Ungestüm vergräbt der Hirsch sein weiches Maul in meiner ausgestreckten Hand und frisst die Maiskörner, die ich ihm reiche. Mit der anderen Hand versuche ich, ihn kurz an seinem kräftigen Hals zu streicheln, schon weicht er zurück. Der schwarze Junghirsch bleibt ein Wildtier, auch wenn ihn Heike und Jörg Gerlich schon seit seiner Geburt an die Nähe von Menschen gewöhnt haben. Vor 50 Jahren hat Gerlichs Vater hier oberhalb des Rheins in Leutesdorf in der Nähe von Koblenz mit der Damwildzucht begonnen. Das Ehepaar, ursprünglich aus der Werbebranche, hat sich vor einigen Jahren beruflich umorientiert und führt diese Tradition nun weiter. Seit diesem Sommer kombinieren sie die Damwild-Zucht und Marmeladenproduktion mit der Stellplatzvermietung. Urlauber, die am Haus Vogelsang aufschlagen, finden also nicht nur einen ruhigen Stellplatz fernab von Straßenlärm und Alltag, sondern können auch mit Rehen und Hirschen auf Tuchfühlung gehen.
Gefunden habe ich diesen besonderen Stellplatz über die App
Alpaca-Camping (siehe Liste unten), die eine gezielte Suche nach ausgefalleneren Übernachtungsplätzen ermöglicht. Immer wieder stoße ich auf meinen Fahrten mit dem Wohnmobil auf solche Juwelen, und ich genieße die Freiheit und Flexibilität immens, sei es am Wochenende oder auf längeren Touren. Hier am Rhein kommt noch ein weiterer Vorteil dazu: Ich kann auf meinem Trip sogar noch Jürgen einladen, gebürtig aus Ostfriesland, nun aber aus beruflichen Gründen weit im Süden. Ich nutze verschiedenste Apps auf meinem Unternehmungen, mittlerweile gibt es für fast alle Anforderungen eine passende – ob einfacher Stellplatz für eine kurze Nacht auf der Durchfahrt oder moderner Campingplatz mit allen Ausstattungsmerkmalen:
Der Stellplatz oberhalb des Rheins in Leutesdorf ist ganz einfach gehalten. Camper finden hier keine Sanitäranlagen oder einen Kiosk, auch Abwässer kann man nicht entsorgen. Dafür atmet man auf seinem großzügigen Platz neben der 30 Tiere zählenden, eingezäunten Herde einen Hauch von Wildnis ein. Bei einem Streifzug durch den zwei Hektar großen "Garten Eden", wie Heike Gerlich den ehemaligen Klostergarten nennt, zeigt sie mir ihre Schätze. Die Brombeersträucher ragen bald zwei Meter in die Höhe, zwischendrin stehen Süßkirsch-, Birnen-, Quitten- und Apfelbäume, darunter mischen sich allerlei Strauchgewächse wie Jostabeeren und Johannisbeeren. "Bei uns wachsen auch Rote Weinbergpfirsiche", sagt Heike Gerlich, sie stammen ursprünglich aus dem Moselgebiet, fühlen sich aber auch am Rhein wohl.
Aus dem reichhaltigen Obstangebot fertigt sie feine Marmeladen für den Verkauf, neben der Zucht eine wichtige Einnahmequelle für das Ehepaar. Vom urigen Hofladen mitten im Rehgehege erhascht man durch das dichte Blätterwerk der alten Buchen einen Blick auf den Rhein, der sich etwa 200 Meter weiter unten seinen Weg in großen Schleifen durch die Ebene bahnt. Zwischen dem Haus Vogelsang und dem Fluss verläuft der Rheinsteig, ein beliebter Fernwanderweg, der auf einer Länge von rund 320 Kilometern dem Mittelrhein und dem nördlichsten Teil des Oberrheins auf der rechten Rheinseite folgt. Dabei überwinden Wanderer 11.700 Höhenmeter. Wer keine Zeit hat, den kompletten Weg abzuwandern, der kann auch mit den Leutesdorfer Weinbergen vorliebnehmen.
Leutesdorf: Was bietet die Urlaubsregion am Rhein?
Zur Einkehr bietet sich unter anderem die Edmundhütte an. "Wenn die Hütte geöffnet hat, dann sieht man von hier oben die Hütten-Fahne im Wind wehen«, sagt Heike Gerlich und weist mit der Hand in den Wald. Wandern ist die eine Sache, Jürgen und mich zieht es aber aufs Mountainbike. Wie auch schon der Rheinsteig beweist, kann man in der Gegend rund um Leutesdorf auch richtig gut Höhenmeter machen. Auf herrlichen Waldwegen, schmalen Singletrails und durch die Weinberge kommen auch Biker ins Schwitzen. Immer wieder öffnet sich der Blick auf den Rhein, der heute im gleißenden Sonnenlicht wie geschmolzenes Silber aussieht. Bedenkt man die Bedeutung der mehr als 1200 Kilometer langen europäischen Wasserstraße für die Menschen und die Wirtschaft, kann man den Wert des Rheins aber wohl noch nicht einmal in Diamanten aufwiegen. Wir fahren von unserem Stellplatz hinunter ans Rheinufer. Im Winzerort Leutesdorf steht alles im Zeichen des Weines. An historischen Mauern entlang der Uferpromenade und in schmalen Gassen wachsen wilde Reben, in den gemütlichen Weinstuben probieren Besucher die Tropfen der Region, im Herbst locken Feste mit Federweißem und herzhaftem Döbbe- sowie Zwiebelkuchen.
Ein Highlight im August stellt das Leutesdorfer Weinpicknick dar. An einer langen Tafel laden die Winzer dazu ein, ausgezeichnete, frische Steillagen-Rieslinge zu verkosten. Speisen können die Gäste selbst mitbringen. Das Konzept erinnert mich an die Biergartenkultur in München, nur dass hier im Rheinland der Wein im Mittelpunkt steht. "Wir sitzen am Flussufer, ein kräftiger Wind bläst uns warme Luft entgegen. Das ist ganz normal", sagt Jürgen. Er kenne den Rhein nur mit Wind. Am steinigen Ufer beobachten wir lange Transportschiffe und kleinere Gastschiffe, wie sie gemächlich an uns vorbeituckern. "Das ist das Schiff, das Besucher rüber zum Geysir bringt", sagt Jürgen. Ich schaue ungläubig, denn dieses Naturphänomen kenne ich nur aus Island. Jürgen erklärt mir, dass die ganze Gegend vulkanischen Ursprungs ist, dass die sanften, dicht bewaldeten Hügel am Ufer einmal Vulkane waren. Und die Fontäne in Andernach ist mit ihren 60 Metern, die sie in die Luft hinaufsprüht, der größte Kaltwasser-Geysir der Welt. Beeindruckend! Mit dem Fahrrad fahren wir zurück zu unserem Camper, der Temperaturunterschied ist spürbar, hier oben, hoch über dem Rhein ist es viel angenehmer als unten. Ich ziehe einen Pullover an. Die Sonne senkt sich langsam, taucht den Himmel in ein zartes Rot.
Kein Zweifel, die App hat mich an einen guten Platz geführt, manchmal richte ich meine Trips ganz daran aus, welche Stellplätze eine besonders gute Bewertung haben. Wichtigste Kriterien: Ich will mich sicher fühlen, der Platz sollte weit entfernt von der Straße sein und die umliegende Natur zu Ausflügen einladen. All das trifft auf den Platz der Gerlachs in Leutesdorf zu. Der schwarze Junghirsch und die anderen Tiere aus seiner Herde streifen durch den acht Hektar großen Wald, ein paar Hirsche, die laut Heike Gerlich "viel mutiger" sind als die Damen, gehen am Zaun entlang, vielleicht hoffen sie auf eine neue Ladung Mais.
Irgendwo im Wald liegen etwa zehn Kitze, behütet von ihren wachsamen Müttern. In der ersten Woche sind die Kleinen komplett geruchlos, als Schutz vor Räubern. Die Gerlichs erzählten uns heute davon, dass sie hier oben schon mit Wölfen zu tun hatten, ihren Zaun haben sie unten am Boden mit Strom versehen, damit sich die Tiere nicht darunter durchgraben können. Diese Methode zeigt Wirkung. Jürgen und ich beraten über den nächsten Tag. In der Gegend gibt es noch viel zu besichtigen, zum Beispiel die Burg Namedy aus dem 14. Jahrhundert oder das Benediktinerkloster Maria Laach aus dem 11. Jahrhundert, gelegen am Laacher See. Wahrscheinlich schnappen wir uns aber wieder die Räder und erkunden den Fluss auf einem kurzen Abschnitt des Rheinradwegs.
Der Rheinradweg führt durch fünf Staaten vom Quellgebiet des Rheins in den Schweizer Alpen am Oberalppass bis zur Mündung bei Rotterdam. In meiner deutschen Heimat gibt es so viel zu entdecken, und ich bin um ein weiteres Mal darin bestätigt, dass meine Planungsstrategie aufgeht: Zuerst einen gemütlichen Stellplatz finden, dann das Rahmenprogramm planen – und genießen. Camping at its best!
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