Regen fällt in dicken Tropfen, als unser Flugzeug in Bardufoss in der nordnorwegischen Provinz Troms aufsetzt. Ein Vorbote für die nächsten Tage? Weit gefehlt. Uns werden bei dem Hüttenwander-Abenteuer auf der Vesterålen-Insel Hinnøya täglich T-Shirtwetter und bis zu 16 Sonnenstunden beschieden sein.
Ungewöhnliche Bedingungen rund 300 Kilometer über dem Polarkreis, aber wir beschweren uns bestimmt nicht ... Hinter dem »wir« steckt eine wanderfreudige vierköpfige Familie: Sebastian und Alex, beide 16 Jahre alt, meine Frau Silke und ich. Vier Tage werden wir auf Norwegens zweitgrößter Insel – 52 Kilometer lang, 45 Kilometer breit – die einsame Natur erkunden, in Seen baden, angeln und in kleinen Selbstversorgerhütten übernachten.
Die Route haben wir mit Hilfe von Karten selbst zusammengestellt. Unsere Tour beginnt am Storvatn-See im Inselosten, genauer gesagt an der Bjørnhaugen-Hütte, wo uns drei deutsche Wanderer begrüßen.
Das Ende eines langen Marsches feiern sie mit einer Zigarre. Als sie hören, dass wir am nächsten Tag das Storvatn-Tal durchqueren wollen, warnen sie uns: »Wir sind dort bis zu den Knien im Morast versunken!«
Gesättigt von Rentiergulasch gehen wir bei Tageslicht um 23 Uhr ins Bett und erwachen zu einem knallblauen Himmel. Nach dem Frühstück lassen wir die Hütte schnell hinter uns, und bald öffnet sich ein breites Tal mit Zwergbirken und von Wollgras bedeckten Lichtungen. Der Boden erweist sich in der Tat als sehr feucht, aber niemand versackt – nur zeigt sich, wer wasserdichtes Schuhwerk hat.
Es dauert nicht lange, dann bestimmen Felsen und teils noch mit Eis bedeckte Bergseen das Bild. Kurz vor Mitternacht erreichen wir Haakonsbu, eine eigentlich für vier Personen ausgelegte Hütte.Wir teilen sie mit fünf weiteren Wanderern ... Tisch, Stühle und unsere Rucksäcke übernachten draußen, wir strecken uns auf dem Fußboden aus. Geht doch! In der Morgensonne trinken wir unseren Kaffee anderntags vor der Hütte.
Austerfjord heißt das heutige Ziel, und als der Weg nach einem langen Tag zum Meer hin abfällt, liegt vor uns eine Bilderbuchlandschaft: Den Fjord umrahmen rote Holzhäuser, am Horizont zeichnen sich weitere Inseln ab. Unsere Hütte, die Fossestua, liegt neben einem tosenden Wasserfall. Es gibt acht Betten, doch diesmal haben wir die ganze Behausung für uns allein.
Am Fjord gehen uns drei Köhler an den Haken, die sich wenig später in der Pfanne wiederfinden. Auch wenn die Berge auf unserer Tour nicht an die Höhe vom Møysalen (1262 m) herankommen, Hinnøyas höchster Gipfel – steile Anstiege gibt es immer wieder. Gut, wenn sich dann ein Badestopp anbietet! Und wie zum Ausgleich geht es auf Etappe drei zum Schluss über ein Hochplateau, über das wir dahinwandern wie über englischen Rasen.
In der Toralfsbu, der letzten Hütte, nächtigt wieder niemand sonst. Nach dem Essen genießen wir mit einem Absacker den Blick über den See vor der Haustür. Vergeblich versucht die Sonne unterzugehen – sonst könnte man vergessen, dass man sich 300 Kilometer über dem Polarkreis befindet.