas Glück sieht man Lemminge und Rentiere.
An der Haukeliseter Fjellstue im Süden endet der Weg mit einem ganz anderen Paukenschlag: Wasserflugzeuge landen hier, eine Straße bringt Autos und Busladungen mit Menschen heran; die Zivilisation meldet sich abrupt zurück. Wer sich den Gletscher und den Wasserfall als krönenden Abschluss aufsparen möchte, kann die Querung auch von Süden her unternehmen, muss seinen Trekkingrucksack aber deutlich mehr Höhenmeter hinaufschleppen. Bei schmalerem Zeitbudget stattet man dem König der Hardangervidda einen Besuch ab, dem mit 1690 Meter zweithöchsten Berg hier, dem Hårteigen. Der große graue Knubbel in der von eiszeitlichen Gletschern glattgeschliffenen Ebene trägt auch im Sommer oft noch eine Krone aus Schnee.
Als Basislager dient die Hütte Viveli, zu der man in zwei Stunden vom Parkplatz Hjølmoberget aufsteigt. Und dann warten vier Tage Fjellpracht auf Wanderer: mit dem üblichen roten »T« markierte Wege führen durch Flusstäler und über grüne Wiesen zum Hårt eigen. Das letzte Stück bis auf den Gipfel verlangt etwas gesunden Menschenverstand, denn Altschneefelder können die Besteigung gefährlich machen.
In der Hardangervidda unterwegs zu sein, das schätzt auch Königin Sonja. Und dass sie weiß, was Wanderern gefällt, merkt man selbst der Tagestour Dronningstien an: Die Füße federn auf dem torfigen Untergrund des Pfads, der sich zwischen Blaubeersträuchern und Heidepflanzen mal an den Fjord heranschlängelt, mal Bögen durch die Kuppen weiter weg schlägt. Wer im Herbst der blauen Markierung »D« folgt, kann sich durch ein Blaubeerschlaraffenland naschen. Schon seit gut zwanzig Jahren wandert die königliche Familie hier und quartiert sich bevorzugt im Hotel Ullensvang direkt am Sørfjord ein – die Hoteliersfamilie kennt die Monarchen besser als der norwegische Durchschnittsbürger. Seniorchefin Ina Utne spricht oft mit der Königin, natürlich auch über ihren neu eingerichteten Weg. »Die anderen Wanderwege verlaufen alle weiter im Hinterland, da sieht man doch nichts von den Fjorden. Und Sonja wollte, dass die Leute auch diese Ausblicke genießen«, sagt sie. Eine ähnlich spektakuläre Sicht bietet die Tagestour auf die bekannte Trolltunga. Die »Trollzunge« sieht tatsächlich aus wie die herausgestreckte Zunge eines Giganten und ragt 25 Kilometer südlich von Ullensvang frei über den See Ringedalsvatnet.
Früher fuhr man ein Stück mit einer alten Bahn hinauf oder nutzte die Holztreppen neben ihren Schienen; inzwischen ist die Anlage so morsch, dass Wanderer über Steintreppen die ersten 400 Höhenmeter aufsteigen. Die Waden können sich dann auf einem relativ ebenen Abschnitt entspannen, bevor es noch einmal hinaufgeht. Und schon steht man auf der Zunge des Trolls, 700 Meter tiefer schmiegt sich der See in die Kurven grauer Felsflanken. Hier oben zeigt sich die Hardangervidda wild: eingeschnittene Täler, graugrünes Fjell, blau leuchtende Seen und mit Schnee überzuckerte Felszacken. Kein Wunder, dass Königin Sonja die Natur ihres Landes als »unglaublichen Spielplatz« bezeichnet. Die passionierte Fotografin zeigt gerne Bilder ihrer Wanderungen zu Fuß und per Ski bei offiziellen Anlässen wie der Verleihung des norwegischen Tourismuspreises. Die Norweger können sich glücklich schätzen, dass sie so eine Botschafterin für den Tourismus unter den gekrönten Häuptern haben.
Drei Tage lang besuchen die Monarchen jedes Jahr eine andere Region, oft bereisen sie mit ihrer Yacht die Küste, und fast jeden Winter unternimmt Königin Sonja mit Freunden auf der Hardangervidda Skiwanderungen. Edmund Utne, Seniorchef im Hotel Ullensvang, erinnert sich an einen denkwürdigen Besuch der Königin. »Einmal haben wir sehr lange gewartet, dass sie von ihrer Tour eintrifft«, erzählt er. Das ganze Hotel machte sich langsam Gedanken. »Aber dann sind sie doch noch gekommen, nach 14 Stunden auf Ski!« Eigentlich kein Grund zur Sorge, denn Königin Sonja ist auch ausgebildete Skilehrerin. Was heute ein Freizeitvergnügen ist, war früher harte Arbeit: Wer im Mittelalter über die Hardangervidda zog, beförderte wertvolle Waren. Die Søre Nordmansslepa führte als eine der wichtigsten Verbindungen von Ullensvang über die Hochebene bis in die Telemark.
Dieses Stück uralte Geschichte betreten Dronningstien-Wanderer zum Schluss, und zwar mit den »Mönchstreppen «. Im 13. Jahrhundert behauten die Mönche von Opedal, einem Ortsteil von Ullensvang, gewaltige Steine zu mächtigen Stufen, schleppten sie die Felsflanke hinauf und passten sie in den Hang ein. Außerdem züchteten sie auf dem fruchtbaren Wiesenstreifen am Fjord Äpfel. Auch die Früchte gelangten über die Treppe auf den Markt. Die Stufen der Mönchstreppe zu Beginn des Abstiegs machen Spaß, auf den anschließenden Waldpfaden und Forstwegen spürt man dann jeden der 900 Höhenmeter in den Knien. Am Endpunkt, im Hotel Ullensvang, wissen die Muskeln, was sie geleistet haben. Spätestens für diesen Abstieg nutzt die Königin einen Fahrdienst, oder? »Das würde sie nie tun«, sagt Edmund Utne entschieden. »Wir haben sie schon gefragt, ob wir ihr entgegenfahren sollen. Aber sie will ihren Weg immer ganz gehen.«
Top-Touren und Parade-Treks der Hardangervidda
Tagestour 1 – Dronningstien
15 Kilometer, 6–7 Stunden, 1000 Höhenmeter
Vom Parkplatz Røte steigt man auf Forststraßen oder alternativ auf steilen Waldpfaden zum Stein, der den Anfang des Höhenwegs markiert. Immer dem blauen »D« nach führt der Dronningstien bergauf zur Aussicht Nosi. Über die »Mönchstreppen « und durch Wald geht es hinab zum Hotel Ullensvang.
Tagestour 2 – Auf die Trolltunga
24 Kilometer, 7 Stunden, 1000 Höhenmeter
Vom Parkplatz Mogelii im Skjeggedal (bei Tyssedal) bringen Steinstufen 400 Höhenmeter hinauf. Nach einem recht flachen Stück führt ein Anstieg bis zur »Trollzunge« mit ihrem spektakulären Blick über den 700 Meter tiefer liegenden See Ringedalsvatnet. Abstieg wie Aufstieg.
Tagestour 3 – Zum Valursfossen
10 Kilometer, 5 Stunden, 500 Höhenmeter
Von Eidfjord zum Parkplatz Hjølmoberget fahren. Dann gehen Wanderer über den Fluss Berdølo und kommen nach gut einer Stunde zur Aussicht auf den Wasserfall Valursfossen. Der Weg leitet weiter zur Hütte Viveli; jetzt Richtung »Hedlo« halten und das Fljotdal hinaufwandern. Weiter zum Berdølo, über ihn hinweg und zum Parkplatz zurück.
Paradetrek – Runde im Süden
84 Kilometer, 4 Tage, 1780 Höhenmeter
Klare Seen und birkenbestandene Täler prägen diese Tour. In Etappen von 15 bis 26 Kilometern zieht sie als Runde von Haukeliseter über die Hütten Middalsbu, Litlos und Hellevasbu. Am ersten Tag sieht man beim Wandern den höchsten Berg der Hochebene, den Sandfloegga (1721 m).
Paradetrek – Nord-Süd-Querung
123 Kilometer, 7 Tage, 3780 Höhenmeter
Vom Gletscher Hardangerjøkulen führt der Trek nach Süden zur Haukeliseter Fjellstue. An Tag zwei blickt man auf den 180 Meter herabschießenden Wasserfall Vøringsfossen, dann taucht der Weg ein in das Reich der runden Gipfel und moosgrünen Weiten. Am Ende jeder Etappe steht eine DNT-Hütte; schöner ist es, das Zelt an einem der unzähligen Seen aufzuschlagen.
Paradetrek – Hårteigen
55 Kilometer, 4 Tage, 1200 Höhenmeter
Von der Hütte Viveli (Aufstieg vom Parkplatz Hjølmoberget, über Eidfjord) zieht der Weg über die Hütten Hedlo und Hadlarskard auf den Hårteigen (1690 m). Zurück über die Torehytten, durch das Tal Langedalen und die Hedlo-Hütte.
Weitere Traumtouren in Skandinavien:
Reiseinfos – Hardangervidda in Norwegen
Hinkommen: Frühbucher fliegen für ca. 180 Euro nach Bergen und zurück. Mit der Bergenbahn können sie bei spektakulärer Aussicht auf die Hardangervidda fahren, zum Beispiel zum Start der Nord-Süd-Querung in Finse. Zuginfo: nsb.no
Rumkommen: Wer flexibel sein will, ist mit einem Leihwagen gut beraten. Ab Flughafen Bergen ca. 280 Euro/Woche
Orientieren: Den Westteil der Hardangervidda deckt die Turkart 2558, »Hardangervidda Vest« im Maßstab 1:100 000, 25,95 Euro, ab. Bezug zum Beispiel über geobuchhandlung.de
Wandern: Für Tages- und Mehrtagestouren bietet sich der Rother-Wanderführer Norwegen Süd an; für die Querungen oder Radtouren der Conrad- Stein-Führer Norwegen: Hardangervidda (beide 14,90 Euro).
Unterkünfte
Hotel: Dort schlafen, wo auch die Königsfamilie die Häupter bettet: Das Hotel Ullensvang verwöhnt mit Schwimmbad, Wellnessbereich – und einer perfekten Lage für Wanderungen am Sørfjord. Preise ab ca. 200 Euro/Doppelzimmer bei einer Woche Aufenthalt; unbedingt früh reservieren! hotel-ullensvang.no
Im Ullensvang Gjesteheim kommt man in Doppel- und Mehrbettzimmern unter, teils mit Bad, teils mit Dusche und WC auf dem Gang. Ab 35 Euro pro Nacht inkl. Frühstück. ullensvang-gjesteheim.no
Zelten: Norwegen wäre nicht Norwegen, lägen nicht gleich mehrere Campingplätze in Fjordnähe mit guter Anbindung an die Wanderwege. In Lofthus zum Beispiel bietet lofthuscamping.com Zeltplätze, in Kinsarvik kinsarvikcamping.no. Sollte es stark regnen: Auf beiden Plätzen kann man auch Hütten mieten. Zwei- Personen-Hütten kosten ab 39 Euro pro Nacht, ein Zelt ab 15 Euro.
Hütten: Auf Mehrtagestreks in der Hardangervidda übernachtet man im eigenen Zelt – oder in den Hütten des norwegischen Wandervereins, des DNT. In topografischen Karten sind sie vermerkt. Außerdem verrät das Hüttensymbol, ob es eine vollbewirtschaftete Hütte ist (Häuschen komplett ausgefüllt), man sich aus den Vorräten selbst in der Hüttenküche bekochen kann (halb ausgefüllt) oder die Hütte nur Unterschlupf bietet (leeres Häuschen). Für Hütten der letzten beiden Kategorien braucht man oft einen Schlüssel des DNT. Vor der Tour am besten Mitglied werden! turistforeningen.no; in Deutschland: huettenwandern.de
Essen: Im Zentrum lädt das »Litteraturhuset « mit seiner gemütlichen Atmosphäre ein. Man sitzt mit Aussicht auf die Straße an Holztischen und bestellt am Tresen. colonialen.no
Am Sørfjord stehen an der Straße Büdchen der Obstbauern. Obst wählen, Geld in die Kasse einwerfen.
Weitere Tipps
Wasser auf Tour – In den Bergen ist das Wasser klar – und in der Regel trinkbar. Beim Nachfüllen der Trinkflasche Vernunft walten lassen: Grasen Schafe oberhalb? Liegen tote Lemminge im Gelände? Dann lieber abkochen!
Blaubeerenzeit – Wer im Herbst in der Hardangervidda wandert, sollte Gefäße einpacken: für die Blau-, Preisel- und Moltebeeren, die überall wachsen.
Wetter – Verlässliche Infos zum norwegischen (und weltweiten) Wetter bietet yr.no. Leider nur für drei Tage.
Trekking in Skandinavien – Tipps dazu im Podcast:
Ihr könnt den Podcast entweder gleich hier auf der Seite anhören oder auf einer der gängigen Plattformen: iTunes, Spotify, Deezer, Audio now, Soundcloud, The Podcast App, Google Podcast-App auf Android-Smartphones sowie in Podcast Addict und vielen anderen Podcast-Apps und Verzeichnissen.