125 Kilometer Dolomitenzauber: Der Weitwanderweg »Dolomiten ohne Grenzen« vereint Klettersteige und Höhenwege. Genial! – Hier gibt's GPS-Daten & Reiseinfos (auch als PDF zum Download):
Man kann von mehreren Orten auf den Rundweg Dolomiten ohne Grenzen zusteigen. Auf italienischer Seite bietet sich Sexten an, das man per Zug nach Innichen und von dort mit dem Bus gut erreicht. Der Bus 446 fährt auch weiter zum Kreuzbergpass, dem Mittelpunkt des Höhenwegs.Auf österreichischer Seite fährt man mit dem Zug nach Sillian oder mit dem Bus nach Kartitsch und steigt von dort zur Obstansersee-Hütte auf. Von allen Hütten kann man ins Tal absteigen und per Bus und Bahn zu anderen Zustiegspunkten gelangen. Besonders nahe an einer Busstation sind Rotwandwiesenhütte, Dreizinnenhütte und Auronzohütte.
Drei Etappen "Dolomiten ohne Grenzen":
Etappe 1: Dreizinnenhütte nach Büllelejoch-Hütte
Von der Hütte folgt man den roten Markierungen hinauf zum Toblinger Knoten und quert ihn an der Südseite. Über Leitern und mit einem Stahlseil gesichert in einem Kamin hinauf bis zum Gipfelkamm steigen. Ein weiterer versicherter Klettersteig führt über die Nordostflanke wieder hinab. Über den Sextner Stein wandert man zurück zur Hütte und dahinter vorbei an der Felsnadel des Frankfurter Würstelsden steilen Stollen durch den Paternkofel hinauf. Von der Gamsscharte dahinter entlang eines Grats kraxeln und über einen wüsten Felshang gesichert zum Gipfel. Von dort über den gleichen Weg absteigen, eine Holzbrücke überqueren, auf einem letzten Klettersteig eine Schlucht durchqueren und auf einem Balkonweg über Blumenwiesen zur Hütte.
Etappe 2: Büllelejoch-Hütte – Carduccihütte
Ab der Hütte geht es über eine Spalte in einem Kamm und einen gesicherten Grat zum Zwölferkofel, den man unterhalb der Felswände in einem Geröllhang und über ein Schneefeld traversiert bis zur Forcella de l’Agnel. Hinter der Scharte entlang der neuen Stahlseile eine Rinne queren und auf der neuen Hängebrücke über die Schlucht gehen. An der Schlüsselstelle gilt es, unter einem Überhang zu krabbeln und entlang der Felswand weiter zu kraxeln. Auf Felsbändern und vorbei an der Felsnadel namens Salsiccia zur Carduccihütte wandern.
Etappe 3: Rifugio Carducci nach Rifugio Italo Lunelli
Nach einem kurzen Abstieg von der Hütte führt die Route den erneuerten Klettersteig Cengia Gabriella hinauf zu einer Rinne, wo selbst im Sommer noch meterdick Schnee liegt. Am Stahlseil kraxelt man ein kurzes Stück durch die Rinne und dann die Felswand hinauf. Auf einem ausgesetzten Felsband die Wand entlangwandern und in einen Felskessel absteigen. Hinter einem breiten Geröllhang beginnt der Roghel-Klettersteig. Zunächst kann man sich noch in eine Rinne spreizen, bald aber geht es senkrecht die Wand hinauf bis zu einer Scharte. Mit Blick auf den Großglockner und die Hütten weit unterhalb geht es wieder steil hinab. Die Bohrhaken des Stahlseils sind hier oft vier Meter voneinander entfernt, deshalb sollte man in der Felswand besonders konzentriert die Tritte wählen. Nach dem Ende des Klettersteigs geht es in Serpentinen über Almwiesen zur Lunellihütte hinab.
Karten, Bücher, Infos
Die Klettersteige sind wenig markiert und beschildert. Deshalb muss man eine gute Karte mitnehmen. Empfohlen wird die topografische Wanderkarte »Dolomiti di Auronzo e del Comelico«, Maßstab 1:25.000, von Tobacco, Blatt 017.
Die offizielle Webseite www.dolo mitenohnegrenzen.eu bietet eine Übersichtskarte sowie Infos zu allen Etappen und Hütten. Auch auf Portalen wie Alpenvereinaktiv und via-ferrata.de findet man Karten, Höhenprofile und Wegbeschreibungen. Eine umfassende Broschüre zum Höhenweg bekommt man im Tourismusverein Sexten, Tel. 0039/0474/710310, E-Mail: info@sexten.it. Den offiziellen Wanderführer »Dolomiten ohne Grenzen« von Daniel Rogger gibt es inklusive topografischer Karte beim Verlag Versante Sud, versantesud.it, 19,50 Euro.
Beste Zeit
Die komplette Runde ist ab Anfang oder Mitte Juli bis zum ersten größeren Schneefall im Herbst möglich, meist Ende September.
Anforderungen
Wer die »Dolomiten ohne Grenzen« ganz gehen will, sollte sehr fit sein und Erfahrung in Klettersteigen mitbringen. Manche Ferratas, wie der Alpinisteig (Kategorie A/B) oder der Paternkofel (B/C), schaffen auch Anfänger. Andere, wie die Cangia Gabriella oder der Roghel-Klettersteig, sind härter (C/D).
Ausrüstungstipps
Unterkünfte & Restaurants am Höhenweg "Dolomiten ohne Grenzen"
Am Weg: Es liegen 17 Hütten am Wegesrand. Die Schlafplätze in ihnen sollte man einige Wochen vorab reservieren. Denn manche Hütten wie am Büllelejoch sind klein, andere wie an den Drei Zinnen enorm populär. Über die aktuellen Corona-Regeln informieren die Websites der Hütten, außerdem alpenverein.it
Vor der Tour: Zum Kräftesammeln bieten sich die Wellnesshotels in Sexten an, zum Beispiel der Dolomitenhof. Vom Pool inmitten blühender Wiesen schaut man auf die Felswände des Fischleintals, es gibt Sauna, Heubäder und Massagen. Und das Frühstück auf der Terrasse ist auch nicht übel (Tel. 0039/04 74/ 71 30 00, dolomitenhof.com
Auf dem Weg: Es ist eine Binse, dass es auf Südtiroler Hütten gut schmeckt. Etwas Besseres als das Ossobuco auf der Dreizinnenhütte, die Brennnessel- Knödel mit Gorgonzola und Walnuss-Splittern auf der Carduccihütte oder den Kaiserschmarrn auf der Büllelejochhütte wird man in den Bergen nur schwer finden.
Vor und nach der Tour: Ausgezeichnete Südtiroler Küche bekommt man im Restaurant »Zum Hans« (Tel. 00 39/04 74/71 03 57, hans.bz.it) oder auf dem »Kinigerhof« (Tel. 00 39/04 74/710 704, kinigerhof.com), beide in Sexten.
Tipps und Reisebericht unseres Autors Florian Sanktjohanser
- FÜR EINSTEIGER: Als Drei-Tages-Tour für Einsteiger empfiehlt sich diese Route: Aufstieg zur Zsigmondyhütte vom Fischleintal. 2. Tag: via Alpinisteig zur Rotwandwiesenhütte. 3. Tag: auf die Rotwand, zurück zur Hütte, per Seilbahn ins Tal nach Sexten.
- GANZ IN RUHE: Die Hütten auf der Osttiroler Seite der »Dolomiten ohne Grenzen« liegen am beliebten Karnischen Höhenweg und sind gut frequentiert. Doch die meisten Gäste wandern, auf den Klettersteigen ist wenig los.
- UMLEITUNG: Wer sich einzelne Klettersteige nicht zutraut, kann sie umgehen – auch den etwas kniffeligen Severino Casara: über die Zwölferscharte und das Giralbajoch zur Carduccihütte.
- INS MUSEUM: Entlang der einstigen Front erinnern einige Freilichtmuseen an den grausamen Gebirgskrieg, eindrucksvoll zum Beispiel im Freilichtmuseum Bellum Aquilarum auf der Anderter Alpe an der Sextner Rotwand. bellumaquilarum.it
Weitere Eindrücke von unserem Ausflug auf dem Weitwanderweg durch die Sextener
Die Mutprobe kommt hinter der Hängebrücke. Geduckt krabbeln wir unter überhängenden Felsen an der Schlucht entlang und verrenken uns, um die Karabiner im Stahlseil umzuklicken. Irgendwann wird der Überhang so niedrig, dass wir außen herum klettern müssen, blind nach schmalen Tritten über dem Abgrund tastend. Und dann zerrt auch noch was am Gurt. Ah, den Karabiner vergessen. Katzenpassage hat jemand diese nervenkitzelnde Kraxelei auf dem Klettersteig Severino Casara passenderweise genannt. Sie ist eine der Schlüsselstellen des neuen Klettersteig-Höhenwegs mit dem schönen Namen »Dolomiten ohne Grenzen«: eine Kette von zwölf Klettersteigen, 125 Kilometer lang, mit 12.000 Höhenmetern, durch Italien und Österreich. Über weite Strecken folgt sie der Front des blutigen Gebirgskriegs von 1915 bis 1918. »Die Dolomiten sollen jetzt nicht mehr teilen, sondern verbinden«, rief Reinhold Messner in seiner Eröffnungsrede 100 Jahre nach Kriegsende. Die Idee zu dem Friedensweg stammt allerdings nicht von ihm, sondern vom Wirt einer abgelegenen Hütte. Doch dazu später mehr.
Wände ohne Ende
Wie eine Acht windet sich der Höhenweg durch die Dolomiten, einsteigen kann man an fast jeder Hütte. Wir starten von Sexten aus, wo unser Bergführer zu Hause ist. Daniel Rogger kraxelt den ganzen Sommer mit Kunden rings um die berühmten Zinnen und repariert auch die Klettersteige. Mit diesem Wissen hat der Mittdreißiger mit den dunklen Locken den Verlauf des Wegs zusammen mit anderen entworfen, vier Jahre arbeitete er an dem Projekt. Es hat sich gelohnt. »Wahrscheinlich ist das der einzige Höhenweg der Welt, auf dem man eine Woche lang jeden Tag einen Klettersteig geht«, sagt er. Wir gehen durch dichten Nebel los, die berühmte Rückseite der Drei Zinnen müssen wir uns vorstellen. Mangels Aussicht zeigt uns Daniel versteinerte Raptorenspuren am Wegesrand. Als wir einen Zwischenstopp auf der Dreizinnenhütte machen, schälen sich die Felstürme des gut 2600 Meter hohen Toblinger Knotens gerade aus dem Nebel. Hier standen sich im Ersten Weltkrieg die Soldaten 50 Meter entfernt gegenüber, italienische Alpini am Sextner Stein, österreichische Kaiserschützen am Toblinger Knoten. Im Geröllhang dazwischen liegt noch verrosteter Stacheldraht. »Manchmal finde ich Patronen«, sagt Daniel, »oder sogar eine Handgranate.«
Hinter Steinbrüstungen legen wir Gurt und Helm an. Leiter um Leiter klettern wir einen Kamin empor, der Rucksack wetzt am Fels, Steine rieseln herab. Im Krieg waren die Leitern aus Holz, ihre Reste liegen noch in der Felswand. Unterhalb sieht man deutlich den Schützengraben im Kieskamm. »Zu Beginn des Kriegs standen die Italiener hinter den Drei Zinnen, dann haben sie sich bis hierher vorgekämpft«, erklärt Daniel auf dem Sextner Stein (2539 m). Vorbei am Frankfurter Würstel, einem Felspfeiler, geht es über einen felsigen Grat bis zum Eingang eines Tunnels. Er führt in den Paternkofel. »Um ihre Front zu versorgen, gruben sich die Alpini durch den ganzen Berg.« Über eine steile Treppe steigen wir bergan, die Lichtkegel der Stirnlampen tanzen über die Wände, der Rucksack stößt oben gegen Fels. »Deshalb haben wir hier einen Helm auf«, sagt Daniel. In einer Ausbuchtung zeigt er einen Bretterverhau, die Reste eines Nachtlagers. »Unten war ein Holzboden, darauf standen Stockbetten wie ein Schuhregal«, sagt er. Eine Holzdecke sollte verhindert, dass es heruntertropft. »Aber natürlich war es grausig kalt.« Zwei Drittel der Gefallenen starben durch Kälte und Lawinen. Hinter dem Ausgang stehen wir erst einmal im Stau. Eine Gruppe älterer Franzosen krampft sich vor uns den Grat hinauf. »Im August geht man hier in der Kolonne«, sagt Daniel. Der Paternkofel sei der bekannteste Klettersteig der Dolomiten. Und das zu Recht. Der Aufstieg über eine Rinne ist herrlich, weit unten leuchten türkis die Bödenseen zwischen Wiesen- und Geröllhügeln, dahinter erhebt sich die Wand der Schusterplatte. Und auf dem Gipfel hat man einen grandiosen Blick auf die Drei Zinnen.
"Die Kulisse wechselt ständig und überwältigt immer wieder neu – Berge wie von einem größenwahnsinnigen Architekten entworfen."
Von nun an gehen wir meist allein, zuerst am Stahlseil durch eine Schlucht, dann gehen wir auf einem Balkonweg über Blumenwiesen hinauf zur Büllelejochhütte, die für Daniel ein zweites Zuhause ist. Seine Eltern haben die Hütte in den Dolomiten seit mehr als 40 Jahren gepachtet, er hat hier die Sommer seiner Jugend verbracht – was gewisse Privilegien mit sich bringt: Als Dessert stellt uns seine Mutter den augezeichneten Kaiserschmarrn auf den Tisch, den wir gar nicht bestellt haben. Das wahre Zuckerl ist aber der Blick vom Felskamm direkt über der Hütte: auf den Fächer des Elferkogel und den wuchtigen Turm des Zwölferkofel, Berge wie von einem größenwahnsinnigen Architekten entworfen. »So haben Bepi und ich den Verlauf des Wegs geplant, mit Karte und Kugelschreiber«, erzählt Daniel abends auf der Hütte. "Bepi" heißt eigentlich Guiseppe Monti, aber so nennt den Wirt der nahen Carduccihütte wohl nur das Finanzamt. »In manchen Jahren hat Bepi fast nichts verdient«, erzählt Daniel. Denn der von Muren beschädigte und steinschlaggefährdete Weg um den Zwölferkofel war seit 20 Jahren gesperrt – und die Carduccihütte vom Herz der Dolomiten abgeschnitten. Bepi setzte sich dafür ein, den Weg durch einen Klettersteig zu erneuern. Und spann daraus die Idee eines neuen Friedenswegs. Severino Casara heißt der neue Steig um den Zwölferkofel. Im Herbst 2018 wurde der letzte fehlende Abschnitt hinter der Scharte Forcella de l‘Agnel mit Stahlseilen gesichert. Zuvor ging es hier kühner zu: Man musste entlang eines Seils, das Bepi gespannt hatte, eine steinschlaggefährdete Rinne queren und sich über eine kleine Klippe rückwärts abseilen. Nun beginnt der Klettersteig gleich unterhalb der roten Biwakschachtel Bivacco de Toni und ist deutlich sicherer – aber immer noch anstrengend.
Erschöpft kommen wir auf der Carduccihütte an, in einem Amphitheater aus grauorange getigerten Felswänden und Türmen. Vor der Hütte picken Hühner zwischen den Blumen, am Mast flattern die Fahnen Italiens, der EU und Tibets. Und die Regenbogenfahne mit der Aufschrift Peace, Frieden. »Wir brauchen keine neuen Grenzen, keinen neuen Nationalismus«, sagt Bepi, der gerade mit Freunden an einem langen Tisch beim Mittagessen sitzt. Mit seinen Falten und dem grauen Vollbart könnte er einen weisen Fischer mimen – bis er eine rote Brille mit hellgrünen Bügeln aufsetzt. Abends legt er das Video von seinem 65. Geburtstag ein, 2013 war das. Wir sehen eine Pink-Floyd-Coverband per Helikopter auf der Hütte einschweben und aufgeblasene Schweine fliegen, nach dem Vorbild der echten Pink Floyd, als sie mit dem Album »Animals« auf Tour gingen. Und wir sehen einen Bepi, der wie ein Rumpelstilzchen herumspringt. Zwölf Jahre ist der frühere Radiologe Wirt der Carduccihütte, seit es die »Dolomiten ohne Grenzen« gibt, lohnt sie sich endlich. »Das Interesse ist explodiert, jeden Tag kommen jetzt Wanderer auf dem Höhenweg hier herauf«, sagt Bepi. Dabei half auch die EU. Aus dem Interreg-Fonds flossen 200 000 Euro für den Höhenweg, 70 Prozent davon in die Instandhaltung der Klettersteige. Nicht zuletzt deshalb dehnten Daniel und Bepi ihn auf Osttirol aus: Damit die EU ihn als grenzüberschreitendes Projekt fördert. »Um die ganze Runde zu gehen, muss man schon fit sein«, sagt Daniel. »Weniger klettertechnisch, aber dafür konditionell.« Was er damit meint, sehe ich am nächsten Tag. Um zum Kreuzpass zu kommen, kraxeln wir gleich zwei Klettersteige hintereinander. Gehzeit: mindestens neun Stunden.
Beim Einstieg in die Via Ferrata Cengia Gabriella zeigt Daniel, wie das EU-Fördergeld angelegt wurde. »Früher musste man hier über eine Schneerinne zusteigen«, sagt er. »Deshalb war dieser Klettersteig den halben Sommer nicht begehbar.« Generell seien die Klettersteige in der Provinz Belluno »in einem miserablen Zustand« gewesen. Jetzt führt ein neues Stahlseil eine schräge Wand hinauf, die Haken glänzen noch messingfarben. »Sauber gearbeitet, da kann man nicht meckern«, sagt Daniel. Auf einem Felsband gehen wir ebenmäßig die Wand entlang, mit Blick auf die Kämme der Dolomiten. Seit Stunden ist kein anderer Mensch zu sehen. Kein Wunder. Selbst Daniel ist diesen Doppel-Klettersteig erst einmal in seinem Leben gegangen. Und das ist 20 Jahre her. Vor allem der zweite Teil namens Roghel hat es in sich. Zuerst spreizen wir uns eine schmale Rinne hinauf, bald aber geht es senkrecht in die Höhe, die Tritte werden immer schmaler – bis wir die Stiefel in die Wand stemmen und uns am Stahlseil hochziehen. Oben an der Scharte angekommen, schauen wir auf waldgrüne Hügel, auf die Schneefelder des Großglockners in der Ferne – und die Lunellihütte weit unten. Noch mal durchatmen, trinken. Der Weg ist noch weit.