Der Westweg führt über 290 Kilometer von Pforzheim nach Basel. Die rote Raute weist den Weg zu zwölf traumhaften Tagen in der Natur.
Seit drei Tagen wandern wir den Schwarzwald-Westweg, und auf manchen Abschnitten trifft immer noch beängstigend genau zu, was Wilhelm Hauff in seinem Märchen "Das kalte Herz" schrieb. Als sein Held, der arme Köhlerjunge Peter Munk, sich nämlich ins berüchtigte Tannenbühl aufmacht, um das gestrenge Glasmännlein um Startkapital für eine Karriere als Tanzbodenkönig zu bitten, standen dort die Bäume so dicht und hoch, "dass es am hellen Tage beinahe Nacht war und selbst die Vögel diese Tannennacht zu meiden schienen". Was für den Westwegwanderer im August aber seine angenehmen Seiten hat. Denn der Klassiker, schon im Jahr 1900 vom Schwarzwaldverein markiert, hat es immer noch in sich.
290 Kilometer von Pforzheim bis Basel – der Westweg
Von Nord nach Süd durchmisst der Westweg das Mittelgebirge, von Pforzheim bis Basel, und nimmt auf seinen 290 Kilometern fast alles mit,was hier Rang und Namen hat, den Hochkopf, die Hornisgrinde, König Feldberg mit seinen 1.493 Metern und den dritthöchsten Gipfel, den 1.414 Meter hohen Belchen. Insgesamt 6.000 Meter hinauf und 6.000 Meter wieder hinunter führt der Weg, für den wir uns zwölf Tage Zeit genommen habe. Etappe drei gehört mit 1.195 Höhenmetern Aufstieg zu den härtesten, und Etappe drei ist – heute.
Forbach liegt hinter uns, ein beschauliches Örtchen mit einer hübschen alten Holzbrücke. Stramm hinauf ging es durch die Gassen, steil führt der Weg nun auf schmalem Weg durch Wald bergan. Moos, frisch und grün, bedeckt den Boden, die Schuhe federn auf dem erdigen Pfad, hakeln an Wurzeln, rutschen über Steine. Nach einem steilen Zickzackkurs durch hohe Bäume hinauf dehnt sich die Schwarzenbachtalsperre unter uns, fast einen Kilometer lang. Einen Moment liebäugeln wir nach der harten Übung mit einem erfrischenden Bad. Aber hier oben im Schatten der Bäume läuft es sich wieder wunderbar, und wir wollen den Bewegungsfluss nicht durch eine Pause abwürgen. Denn im Seebachtal, dessen viele muntere Bäche den Schwarzenbachsee speisen, zieht der Weg nur noch leicht aufwärts, dunkle Tannen wachsen bis in den Himmel – doch, der Schwarzwald ist schwarz.
Auf dem Hochkopf in 1263 Meter Höhe
Hier fühlen wir uns ganz schön ausgepumpt, und es liegen noch ein kurzer, aber steiler Abstieg ins Tal und der Anstieg auf die sonnenexponierte Hornisgrinde vor uns. Müde lassen wir uns auf dem Gipfelplateau fallen. Bezaubert von der Stille am Rande eines Hochmoors atmen wir durch, das Summen der Insekten lullt uns ein, und leise fächelt der Wind uns Erfrischung zu.
"Ganz schön steil, gell!", schreit plötzlich jemand hinter uns. Drei Rentner haben sich angepirscht, ein Mann, zwei Frauen, schlohweißes Haar und kurze Hosen. Rotgesichtig, aber glücklich, endlich oben zu sein, strahlen sie uns an. Als ich nach gegenüber auf die Hornisgrinde deute, nicken sie voller Respekt. "Des wird noch emol steil", verspricht der ältere Herr. Er soll Recht behalten. Steil wird es, und heiß: Nicht von ungefähr bedeutet Hornisgrinde "langer Bergrücken, kahl, moorig". Ein Blick ins Umland zeigt, dass die benachbarten Gipfel ganz ähnlich aussehen. Zumindest in den Höhenlagen tritt der Schwarzwald Wilhelm Hauffs zurück und der Kurzhaarschnitt übernimmt. So weit das Auge reicht – die meisten Gipfel liegen blank unter blauem Himmel, Kahlköpfe beziehungsweise "baumfreie Feuchtheiden", wie Forstwissenschaftler sagen.
Glashütten, Bergwerke, Köhler – alle brauchten sehr viel Holz
Die Schwarzwälder nutzten die Grinden bis ins 19. Jahrhundert als Weiden, aber als die Ställe aufkamen, gerieten sie in Vergessenheit. Doch seit einigen Jahren treiben Viehbauern wieder Schafe, Ziegen und sogar Kühe hinauf, denn man hat erkannt, dass die Beweidung den Wald hindert, die Grinden zu erobern. Immerhin 60 Prozent des Schwarzwalds bedeckt wirklich Wald, ursprünglich Buchen, Tannen und Kiefern, heute zu 80 Prozent Fichten. Der Grund: Tannen brauchen 300 Jahre zur Reife, Fichten kann man nach 120 Jahren schlagen. Denn Glashütten, Bergwerke, Köhler, alle verbrauchten gewaltige Mengen an Holz, und so zählt hier heute kein Baum mehr als 200 Jahre. Die ältesten Exemplare wachsen an den Steilhängen des Feldberges. Seit dem Mittelalter exportieren die Schwarzwälder ihr Holz, und als im 18. Jahrhundert die Holländer mehr und mehr Handelsschiffe brauchten, sah man auf den Flüssen gewaltige Flöße mit bis zu 550 Mann Besatzung.
Hauffs "Kaltes Herz" erzählt von den Flößern: "Sie handeln mit ihrem Wald; sie fällen und behauen ihre Tannen, flößen sie durch die Nagold in den Neckar und von dem oberen Neckar den Rhein hinab, bis weit hinein nach Holland; sie halten an jeder Stadt und erwarten stolz, ob man ihnen Balken und Bretter abkaufen werde; ihre stärksten und längsten Balken aber verhandeln sie um schweres Geld an die Mynheers,welche Schiffe daraus bauen." Und zurück in den Schwarzwald? – Wanderten die Flößer.
Auch wir wandern und hoffen, dass uns nicht der unheimlichste aller Flößer begegnet, der Holländer-Michel, jener böse Zauberer in Gestalt eines Kerls, der Balken schleppen konnte, "so dick und lang, als man keinen je sah, und jeden trug er so leicht auf der Schulter wie eine Flözerstange, so daß sich alles entsetzte". Peter Munk verkaufte ihm sein Herz und bekam dafür eins aus Stein sowie viel Geld – aber zufrieden machte es ihn natürlich nicht. Wir aber sind zufrieden.
Das sorglose Gefühl des Unterwegsseins
Drei entspannte Tage vergehen in stetem, aber nicht allzu anstrengendem Auf und Ab; wir genießen dieses sorglose Gefühl des Unterwegsseins, das nur der Langstreckenwanderer kennt. Hinter dem Kniebis, einem 900-Meter-Pass, haben wir eine extrem lange Etappe geteilt, so dass wir heute Morgen in Ruhe den Brandenkopf (945 Meter) besteigen konnten, den schönsten Aussichtsberg im mittleren Schwarzwald.
Regen hat letzte Nacht die Luft rein gewaschen, und nun dampfen die waldigen Höhen. Doch hinter dem Brandenkopf macht der Westweg Schluss mit lustig. Volle dreieinhalb Stunden geht man nur hinunter, nach Haslach, allerdings mit wunderbarem Blick über das Harmersbachtal. Anderntags sticht man wieder hinauf, die ersten 300 Höhenmeter ganz schön streng. Fichten haben auch hier die Schwarzwald-Tannen abgelöst, große Urgesteinsblöcke säumen den Weg. Grau schimmern sie zwischen den jungen Bäumen hervor.
Alte Bauernhäuser wie aus dem Bilderbuch machen die Etappe bis Schonach kurzweilig; nur der Wunsch, es möge uns eine Bäuerin in Tracht und mit original Bollenhut über den Weg laufen, will sich nicht erfüllen. Kein Wunder. Erstens steht heute kein Festtag im Kalender, und zweitens: Wer trägt schon gerne einen Hut, bei dem alleine die Wollbommeln zwei Kilo wiegen? Einigermaßen erledigt gönnen wir uns in Schonach ein gutes Abendessen – nicht ohne die zweitgrößte Kuckucksuhr der Welt zu besuchen: Deren Zeiger drehen sich in Kopfhöhe an einem Fachwerkhaus. Den Rekord für die wirklich größte Uhr hält der Eble Uhren-Park bei Triberg, doch diesen weiteren Schlenker sparen wir uns.
Die nächste Westweg-Etappe bringt Entspannung
Das ist das Angenehme am Westweg: Steckt man eine heftige Etappe weg, kann man sich danach meist auf eine ruhigere Gangart einstellen. Erst zwei Tage später fordert ein Anstieg die Waden wieder – es geht hinauf Richtung Feldberg. Motivation dafür kommt aus einer unverhofften Ecke: In Titisee am Titisee scheint alles aus Schinken, Bollenhüten und Schwarzwälder Kirschtorte zu bestehen – nur raus aus dem Rummel und schnell weiter ins unterhalb des Gipfels gelegene Feldberg-Dorf.
Früh am Morgen bringen wir den restlichen Weg hinauf hinter uns. Oben weht uns frischer Wind um die Ohren. Kaum jemand ist unterwegs an diesem sonnigen Augusttag. Nur das Wispern des Winds durchbricht die Stille und ein gelegentliches Blöken von Schafen, die verborgen irgendwo unterhalb des Gipfels stehen. Bläulich liegt das Licht über dem Hochschwarzwald und seinen dunkel bewaldeten Tälern, am Horizont im Süden verstecken sich die Alpen schamhaft im Dunst. Leise Wehmut schleicht sich ein: Die Tage im Reich des kalten Herzens werden bald enden. Unsere Herzen aber wurden gewärmt.
Wandern auf dem Westweg – alle Infos
Westweg – Etappen
Westvariante:
- Etappe 1: Von Pforzheim nach Dobel (26,2 Kilometer, 7 Stunden)
- Etappe 2: Von Dobel nach Forbach (26,5 Kilometer, 7,5 Stunden)
- Etappe 3: Von Forbach nach Unterstmatt (19,6 Kilometer, 6 Stunden)
- Etappe 4: Von Unterstmatt nach Alexanderschanze (27,9 Kilometer, 8,5 Stunden)
- Etappe 5: Von Alexanderschanze nach Hark (17,1 Kilometer, 5 Stunden)
- Etappe 6: Von Hark nach Hausach (15,7 Kilometer, 6,5 Stunden)
- Etappe 7: Von Hausach nach Wilhelmshöhe (21,2 Kilometer, 7,5 Stunden)
- Etappe 8: Von Wilhelmshöhe nach Kalte Herberge (22,4 Kilometer, 6,5 Stunden)
- Etappe 9: Von Kalte Herberge nach Hinterzarten (26,1 Kilometer, 7,5 Stunden)
- Etappe 10: Von Hinterzarten nach Wiedener Eck (26,5 Kilometer, 8,5 Stunden)
- Etappe 11: Von Wiedener Eck nach Kandern (32 Kilometer, 8 Stunden)
- Etappe 12: Von Kandern nach Basel (26,1 Kilometer, 7,5 Stunden)
Ostvariante:
- Etappe 1: Von Pforzheim nach Dobel (26,2 Kilometer, 7 Stunden)
- Etappe 2: Von Dobel nach Forbach (26,5 Kilometer, 7,5 Stunden)
- Etappe 3: Von Forbach nach Unterstmatt (19,6 Kilometer, 6 Stunden)
- Etappe 4: Von Unterstmatt nach Alexanderschanze (27,9 Kilometer, 8,5 Stunden)
- Etappe 5: Von Alexanderschanze nach Hark (17,1 Kilometer, 5 Stunden)
- Etappe 6: Von Hark nach Hausach (15,7 Kilometer, 6,5 Stunden)
- Etappe 7: Von Hausach nach Wilhelmshöhe (21,2 Kilometer, 7,5 Stunden)
- Etappe 8: Von Wilhelmshöhe nach Kalte Herberge (22,4 Kilometer, 6,5 Stunden)
- Etappe 9: Von Kalte Herberge nach Bärental (27,3 Kilometer, 7,5 Stunden)
- Etappe 10: Von Bärental nach Weißenbachsattel (25,6 Kilometer, 8,25 Stunden)
- Etappe 11: Von Weißenbachsattel nach Schweigmatt (18,2 Kilometer, 5 Stunden)
- Etappe 12: Von Schweigmatt nach Oberminseln (19,9 Kilometer, 5,5 Stunden)
- Etappe 13: Von Oberminseln nach Basel (24,1 Kilometer, 7 Stunden)
Westweg – Lage
Der Schwarzwald erstreckt sich von Pforzheim im Norden über 160 km bis Basel im Süden. Im Westen begrenzt ihn die oberrheinische Tiefebene, dahinter steigen schon die Vogesen auf. An guten Tagen kann man von Feldberg und Belchen bis zu den Alpen schauen. Der Schwarzwald erreicht im Norden eine Breite von 30 Kilometern; im Süden eine Breite von 60 Kilometern.
Westweg – Charakter
Der höchste Punkt des Schwarzwalds ist der Feldberg (1.493 Meter). Vor allem im Süden geben sich die Gipfel steiler und schroffer, der Nordschwarzwald trägt einen sanfteren Charakter (Hornisgrinde, 1.164 m). Allerdings sollte man sich nicht täuschen lassen und denken, dieses Mittelgebirge wäre mit links zu bezwingen: Auf- und Abstiege können mitunter ganz schön steil sein. Charakteristisch sind dunkle Tannenwälder, schattige Täler, viele kleine Seen und überraschend zahlreiche Hochmoore mit zum Teil seltenen Pflanzen. Vor allem im Südschwarzwald durchbrechen Weideflächen die Bewaldung; in den höheren Lagen findet sich alpine Flora wie Alpenglöckchen und Gelber Enzian.
Westweg – Anspruch
Ein bisschen Kondition und Durchhaltewillen sind nötig, um den Schwarzwald-Westweg wirklich genießen zu können. Das Schöne: Anstrengende, kraftraubende Etappen mit vielen Höhenmetern wechseln sich mit sanfteren Abschnitten ab. Gutes Schuhwerk ist Voraussetzung; Funktionsjacke mitnehmen, im Schwarzwald bleiben oft Wolken hängen, die dort auch abregnen.
Westweg – Anreise
Per Auto nach Pforzheim (über A 8). Am besten in der Nähe des Kupferhammers parken. Wer mit der Bahn anreist, braucht zu Fuß etwa 20 Minuten vom Bahnhof Pforzheim bis zum Kupferhammer. Oder Stadtbus 3 nehmen (ab Bahnsteig 5), braucht neun Minuten.
Westweg – Beste Zeit
Der Schwarzwald hat immer Saison. Für den Westweg empfehlen sich aber Frühjahr bis früher Herbst. Bei strengen Wintern wie in diesem Jahr sollte der Westweg keinesfalls vor Ende April angegangen werden; viele Wanderheime haben noch geschlossen, und Schnee erschwert das Fortkommen zumindest in den höheren Lagen.
Westweg – Übernachtung
Die Orte im Schwarzwald sind auf Tourismus ausgelegt. Gasthöfe, Pensionen und Hotels finden sich fast überall. Aktuelle Infos zu Übernachtungen und mehr über den Westweg bekommt man auf www.schwarzwald-tourismus.info
Westweg – Einkehr
Entlang des Westwegs gibt es unzählige Möglichkeiten zur Einkehr. Allerdings können sie saisonbedingt geschlossen sein. Wichtig ist also, eine Vesper mitzunehmen, zumal bei manchen Etappen die erste Einkehrmöglichkeit sehr spät kommt.
Westweg – Buchtipp
Schwarzwald-Westweg, Rudolf Walz, Walz Wanderferien Verlag 2005, 192 Seiten, 14,70 Euro.
Westweg – Karten
Landesvermessungsamt Baden-Württemberg, Freizeitkarten F 502 Pforzheim, F 503 Offenburg, F 506 Titisee-Neustadt, F 508 Lörrach, je 1:50000 und 6,90 Euro.
Westweg – Informationen
Schwarzwaldverein e.V., Schlossbergring 15, 79098 Freiburg, Tel. 0761/380530, www.schwarzwaldverein.de