Kaum hat man einen Fuß auf das Band gesetzt, hört man es tuscheln, Finger zeigen in Richtung Slackline, auch Kinder nähern sich verlegen. Kaum jemand geht slacklinen, ohne angesprochen zu werden – oft fällt der Begriff "Seiltanz". Seiltanz klingt weit weg, hoch oben und exklusiv. Aber Slacklinen ist anders, für jeden offen, der es ausprobieren will – und das wollen die meisten.
Was ist Slackline?
Slackline bedeutet übersetzt lockeres Band, und so ist das Band, auf dem "geslackt" wird, im Gegensatz zum starren Drahtseil dehnbar und flach, der erste Aufstieg auf die dynamische Slackline erst einmal wackelig und zittrig. Doch dann packt die meisten der Ehrgeiz, und es wird probiert und probiert, bis nach kurzer Zeit die ersten Erfolgserlebnisse eintreten und der Körper anfängt, sich an den labilen Untergrund zu gewöhnen. Hat man den Aufstieg endlich geschafft, beginnt das subtile Ringen um die Balance. Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl für die Eigenheiten der Line. Denn jede Slackline ist anders, je nach Höhe, Länge, Vorspannung und Material – und natürlich auch abhängig von der Tagesform des Slackliners. Wer sich nicht konzentriert oder nicht genug Kraft hat, den Fuß richtig zu setzen, verliert die Balance und fällt runter – in Absprunghöhe nicht schlimm. Die Slackline gibt einem sofort Feedback: Ohne innere Balance gibt es keine äußere Balance. Daher bietet sich Slacklinen auch als wirksames Training für angehende Kletterer oder Klettersteiggeher an.
Ketten, Seile, Bänder – Slacklinen ist eng mit dem Klettern verbunden
Die ersten Schritte auf einer Slackline wurden im legendären "Camp 4" im kalifornischen Yosemite Valley getan. Dort begannen Kletterer in den 60er Jahren, zum Zeitvertreib auf Absperrketten und Kletterseilen zu balancieren. Die neue Herausforderung während der Kletterpausen trainierte Koordination und Gleichgewicht. In den frühen 80er Jahren kam Adam Grosowsky im "Camp 4" mit dem Balancieren in Berührung. Mit seinem Freund Jeff Ellington spannte er schließlich ein Schlauchband: Das Slacklinen – das Balancieren auf einem flachen Kunstfaserband – war geboren, eine Entwicklung, die ohne die Materialkenntnisse der Kletterer nicht möglich gewesen wäre. Ellington entwickelte eine 5:1-Flaschenzug- Variante (Ellington genannt), die heute noch zum Spannen der Slackline verwendet wird. Das Spannen mit der Ratsche ist eine Erfindung der jüngeren Zeit. Europäische Kletterer brachten früh das Slacklinen von ihren Aufenthalten in den USA nach Hause, doch die weite Verbreitung über die Kletterszene hinaus ist erst in den letzten drei Jahren zu beobachten.
Slacklining als eigenständige Sportart
Seit den ersten Slackline-Versuchen hat sich der Sport extrem gewandelt und zu einer eigenen, abgekoppelten Sportart entwickelt. Wo man sich noch vor vier Jahren mühsam und meist allein neue Tricks erarbeitet hat, gibt es heute Videos im Internet, Slackline-Treffen und Bücher zum Thema. Höher, länger und extremer – das ist der Trend bei denen, die schon eine Weile dabei sind. Hier die verschiedenen Schwierigkeitslevels beim Slacklining:
Lowline
Sie wird in Kniehöhe am besten über Gras oder Sand gespannt. Damit ist das Verletzungsrisiko gering und Anfänger können die ersten Schritte wagen.
Longline
Auch große Distanzen sind möglich. Aufgrund des Eigengewichtes der Slackline und dem sich daraus ergebenen Schwingen jedoch keine leichte Aufgabe. Die Slackline muss dafür auch höher aufgespannt werden als bei Lowlines, was das Verletzungsrisiko erhöht.
Waterline
Zwischen zwei festen Haltepunkten (Poller, Bäume etc.) wird die Slackline auf gegenüberliegenden Ufern gespannt. Eine traumhafte Kulisse und die ein oder andere Abkühlung sind inklusive.
Jumpline
Die Freestyle Disziplin des Trendsports erfordert, das die Line straffer als üblich gespannt wird. So wird sie zum Trampolin und macht springende Fortbewegungen und unterschiedlichste Tricks möglich. Deiner Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Highline
Die Königsdisziplin ist absoluten Profis vorbehalten und erfordert sehr viel Erfahrung. Denn die Slackline wird über Absprunghöhe gespannt, gefahrloses Herunterspringen ist damit nicht mehr möglich. Stattdessen wirst du mit Hilfe eines Kletterseils gesichert. Nicht alleine das Balancieren stellt hier die Schwierigkeit dar, sondern auch die psychische Komponente. Immerhin können mehrere Hundert Meter zwischen dir und dem Abgrund liegen.
Die bis dato höchste Highline Europas an der italienischen Capanna Regina Margherita in 4554 Metern Höhe haben Jörg Helfrich, Tillmann Müller und Lars Krücke erstbegangen. Die momentan längste Longline misst über 300 Meter Länge, und ausgefallene Sprünge wie Backflips – also Rückwärtssalto mit Landung auf der Slackline – sind an der Tagesordnung. Dem Anfänger reicht eine bodennahe Slackline, die dank sicherer, einfacher Technik flott steht. Den Einstieg erleichtern Slackline-Sets verschiedener Hersteller, die alles enthalten, was man zum Aufbau braucht. Das Zusammenbasteln aus Bergsportmaterial gehört damit der Vergangenheit an, mit den zum Teil sehr ausgereiften Slackline-Sets ist das outdoor-magazin 137 sicherheitstechnisch nicht mehr sinnvoll (wie auch schon die DAV Sicherheitsforschung für den Einsatz von Karabinern beim Slacklinen festgestellt hat). Viele Materialien werden extra für den Sport und seine Spielarten entwickelt. So gibt es spezielle Bänder für sogenannte Jumplines oder für Longlines (ab 50 Meter aufwärts), die sich in ihren Eigenschaften unterscheiden.
Gerade weil der Sport immer beliebter wird, müssen auch Slackliner an die Bäume denken, die meist als Befestigungspunkte dienen. Ein adäquater Baumschutz ist Pflicht, um dem Sport seine Grundlage zu erhalten. Optimal: Rundschlingen mit breiter Auflagefläche, die den Druck auf die Rinde gleichmäßig verteilen, und ein mechanischer Abriebschutz, der zwischen Rundschlinge und Baum befestigt wird. Wer sich ein Slackline-Set kauft, sollte unbedingt auf einen sinnvollen Baumschutz achten.
Slackline: Die wichtigsten Anfänger-Tipps
1. Material:
Achtet beim Kauf eines Slackline-Sets darauf, dass folgende Komponenten enthalten sind: Slackline-Band, Spannsystem, Baumschutz, Fixpunktbefestigung.
2. Spannen:
Für den Anfang sollte die Slackline mit einer Länge von sechs bis zwölf Metern über weichem Untergrund wie Gras oder Sand unter Schritthöhe gespannt werden.
3. Am besten Barfuß:
Ohne Schuhe hat man mehr Gefühl, und die Druckrezeptoren auf der Fußfläche kommen voll zum Einsatz.
4. Körperhaltung:
Knie leicht gebeugt, Oberkörper aufrecht, »Hände hoch«, die Füße zeigen gerade nach vorne. Mit dem Blick sollte ein fester Punkt am Ende der Slackline anvisiert werden. Nicht nach unten schauen, denn das führt meist zu starker Vorlage.
5. Erster Aufstieg:
Am besten an der Hand von einem oder zwei Helfern parallel zur Slackline mit rund einem Drittel der Slacklinelänge im Rücken aufstellen, das linienahe Bein auf die Slackline setzen und mit dem anderen Bein abstoßen. Zum Stabilisieren ist es sinnvoll, das zweite Bein sofort hinter das auf der Line gesetzte zu stellen.
6. Erste Schritte:
Am Anfang sollte einfach ein Gefühl für den neuen Untergrund gewonnen werden. Dabei an der Hand eines Helfers immer versuchen, bedächtig einen Fuß vor den nächsten zu setzen.
Bücher:
Slackline – Tipps, Tricks, Technik – Das Lehrbuch von Fritz Miller und Daniel Mauser geht auf alle wichtigen Aspekte des Slacklinens ein. Ob sicherer Line-Aufbau, die richtige Ausrüstung, die ersten Schritte oder wilde Sprünge: Miller und Friesinger geben kompetent und gut bebildert Auskunft. Panico Alpin Verlag, 2012, Preis 10 Euro
Slackline – Die Kunst des modernen Seiltanzes Reinhard Kleindl hat ein inspirierendes Lehrbuch verfasst, das Einsteiger und Experten gleichermaßen bedient. Meyer & Meyer Verlag, Preis 16,80 Euro.
Highline: Schmales Band ins Nichts
Highlinen bleibt denen vorbehalten, die sich mit dem Aufbau, den notwendigen Sicherungstechniken und den Bewegungsabläufen beim Stürzen gut auskennen. Auch hier liegen die Ursprünge im Herzen des Kletterer-Mekkas, des Yosemite Nationalparks. Bilder von Scott Balcom aus dem Jahr 1985 auf der "Spire-Line", einer Highline zwischen dem prominenten Fels Lost Arrow Spire und der Hauptwand, geisterten um die Welt und durch die Köpfe der Slackliner. Obwohl diese Highline mit 15 Metern Länge aus heutiger Sicht eher kurz ist, taugt sie – aufgrund all der Legenden um ihre Schwierigkeit und aufgrund ihrer Lage im Yosemite Valley – noch immer zum Prestigeobjekt für jeden Highliner.
Video: Lukas Irmler auf der Highline
Ohne Hände, nur mit Füßen
Der Mythos um die Schwierigkeit der klassischen "Spire-Line" rührt auch daher, dass sehr gute Slackliner wie Scott Balcom bei ihren ersten Versuchen scheiterten. Doch Highlines stellen extreme Ansprüche: Wo der Kletterer mit Händen und Füßen Halt in der Wand findet, gibt es für den Highliner nichts mehr zum Festhalten – weder für die Hände, noch für die Augen. Er entfernt sich von allen Orientierungspunkten. Sein einziger Kontakt ist das schmale Band unter seinen Füßen – und darunter kommt erst einmal lange gar nichts. Auch vorne und hinten, rechts und links um den Highliner existiert nichts als Luft. Alle Anhaltspunkte, die man auf einer bodennahen Slackline am Rande noch wahrnimmt, fallen hier weg: Die räumliche Orientierung und das Wahren des Gleichgewichts fallen deutlich schwerer. Oft existiert nicht einmal ein Punkt, den der Hochseilsartist am Ende der Highline fixieren könnte. Natürlich ist auch der Highliner gesichert, eingebunden am Klettergurt mit einer so genannten Highline-Leash, in der Regel ein Stück Kletterseil mit zum Beispiel einem ausreichend stabilen Stahlring am anderen Ende. Dieser wird auf das Slacklineband gefädelt und vom Highliner hinter sich her gezogen. Doch damit ist die Sicherung immer im Rücken, niemals sieht er die Leash vor sich und ist sich dieser bewusst.
Was in Absprunghöhe auf der Slackline absolut problemlos klappt, stellt auf der Highline mental enorme Ansprüche. Selbst der erfahrenste Slackliner macht keinen Schritt, wenn die Angst zu fallen alles andere überschattet. Und wie immer bekommt er von der Line sofort eine Rückmeldung für das geringste Zittern, die kleinste Unsicherheit und jedes falsche Aufsetzen des Fußes – das kann sich ganz schön hochschaukeln. Um so schöner ist das Gefühl, auf der anderen Seite anzukommen, die Freude darüber, die innere Balance gewahrt und einen Weg begangen zu haben, den noch nie zuvor einer gegangen ist.