"Manchmal weiß ich nicht so ganz, was mit mir los ist." Während andere um diese Jahreszeit froh sind, hinter dem warmen Ofen zu sitzen, kreisen meine Gedanken um den Winterwald. Spätestens Ende Januar bin ich soweit, dass ich eine Nacht draußen verbringen will! In solchen Lebenslagen kommt ein Mann wie Chris Bumann wie gerufen. Der gebürtige Schweizer, den es der Liebe wegen in den Frankenwald verschlagen hat, bietet dort Bushcraft-Übernachtungstouren an. "Schon als Kind bin ich früher einfach raus in die Natur gegangen, habe Feuer gemacht und Dinge aus Holz gebaut, die wir im Wald gefunden haben." Heute nennt man das "Bushcraft". Chris bestreitet einen Teil seines Lebensunterhaltes damit.
In der Szene ist er ein recht bekanntes Gesicht – zumal er als Erkennungszeichen oft seine mit einer Schweizer Flagge verzierte Lodenkappe trägt. Bushcraft bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie Waldfertigkeit oder Waldhandwerk. Es geht darum, ohne moderne Hilfsmittel in der Natur klarzukommen. Bushcrafter beschäftigen sich mit Dingen wie Feuermachen, Kochen und dem Bau von Unterständen, aber auch mit Wildpflanzen und Ökologie. Im Gegensatz zum Survival, bei dem das Überleben in einer Notsituation trainiert wird, ist das Bushcrafting auf einen längeren Aufenthalt ausgerichtet. »Es geht darum, nachhaltig zu handeln und sorgsam mit den Ressourcen umzugehen, die die Natur bietet«, sagt der 35-Jährige am Telefon und fügt gut gelaunt hinzu. "Ach ja, es ist nicht verboten, es sich dabei gemütlich zu machen ..."
Gemütlichkeit im Wintercamp? – Klingt gut!
Und so fahre ich eines schönen Februarmorgens hinter Würzburg Richtung Osten. Zuerst endet die Autobahn, dann werden die Discounter-Filialen spärlicher, die vor den Ortschaften die Bundesstraße säumen. Ich kaufe eine letzte Semmel, danach windet sich die Straße auf die Höhen des Frankenwaldes, die Schneegrenze liegt auf etwa 500 Meter. Irgendwann bin ich in Nordhalben. Bis nach Thüringen sind es von hier nur noch ein paar hundert Meter. Hier war früher der Eiserne Vorhang – Ende Gelände. Dafür fängt das Gelände heute hier erst an ...
Durch seine etwas abgeschiedene Lage wartet der Frankenwald noch mit einer Wildheit auf, die andernorts längst Straßentrassen und Industriegebieten gewichen ist. Kein schlechter Ausgangspunkt für einen "Overnighter" also, wie Chris Übernachtungen in seinem Wald-Camp nennt. Von seinem Haus stapfen wir durch den frischen Schnee in den Wald, bald verlassen wir die breiten Wege und erreichen das Camp, das in einer für so viele deutsche Wälder typischen Fichtenmonokultur liegt. Ein Waldbesitzer hat ihm erlaubt, hier seiner Leidenschaft nachzugehen, ansonsten ist es natürlich verboten, im Wald zu lagern.
Auch so ist Chris dran gelegen, keine Spuren zu hinterlassen: "Im Frühling baue ich das Camp hier ab und schlage es an einem Bach auf." Doch für ein Provisorium sehen die beiden Shelter aus Zweigen und Stämmen sehr stabil aus. Einer dient Chris und seinem Labrador-Rüden Benny als Bettstatt – den anderen hat er für seine Gäste errichtet, und das bin heute nur ich.
Erstes Gebot eines jeden Ausflugs in die Wildnis: trocken und warm bleiben
Ersteres dürfte mit den Unterständen in Ordnung gehen, wir haben Tarps dabei, die wir unter das Dach hängen könnten, sollte es dauerregnen. Für Wärme müssen wir noch sorgen, und so ziehen wir mit zwei Klappsägen und einem kleinen Beil bewaffnet in den Wald. Nicht weit liegt eine vom Sturm gefällte Fichte, deren Stamm wir in tragbare Stücke sägen, um sie ins Lager zu schleifen. Als erste Amtshandlung breche ich das Blatt der Handsäge ab – Anfängerpech. Chris bleibt gelassen, sägt langsam weiter und nutzt die Gelegenheit für eine weitere Bushcraft-Lektion: "Am wichtigsten bei allem, was du tust: Ruhe bewahren!"
Wie man Feuer macht – ohne moderne Hilfsmittel
Zurück im Camp taxiert Chris die Stämme, stellt sie sich in Stücke gehauen vor und schätzt: "Also mit dem Holz hier müssten wir durch die Nacht kommen." Doch vorher müssen die Stammstücke in Klötze gesägt werden, die wiederum mit der Axt gespalten werden. Auch das: leichter gesagt als getan, denn Chris zerhaut mit der kleinen Axt gekonnt die Blöcke, ich brauche pro Klotz etwa doppelt so lange, bin dafür aber auch schon ganz ohne Feuer recht warm. Feuermachen ohne moderne Hilfsmittel ist für einen richtigen Bushcrafter so etwas wie der Heilige Gral. Natürlich haben wir auch Feuerzeuge mit, aber dass wir es mit einem Feuerstahl versuchen, ist Ehrensache. "Vorbereitung ist dabei das A und O", sagt Chris und stapelt geduldig einen Turm aus Holzstücken, die er vorher mit Beil und Messer aus den Holzscheiten geschnitzt hat. Dann spleißt er mit seinem Messer weitere kleine Späne und greift zuletzt in die Fronttasche seines Lodenanoraks: "Das sind Flusen aus der Waschmaschine, die eignen sich als Zundermaterial optimal." Beim Feuerstarten schwört jeder Bushcrafter auf seine eigene Methode. Denkbar wäre auch Birkenrinde, die durch die in ihr enthaltenen ätherischen Öle problemlos brennt.
Chris verwendet zusätzlich Kienspäne, die aus harzreichem Kiefernholz stammen, darüber bröselt er noch etwas Harz, das, wenn es einmal Feuer gefangen hat und flüssig wird, auch in die tieferen Lagen des Stapels tropfen kann. "Jetzt nur noch mit dem Feuerstahl Funken sprühen. Das ist total idiotensicher. Willst du auch mal?", fragt Chris, ohne eine Miene dabei zu verziehen. Natürlich versuche ich es, aber als ganz so idiotensicher erweist es sich bei Kälte und Schneefall dann doch nicht. Es braucht schon ein paar Versuche, und am Ende hilft Chris. "Die kritische Phase ist überwunden,wenn es knistert." Das Feuer knistert, das Holz liegt gestapelt daneben, ein wie eine Strandmuschel gespanntes Tarp reflektiert die Wärme wieder in den Rücken: Der gemütliche Teil des Tages kann beginnen. Doch wir haben die Rechnung nicht mit dem Wind gemacht beziehungsweise mit dem nassen Material, das noch unter der Feuerstelle liegt und nun einen beachtlichen Rauch entwickelt. Chris nimmt es gelassen, er ist mehr oder weniger daran gewöhnt, doch mir treibt der Rauch die Tränen in die Augen.
Bald nehme ich Reißaus und säge einen weiteren Holzstamm. Chris macht sich am Feuer zu schaffen und verbrennt die nassen, verkohlten Reste am Boden der Feuerstelle. Dann wird es besser. Zum Abendessen gibt es Käsespätzle aus der Pfanne, bei der Zubereitung dreht sich das Gespräch um ein bei Bushcraftern beliebtes Thema: Messer. Chris zeigt mir sein eigens für ihn gefertigtes Exemplar aus skandinavischem L2-Stahl, der optimal an kalte Bedingungen angepasst ist. "Damit nicht das Gleiche passiert wie dir mit der Säge." Außerdem ist es mit seiner speziellen Klingenform bestens für Schnitzarbeiten geeignet. Um die Feuerstelle stehen diverse Gerätschaften, mit denen er Teekannen heben, Fleisch aufspießen oder Holz wenden kann. Und so vergeht die Zeit wie im Flug, und wir merken kaum, dass es noch einmal richtig schneit. Als ich im Schlafsack liege, lausche ich noch eine Weile den dumpfen Geräuschen des Winterwaldes und dem Knacken des Feuers. Und wenn ich diese Zeilen schreibe, habe ich schon fast wieder Lust, in den Wald zu fahren. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist ...
Weitere Tipps
Chris Bumann findest du im Netz runter rusticus.ch
– oder bei youtube, fb und Instagram: